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  • 12.06.2018 17:11

  • von Jim Utter

Gutes NASCAR-Racing und schnelle Autos: Geht beides?

NASCAR steht vor einem großen Widerspruch, den es zu lösen gilt, um auch künftig eine existenzfähige Rennserie bleiben zu können

(Motorsport-Total.com) - Ist es möglich, gleichzeitig schnelle Autos und unterhaltsame Rennen zu haben? Vor dieser Frage steht NASCAR derzeit.

Titel-Bild zur News: NASCAR Renn-Action auf dem Kansas Speedway

NASCAR steht vor einem Dilemma: Welchen Weg schlägt man für die Zukunft ein? Zoom

Das Problem ist, eine Basis zu finden, mit der Fans, Fahrer, Teambesitzer und die Betreiber der Rennserie leben können. Es wird nicht einfach, eine Lösung zu finden, denn das Problem reicht bis ins Herz des Rennsports selbst.

In den Vordergrund gerückt ist das Problem, seit man beim diesjährigen NASCAR All-Star Race in Charlotte ein neues Aeropaket eingesetzt hat, das künftig bei weiteren Rennen eingesetzt werden könnte - oder eben auch nicht.

Speed vs. Show

Die Bestandteile des besagten Aeropakets sind ein größerer Heckspoiler, ein Frontsplitter aus der Saison 2014 und eine Restrictor-Plate für den Motor. Der Effekt sind niedrigere Geschwindigkeiten und Pack-Racing, weil die Autos näher zusammenbleiben. In den Augen vieler Beobachter gibt es damit mehr Überholmanöver.

NASCAR All-Star Race 2018 in Charlotte

Beim All-Star Race in Charlotte wurde mit einem neuen Aeropaket experimentiert Zoom

Doch es gibt auch Bedenken. Wie die Restrictor-Plate-Rennen in Daytona und Talladega seit vielen Jahren zeigen, ist die Gefahr, dass ein Fahrer ohne eigenes Verschulden aus dem Rennen gerissen wird, um ein Vielfaches größer. Teams mit großen Ressourcen sehen ihren Vorteil schwinden und in den Augen einiger Beteiligter geht der Anteil, den der Fahrer am Ergebnis hat, zurück.

Aus meiner persönlichen Perspektive kann ich nach 20 Jahren NASCAR-Berichterstattung sagen, dass die erste Hälfte dieser Zeit darin bestand, Wochenende für Wochenende über neue Streckenrekorde zu berichten. Die steigenden Geschwindigkeiten wurden dabei von Fans wie Fahrern gleichermaßen begeistert kommentiert.

Doch je weiter die Geschwindigkeiten nach oben gingen, desto mehr Fokus wurde auf die Aerodynamik gelegt. Dass der Crewchief ein Ingenieur ist, wurde zur Normalität. Im Verlauf der zurückliegenden zehn Jahre hat das eigentliche Racing aufgrund des starken Fokus auf die Aerodynamik gelitten. Dieses Problem versuchte NASCAR in den jüngster Vergangenheit mit unterschiedlichen Aeropaketen anzugehen.

Einige der aktuellen NASCAR-Piloten haben ihren Karriereweg definitiv deshalb eingeschlagen, weil sie von der Geschwindigkeit fasziniert waren und sind. Brad Keselowski machte am Freitag des Michigan-Wochenendes auf leidenschaftliche Art und Weise deutlich, dass er das Aeropaket, wie es beim All-Star Race eingesetzt wurde, für den falschen Weg hält.

Brad Keselowski

Für Brad Keselowski ist das Aeropaket vom All-Star Race klar der falsche Weg Zoom

"Wenn ich an Rennfahren denke, dann sind es drei Dinge, die mir wichtig sind: schnelle Autos, die besten Fahrer und ein großartiges Finish. Das sind die drei Aspekte, die ich sehen will", so Keselowski, um anzufügen: "Ich finde, dieses Aeropaket, hat einen dieser Aspekte erreicht, den anderen beiden aber geschadet. Deshalb betrachte ich dieses Paket insgesamt als Reinfall."

Keselowski befürchtet, dass sich aufstrebende Piloten, die NASCAR einst als ultimatives Karriereziel sahen, anderweitig umsehen könnten, sollte man im Cup tatsächlich auf ein Aeropaket setzen, bei dem die Geschwindigkeit nicht mehr einen der Eckpunkte darstellt.

Einbremsen der Autos

Die Frage in diesem Zusammenhang ist aber: Ist schneller zwangsläufig auch besser? Bestrebungen, die Autos einzubremsen, gibt es seit Jahren. Erinnern wir uns an die "good old days" der NASCAR, die von vielen Fans und Fahrern stets als die besten Jahre bezeichnet werden, dann stellen wir fest, dass die Geschwindigkeiten in dieser Zeit längst nicht so hoch waren wie es heutzutage der Fall ist.

Jeff Gordon und Dale Earnhardt

"Good old days" der NASCAR: Jeff Gordon vs. Dale Earnhardt in der Saison 1993 Zoom

Dass die Autos eingebremst werden, ist wirklich nichts Neues. 1988 wurden in Daytona und Talladega die Restrictor-Plates verpflichtend vorgeschrieben, weil die Geschwindigkeiten auf diesen beiden Strecken außer Kontrolle gerieten. Trotzdem zählen eben diese Superspeedway-Rennen in den Augen vieler Fans alljährlich zu den beliebtesten.

Als es bei den Restrictor-Plate-Rennen aufgrund der Entwicklung der Autos zum Tandem-Racing kam, gab es einen großen Aufschrei und NASCAR unternahm alles, um das Aeropaket dahingehend zu ändern, dass wieder Pack-Racing möglich war.

Auswirkung des neuen Aeropakets

Was das diesjährige All-Star Race in Charlotte betrifft, gibt es wenig Zweifel, dass es unterhaltsamer war als andere Rennen. Im Verlauf der 80 Runden gab es 38 Führungswechsel unter Grün und somit mehr als bei den vier vorangegangenen Rennen zusammen. Das Coca-Cola 600, das am darauffolgenden Wochenende ebenfalls in Charlotte über die Bühne ging, sah im Verlauf von 400 Runden gerade mal 23 Führungswechsel unter Grün.

Die Frage ist, ob sich die besten Fahrer unter derart anderen Umständen wie es beim All-Star Race der Fall war, nach wie vor hervortun? Das Debüt jenes Aeropakets erfolgte in der Xfinity-Saison 2017 in Indianapolis. William Byron gewann damals das Rennen und wurde am Saisonende nach insgesamt vier Saisonsiegen Champion.

Renn-Action beim NASCAR All-Star Race 2018 in Charlotte

All-Star Race 2018: 38 Führungswechsel unter Grün in 80 nur Runden Zoom

Kevin Harvick gewann das diesjährige All-Star Race. Harvick und Kyle Busch, die zusammen neun der 15 bisherigen Cup-Rennen 2018 für sich entschieden haben, waren beim All-Star Race diejenigen Fahrer mit den meisten Führungsrunden. Das zeigt, dass die besten Fahrer und die besten Teams nach wie vor die Oberhand haben.

Doch die Frage bleibt, ob ein kompletter Umstieg auf dieses Aeropaket von Erfolg gekrönt wäre. Würde ein solcher Umstieg dazu führen, dass sich Fans und womöglich sogar Fahrer abwenden, weil sie die Geschwindigkeit vermissen? Oder würde das bessere Racing die Nachteile wettmachen?

Als ich ein kleiner Junge war, fuhr ich mit Matchbox-Autos Rennen gegen meinen jüngeren Bruder. Dabei interessierte es mich nicht, wie schnell mein Auto oder wie schnell sein Auto war. Mir ging es einzig und allein darum, dass mein Auto schneller als seines war. Kommt einem das bekannt vor?

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