• 31.08.2019 10:03

  • von Roland Hildebrandt

Bentley Corniche von 1939: Mulliner und Bentley lassen Rarität wiederauferstehen

Neues Altblech: Das Original ging im Krieg verloren - Jetzt haben Mulliner und Bentley dem Corniche von 1939 neues Leben eingehaucht. Wir erzählen die ganze Geschichte

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Offenbar scheint es in Mode zu kommen, verlorene automobile Kostbarkeiten aus der Vergangenheit neu aufzubauen. Jaguar legt den D-Type neu auf, Aston Martin produziert 25 zusätzliche James-Bond-DB5. BMW zeigte vor geraumer Zeit den Garmisch von 1970, nun folgt bald Bentley mit einem Corniche, dessen Original auf das Jahr 1939 zurückgeht.

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1939 Bentley Corniche Zoom

Moment mal? Corniche? Oldtimer-Kennern ist dieser Name vom Rolls-Royce Corniche (1971 bis 1995) bekannt, einst das teuerste Cabriolet der Welt. Doch schon weit früher gab es einen Corniche, allerdings von Bentley.

Der Corniche (Bentley nutzt die männliche Anrede) wurde in den 1930er-Jahren als Hochleistungsversion der neuen MkV Limousine konzipiert, die ihrerseits technisch ausgesprochen fortschrittlich war und im Oktober 1939 auf den Markt kommen sollte. Georges Paulin, ein französischer Autodesigner, entwarf die Karosserie, die bei der Firma Carrosserie Vanvooren in Paris verwirklicht wurde.

Das fertige Fahrzeug unterzog sich im Mai 1939 auf der Rennstrecke von Brooklands diversen Tests, bei denen es weit über 160 km/h erreichte - eine deutliche Steigerung gegenüber dem normalen MkV. Die Stromlinienform war für Serienfahrzeuge der damaligen Zeit noch etwas relativ Neues.

Zumindest war die Erkenntnis gereift, dass der riesige, aufrecht stehende Kühler eines traditionellen Bentley sich negativ auf die Höchstgeschwindigkeit auswirkte, und die glattere Frontpartie des Corniche war eine direkte Reaktion darauf. Optisch erinnert sie an ähnliche Entwürfe jener Zeit von Alfa Romeo und einigen US-Marken.

Im Anschluss an Brooklands wurde der Corniche für Straßentestfahrten nach Frankreich transportiert, dort aber im Juli 1939 von einem Bus beschädigt und für Reparaturen und Verbesserungen an der Karosserie wieder zu Vanvooren gebracht. Nach der Fertigstellung holte ihn am 8. August ein Bentley-Testfahrer, der direkt zum Bentley-Depot in Chateauroux fuhr, wo die Testfahrten stattfanden.

Als er sich dem Depot näherte, kam ihm ein anderes Auto entgegen, weshalb der Bentley-Testfahrer ausweichen musste und gegen einen Baum prallte. Das Fahrzeug kippte auf die Seite, was umfangreiche Schäden verursachte.

Der Corniche sollte zu einem späteren Zeitpunkt in jenem Jahr auf den Automobilmessen in Earls Court und Paris ausgestellt werden, weshalb es keine Zeit zu verlieren galt. Die Karosserie wurde vom Chassis abgenommen; dieses wurde nach Crewe zurückgeschickt, während die Karosserie an eine lokale Reparaturwerkstatt in Frankreich ging. Die Karosserie des Corniche wurde schließlich in Frankreich fertiggestellt und für den Weitertransport nach Großbritannien nach Dieppe gebracht.

Aber dem Bentley Corniche klebte das Pech förmlich an den Fersen: Aufgrund eines Verwaltungsfehlers in den Hafenanlagen kam es zu einer Verzögerung, weshalb die Corniche-Karosserie eingelagert wurde. Sie wurde dann zerstört, als Dieppe (die Stadt, in der später Alpine seinen Sitz hatte) im Zweiten Weltkrieg heftig bombardiert wurde.

Viele der Teile, die für die Herstellung weiterer Corniche-Modelle angefertigt worden waren, wurden bis Anfang der 1970er-Jahre aufbewahrt, bevor sie an Spezialisten und Autoliebhaber verkauft wurden. Im Jahr 2001 schließlich beschloss der Automobilhistoriker und ehemalige Bentley-Direktor Ken Lea, den Versuch zu unternehmen, diese Originalteile als Grundlage für einen Neuaufbau des Corniche zu verwenden. Das Projekt wurde in Derby durchgeführt, wobei Freiwillige Informationen und Teile zum Zusammenbau des Fahrwerks sammelten.

Im Jahr 2008, als dem Projekt das Geld ausging, gab Bentley Motors eine Finanzspritze, und die Arbeiten an dem Holzrahmen und der Aluminiumkarosserie wurden zusammen mit den Karosseriebauern Ashley & James in Lymington, Hampshire, in Angriff genommen. Die Karosserie wurde nach den Umrisszeichnungen angefertigt, die die Familie des ursprünglichen Designers des Fahrzeugs, George Paulin, für das Projekt zur Verfügung gestellt hatte.

Doch man kam weiterhin nur schleppend voran, bis der Corniche im Februar 2018 auf Geheiß des neuen Vorstandsvorsitzenden und CEO Adrian Hallmark der Bentley-Sparte Mulliner übergeben wurde. Er ordnete die Fertigstellung im Jahr 2019 zur Feier des hundertjährigen Firmenjubiläums an.

Zuständig für das Corniche-Projekt war nun die Mulliner-Abteilung, wo seit den 1970er-Jahren Sonderfahrzeuge für anspruchsvolle Sammler und Königshäuser gebaut wurden, darunter zwei Staatslimousinen für Queen Elizabeth II. im Jahr 2002. Heute veredelt man dort Produktionsmodelle nach den persönlichen Wünschen der Kunden.

Unter Verwendung der originalen technischen Zeichnungen wurde der einzigartige Corniche in Crewe wieder aufgebaut. Dabei kamen mechanische Bauteile des originalen Corniche und des MkV sowie eine komplett neu gefertigte Karosserie zum Einsatz, die bis ins kleinste Detail dem Original entspricht. Das Lacklabor wandte viel Zeit auf, um anhand der wenigen verfügbaren Beschreibungen Farbmuster der Hauptkarosseriefarbe "Imperial Maroon" und der seitlichen Kontrastfarbe "Heather Grey" herzustellen.

Seinen ersten öffentlichen Auftritt hat der neue alte Corniche beim Salon Privé am Blenheim Palace im September 2019. Anschließend reiht er sich in Bentleys Traditionsflotte ein, die bereits W.O. Bentleys 8 Litre und den Birkin Team Blower umfasst, um auf Veranstaltungen weltweit eingesetzt und ausgestellt zu werden.

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