• 03.08.2011 09:39

  • von Stefan Ziegler

Das große Siegerinterview mit Franz Engstler

Franz Engstler siegte sensationell in Oschersleben und nahm sich daraufhin ausführlich Zeit für ein Gespräch mit den Medien: Hier das Siegerinterview

(Motorsport-Total.com) - Bis zur letzten Runde zitterte die Crew am Kommandostand, dann war es geschafft: Franz Engstler fuhr als Erster über die Ziellinie und holte sich damit seinen ersten Sieg in der Tourenwagen-WM. Die Freude beim 50-jährigen Routinier kannte schier keine Grenzen - kein Wunder: Engstler gewann vor heimischem Publikum und vor über 500 Liqui-Moly-Gästen. Im Gespräch mit den Medien ließ der BMW Fahrer seine Leistung in der Motorsport Arena Oschersleben noch einmal Revue passieren.

Titel-Bild zur News: Franz Engstler

Franz Engstler stemmt die Siegerpokale in Oschersleben: Ein sehr stolzer Augenblick

Frage: "Franz, wenige Minuten vor dem Start zum zweiten Lauf war nicht klar, ob du überhaupt am Rennen teilnehmen könntest. Was genau musste die Mannschaft an deinem Auto auswechseln?"
Franz Engstler: "Den kompletten Vorderbau: Kühler, Crashbox, Stoßstange - in einer Viertelstunde. Das war fantastisch. Du musst ja auch das Wassersystem entlüften und alles vorbereiten. Das Heck war ebenfalls noch kaputt. Zum Glück konnten wir noch die Procar-Truppe rüberholen. Diese Jungs halfen auch mit."

Frage: "Wie ging es dir kurz vor dem Start, als du nicht wusstest, ob das Fahrzeug bereit sein würde oder nicht?"
Engstler: "Wir konnten absehen, dass es knapp werden würde, aber dass wir es schaffen könnten. Dafür musste aber alles funktionieren und es durfte nicht irgendwo eine Schraube abreißen oder dergleichen."

Bange Minuten vor dem Start

Frage: "Hattet ihr überhaupt die Zeit, euch auf diese Maßnahmen vorzubereiten?"
Engstler: "Jaja. Wir hatten sofort eine Besprechung mit Peter Baumann von Liqui Moly, mit Kurt und den Mechanikern. Wir saßen zusammen und überlegten, wie wir vorgehen sollten. Die Frage war: Stellen wir einen Antrag auf Reparaturpause, damit wir anfangen können? Damit wären wir aber von ganz hinten aus losgefahren. Das war eigentlich keine Option, weil wir 500 Gäste hier hatten."

"Das hieß: Egal wie, irgendwie mussten wir das Auto fertig kriegen. Hätte es gar nicht geklappt, hätten wir aus der Boxengasse losfahren müssen. Das hätte dann auch keinen großen Unterschied zum letzten Startplatz gemacht. Wir besprachen also die Abläufe im Detail und wer welche Schraube zu öffnen hat, welche Werkzeuge er benutzt und welche Teile er sich beiseite legt. Wir planten alles bis ins Detail durch."

"Als ich dann im Auto saß und sehen konnte, wie mein Team bereits mit dem Lüften anfing, wo wir noch drei Minuten hatten, da wusste ich: 'Jetzt schaffen wir's.' Das Setup stellten wir schließlich beim Vorstart noch von Regen auf Trocken um. Wir hatten für das Qualifying bereits die Spurstangen eingemessen, sodass wir die Spur vorne halbwegs wieder hinbekamen. Meine Jungs sind einfach fantastisch. Auch die Leute von BMW halfen tatkräftig mit. Es funktionierte schlichtweg perfekt."

"Meine Jungs sind einfach fantastisch. Auch die Leute von BMW halfen tatkräftig mit." Franz Engstler

Frage: "Und dann kam der Start und es holperte ein bisschen: Du fielst auf Rang zwei zurück..."
Engstler: "Gut, ich wusste, dass ich keinen idealen Start erwischt hatte. Ich hatte etwas zu hart eingekuppelt und bekam durchdrehende Reifen. Nach der ersten Runde merkte ich allerdings, dass ich in gewissen Passagen schneller war als Michelisz, dass er etwas mehr Übersteuern hatte als ich."

"Ich schaute einfach nur, wo ich ihn mir zurechtlegen oder wie ich ihn in einen Fehler treiben könnte, um eine Attacke zu reiten. Zunächst einmal war ich aber beruhigt, dass die Balance des Autos passte und dass ich Druck machen konnte. Ich wusste ja vorher nicht: passt die Spur, habe ich Untersteuern oder Übersteuern. Die beiden ersten Runden waren ein Lotteriespiel. Als ich dann bemerkte, dass alles in Ordnung war, da wusste ich: 'Das wird unser Rennen.'"


Fotos: Franz Engstler, WTCC in Oschersleben


Routinier Engstler geht in Führung

Frage: "Kurz darauf machte Norbert Michelisz einen Fehler und du gingst in Führung. Wie erging es dir in diesem Moment im Cockpit?"
Engstler: "Ich schaute eigentlich nur: Wo und wann kommen die Chevys, die blaue Macht (lacht; Anm. d. Red.). Dieses Mal hoffentlich nicht aus der Boxengasse (lacht)! Als wir immer wieder über Start und Ziel kamen, erkannte ich, dass ich den Abstand ungefähr halten konnte. In der engen Schikane war ich schneller als Alain und im Triple hatte ich etwas mehr Übersteuern."

"Da musste ich mein Tempo etwas reduzieren, weil ich dort fast zu viel rutschte und zu wenig Schwung mitnahm. Ich veränderte meinen Fahrstil in zwei, drei Kurven ein bisschen, damit ich früher ans Gas gehen und etwas mehr Schwung mitnehmen konnte. Ich dachte: 'Okay, es könnte sich ausgehen.' Ich durfte mir halt keinen Quersteher leisten, denn sonst wäre es vorbei gewesen."

"Ich durfte mir halt keinen Quersteher leisten, denn sonst wäre es vorbei gewesen." Franz Engstler

Frage: "Einen recht heftigen Quersteher hattest du aber doch..."
Engstler: "Allerdings. Da pfitzte mir der Bursche ein bisschen aus... (lacht; Anm. d. Red). Die Reifen gingen aber nicht in den Keller und nach Start und Ziel konnte ich wieder Druck machen. Ich hatte etwas an Schwung verloren, weil ich ein bisschen in den Dreck gekommen war."

"Ich dachte nur: 'Das passiert mir nicht noch einmal.' (lacht) Die letzte Runde war sicherlich die längste Runde seit langer Zeit. Kurt gab mir durch: 'Letzte Runde.' Ich wusste, ich musste alles versuchen, um bloß keinen Fehler zu machen."

Frage: "Deine Mannschaft um Teammanager Kurt Treml fieberte am Kommandostand mit und war richtig nervös und angespannt. Wie war es bei dir im Cockpit, als du die letzte Runde angingst und dann über die Linie kamst?"
Engstler: "Es war absolut irre! Das ist das Beste, was du dem Team zurückgeben kannst. Alles hatte so perfekt funktioniert. Ich bin einfach nur stolz auf die Jungs."¿pbvin|0|3936||0|1pb¿

Die ersten Gedanken gelten dem Team

Frage: "Was dachtest du als Erstes beim Überfahren der Ziellinie?"
Engstler: "Eigentlich dachte ich zuerst an meine Mannschaft. Ich dachte mir: 'Das haben sich die Jungs verdient. Heute ist unser Tag.' Und das im eigenen Land, beim Heimrennen. Wir hatten 500 Gäste vor Ort und 40 Leute aus meinem Autohaus, viele Freunde und Fans, die ich seit Jahren kenne. Es ist einfach nur fantastisch. Klasse, dass alles so auf dem Punkt war - und so schlecht, wie es nach dem ersten Rennen ausgesehen hatte!"

Frage: "Hat dir deine Erfahrung geholfen? Nachwuchspilot Norbert Michelisz unterlief in Führung liegend ein Fehler..."
Engstler: "Das weiß ich nicht. Den Jungen muss man aber sicherlich ein paar Fehler zugestehen. Die habe ich genau so gemacht wie er. Man darf eines nicht vergessen: Wenn du als Privatier in der Weltmeisterschaft das Feld anführst, hast du richtig Druck. Das nagt schon an dir, denn alles schaut auf dein Auto."

"Nur ein Fehler - zwischen Sieger und Verlierer ist nur ein schmaler Grat. Ich denke, es ist überhaupt kein Problem, dass er einen Rutscher hatte. Das passiert. Es kann sein, dass ich mit meiner Erfahrung ein paar Vorteile habe. Kurt und ich kennen Oschersleben aber auch sehr genau. Wir wurden hier damals DTC-Meister bei Punktegleichheit. Das war genau so spannend. Es ist, so glaube ich, ein gutes Pflaster für uns."

"Wenn du als Privatier in der Weltmeisterschaft das Feld anführst, hast du richtig Druck." Franz Engstler

Frage: "Stichwort Druck: Hast du im ersten Rennen vielleicht selbst einen gewissen Druck verspürt? Es sind viele Gäste da, es ist dein Heimevent - war das etwas zu viel?"
Engstler: "Richtig. Im Nachhinein denke ich, ich hätte ihn (Aleksei Dudukalo; Anm. d. Red.) nicht mehr attackieren sollen. Du sitzt aber im Auto und er geht über den Randstein hinaus in die Wiese."

"Du denkst nur: 'So, das ist jetzt meine Chance!' Da hast du einfach nicht viel Zeit, um zu überlegen. Du kannst nur sagen: 'Okay, ich mach's oder ich mach's nicht.' Ich war mir ziemlich sicher, an ihm vorbei zu sein, ehe er von der Wiese wieder zurück sein würde."

"Wäre er nicht abseits der Linie unterwegs gewesen, hätte ich ihn nicht attackiert. Gut, wie heißt es so schön von meinem Teammanager: 'Am Montag ist gut Lottspielen.' Es ist einfach so: Du entscheidest in Bruchteilen von Sekunden. Im Nachhinein sage ich mir, hätte ich den Platz nach Hause gefahren. Andererseits: No risk, no fun (lacht; Anm. d. Red.)."


Fotos: WTCC in Oschersleben, Girls


50 Jahre und kein bisschen langsam

Frage: "Im Alter von 50 Jahren feiertest du deinen ersten Sieg in der WTCC. Was kommt jetzt?"
Engstler: "Das kann ich nicht sagen. Vielleicht noch ein paar Siege mehr (lacht; Anm. d. Red.)! Für mich ist es das Wichtigste, dass ich noch den Ehrgeiz und den Biss habe. Das freut mich persönlich unheimlich. Selbst nach dem Unfall im ersten Lauf, nach dem ich nicht wusste, ob mein Auto fertig oder wie oder schlecht es sein würde."

"Abgewinkt wird aber erst, wenn das Rennen zu Ende ist - und nicht vorher. Solange gebe ich mein Bestes. Es ist wichtig, das selbst zu spüren und zu wissen: Ich habe noch den Biss und will es noch. Und nicht: 'Jetzt lief alles schief, vergessen wir das Ganze.' Es geht vielmehr darum, gerade dann noch einmal einen draufzusetzen."

Frage: "Liqui Moly bestätigte vor wenigen Wochen, dass die Partnerschaft mit deinem Team 2012 in eine neue Runde geht. In Donington Park standest du als Dritter auf dem Treppchen, jetzt kam der erste Sieg dazu. Das Wetter passte in Oschersleben zwar nicht, aber ist das dein persönliches Sommermärchen?"
Engstler: "Als 'Sommermärchen' würde ich das nicht bezeichnen (lacht; Anm. d. Red.)."

"Ganz klar: Das Ergebnis hier und auch Donington waren fantastisch. In Oschersleben den Gesamtsieg zu holen, ist einfach eine Sensation. Vor dieser Kulisse, vor all den Liqui-Moly-Gästen, vor unseren anderen Sponsoren. Es passte perfekt. Wenn du hier gewinnen kannst, ist das für einen Deutschen einfach das Größte."

"In Oschersleben den Gesamtsieg zu holen, ist einfach eine Sensation." Franz Engstler

Frage: "Würdest du diesen Sieg als deinen größten Erfolg bezeichnen?"
Engstler: "Ich denke schon. Du musst dir jeden Erfolg erarbeiten. Wir sprachen vorhin über die DTC. Damals wechselte im Rennen gleich dreimal der Sieger. Zum Schluss waren wir punktgleich und ich holte nur dank der höheren Sieganzahl den Titel. Das wurde mir auch nicht geschenkt. So etwas in einer Weltmeisterschaft zu schaffen, bei diesem Starterfeld - es ist einfach toll, wenn du als Privatteam sagen kannst: 'Ich stehe ganz oben.' Einfach fantastisch."

Frage: "Motiviert es dich, 2012 weiterzumachen? Was sagt das Rennfahrer-Herz?"
Engstler: "Von meinem Rennfahrer-Herz her würde ich wahrscheinlich immer weiter machen. Ich glaube, da müsste man mich mit dem Krückstock ans Auto bringen (lacht; Anm. d. Red.). Solange der Erfolg und die Motivation da sind, möchte ich gerne fahren, keine Frage. Wenn der Ehrgeiz irgendwann nicht mehr da ist, dann muss ich aufhören. So wie es aber aussieht, muss meine Frau noch ein bisschen warten, bis ich in Rente gehe (lacht)!"¿pbvin|0|3939||0|2pb¿

In Valencia beginnt die Hatz von Neuem...

Frage: "Hand aufs Herz: Hättest du damit gerechnet, siegfähig zu sein? War dieser Erfolg eine Überraschung?"
Engstler: "Nein, dieser Sieg war nicht zu erwarten. Nach dem Ausritt im ersten Rennen war nicht zu erwarten, dass wir die Pole-Position in einen Sieg umsetzen könnten. Ich wollte schauen, wenn es irgendwie möglich wäre, unter den ersten Drei zu landen. Ich wusste nicht genau, wie stark ich die Chevys einschätzen musste."

"Wir hatten am gesamten Wochenende keinen richtigen Vergleich, weil die Wetterbedingungen nie einhundertprozentig waren. Wir wussten daher nicht, was der Chevy oder was der SEAT kann. Dass wir im zweiten Lauf und trotz des Unfalls so gut aussortiert waren, spricht einfach für das Team. Wir machten am gesamten Wochenende einen Topjob."

Frage: "Was nimmst du an Motivation für das nächste Rennen in Spanien mit?"
Engstler: "Wir wissen: Die Meisterschaft ist ungeheuer eng. Bei jedem Wochenende fängst du im Prinzip wieder von vorne an. Dabei geht es darum, das Auto auf den Punkt zu bringen und die Wetterkapriolen - wie hier - nehmen, wie es kommt."

"Um einen solchen Erfolg zu haben, müssen viele Parameter zusammenpassen. Man kann nicht sagen, dass dieser Erfolg in Valencia kopiert wird. Das wird nicht funktionieren. Wir sehen aber, dass wir bei der reinen Geschwindigkeit immer näher an den Chevys dran sind. Der BMW wird jetzt doch ein bisschen konkurrenzfähig. Ich glaube, das tut der ganzen Meisterschaft gut."

"Ich glaube, das tut der ganzen Meisterschaft gut." Franz Engstler

Frage: "Kann sich auch dein Sieg positiv auf die Popularität der WTCC in Deutschland auswirken?"
Engstler: "Das hoffe ich. Die WTCC ist eine supertolle Meisterschaft. Sie ist international und es werden tolle Rennen gefahren, ohne dass jemand Angst vor Lackaustausch hat. Es geht richtig zur Sache. Wenn es uns von den Herstellern aus gelingt, die Kosten im Blick zu behalten, dann kann die Tourenwagen-WM eine klasse Rennserie werden. Es wäre unglaublich hilfreich, wenn Ford jetzt noch dazukäme. Ich glaube, die WTCC bleibt auch im kommenden Jahr eine tolle Meisterschaft."

Frage: "In Oschersleben waren am Wochenende vergleichsweise wenig Zuschauer. Wie nimmt man das als Fahrer wahr?"
Engstler: "Da muss man natürlich auch das Wetter sehen. Ich war eh erstaunt, dass angesichts dessen so viele Zuschauer und Gäste hier waren. Natürlich würde man sich mehr Zuschauer wünschen."

"Jeder will vor einem komplett vollen Haus fahren. Das ist vollkommen klar. Ich finde es aber klasse, dass es richtige Hardcore-Fans gibt, die hier bei Regenwetter ihre Zelte aufschlagen und auch bei Sturmböen und Regengüssen da sind und dir zuwinken. Das ist einfach toll. Das spürst du und bekommst es auch im Rennfahrzeug mit."