powered by Motorsport.com
  • 26.04.2022 21:01

  • von Pete Fink

Wissenswertes über Wassermelonen: NASCAR-Siegesfeier à la Chastain

Ross Chastain hat seine ganz eigene Art, einen NASCAR-Sieg zu feiern: Wo die ungewöhnliche Tradition herkommt, erklärt Pete Fink in seiner Gastkolumne

(Motorsport-Total.com) - Es ist der ganz große Hingucker der NASCAR-Saison 2022: Da gewinnt einer ein Cup-Rennen, klettert durch die Luke auf das Fahrzeugdach, bekommt eine Wassermelone überreicht - und zerdeppert diese dann auf dem Asphalt, bevor er beim Siegerinterview genüsslich auf den Resten herumkaut.

Titel-Bild zur News: Ross Chastain

"Watermelon-Man" Ross Chastain feiert seinen Sieg in Talladega Zoom

Gesundes Obst statt fette Burger also. Das Ganze ausgerechnet im Infield eines NASCAR-Speedways, in dem es normalerweise eher nach den Rauchschwaden-Resten der vielen tausend amerikanischen Barbecue-Fans riecht.

Wer macht sowas? Die Rede ist vom 29-jährigen Ross Chastain aus Florida. Seine Familie betreibt dort eine große Wassermelonen-Farm, was seinen Spitznamen "Watermelon-Man" - und natürlich auch seine Siegesfeierlichkeiten erklärt.

Diese genauso ungewöhnliche wie vitaminreiche Siegesprozedur durfte die NASCAR-Szene im Jahr 2022 bereits zweimal erleben: Ende März auf dem COTA, dem Circuit of the Americas in Texas, und nur vier Wochen später erneut auf dem Superspeedway von Talladega.

Das bedeutet unter dem Strich: Mit seinen beiden Erfolgen steht Watermelon-Man Chastain bombensicher in den NASCAR-Playoffs 2022 - und das ist ohne Zweifel die größte Überraschung der noch jungen Cup-Saison.


NASCAR 2022: Talladega

Die Highlights von Rennen 10 von 36 der NASCAR Cup Series 2022, dem Geico 500 auf dem Talladega Superspeedway!

Die Just-Do-It-Farm in Punta Gorda

Nicht nur, aber vor allem deshalb, weil Chastains Rennfahrer-Geschichte eine Story mit ganz wenigen Geraden ist. Dafür umso mehr Kurven, Umleitungen und Beinahe-Sackgassen.

Eigentlich stand dem Nicht-Mehr-Ganz-Youngster aus Florida eine Karriere auf der familieneigenen Farm in Punta Gorda ins Haus. Dort bauen die Chastains bereits in der achten (!) Generation Wassermelonen an. Streicht man den Melonen-Fokus, so ist der Chastain-Clan sogar bereits in der zwölften Generation im Farming-Business unterwegs.

"Aber erst mein Onkel und mein Vater haben die Farm weit nach vorne gebracht", erzählte Chastain nach seinem COTA-Sieg. Die Chastain-Farm heißt offiziell übrigens JDI-Farm, sehr frei nach dem legendären Nike-Motto: "Just Do It".

So wechseln sich Papa Ralph und Bruder Chad mit den Rennbesuchen ab, denn einer der beiden muss immer zuhause bei den fünf Festangestellten bleiben. Warum? "Wenn die Katze nicht da ist, tanzen bekanntlich die Mäuse", grinst Ross Chastain.

Ross Chastain

Ende März in Austin trug Chastain seine Siegesfeier erstmals auf Cup-Level vor Zoom

Und wenn es einmal ein paar freie NASCAR-Tage gibt, dann gilt der Umkehrschluss. Dann muss auch der zweifache Rennsieger zur heimischen Feldarbeit antreten: Pflanzen, Bewässern, Ernten. Auf dem Land gibt es immer was zu tun.

Das große Hobby von Farmer-Papa Ralph war das Rennfahren und deswegen durfte sich auch Sohnemann Ross als Nachwuchspilot versuchen. Er machte das so gut, dass er auf lokaler Ebene über 50 Rennen gewann und deshalb ab dem Jahr 2011 - als 18-Jähriger - sein Glück in Charlotte versuchte.

Natürlich ist Charlotte nach wie vor das Epizentrum im großen NASCAR-Geschäft, doch ohne potente Sponsoren im Gepäck tat sich Ross Chastain viele Jahre lang sehr schwer.

Ganassi und das FBI

Immer wieder kam es zu (Teilzeit-) Einsätzen bei den NASCAR-Trucks und in der zweiten Liga. Dort aber zumeist bei den Hinterbänkler-Mannschaften, die sehr gerne den einen oder anderen Sponsoren-Dollar zum Beispiel vom Verband der Wassermelonen-Farmer mitnahmen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Sieben lange NASCAR-Jahre ackerte sich der Farmer-Spross ab ohne vernünftige Resultate zu erzielen.

Erst im Frühsommer 2018 schien dann der lang ersehnte Durchbruch zu gelingen, als er von Chip Ganassi für dessen Xfinity-Team in der zweiten Liga engagiert wurde. Chastain lieferte prompt: Die Poleposition im ersten Ganassi-Einsatz und der erste Sieg im zweiten Rennen.

Ross Chastain

Ross Chastains Weg zum NASCAR-Rennsieger war ein steiniger Zoom

Alles lief bestens, bis der nächste große Rückschlag kam: Das US-amerikanische FBI wurde auf Ganassi-Hauptsponsor DC Solar aufmerksam, dem prompt das Etablieren einer Schneeballsystem-Betrugsmasche nachgewiesen werden konnte.

Vor Gericht ging es um weit über 100 Millionen veruntreuter US-Dollars, was den DC-Solar-Unternehmensgründer Jeffrey Carpoff für 30 Jahre hinter Gitter brachte, Chip Ganassi sein Xfinity-Team kostete - und Chastain seinen NASCAR-Job.

Wieder musste der Watermelon-Man mit einem schweren Rückschlag umgehen, wieder landete er nur Teilzeit-Jobs im grauen Mittelfeld der NASCAR-Ligen zwei und drei.

Von Ganassi zu Trackhouse

Aber eines hatte er nicht verloren: seinen Siegeswillen. Trotz aller Widrigkeiten führte er 2019 die Niece-Mannschaft bei den NASCAR-Trucks zu drei Saisonsiegen und damit tatsächlich in die Final-Four. Am Saisonende 2019 sprang sogar die Vize-Meisterschaft heraus: Chastain wurde nur knapp von Truck-Routinier Matt Crafton bezwungen.

Und einer glaubte nach wie vor an ihn: Chip Ganassi. Denn als die Ganassi-Mannschaft in NASCAR-Liga eins zur Saison 2021 einen Nachfolger für Kyle Larson benötigte, fiel die Wahl auf den Watermelon-Man. War das nun der endgültige Durchbruch?

Nein. Wieder nicht. Denn was zu Saisonbeginn 2021 noch keiner ahnen konnte: Im Sommer 2021 verkaufte Chip Ganassi seine NASCAR-Organisation an das neue Trackhouse-Team rund um Besitzer Justin Marks. Dort war bereits der Mexikaner Daniel Suarez als erster Trackhouse-Pilot gesetzt. Wer würde das zweite Cockpit bekommen? Für Chastain begann die nächste Zitterpartie.

Erst im August 2021 wurde klar: Der Watermelon-Man durfte sein Cup-Cockpit behalten, sogar seine alte Ganassi-Crew wurde komplett übernommen.

Ross Chastain

Im Winter 2021/22 sattelte Chastain mitsamt Crew von Ganassi auf Trackhouse um Zoom

Die neuen Trackhouse-Owner Justin Marks und Rapper Pitbull (einer der größten Trackhouse-Sponsoren ist übrigens Kid Rock mit seinem Kid Rock's Big Honky Tonk & Steakhouse in Nashville) setzten also auf den Faktor Kontinuität - und Ross Chastain zahlt es ihnen nun zurück.

Der vielleicht einzige Wermutstropfen: Die originale Wassermelone, die der Watermelon-Man zu Saisonbeginn im Februar 2022 von zuhause aus mitnahm, ist mittlerweile natürlich verfault. Schon bei seinem ersten Sieg auf dem COTA, Ende März, stammte die zerdepperte Siegermelone aus einem ganz normalen Supermarkt.

So war es bezeichnenderweise wieder einmal Chip Ganassi, der nach Chastains Talladega-Sieg einer der allerersten Twitter-Gratulanten war: "I like winners", ich liebe Gewinner, twitterte Ganassi.


NASCAR 2022: Austin

Die Highlights von Rennen 6 von 36 der NASCAR Cup Series 2022, dem EchoPark Automotive Grand Prix auf dem Circuit of The Americas in Austin!

Burritos statt Wassermelonen?

Und auch sein Teamkollege Suarez benötigte nur wenige Minuten für seine Twitter-Gratulation, worauf Chastain prompt antwortete: "Keine Sorge Bro, der Nächste bist du!"

Klingt nach einer äußerst vernünftigen To-Do-List bei Trackhouse: Chastain steht schon sicher in den NASCAR-Playoffs, nun ist Suarez dran, der 2022 seinerseits bereits zwei vierte Plätze erreichte.

Denn in der Tat: Mit dem neuen Next-Gen der NASCAR ist in der Saison 2022 nichts mehr so wie es früher war. Wenn man so will, dann gibt es keine alteingesessenen Top-Teams mehr, zumindest nicht im Moment.

Das ist natürlich nichts anderes als eine ganz große Chance für Youngster vom Schlage eines Tyler Reddick, Chase Briscoe oder eben Suarez und Chastain.

Ross Chastain

Ross Chastain und die Reste der Siegermelone in Austin Zoom

Was immer 2022 auch noch kommen wird, eines steht jedenfalls fest: In Sachen Siegesfeierlichkeiten ist der Watermelon-Man sicherlich der legitime NASCAR-Nachfolger von Carl Edwards, dessen Rückwärtssaltos viele Jahre lang für so viel Aufsehen sorgten.

Insofern bleibt nur noch die Frage: Was passiert eigentlich, wenn sein mexikanischer Trackhouse-Teamkollege Daniel Suarez zum ersten Mal gewinnt? Gibt es in der Victory Lane dann eine Runde Burritos statt Wassermelonen?