• 03.06.2014 10:15

  • von Roman Wittemeier

Leser fragen Wurz: Pädagogen am Funk, Hirn in der Nacht

Toyota-Werkspilot Alexander Wurz beantwortet die Fragen der 'Motorsport-Total.com'-Leser: Interessante Einblicke über die Nachtfahrten in Le Mans

(Motorsport-Total.com) - Die Teilnehmer der 24 Stunden von Le Mans haben am vergangenen Sonntag den wichtigen Vortest auf dem Circuit de la Sarthe bestritten. Die dort gewonnenen Daten und Eindrücke werden nun analysiert, anschließend werden nochmals Optimierungen an den Fahrzeug-Setups und Betriebsstrategien vorgenommen. Bis zum Start in die Le-Mans-Woche bleiben nur noch wenige Tage. Umso schöner, dass sich Toyota-Werkspilot Alexander Wurz die Zeit genommen hat, die interessanten Leserfragen zu beantworten.

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Alexander Wurz hat sich den Fragen der 'Motorsport-Total.com'-Leser gestellt Zoom

Thomas Stelberg fragt: "Alex, inwiefern unterscheidet sich die Hybridtechnik des Toyota Prius von jener in deinem TS040?"
Alexander Wurz: "Es gibt im Grundaufbau nicht die gleiche Abfolge bei der Energie-Rückgewinnung. Beim Straßenauto sind es Batterien und bei uns im Rennwagen sind es Superkondensatoren. Der größte Unterschied liegt aber beim Gewicht. Unser System ist auf Racing optimiert, es ist also möglichst klein und leicht. Eigentlich sollte die Frage andersherum lauten: In wie vielen Jahren wird der Prius unser System aus dem LMP1 haben? Da gibt es eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen Motorsport und Serie."

Andreas Wolfsgruber fragt: "Wie oft sprichst du bei der Fahrt mit deinem Ingenieur, was macht einen guten Renningenieur aus und welche Tipps kannst du jungen Menschen geben, die diesen Beruf gern ausüben möchten?"
Wurz: "Das kommt immer drauf an. Manchmal rede ich gar nicht mit ihm, aber wenn ich grantig bin, dann muss ich meinen Ärger loswerden - dann rede ich viel mit ihm. Es gibt natürlich auch spezielle Fälle, wo wir sehr viele Dinge umstellen müssen oder strategische Entscheidungen treffen, dann wird viel gesprochen. Es ist komplett abhängig von der Rennsituation."

"Ein Renningenieur ist zu 50 Prozent Ingenieur und zu 50 Prozent Pädagoge. Er muss den Fahrer pädagogisch im Griff haben. Das kann mit sanften oder harten Methoden im Umgang passieren, das kommt auf den Piloten an. Wenn du so etwas kannst, dann hast du gute Chancen, ein guter Renningenieur zu werden. Dass man das Fachwissen haben muss, ist ohnehin eine Grundvoraussetzung, um überhaupt in den Topkategorien des Motorsport unterzukommen."

Ein Rennen mit einer alten Karre

Daniel del Basso fragt: "Ist ein LMP1-Auto schwieriger zu fahren als ein moderner Formel-1-Bolide?"
Wurz: "Da muss ich sagen, dass ich noch kein Formel-1-Auto der neuesten Generation gefahren bin. Die sind anders als die Fahrzeuge, die ich zuletzt bewegt habe. Da fällt mir eine Antwort natürlich schwer. Grundsätzlich ist es aber wurscht, welches Auto auf welcher Strecke du fährst. Das kann ein uraltes Auto für 1.000 Euro sein. Wenn du in einer einzelnen Kurve gegen die weltbesten Fahrer antrittst, dann wird es immer schwierig."

"Aerodynamik-Autos sind immer sehr speziell zu fahren. Die LMP1-Autos aus der WEC und die Formel-1-Fahreuge sind natürlich aerodynamisch dominierte Fahrzeuge. Mit solchen Autos ist es immer schwierig, wenn es mal rutscht. Auch hier kommt es auf die Feinheiten an. Diese Frage lässt sich so gar nicht umfassend und eindeutig beantworten."

Friedrich Eggl fragt: "Wie lange wirst du noch in der WEC fahren? Kommt nochmal ein Teamwechsel infrage?"
Wurz: "(lacht, weil TMG-Geschäftsführer Rob Leupen mit am Tisch sitzt) Ich kann dir nicht sagen, wie lange ich das noch machen werde. Solange ich Spaß habe, möchte ich natürlich weiter fahren. Ich kann keinen Zeitpunkt nennen, weil ich einfach noch nicht ans Ende denke. Grundsätzlich kommt für mich ein Teamwechsel freiwillig nicht infrage, außer Toyota sollte sich zurückziehen. Das hoffen wir alle nicht. Und das sehe ich auch nicht."


Fotostrecke: Le Mans 2013 im Rückblick

Michael Luig fragt: "In welcher Situation hat ein Rennfahrer Angst?"
Wurz: "Wenn eine Frau am Steuer sitzt (lacht)."

Wenn die zweite Gehirnhälfte aktiv wird

Andreas Terlechi fragt: "War auch für euch die regnerische Nachtphase in Le Mans 2013 so gruselig wie für mich als Zuschauer?"
Wurz: "Das ist halt Teil des Rennens. Nervös werden nützt dir dann wenig. Man muss damit klarkommen. In einigen solcher Situationen musst du sagen: 'Okay, ich sehe nichts mehr. Ich kann jetzt nicht mehr voll durch die Kurven fahren'. Du brauchst einen viel größeren Horizont als bei Rennen im Trockenen oder bei Formel-1-Rennen."

"Irgendwann bist du vielleicht mit einer 30 Sekunden erhöhten Rundenzeit immer noch der Schnellste auf der Strecke. Dein Horizont muss viel größer werden. Die LMP1-Autos sind bei Regen aber auch besonders schwierig. Sie haben die breitesten Reifen von allen. Man hat also schnell Aquaplaning. Der Gummi braucht viel Energie, um überhaupt auf Temperatur zu kommen."

"Wenn der Reifen nicht heiß ist, dann wird es unheimlich schwierig zu fahren. Also: Die Reifen bekommst du nicht warm, die Scheibe ist von außen nass und von innen beschlagen, du siehst nichts. Du hast kein Raumgefühl. Du kannst dich nicht mehr an Brücken oder Bäumen orientieren, die du sonst im Unterbewusstsein wahrnimmst. Bei solchen Bedingungen ist ein LMP1 ein eher unangenehm zu fahrendes Auto."

Kai Grosskopf fragt: "Was für ein Licht hat der Toyota TS040?"
Wurz: "Die technischen Details weiß ich nicht. Wichtig ist, dass das Licht richtig eingestellt ist - und zwar nicht geradeaus, sondern mehr in die Kurven hinein leuchtend. Unter guten Umständen fahre ich sehr gern in der Nacht, denn es ist etwas ganz Besonderes. Interessant in der Nacht ist, dass du dich mental umstellen musst. In der Nacht sind beide Gehirnhälften aktiv, tagsüber passiert fast alles in der rechten Hälfte. Die ersten ein oder zwei Runden im Dunkeln sind oftmals sehr interessant, weil man nicht ganz genau dorthin fährt, wo man eigentlich hin will. Die Kommunikation im Kopf passt dann nicht."

Alexander Wurz, Stephane Sarrazin, Kazuki Nakajima

Der Toyota TS040 war beim Vortest in Le Mans das schnellste Auto Zoom

"Wenn man dieses Phänomen an sich kennt, dann kann man da mit Übungen vor einem Stint in der Nacht entsprechend entgegenwirken. Es ist oft so, dass dich aber das eigene Licht irritiert. Es leuchtet oftmals dorthin, wo man eigentlich nicht hinfahren will - nämlich zu sehr geradeaus. Beim Einlenken schaust du in ein dunkles Loch hinein, in das du dann fahren musst. Der Lichtstrahl versucht dich geradeaus zu ziehen. Es braucht Zeit, bis man sich daran gewöhnt hat. An einem schlechten Tag dauert das einen ganzen Stint lang."

Wenn jetzt noch Ferrari hinzukommt...

HansJoltkau fragt: "Wie viel technisches Verständnis ist von den WEC-Fahrern gefragt im Vergleich zum Formelsport?"
Wurz: "Eigentlich mehr, weil wir mehr Technologie in unseren Autos haben. Manche Fahrer haben überhaupt keine Ahnung, manche haben viel Ahnung. Unter dem Strich ist es eine Frage des Teams. Man kann auch mal seinen Teamkollegen für sich arbeiten lassen. Wenn man weiß, dass man in einem Bereich womöglich eine Schwäche hat und der Kollege dort stark ist, dann muss man das passend zusammenfügen. Dann wird insgesamt eine Stärke daraus. Rein technologisch ist ein LMP1-Auto komplexer und weiter als ein Formel-1-Auto. Nicht mehr so viel wie 2013, denn die Formel 1 hat aufgeholt."

Christian Lammert fragt: "Du fährst in diesem Jahr nicht mehr mit Nicolas Lapierre in einem Auto, sondern neuerdings mit Stephane Sarrazin. Gibt es dort spürbare Unterschiede?"
Wurz: "Ja, der eine isst mehr Salat, der andere mehr Steak (lacht). Sonst sind wir alle ähnlich. Wir haben ähnliche Gedankengänge und Wünsche bezüglich des Setups."

Klaus Hellmann fragt: "Porsche ist neu dazugekommen, nächstes Jahr folgt Nissan. Welche weitere Marke würdest du gern zusteigen sehen?"
Wurz: "Möglichst viele, weil das für den Fahrermarkt gut ist. Es geht in der LMP1 in eine gute Richtung. Mit Nissan sind wir im kommenden Jahr zu viert, was cool ist. Noch cooler wäre es aus Prestigegründen, wenn Ferrari auch noch kommen würde. Insgesamt würde ich mich einfach über weitere Marken freuen. Konkurrenz belebt das Geschäft."

Alexander Wurz, Kazuki Nakajima, Stephane Sarrazin

Schnelles Trio im Toyota: Alexander Wurz, Kazuki Nakajaima und Stephane Sarrazin Zoom

Stephan Schuster fragt: "Welche Rolle spielen in diesem Jahr die Reifen?"
Wurz: "Reifen sind die einzige Verbindung zur Fahrbahn, sie spielen immer eine extrem wichtige Rolle. Dadurch, dass die Pneus in diesem Jahr schmaler sind als im Vorjahr, gibt es nun wieder abbauende Reifen. Da muss man das Setup halt wieder entsprechend anpassen."

Steffen Reimann fragt: "Was würdest du davon halten, wenn bei der nächsten Regelreform 2017 aktive Aerodynamik oder sogar 'Staubsauger' erlaubt würden?"
Wurz: "Dann nehme ich mir eine doppelte Mitgliedschaft im Fitnessstudio, damit mein Nacken noch stärker wird. Es hängt alles sehr komplex zusammen. Da müsste man sich genau anschauen, wie das im Reglement formuliert ist. Ich habe grundsätzlich nichts gegen Freiheiten. Übermäßiges Reglementieren ist weder an der Börse noch im Rennsport gut. Aber: Die ganze Welt ist darauf bedacht, alle Details immer zu kontrollieren..."

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