• 26.03.2020 16:13

  • von Roland Hildebrandt

Zeitreise: Unterwegs im Audi 100 (1968-1976)

Mit dieser Limousine begann der Aufstieg von Audi: Der Audi 100 blies zur Attacke auf Mercedes - Wir sind ein Modell von 1974 gefahren

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Heute wird Audi für seine Fahrzeuge und deren Qualität abgefeiert. Aber es hätte auch ganz anders kommen können. Rückblende: Ende 1964 kauft VW von Mercedes die marode Auto-Union samt ihrer veralteten Zweitakter.

Titel-Bild zur News:

Audi 100 (1968-1976) Zoom

Aus dem DKW F 102 wird zwar der erste Audi nach dem Krieg, doch Wolfsburg sieht in Ingolstadt lieber eine zusätzliche Käfer-Plantage. Eigene Neuentwicklungen mit vier Ringen? Njet - lautet die klare Ansage aus dem Kreml am Mittellandkanal.

Ludwig Kraus, zu jener Zeit technischer Direktor bei Audi, pfeift auf das Verbot und konstruiert eine große Limousine. Nur blöd, dass seine Bosse davon Wind bekommen und Heinrich Nordhoff informieren. Letzterer ist nicht nur VW-Chef, sondern auch Sonnenkönig. Quasi kurz unterhalb von Gott, wenn ihr wisst, was ich meine.

Ihm wird am 14. November 1966 der Audi 100 vorgeführt. Dieser Montag entscheidet alles, Kraus und seine Leute rechnen mit dem Schlimmsten. Doch König Heinrich ist begeistert und wird mit den Worten "... ein sehr schöner Wagen!" zitiert.

Fast genau zwei Jahre später wird der 100 (warum es gerade diese Nummer wurde, weiß keiner) vorgestellt. Sowohl die Presse als auch die Kunden sind begeistert. Bis 1976 kann Audi über 827.000 Exemplare verkaufen. Mein Fahrzeug hier stammt aus dem späten Baujahr 1974, das Profis an der etwas kantigeren Frontpartie erkennen.

In so mancher Weise war der große Audi damals, was heute der Skoda Superb ist. Ein Aufsteiger in höhere Klassen, bei dem eigentlich nur die Herkunft nicht standesgemäß ist. Als "Prokuristen-Mercedes" schmähte man den Audi 100 seinerzeit.

Audi 100

Merkmal für gutes Design: Der erste Audi 100 wurde nie radikal geliftet Zoom

Oder geadelt, je nach Standpunkt. Schon allein diese Form: Sie könnte auch aus Frankreich oder Italien kommen und verwöhnt mich innen mit enorm viel Licht. Überhaupt die Geräumigkeit, noch eine Parallele zum Skoda Superb. Familien brauchten 1974 keinen Van, sondern nur einen Audi 100. Ihr Gepäck hätte locker in den riesigen Kofferraum gepasst.

Nicht nur das hat Meister Kraus gut hinbekommen. Auch die Fahreigenschaften überzeugen heute noch. Im Laufe der Jahre wurde besonders das Fahrwerk immer weiter optimiert. Tatsächlich fühlt sich der Hunderter trotz Frontantrieb durchaus sportlich an, obwohl bei meinem Testwagen nur 85 PS unter der Haube stecken.

Aber was heißt hier "nur"? Wir reden hier von einer Zeit, in der schon 50 PS im Golf als ausreichend betrachtet wurden. Zumal der Audi 100 genauso locker-leicht auf der Waage steht, wie er aussieht, er wiegt nämlich nur knapp über einer Tonne.

In den 1970er-Jahren waren bunte Farben schwer angesagt. Auch beim Audi 100: Hier gab es "Tropengrün", "Bananagelb" und als Knaller "Tibetorange". Unser Fotoauto ist übrigens in "Marathon-Metallic" lackiert.

Wie aufmerksame Leser vielleicht wissen, bin ich persönlich Fan des NSU Ro 80. Doch das Wankel-Designstück hatte mit dem Erscheinen des Audi 100 kaum noch eine Chance auf dem Markt. Nachdem ich beide unter dem Hintern hatte, wird mir klar, warum. Ich sage es nur ungern, aber der Audi fährt sich besser. Obwohl nominell klar schwächer, wirkt der 100 spritziger, was auch an seiner knackigen Schaltung liegt, während beim Ro 80 einiges an Leistung im Drehmomentwandler versackt.

Audi 100

Doppelscheinwerfer sorgten für Prestige, Standard waren rechteckige Lampen Zoom

Ich stelle mir vor dem geistigen Auge vor, gut verdienender Abteilungsleiter in den 1970ern zu sein. Damals hätte ich mich bei nüchterner Betrachtung für den 100 entschieden. Ein gelungenes Gesamtpaket, aber selbst in nobler "LS"-Ausstattung fast ein Drittel günstiger als der Ro 80. Für die Differenz wäre der 112-PS-Motor drin gewesen, damals die stärkste Maschine, bevor beim Nachfolger die Fünfzylinder kamen.

Schon lange vorher, nämlich 1970, erfüllte sich Ludwig Kraus mit dem rassigen 100 Coupé S einen persönlichen Wunsch. So unauffällig der erste Audi 100 auch aussehen mag: Hätte ein Montag im November 1966 mit Stunk und Frust-Saufen geendet, gäbe es vielleicht auch VW nicht mehr. Ob Passat, Polo oder Motoren im ersten Golf: An den Rettungswagen für Wolfsburg hatte Audi einen großen Anteil. Aus diesem Holz werden echte Ikonen geschnitzt.

Audi 100 LS (1974)

Motor: Vierzylinder-Benziner, 1.760 ccm Hubraum
Leistung: 63 kW (85 PS) bei 5.100 U/min
Max. Drehmoment: 135 Nm bei 3.000 U/min
Getriebeart: Viergang-Schaltung

Beschleunigung 0-100 km/h: 13,5 Sek.
Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h
Antrieb: Frontantrieb

Länge: 4.625 mm
Breite: 1.729 mm
Leergewicht: 1.075 kg
Höhe: 1.421 mm

Verbrauch: 8,9 Liter/100 km (Werksangabe)
Basispreis: 12.095 DM (März 1974)

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