WRC-Zukunft: Rally1-Boliden vor dem Aus?

Es brodelt in der Rallye-WM: Stehen die Rally1-Hybridautos vor dem Aus? Doch wie realistisch ist der Umstieg auf die beliebten Rally2-Boliden?

(Motorsport-Total.com) - Die Kosten für die ab 2022 in der Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) eingeführten Rally1-Hybridautos sind zu hoch, darin scheinen sich die Teams und der Automobil-Weltverband FIA einig zu sein. Ein echter Paukenschlag könnte es aber geben, wenn die Speerspitze der Weltmeisterschaft die neuen Autos ad acta legt und auf eine Weiterentwicklung der beliebten und deutlich günstigeren Rally2-Autos umsteigt, die in den nationalen Meisterschaften und der Europameisterschaft die Spitze bilden. Doch wie realistisch ist eine Abschaffung des Rally1-Reglements wirklich?

Titel-Bild zur News: Sebastien Ogier im Toyota GR Yaris Rally1 bei der Rallye Mexiko 2023

Sind die Hybridautos zum Scheitern verurteilt? Zoom

Die FIA hat eine neue Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, der unter anderem FIA-Vizepräsident Robert Reid, Rallye-Weltmeister von 2001, und WRC-Beifahrer David Richards angehören. Die Gruppe wurde Ende 2023 ins Leben gerufen, um sich mit der zukünftigen Ausrichtung des Rallyesports zu befassen. Im Dezember trafen sich die WRC-Teams Toyota, Hyundai und M-Sport-Ford mit der Arbeitsgruppe, um den Fahrplan für die kommenden Jahre zu besprechen.

Im Jahr 2024 gehen die Rally1-Boliden erst in ihre dritte Saison, fünf Jahre lang sollen die Fahrzeuge ohne große Veränderungen in der Topkategorie der WRC eingesetzt werden. Noch 2023 betonte die FIA, dass sie davon ausgeht, dass eine weiterentwickelte Form der Rally1 bis zu einer größeren Überarbeitung des Reglements in der Saison 2027 Bestand haben wird.

Kosten der entscheidende Faktor

Es scheint jedoch Kräfte zu geben, die auf eine rasche Änderung des Reglements drängen, in einem Medienbericht aus Italien von rallyssimo.it ist sogar von einem möglichen Ende des Rally1-Reglements frühestens ab 2025 die Rede. Nach Informationen von Motorsport.com, der englischen Schwesterseite von Motorsport-Total.com, ist das zwar eher unwahrscheinlich, ganz auszuschließen ist ein solcher Paukenschlag in der WRC-Welt aber nicht.

Die Rally1-Autos wurden 2022 in die WRC eingeführt, um den Fortbestand der Serie zu sichern. Deshalb kommen Hybrid-Autos von Toyota, Hyundai und Ford zum Einsatz, deren Verbrennungsmotoren mit nachhaltigem Treibstoff betrieben werden. Zusätzlich unterstützt ein 100 Kilowatt starker Elektromotor den Antrieb der Fahrzeuge. Damit erreichen die Fahrzeuge eine maximale Leistung von rund 500 PS. Auch das Chassis wurde in puncto Sicherheit deutlich verbessert.

Allerdings sind die Rally1-Autos laut FIA für den Sport zu teuer, denn ein solches Fahrzeug soll knapp eine Million Euro kosten, während die Rally2-Autos für 200.000 bis 300.000 Euro über die Ladentheke gehen. Die Kosten sind auch einer der Hauptgründe, warum beim Saisonauftakt in Monte Carlo nur acht Rally1-Autos gemeldet wurden.

Rally2-Plus eine Möglichkeit

Doch welche Lösungen gibt es, um die Königsklasse des Rallyesports zu retten? Zunächst einmal sollen die Rally1-Autos bis 2026 beibehalten werden, bevor 2027 eine Umstrukturierung folgt. Ab 2024 sind auch Rally1-Autos ohne Hybridantrieb zugelassen. Damit wären die Investitionen der etablierten Teams in den Hybrid gesichert, es käme aber auch zu einer Öffnung der Klasse. Rally1-Autos ohne Hybrid könnten auch auf nationaler Ebene eingesetzt werden.

Ein Wechsel zu einer weiterentwickelten Form der Rally2-Autos wäre kostenmäßig sinnvoll und eine schnelle Lösung, um die Teilnehmerzahl zu erhöhen. Die Rally2-Kategorie ist sehr populär und es gibt andere Hersteller, die solche Autos bauen: Skoda und Citroen. Auch Toyota hat ein Rally2-Auto auf Basis des Yaris entwickelt. Laut Autosprint.it ist auch Lancia an einem Rally2-Programm interessiert.

Aber was spricht gegen eine weiterentwickelte Form der Rally2-Autos? Die Autos sind langsamer, haben einen weniger brutalen Sound und sind generell weniger spektakulär als die Rally1-Autos. Damit könnte es schwierig werden, neue Fans für die WRC zu gewinnen. Aber genau das ist eines der Hauptziele der Serie. Ein Upgrade-Kit für die Autos könnte Abhilfe schaffen: Höhere Geschwindigkeiten und besserer Sound inklusive.

Hersteller mit geteilten Meinungen

Ein weiterer Punkt sind die eingesetzten Fahrzeuge: Ford hat seinen Rally2-Fiesta zurückgezogen, weil mit dem Puma in der Rally1 der Crossover-SUV im Rampenlicht stehen soll. Mit dem Rally1-Chassis ist das möglich, mit der Rally2-Basis wohl nicht so einfach. Die WRC und die FIA stehen also vor einem komplexen Problem, um den Rallyesport wieder profitabel und gleichzeitig interessant zu machen.

Wie stehen die aktuellen Hersteller dazu? Toyota ist offen für einen Verbleib der Rally1-Autos bis 2026, kann sich aber auch einen Wechsel zum Rally2- oder Rally2-Plus-Reglement vorstellen. "Im Moment sind wir aus Toyota-Sicht grundsätzlich mit beiden Optionen einverstanden, Rally1 oder Rally2", sagt Toyota-WM-Teamchef Jari-Matti Latvala gegenüber Motorsport.com.

Der ehemalige Rallye-Pilot schwärmt von den Rally1-Autos, die "großartige Maschinen" seien. "Sie sind schnell, sicher, sehen gut aus und klingen gut, aber sie sind sehr, sehr teuer", so der Toyota-Teamchef. "Wir haben keine Privatfahrer wie früher. Der Wechsel zu Rally2 oder sagen wir Rally2-Plus würde viele Probleme lösen, vor allem die Kosten, und es Privatfahrern ermöglichen, in der Königsklasse zu fahren."

Mehr Sound, mehr Spektakel

Toyota glaubt nicht an einen radikalen Wechsel für die Saison 2025 und geht davon aus, dass alle Teams bis 2026 mit den Rally1-Autos weitermachen werden. Latvala hält die Saison 2027 für den richtigen Zeitpunkt, um sich in der WRC neu zu positionieren. Er persönlich sieht die Rally3-Klasse künftig als zweite Liga und die Rally2-Plus als Speerspitze der Weltmeisterschaft.

"Was wir brauchen, ist ein etwas größerer Heckflügel und etwas mehr Sound", sagt er. "Die Autos müssen nicht schneller sein, aber sie müssen aggressiver aussehen und klingen. Sie müssen nicht schneller sein, weil die Autos über die Jahre ohnehin schneller geworden sind. Wenn wir mehr Geschwindigkeit wollen, können wir mit dem Restriktor einen Millimeter höher gehen."

"Wenn wir schnellere Autos haben wollen, müssen sie den Sicherheitsanforderungen entsprechen, also stellt sich die Frage, ob wir ein normales Serienauto fahren können oder ob es ein Rohrrahmenchassis sein muss. Das ist eine Schwierigkeit, deshalb sollten wir versuchen, die Geschwindigkeit ein wenig zu drosseln", meint Latvala.

Welche Probleme hat die WRC?

Hyundai-Teamchef Cyril Abiteboul glaubt, dass es wichtig ist, die Zukunftsvision der WRC genau zu verstehen, bevor man entscheidet, ob Rally2 die Antwort für die Zukunft der Meisterschaft ist. "Es gab offene Diskussionen und Debatten, und ich habe die Gruppe [beim Treffen in London] gebeten, darüber nachzudenken, wofür die Rallye in der heutigen Welt steht, in der sich die Dinge so schnell ändern", sagt der ehemalige Formel-1-Teamchef gegenüber Motorsport.com.

Andreas Mikkelsen

Skoda hat mit dem Fabia einen Rally2-Boliden im Angebot Zoom

"Das B-Segment der Automobilindustrie hat sich verändert. Die Elektrifizierung kommt, der Appetit auf Sicherheit und eine nachhaltige Umwelt sind absolut entscheidend! Was wollen wir den Fans, den Sponsoren und den Medien sagen? Ich denke, dass es wichtig ist, diesen theoretischen Ansatz für den Sport zu haben, damit wir eine Grundlage haben, denn ich denke, das hat gefehlt."

"Wenn wir sagen, dass wir eine reine Kundenmeisterschaft sind, dass es zu 100 Prozent eine Fahrermeisterschaft ist, in der der Beitrag der Hersteller und Teams eher begrenzt ist, warum nicht? Ich denke, wenn wir uns einfach fragen, wofür wir stehen, was unsere Mission und Vision ist, dann können wir über so etwas Wichtiges wie Rally1 und Rally2 entscheiden", so Abiteboul. "Rally2 kann eine Lösung sein, aber eine Lösung für welches Problem?"

"Wir müssen das Problem verstehen, um die richtige Lösung zu finden", fährt der Hyundai-Teamchef fort. "Ich will nicht sagen, dass [Rally2] gut oder schlecht ist. Rally2 könnte eine gute Lösung für das richtige Problem sein, aber wir müssen sicherstellen, dass wir uns alle darüber einig sind. Als Hersteller wären wir natürlich sehr traurig, wenn die Kategorie, in die wir massiv investiert haben und an die wir nach wie vor glauben, vor dem Ende ihres geplanten Homologationszyklus verschwinden würde".

"Wir versuchen vor allem, das Kostenproblem anzugehen und mit der Fangemeinde in Kontakt zu treten", erklärt er. "Das könnte eine Lösung sein, aber ist es [Rally2] die richtige Lösung für die Hersteller, die investiert haben, um zu bleiben und ihre beste Automobiltechnologie zu vermarkten? Dann ist Rally2 nicht die Lösung."

Interessanterweise hat der Teamchef von M-Sport, Richard Millener, eine andere Sicht der Dinge. Seiner Meinung nach sollte man sich im Moment darauf konzentrieren, die Kategorie für die Hersteller attraktiver zu machen, anstatt Rally2 einfach als Top-Kategorie zu installieren. "Wir diskutieren alle Optionen [für die Zukunft], aber wenn sich bis 2025 etwas dramatisch ändern würde, wäre ich überrascht", sagt Millener gegenüber Motorsport.com.

M-Sport gegen das Rally2-Konzept

"Wir müssen realistisch einschätzen, wie lange es dauert, ein Auto zu entwickeln, und ich denke, wir müssen bei den Kosten vorsichtig sein, wenn die Leute sagen, dass Rally2 die Zukunft ist, denn wenn man ein großes Budget hat, wird man trotzdem ein großes Budget für Rally2 oder Rally1 ausgeben", so der M-Sport-Teamchef.

"Die Finanzierung ist ein sehr wichtiger Teil des Sports, aber wenn wir die Fans, das Medieninteresse und die Menschen um den Sport herum haben, dann kommt mit diesem Element auch das Geld und das ist vielleicht das, was uns im Moment fehlt", sagt er. "Ich denke, wir müssen darüber nachdenken, wie wir den Sport attraktiver und unterhaltsamer machen können und wie wir mehr Leute dafür begeistern können."

"Rally2 ist eine fantastische Kategorie für das, wofür sie geschaffen wurde, nämlich für Semi-Profis und Privatfahrer", fährt Millener fort. "Rally1 sollte das Ziel an der Spitze sein, und wenn man das wegnimmt, sind die Privatfahrer, die an die Spitze wollen, plötzlich an der Spitze. Natürlich spielen die Kosten eine Rolle, aber jede Form von Motorsport ist nicht billig."

"Ich denke, wir müssen verstehen, warum die Hersteller nicht glauben, dass die Kosten der Serie im Moment gerechtfertigt sind und was wir tun können, um ihnen zu helfen", so der M-Sport-Teamchef. "Wir haben all diese Autos entwickelt und in sie investiert, und ich denke, es wäre interessant, eine Nicht-Hybrid-Variante einzuführen."

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