• 07.06.2015 08:53

  • von Roman Wittemeier

Le Mans: "Wen das nicht packt, der muss zum Doktor"

Der besondere Mythos Le Mans und ein Versuch der Beschreibung von Alexander Wurz: "Verrückter Kampf von Mann und Maschine gegen Zeit und Ermüdung"

(Motorsport-Total.com) - Die Vorbereitungen sind nahezu abgeschlossen, die Tribünen noch leer, aber die Stadt bebt bereits. In den kommenden Tagen muss Le Mans im Nordwesten Frankreichs (knapp 150.000 Einwohner) die Ankunft von über 200.000 Motorsportfans aus der gesamten Welt verkraften. Die Bewohner tragen es mit Fassung, mit Freude und Leidenschaft. Für einen vorübergehenden Moment ist Le Mans der Mittelpunkt der Automobilwelt - wie jedes Jahr im Juni.

Titel-Bild zur News: Jo Siffert Brian Redman

Jo Siffert und Brain Redman steuerten den Porsche 917K im echten 1970er-Rennen Zoom

"Es fehlen absolut die Worte, um das, was Le Mans ausmacht, so zu beschreiben, dass es für andere nachvollziehbar wird", sagt Alexander Wurz, der das berühmte 24-Stunden-Rennen auf dem 13,6 Kilometer langen Cuircuit de la Sarthe bereits zweimal (1996 und 2009) hat gewinnen können. Der österreichische Toyota-Werksfahrer nimmt in diesem Jahr zum neunten Mal teil. Er trägt das "Le-Mans-Virus" in sich. "Man muss es erleben. Das kann man nicht beschreiben."

"Es ist dieser verrückte Kampf von Mann und Maschine gegen die Zeit und die Ermüdung von Material und Mensch", versucht sich Wurz doch an einer Beschreibung. "Es ist auch dieses Ungewisse. Es findet nur einmal im Jahr statt, da spielt auch Glück und Unglück hinein. Es gibt all die Dramen, die sich abspielen. Und du musst irgendwie das Ziel erreichen." 24 Stunden lang ziehen die Fahrzeuge ihre Kreise, bei Nässe, Nacht und Nebel im harten Wettbewerb um den Sieg.

"Es sind auch die Stimmungen, die man durchlebt. Und es ist die Spannung, die sich wie eine Wellenbewegung über eine ganze Woche immer wieder auf- und abbaut. Es geht alles auf diesen Showdown hin", erklärt der erfahrene Ex-Formel-1-Pilot. "Das alles zu beschreiben ist sehr schwierig. Selbst als Fan, wenn du unter dem Siegerpodest stehst und gerade die 24 Stunden miterlebt hast. Wenn dich so etwas nicht packt, dann musst du zum Doktor gehen, weil dann hast du keine Nerven und Emotionen."

Le-Mans-Bevölkerung lebt den Event

"Das Rennen hat eine solch lange Tradition", nennt Wurz einen wichtigen Faktor, der den Mythos der 24 Stunden von Le Mans hat reifen lassen. 1923 wurde der Wettbewerb erstmals abgehalten, in diesem Jahr steht die 83. Auflage auf dem Programm. In den zurückliegenden 92 Jahren hat ein Rennen eine Stadt zu Weltruhm gebracht. Es hat ganze Generationen im Departement Sarthe geprägt, wo der Event auch außerhalb der Rennwoche zum Alltag gehört. Es ist ein Stück Kultur - ein ganzer Brocken sogar.

"Wenn du in Le Mans aufwächst, dann prägt es dein Leben mit", sagt Wurz. "Wie soll ein neuer Grand Prix in Südkorea oder China so etwas vermitteln? Das geht ja gar nicht. In Le Mans erlebst du das von der Pike auf mit, du fühlst dich diesem Event viel näher. Man kennt alle Dramen und Geschichten, wodurch sich für einen Menschen in Le Mans dieses Rennen für wichtig entpuppt. National Geographic hat es schon zweimal als den besten Sportevent der Welt ausgezeichnet. Das ist so cool."

Alexander Wurz

Ist ein leidenschaftlicher Fan von Le Mans: Toyota-Werksfahrer Alexander Wurz Zoom

Wie sehr das Rennen im Leben der Menschen von Le Mans verankert ist, wird auch auswärtigen Gästen immer wieder am Freitag der Rennwoche deutlich. Wenn 80-jährige Omas mit französischen Fahnen auf ihren Balkonen stehen und den Fahrern bei der Parade zujubeln, deren Namen sie sicherlich nicht alle kennen. Das Rennen macht aus der Stadt eine Partymeile. Die Fans hinterlassen Müll, Schmierereien, Gummispuren auf den Straßen. Und sie lassen viel Geld in der Region - ein wichtiger Faktor.

"Der Bürgermeister von Le Mans war irgendwann plötzlich gegen das Rennen, weil er meinte, dass seine Stadt wegen der Stadt so berühmt sei und nicht wegen des Rennens. Er wollte das Rennen nicht mehr, ist aber natürlich nicht weit gekommen damit", schmunzelt Wurz. "Die Stadt und die Menschen in der Stadt akzeptieren einfach, dass das Rennen da ist. Also feiern sie es, und sie feiern auch ein wenig sich und die Stadt. Das gibt es andernorts bei gewissen Festivals auch. Das ist wahre Tradition."

Ein Film als Annäherung an den Mythos

Weil Tradition und Mythos mit Worten kaum zu transportieren sind, gibt es unzählige Dokumentationen und Filme über die 24 Stunden von Le Mans. Ein Streifen ragt meilenweit heraus: "Le Mans" mit Steve McQueen, der 1970 während des echten 24-Stunden-Rennens gedreht wurde. Dieses Meisterwerk stellt den Langstreckenklassiker derart gut dar, dass der erste wirkliche Dialog rund 20 Minuten auf sich warten lässt - eine Zeitspanne, die allein durch Bilder und atmosphärische Aufnahmen mehr als ausreichend gefüllt ist.

"Ich habe den Film so oft gesehen. Und ich weiß recht viel darüber", erklärt Alex Wurz. "Ein Freund meines Vaters, Erich Glavitza, hat damals das Stuntauto gefahren. Er hat auch mitgespielt. Er war der Teamkollege des Ferrari-Fahrers und ist eben auch alle Stunts gefahren. Der Erich, der unter anderem auch in James-Bond-Filmen Stunts gefahren ist, ist ein großartiger Geschichtenerzähler. Wenn der zu erzählen anfängt, dann bleibt kein Auge trocken - das geht tagelang, und er kann so gut erzählen."

Aufgrund dieser familiären Beziehungen kennt Wurz nicht nur den Film, sondern auch zahlreiche Hintergrundstories. Als Kind und Jugendlicher gehört, als Erwachsener in Le Mans selbst erfahren. Einige Szenen des Spielfilms mögen etwas an der Realität vorbei gedreht sein, andere hingegen erscheinen dem Zuschauer nicht realistisch, sie sind es aber. Beispiel Anfangszene, in der Michael Delaney (Steve McQueen) den Schauplatz eines tragischen Unglücks aus dem Vorjahr besucht und diesen Unfall vor dem geistigen Auge noch einmal durchlebt.


Fotostrecke: Le Mans 2015: 24 Stunden - 24 Fakten

"Das ist schon so. So ticken wir Fahrer. Wir sind ja nicht weltfremd, sondern sehr sensibel. Wenn ich nach Spa komme, dann erinnere ich mich an Stefan Bellof", schildert Alex Wurz seine Haltung als Pilot. "Dann denke ich an Eau Rouge immer: 'Schau, dort hat er sich damals in seiner Blechbüchse zerquetscht.' Auch in Le Mans mit Jo Gartner, der eng mit meinem Vater befreundet und oft bei uns zu Hause war. Dort weiß ich genau im Knick: 'Technisches Versagen, Bäng - dort ist der Jo verunglückt.' Das ist normal."

Trotz der Gefahren: Rennen ist Leben

"Wir verdrängen die Gefahr und den Tod nicht. Im Gegenteil. Du musst dich als Fahrer damit auseinandersetzen, dass wenn du in einem solchen Auto fährst, ein Restrisiko vorhanden ist", sagt der Österreicher. "Es ist viel sicherer geworden durch Karbon und durch Auslaufzonen. Ein solches Auto bleibt aber immer noch ein ballistisches Geschoss, wenn du es außer Kontrolle verlierst. Verdrängen wäre falsch. Dann holt es dich irgendwann ein."

"Wenn du dich damit beschäftigst, dann akzeptierst du das Risiko. Dann kannst du damit zurechtkommen. Es belastet mich nicht. Wenn es das täte, dann würde ich mich nicht mehr in ein solches Auto setzen. Es ist immer eine Frage von Angst und Respekt. Diesen Respekt hat man immer. An manchen Tagen mehr, an anderen weniger - je nachdem, wie du dich gerade fühlst", gewährt der erfahrene LMP1-Pilot aus dem Kader von Toyota einen tiefen Einblick in die Rennfahrer-Denke.

Steve McQueen

Dreharbeiten 1970: Steve McQueen (re.) im Gespräch mit Brian Redman und Derek Bell Zoom

"Wenn bei Aquaplaning oder so etwas Angst aufkommt, dann musst du an die Box - das ist 'common sense', das denken alle. Das ist normaler Menschenverstand", sagt Wurz. Es gehe nicht um wildes Draufgängertum, sondern um das Ausleben einer großen Leidenschaft. "Rennen ist Leben, die Zeit zwischen den Rennen ist Warten", heißt es im legendären Film. "Ich nutze diesen Ausspruch auch manchmal. So ist es halt", nickt Wurz zustimmend. "Natürlich ist uns zwischen den Rennen nicht fad, aber unter dem Strich: Alles was zählt, sind diese Minuten im Auto."

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