Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat
Von einer alten Kunden-Ducati geschlagen: Warum Marc Marquez nach Platz sechs in Mugello nicht gut geschlafen haben kann und seine WM-Ambitionen schwinden
Liebe Leser,

© Repsol
Marc Marquez hat nach sechs Rennen schon 37 Punkte Rückstand auf Vinales Zoom
was für ein fantastischer Rennsonntag liegt hinter uns! Wir haben in Mugello drei packende Rennen erlebt, die bis zum Schluss spannend waren. Die Motorradrennfahrer haben uns Fans viel Action, packende Zweikämpfe und beste Unterhaltung geliefert. Und das auf einer der schönsten Rennstrecken der Welt - ohne Parkplatz-Auslaufzonen oder künstlichem Schnickschnack. Die rund 100.000 Fans auf den Tribünen sorgten für eine Bombenstimmung und Gänsehautgefühl. Und dann gewinnt auch noch Andrea Dovizioso völlig verdient als erster Italiener mit einer Ducati in Mugello. So muss Motorsport sein! Rennherz, was willst du mehr?
In unserer Montagskolumne wollen wir den Renntag Revue passieren lassen und eine Person auswählen, die im übertragenen Sinne schlecht geschlafen hat. Angesichts der fantastischen Bilder aus Italien kann das nur der neue Formel-1-Boss Chase Carey sein - falls er den Grand Prix überhaupt gesehen hat. So ein großes Spektakel bietet die Königsklasse auf vier Rädern derzeit nicht. Ein Beispiel können sich die neuen Formel-1-Macher auch an der tollen Regiearbeit der Dorna nehmen. Alleine die drehbaren Onboard-Kameras beamen den Fan direkt ins Renngeschehen hinein.
Lorenzo: Zumindest zu Beginn stark
Aber suchen wir uns für unsere Kolumne eine Person aus dem MotoGP-Zirkus. Wer könnte schlecht geschlafen haben? Jorge Lorenzo? Bestimmt! Dass nicht er, sondern "Desmo Dovi" für den ersten Ducati-Saionsieg sorgen wird, war schon im Winter absehbar. Deswegen hat er sicher nicht schlecht geschlafen. Außerdem setzte sich Lorenzo in den ersten Runden stark in Szene, attackierte wie verrückt und legte seine ersten Führungsmeter mit der Desmosedici zurück. So schlecht war sein Auftritt in Mugello gar nicht, wie seine Dauerkritiker ihm bescheinigen.

© Michelin
Jorge Lorenzo zeigte zumindest in den ersten Runde eine starke Leistung Zoom
Es ist vor allem der tolle fünfte Platz von Alvaro Bautista, der Lorenzo alt aussehen lässt. Der Spanier fährt mit einer Vorjahres-Ducati und besiegte sogar Marc Marquez im direkten Zweikampf. Das darf Lorenzo eigentlich nicht passieren, zumal er deutlich mehr Testkilometer mit der Desmosedici abgespult hat als Bautista und auch im Vorfeld in Mugello testen konnte. Ducati unternimmt alles, um den teuren Ex-Weltmeister zu unterstützen, während Bautista keine Entwicklungsteile bekommt und mit dem Set-up versuchen muss, das Beste aus der GP16 herauszuholen.
Nach dem Rennen meinte Lorenzo, dass "er alles versucht", aber nach 20 Jahren mit einem Fahrstil kann er nicht "eine neue Sprache in zwei Tagen lernen". Man muss die Ducati "unlogisch" fahren, um konkurrenzfähig zu sein. Okay, Dovizioso hatte viel Zeit, um die Eigenheiten der Desmosedici kennenzulernen. Aber Bautista fährt auch seine erste Saison mit einer Ducati. Aber im Gegensatz zu Lorenzo fuhr Bautista schon verschiedene MotoGP-Bikes (Suzuki, Honda, Aprilia) und musste sich wie Dovizioso schon mehrmals auf neue Motorräder einstellen. Eine Erfahrung, die Lorenzo zum ersten Mal macht.
Wird Lorenzo daran scheitern? Das glaube ich nicht. Der dreimalige MotoGP-Weltmeister ist ein Kämpfer und mental extrem stark. Wer schon mit Krücken auf das Podest gehoben wurde und zwei Tage nach einer Schlüsselbeinoperation in die Top 5 fährt, den wird auch eine Ducati nicht zerstören. Geben wir ihm noch etwas mehr Zeit, Dovizioso hatte sie bei seinem Wechsel zu den Italienern auch. Außerdem gab es in der Startaufstellung ein paar Pfiffe für Lorenzo. Das wird ihn als neuer Ducati-Fahrer sicherlich geschmerzt haben. Also lassen wir ihn heute in Ruhe und suchen uns einen anderen Fahrer, der schlecht geschlafen hat.
Weltmeisterschaft: Druck auf Marquez steigt
Wenn wir das große Gesamtbild, also die Weltmeisterschaft, betrachten, dann kann die Wahl nur auf Marc Marquez fallen. Im Vorjahr verpasste der Honda-Pilot noch hauchdünn den Sieg. Gestern war er chancenlos und wurde sogar wie erwähnt von Bautista geschlagen. Hätten Michele Pirro und Lorenzo bessere Ergebnisse geholt, die mit der Ducati auf jeden Fall möglich gewesen wären, wäre das Resultat für Marquez vielleicht noch schlechter als Platz sechs ausgefallen. Das wird dem Titelverteidiger bestimmt zu denken geben und für eine schlaflose Nacht gesorgt haben.

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Marc Marquez fand an Alvaro Bautista keinen Weg vorbei Zoom
Dieser sechste Platz an sich ist angesichts der Grip-Probleme aller Honda-Piloten auf dieser Strecke gar kein so schlechtes Ergebnis. Wenn man Weltmeister werden will, muss man an problematischen Tagen in die Top 5 fahren, denn diese WM-Punkte können am Ende den entscheidenden Unterschied ausmachen. Aus dieser Sicht wird Marquez vor allem der Sturz in Le Mans ärgern. Wäre er dort Dritter oder Vierter geworden, wäre er mit dem sechsten Platz in Mugello im WM-Rennen weiterhin auf Kurs.
Mit Barcelona folgt am kommenden Wochenende eine Strecke, auf der Marquez nach den jüngsten Testfahrten ein heißer Sieganwärter ist. Gewinnt er dort, ist er voll im Titelrennen dabei - wenn er in Le Mans ins Ziel gekommen wäre. Aber so steht er beim Heimspiel schon unter Druck. 37 Punkte Rückstand auf Maverick Vinales sind schon eine Menge Holz. Marquez MUSS in Barcelona auf das Podest kommen und Vinales die Stirn bieten. Sollte er auch in Spanien nur Fünfter oder Sechster werden, dann könnten die Hoffnungen auf eine erfolgreiche Titelverteidigung schon vorbei sein.
Zu denken geben muss Marquez auch die Konkurrenzfähigkeit seiner RC213V. Im Vorjahr war er in Mugello auf Augenhöhe mit Yamaha, aber Yamaha hat im Vergleich zu damals beim Motor und beim Set-up mit den Reifen einen deutlichen Fortschritt gemacht. Marquez konnte in dieser Saison nur auf seiner Paradestrecke in Austin gewinnen. Im heißen Jerez war die Honda (Sieg Dani Pedrosa!) überlegen, aber sonst ist seine Saison eher durchwachsen. Ob es nur an den Reifen liegt? Möglich, aber das schwarze Gold von Michelin ist für alle gleich. Wie gesagt, Marquez muss am kommenden Wochenende für seine Titelambitionen mindestens auf das Podest fahren.
Wer sonst noch schlecht geschlafen hat
Sandro Cortese: Dass die Suter momentan noch kein siegfähiges Paket ist und schwierig im Handling ist, sieht man auch bei den anderen Fahrern. Aber während Teamkollege Marcel Schrötter und Dominique Aegerter passable Leistungen abliefern, geht bei Cortese in diesem Jahr nicht viel. Auch in seiner fünften Moto2-Saison mit dem IntactGP-Team sind die Ergebnisse enttäuschend und langsam stellen sich die Fragen nach seiner Zukunft. Ob Intact weiter an ihm festhält? Ob ein anderes Team Interesse an Cortese zeigt?

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Sandro Cortese bleibt auch in seiner fünften Moto2-Saison hinter den Erwartungen Zoom
Der Moto3-Weltmeister von 2012 klingt auch selbst ernüchternd. Nach seinem gestrigen 19. Platz sagt er: "Man muss das Motorrad aktuell einfach so fahren, wie es ist. Andere Fahrer, wie Dominique oder auch Marcel, können damit anscheinend besser umgehen. Ich komme damit nicht so klar. Egal was wir tun, wir stoßen immer wieder auf die gleichen Probleme. Wir müssen jetzt analysieren, woran es gelegen hat und werden weiter kämpfen. Aufgeben gibt es nicht, aber aktuell ist das alles sehr deprimierend, weil da, wo ich herumfahre, macht es einfach keinen Spaß."
Philipp Öttl: Und auch der einzige Deutsche in der kleinsten Klasse bleibt in seiner fünften Moto3-Saison hinter den Erwartungen zurück. Okay, Mugello war erst das erste richtige Rennen nach seiner Schlüsselbeinverletzung - in Le Mans war er noch nicht fit genug. Aber generell gesehen ist Öttl auch in dieser Saison in den Qualifyings nicht gut genug. Wenn du regelmäßig irgendwo auf Platz 15 herum stehst, dann macht das dein Leben nicht einfacher.
Trotzdem hat Öttl in Mugello eine tolle Aufholjagd gezeigt. Nach der ersten Runde war er nur 22., aber im drittletzten Umlauf lag die Nummer 65 in Führung. Das war stark, dafür zollen wir ihm Respekt! Aber wenn du in den letzten beiden Runden noch auf Platz 14 zurückfällst, dann kannst du nicht gut geschlafen haben. Er selbst sagt dazu: "Von Platz 22 auf 1 war eine starke Leistung. Dennoch kann ich nicht zufrieden sein. In den letzten beiden Runden habe ich nahezu alles wieder verloren." Für Öttl gilt das Gleiche wie für Cortese. Er muss Erfolge bringen, wenn er langfristig eine Zukunft in der Weltmeisterschaft haben will.
Ihr,

