STW 1999: Die Vorgeschichte des Skandalrennens auf dem Nürburgring
Auf dem Nürburgring eskalierte der Titelkampf zwischen Christian Abt und Uwe Alzen - Das war nur der Schlussakt einer Saison, in der es drunter und drüber ging
(Motorsport-Total.com) - Das Finale auf dem Nürburgring ist legendär. Doch es wäre falsch, die STW-Saison 1999 auf dieses eine Rennen zu reduzieren. Denn die Ereignisse zwischen den Opel- und Abt-Audi-Piloten hatten sich längst überschlagen - teils gewollt, teils unglücklich zufällig. Ein Blick auf die Saison.

© ABT Sportsline
Christian Abts zerstörter Audi A4, nachdem er infolge von Olaf Pleugers Abschuss von Uwe Alzen getroffen worden ist Zoom
Nach der Saison 1998 musste die aus dem STW-Cup hervorgegangene STW-Meisterschaft trotz des erst 1998 neu gewonnenen Prädikats eine Reihe schwerer Rückschläge hinnehmen. BMW, Peugeot und Nissan zogen ihre Werksengagements zurück. Audi hatte bereits nach 1997 seinen werksseitigen Ausstieg verkündet, Ford schon 1996 das Handtuch geworfen.
Audi und BMW zog es nach Le Mans, BMW zusätzlich in die Formel 1, Nissan konzentrierte sich auf die noch härter umkämpfte Britische Tourenwagen-Meisterschaft (BTCC) und Le Mans, Peugeot zog es in die Rallye-Weltmeisterschaft (WRC). Mit Ausnahme der GT1-Einsätze von Nissan endeten alle diese Engagements mit großen Erfolgen.
Die STW-Meisterschaft wurde jedoch auf zwei Werke reduziert: Opel war der letzte Hersteller mit einem großen Engagement. JAS Motorsport brachte mit dem Honda Accord der sechsten Generation ein völlig neues Auto an den Start. Dieser tat sich zu Beginn der Saison trotz sehr guter Anlagen schwer, entwickelte sich aber in der zweiten Jahreshälfte zu einem regelmäßigen Siegkandidaten.
Hinzu kam ein Einsatz von Alfa Romeo mit Stefano Modena, doch das Euroteam genoss bei weitem nicht die Unterstützung aus Turin wie das Topteam Nordauto (das später mit großen Erfolgen in der Tourenwagen-Europameisterschaft ETCC gesegnet war) in der italienischen Meisterschaft.
Abt-Eigenentwicklung überrascht alle
Der Großteil des Feldes bestand aus Privatfahrern. Entsprechend groß waren die Abstände innerhalb des Feldes, Überrundungen waren selbst bei den Sprintrennen über 50 Kilometer keine Seltenheit. Allradantrieb war verboten, doch für Deutschland gab es eine Ausnahme für Privatteams.
Opel ließ sich darauf ein, denn Volker Strycek war an einer starken STW-Meisterschaft gelegen. Dementsprechend setzte er sich für ein letztes Jahr der Serie stark ein. Ein Titel war für Opel fest eingeplant, die einzige nennenswerte Gefahr drohte von Honda, gegen die man mit vier stark besetzten Autos schon fertig werden würde.
Mit den Audi-Teams rechnete niemand ernsthaft. Achtungserfolge und vielleicht mal ein Sieg ja, Titel definitiv nein. Das neu gegründete Team Phoenix, damals noch ein No-Name im Motorsport, brachte zwei Audi A4 Stand 1997 an den Start. Dieses performte auf dem erwarteten Niveau.
STW Norsring 1999 - Abt/Helary-Crash bei 9:20 Minuten
Das andere Audi-Team, Abt, überraschte mit einer Interpretation des Reglements, die völlig legal war, die aber niemand auf dem Zettel hatte. Statt auf die alten Quattros zurückzugreifen, nahm das Team seine eigenen 1998er-Audis mit Frontantrieb und rüstete sie in Eigenregie auf Allradantrieb um.
Der Abt-Audi kombinierte die Vorteile des Allradantriebs mit Entwicklungen, die Audi für das Frontantriebskonzept der Saison 1998 entwickelt hatte. Unter anderem besaß der Bolide noch die Aerodynamik für Fronttriebler. In Kombination mit der Allrad-Eigenentwicklung führte dies zu einem fast schon irren Einlenkverhalten. Vom Brems- bis zum Scheitelpunkt waren die Abt-Audis allen anderen haushoch überlegen.
Opel wurde kalt erwischt. Eigentlich war ein Durchmarsch zum Titel gegen etwas Audi-Altmetall und noch nicht ausgereifte Hondas geplant. Der Doppelsieg von Abt beim Saisonauftakt auf dem Sachsenring konnte noch auf die Streckencharakteristik zurückgeführt werden.
Mehr Gewicht für Audi
Doch als Abt trotz des eklatanten Leistungsnachteils des Audi plus Platzierungsgewicht die favorisierten Opel auf dem Flugplatzkurs in Zweibrücken verblies, begann der Kampf hinter den Kulissen. Opel drohte die Saison zu entgleiten und auch Honda hatte keine Chance gegen den Über-Audi. Hinter den Kulissen begann die aus den Vorjahren bekannte Gewichtsdebatte.
Am Ende wurde das Basisgewicht des A4 von 1.040 auf 1.070 Kilogramm erhöht. Zusammen mit dem Platzierungsgewicht von bis zu 40 Kilogramm brachte der Abt'sche Audi damit mehr als 1.100 Kilogramm auf die Waage. "Das war schon grenzwertig", sagt Hans-Jürgen Abt im Gespräch mit Motorsport-Total.com.
"Wir waren in Sphären, wo es kaum noch möglich war, mit den Reifen über die Distanz zu kommen. Das war absolut am Limit, mehr war nicht drin. Mit 1.070 Kilogramm waren wir nicht mehr konkurrenzfähig."
Kris Nissen vs. Uwe Alzen Oschersleben 1999
Aber auch Opel litt unter dem hohen Reifenverschleiß. Zur Saison 1999 wurden aus Kostengründen Einheitsreifen von Michelin in zwei Mischungen eingeführt, Intermediates verboten. Tatsächlich hatte das Abt-Team beim ersten Rennen mit schwereren Autos in Oschersleben große Probleme mit dem Reifenverschleiß. Doch man fand schnell eine Lösung.
Beim nächsten Rennen auf dem Norisring kam es dann zur ersten härteren Auseinandersetzung. Opel hatte bereits alles auf Alzen gesetzt und pfiff sogar seinen ITC-Champion Manuel Reuter zurück, damit Alzen den Sprint gewinnen konnte. Im Hauptrennen räumte Eric Helary dann Christian Abt ab, doch die Rennleitung setzte mit einer Stop-and-Go-Strafe ein Exempel, sodass Abt den zweiten Platz erbte.
Radio-Gate in Misano
Beim ADAC-Gold-Cup in Misano kochten die Emotionen erstmals richtig hoch. Abt hatte zwar bei weitem nicht das schnellste Auto, doch bei Außentemperaturen von weit über 30 Grad auch in der Nacht gingen den Fronttrieblern reihenweise die Reifen in die Knie - oder sie räumten sich heldenhaft selbst aus dem Weg wie die favorisierten Gaststarter Nicola Larini und Fabrizio Giovanardi von Alfa Romeo.
Im Hauptrennen führte Alzen bis zur letzten Runde, doch Abt kam mit Riesenschritten näher. Alzen ließ seinen Rivalen kampflos passieren. Das passte Opel überhaupt nicht. Nach dem Rennen geisterte die Theorie durch die Medien, das Abt-Team habe den Funk von Uwe Alzen angezapft und ihm mitgeteilt, Abt sei überrundet und damit kein Gegner.
Gegenüber Motorsport-Total.com verweist Alzen solche Theorien ins Reich der Fabeln: "Es ging nicht mehr, der Reifen war völlig hinüber. Das war wie mit einem Messer bei einer Schießerei. Feierabend, da hast du keine Chance. Das Ding ist tot, stumpf. Wir mussten einfach alles - Gas geben, bremsen, lenken - mit den beiden Vorderrädern machen. Und wenn die Reifen fertig sind, geht das nicht mehr."
STW Oschersleben 1999: Startcrash Kris Nissen
Das nächste Rennen auf dem Nürburgring wurde für Opel zum Desaster. Alzen schied in beiden Läufen aus, auch Reuter erlitt einen spektakulären Motorschaden am sonst so bravourösen Spiess-Aggregat. Abt hamsterte als Dritter und Zweiter wichtige Punkte. Auf der Audi-Schreckensstrecke Salzburgring verlor er dann erwartungsgemäß den Vorsprung wieder.
Der Titelkampf eskaliert
Die Eskalation zwischen Opel und Abt-Audi nahm dann am vorletzten Rennwochenende, dem zweiten Gastspiel in Oschersleben, ihren Lauf. Das Deutschland-Debüt eines jungen Schweden namens Mattias Ekström war eher eine Randnotiz, im Mittelpunkt stand Kris Nissen.
Der schob Uwe Alzen im Sprint an. Wieder einmal schlug das immense Einlenkverhalten des Abt-Audi A4 zu, das in dieser Saison schon mehrfach für solche Szenen gesorgt hatte. Nissen boxte Alzen weg, der dann die Box ansteuern musste. Er schlug wütend auf das Dach des Opel Vectra ein und kam nur als 18. ins Ziel.
Beim Start zum Hauptrennen zog Manuel Reuter vor dem mit Allradantrieb besser gestarteten Kris Nissen leicht nach rechts, woraufhin Nissen ebenfalls nach rechts zog - direkt in die Linie von Tom Kristensens Honda. Es folgte ein Vierfachüberschlag des Audis in der Auslaufzone. Es wäre unangemessen, Reuter einen Vorwurf zu machen, aber in der angespannten Situation heizte dies die Eskalationsspirale weiter an.
Eskalation in Hockenheim: Abt vs. Pleuger vs. Alzen
Diese drehte sich nun immer schneller. Vorletzte Station: Hockenheim. Während Abt und Alzen ihren Zweikampf mit harten, aber fairen Mitteln austrugen und Kris Nissen seinem ersten Sieg entgegenfuhr, räumte der überrundete Opel-Privatier Olaf Pleuger Abt von der Strecke. Doch die Ironie des Schicksals will es, dass ausgerechnet der hinter ihm fahrende Alzen in Abts Audi rast - beide scheiden aus.
Doch damit nicht genug. Ab dem Ende des Sprintrennens gilt Parc Ferme. Die Abt-Mannschaft soll zu diesem Zeitpunkt noch am Auto von Christian Abt geschraubt haben - Protest von Holzer! Laut einer Pressemitteilung von Abt wurde der Protest zwar zurückgezogen, aber Abt wurde dennoch vom Hauptrennen ausgeschlossen.
Ohne diesen Wertungsausschluss wäre es nie zum packenden Finale auf dem Nürburgring gekommen. Der Rest ist Geschichte.


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