• 27.12.2011 15:05

  • von Roman Wittemeier

Rückblick: Das war Le Mans 2011

Rückblick auf das größte Rennen des Jahres: Die 24 Stunden von Le Mans - Wie Audi den Sieg ins Ziel rettete und Peugeot unter den Unfällen der Konkurrenz litt

(Motorsport-Total.com) - Im kommenden Jahr beginnt im Langstreckensport eine neue Ära. Der bisherige Intercontinental-Le-Mans-Cup (ILMC) wird durch die neue Weltmeisterschaft (World-Endurance-Championship; kurz: WEC) abgelöst. Die neue WM besteht aus insgesamt acht Wertungsläufen. Kernstück der Szene ist und bleibt das berühmte 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Die 79. Auflage des Klassikers im Jahr 2011 wird in die Geschichte eingehen.

Titel-Bild zur News: Benoit Treluyer, Marcel Fässler

Andre Lotterer, Benoit Treluyer und Marcel Fässler siegten im Juni für Audi

Der Kampf um den Gesamtsieg wurde auch in diesem Jahr zwischen den Kontrahenten Audi und Peugeot entschieden. 2011 begegneten sich die beiden Hersteller im jüngsten Duell jedoch mit neuen Waffen. Die Ingolstädter hatten im Zuge der Einführung eines veränderten Reglements den Reset-Knopf gedrückt und mit dem R18 TDI ein brandneues Coupé entwickelt. Die Franzosen blieben beim neuen 908 klar bei der Linie, die der schnelle Vorgänger gezeichnet hatte.

Beide LMP1-Sieganwärter blieben auch zum Jahr 2011 beim Dieselantrieb, auch wenn die Selbstzünder per Regelwerk weiter eingebremst wurden. Die Prototypen mit den 3,7-Liter-Aggregaten im Heck waren dennoch auch in diesem Jahr das Maß der Dinge. Die einzig ernsthafte Konkurrenz aus dem Benzinerlager war an der Sarthe nicht am Start. Highcroft hatte beim Jahresauftakt in Sebring angedeutet, was mit dem überarbeiteten HPD-Auto möglich sein könnte, doch Honda zog den Stecker.

So blieben Highcroft und Honda (HPD) dem Jahreshöhepunkt fern und überließen den beiden großen Rivalen der vergangenen Jahre auch 2011 den Kampf um die Spitze. Sowohl Audi als auch Peugeot hatten sich mit vielen Tests und einigen Einsätzen in den frühen ILMC-Läufen intensiv auf das Rennen in Le Mans vorbereitet. Spätestens beim Vortest an der Sarthe wurde deutlich, dass es eng zugehen würde.

Audi und Peugeot im engen Clinch

Obwohl beide Hersteller mit neuen Autos auf die 13,6 Kilometer lange Strecke gingen, war man sofort wieder auf Augenhöhe. Beim Vortest hatte der schnellste Audi R18 TDI (Kristensen/McNish/Capello) einen Vorsprung von gerade einmal 0,198 Sekunden auf den besten Peugeot 908 (Sarrazin/Davidson/Montagny). Mit Rundenzeiten im Bereich von 3:27 Minuten waren beide Protagonisten auf Anhieb schneller als die vom ACO gewünschte Untergrenze von dreieinhalb Minuten.

Das Duell prägte die gesamte Woche in Le Mans. Bei der offiziellen Fahrzeugabnahme in der Innenstadt jubelten die Fans beiden Herstellern gleichermaßen zu, die ersten Sessions auf der legendären Strecke wurden zum erwartet engen Duell. Im Freien Training war Audi vorn, in den ersten beiden Qualifikationen zeigte sich Peugeot an der Spitze, die Pole-Position ging letztlich im dritten Qualifying nach einer Runde in 3:25.738 Minuten von Benoit Treluyer an die Ingolstädter. Im Warmup war Peugeot wieder vorn.

Mike Rockenfeller, Romain Dumas, Timo Bernhard, Benoit Treluyer, Marcel Fässler

Audi hatte bei den 24 Stunden von Le Mans einen guten Speed Zoom

Mit großer Spannung ging es am Samstag, 11. Juni 2011 am Nachmittag um 15:00 Uhr auf die 24-stündige Reise durch die Sarthe. Es wurde ein ein Sprint, kein klassisches Langstreckenrennen. Die 79. Auflage des Klassikers bot den insgesamt knapp 250.000 Zuschauer an der Strecke alles: Action, Spannung, Dramen. "Es war ein Formel-1-Rennen, es waren im Grunde 15 Grands Prix hintereinander", blickt Le-Mans-Legende Jacky Ickx im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' zurück.

2011: Die Wunder von Le Mans

"Dieses Jahr war auch legendär, weil wir Wunder erlebt haben. Dass bei diesen zwei schweren Unfällen nichts weiter passiert ist, halte ich für Wunder. Da haben die Audi-Ingenieure und Gott allerbeste Arbeit abgeliefert. Außerdem kommt es einem Wunder gleich, dass keine Zuschauer, Streckenposten oder Fotografen verletzt wurden", sagt Belgier und nennt somit schon zwei entscheidende Ereignisse auf der Strecke.

Audi und Peugeot hatten sich sofort nach dem Start die erbitterte Schlacht geboten. Der R18 mit der Startnummer 1 (Bernhard/Dumas/Rockenfeller) markierte früh die Spitze, dahinter hechelte Allan McNish dem führenden Schwesterauto hinterher. Um bei einigen Überrundungsmanövern den Anschluss nicht zu verlieren, ging der erfahrene Schotte teils hohes Risiko ein. Nach nur 14 Runden war sein Glück aufgebraucht.

Anthony Beltoise, Allan McNish

Erleichterung: Allan McNish steigt unverletzt aus dem Wrack des Audi R18 Zoom

McNish kollidierte beim Überrundungsversuch in den schnellen Esses nach Start und Ziel mit dem GTE-Ferrari von Anthony Beltoise. Der Audi R18 rutschte ins Kiesbett, hob leicht ab, stellte sich beim Anprall auf die Barrieren komplett auf und landete nur mit viel Glück nicht hinter den Absperrungen in den Zuschauern - dramatische Bilder. Der schottische Audi-Pilot konnte dem Wrack seines R18 jedoch unverletzt entsteigen. Es folgte eine lange Safety-Car-Phase.

"Ich danke den Konstrukteuren, dass sie ein Auto entwickelt haben, dem man nach so schweren Unfällen unverletzt entsteigen kann", lobte McNish die Audi-Techniker im Fahrerlager. Die Gefährten Tom Kristensen und Dindo Capello, für die das Rennen ohne eine einzige Rennrunde bereits frühzeitig beendet war, nahmen den Ausfall sportlich hin. "Das Wichtigste ist, dass es Allan gut geht", sagten die beiden unisono.

Rockenfellers Horrorcrash

Nach Abschluss der Reparatur- und Aufräumarbeiten wurde das Feld wieder auf die weitere Reise geschickt. Sofort setzten Audi und Peugeot ihren Langstrecken-Sprint fort. Die Ingolstädter mussten Vollgas geben, denn in der Frühphase war deutlich geworden, dass die Löwen seltener zum Tanken kommen würden. Peugeot hatte den Vorteil jedoch nicht nutzen können, weil hinter dem Safety-Car auch der Audi-Verbrauch deutlich zurückging.

Das Formel-1-Tempo der Prototypen hatte am späten Abend weitere Folgen. Um genau 22:50 Uhr war Vorjahressieger Mike Rockenfeller mit seinem Audi auf der Jagd nach dem führenden Schwesterauto mit der Startnummer 2. Im schnellen Rechtsknick auf der Zufahrt zur Indianapolis-Kurve kollidierte der DTM-Pilot bei Vollgas (über Tempo 300 km/h) mit einem GTE-Ferrari und flog ungebremst in die Leitplanken. In der nächtlichen Dunkelheit bot sich ein Bild des Schreckens: Trümmerteile weit verstreut, vom R18 nur noch wenig zu erkennen.

¿pbvin|64|3820||0|1pb¿An der gesamten Strecke machte sich eine ohrenbetäubende Stille breit. Wie geht es Mike Rockenfeller? Diese Frage konnte in den ersten Minuten nicht beantwortet werden. Auf Nachfragen über Boxenfunk gab es keine Reaktion, die vorbeifahrenden Kollegen berichteten nur über das schlimme Trümmerfeld an der Unfallstelle. Dann die erlösende Nachricht: "Rocky" hatte sich selbst befreit, war über die Leitplanken geklettert und dann dort in einen kurzen Schlaf gefallen - keine schweren Verletzungen.

"Vor 20 Jahren - vielleicht sogar noch vor zehn Jahren - hätte man solche Unfälle kaum überleben können. Heutzutage kann man durch die perfekten Sicherheitsstandards viel unbeschwerter Rennen fahren", sagt Jacky Ickx über die heutige Sicherheit im Sport, die es zu seinen aktiven Zeiten nicht einmal ansatzweise in dieser Form gegeben hatte. Rockenfeller wurde in ein Krankenhaus gebracht, musste anschließend ein DTM-Rennen auslassen - mehr aber nicht.

Lotterers grandioser Zielsprint

"Die Sicherheitsstandards sind einfach enorm und haben mir das Leben gerettet", erklärte Rockenfeller. "Ich hatte noch nie in meinem Leben einen solchen Unfall und hoffe, dass ich das auch nicht mehr erfahren muss." Das gesamte Fahrerlager atmete kräftig durch. Erst am frühen Morgen hatte man sich von den Schocks halbwegs erholt. Die Jagd setzte sich fort. Der einzig verbliebene Audi (Fässler/Lotterer/Treluyer) behauptete die Spitze, Peugeot hielt den Druck enorm hoch.

"Man muss einmal Dank an Peugeot sagen, die für Audi wirklich ein starker Wettbewerber waren. Erst dadurch konnte Audi einen solch ehrenvollen Sieg erringen. Peugeot hat die Spannung immer hoch gehalten", sagt Ickx. "Der letzte verbliebene Audi, den sie 'Red Sonja' nennen, wurde die ganze Zeit von sehr talentierten Fahrern am absoluten Limit bewegt - Vollgas vom Start bis ins Ziel." Vor allem Andre Lotterer erhielt für seine finalen Stints reichlich Lob. Er dürfte somit gute Chancen bei der ACO-Abstimmung zum Fahrer des Jahres haben.

Wolfgang Ullrich (Audi Sportchef)

Emotionen pur: Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich verdrückt einige Tränen Zoom

"Am Ende all dieser Dramen und des 24-stündigen Sprints stehen dann 13 Sekunden Unterschied zwischen Platz eins und zwei. Das ist doch unglaublich. Dort haben alle das Rennen ihres Lebens abgeliefert", bilanziert Jacky Ickx. "Es erinnerte mich an 1969, als ich mir eine unglaubliche Schlacht mit Hans Hermann geliefert habe. Damals trennten uns am Ende nur 120 Meter. Allerdings gab es dieses enge Duell nur in den letzten drei Stunden, nicht über die komplette Distanz."

Audi und Peugeot haben somit auch der 79. Auflage der 24 Stunden von Le Mans eindeutig ihren Stempel aufgedrückt. "Aufgrund der beiden extrem schweren Unfälle war es für uns das emotional bisher schwierigste Le-Mans-Rennen", erklärte Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich. "Als Andre durchs Ziel kam, konnte ich mich nicht mehr kontrollieren. Es war unbeschreiblich. Wenn man so hart auf ein Ziel hinarbeitet und es dann erreicht, dann weint man einfach nur noch wie ein kleines Baby", sagte Benoit Treluyer.

Aston Martin schafft 80 Kilometer

"Auf eine Runde war Audi effizienter als Peugeot. Wir müssen mit dem Ergebnis zufrieden sein, denn beide Hersteller waren außergewöhnlich", so Peugeot-Pilot Simon Pagenaud. "Audi war einfach stärker als wir", gab sich auch dessen Teamkollege Stephane Sarrazin als fairer Verlierer. Hinter dem Sieger-Audi und den drei Werks-Peugeot holte Oreca mit dem alten 908 HDi FAP den fünften Rang als bestes Privatteam, dahinter holte Rebellion den Sieg in der inoffiziellen Benzinerwertung.

In der LMP2-Klasse holte Greaves (Ojjeh/Lombard/Kimber-Smith) nach 326 gefahrenen Runden den Klassensieg mit dem Zytek-Nissan. In der GTE-Pro-Klasse ließ sich Corvette (Garcia/Milner/Beretta) nach einem harten Kampf als Sieger feiern. Die Amerikaner hatten sich über weite Strecken gegen schnelle Konkurrenz wehren müssen. Fisichella/Bruni/Vilander (Ferrari) hatten als Zweite nicht einmal eine Runde Rückstand, auf Platz drei platzierte sich der beste BMW (Priaulx/D. Müller/Hand).


Fotos: Testfahrten mit dem Peugeot 908 HYbrid4


Neben zahlreichen Glanzlichtern beim diesjährigen 24-Stunden-Rennen von Le Mans gab es allerdings auch große Enttäuschungen. Einen eher peinlichen Auftritt legte Aston Martin an den Tag. Die Briten wollten mit dem brandneuen AMR-One an erfolgreiche Zeiten anknüpfen, aber versagten auf ganzer Linie. Fernandez/Meyrick/Primat kamen zwei Runden weit, Klien/Mücke/Turner schafften gerade einmal vier Umläufe. Die Gesamtdistanz, die Aston Martin im Le-Mans-Rennen zurücklegte: rund 80 Kilometer...

Peugeot: Faire Verlierer gratulieren

Noch einmal zurück zu den erfreulichen Erkenntnissen des Jahres. "Peugeot hat sich nicht nur sportlich weiterentwickelt, sondern sie sind auch menschlich gewachsen. Als damals der 908 erstmals vorgestellt wurde, gab Peugeot eine Pressekonferenz. Damals schafften sie es, innerhalb einer Stunde den Namen des Hauptkonkurrenten konsequent zu vermeiden. Heutzutage sprechen sie den Namen Audi voller Respekt aus. Olivier Quesnel und Bruno Famin haben sich diesbezüglich verändert. Das ist toll für den Sport", sagt Jacky Ickx und blickt voller Vorfreude auf 2012.

"Ich finde die neue WM toll. Bisher gab es pro Jahr nur ein einziges Ziel: Le Mans gewinnen. Die anderen Rennen spielten kaum eine Rolle", erklärt der Belgier. "Es gab da einen jahrelangen Konflikt zwischen dem ACO und der FIA - verständlich in gewissem Maße. Wenn du einen solchen Event organisierst, dann lässt du dir nicht gern von außen etwas sagen. Ich fände es auch schwierig, wenn mir mein Nachbar sagen wollte, wann ich in meinem Garten welchen Baum in welchem Maße zurückschneiden soll."

Im Kampf der Hersteller in der GTE-Klasse setzte sich Corvette durch Zoom

Die Diesel-Bäume werden zum neuen Jahr weiter zurückgeschnitten, aber dennoch dürften sie wohl auch 2012 die süßesten Früchte tragen. Für noch mehr Spannung in der Prototypenszene wird die Rückkehr von Toyota sorgen. Die Japaner bauen am Standort Köln (TME) ein LMP1-Chassis, der Benziner-Hybrid-Antrieb kommt aus Japan. Auch das Interesse weiterer Hersteller wird immer deutlicher. Porsche hat sein Comeback bereits für 2014 angekündigt.