Harvick und Co. einig: Aero-Experiment in Indy misslungen

So positiv die Reaktionen der NASCAR-Piloten auf das Low-Downforce-Package ausfielen, so kritisch wird nun das High-Drag-Package beurteilt

(Motorsport-Total.com) - Die NASCAR-Führung rund um Präsident Mike Helton und Vize-Präsident Steve O'Donnell ist im Sommer 2015 in Experimentierlaune. Vor gut zwei Wochen gab es beim Sprint-Cup-Rennen auf dem 1,5-Meilen langen Kentucky Speedway die Premiere des Low-Downforce-Package mit einem im Vergleich zum Standard-Aero-Paket deutlich kleineren Heckspoiler. Auch der Frontsplitter fiel kleiner aus.

Titel-Bild zur News: Kyle Busch

Indianapolis sah auch in diesem Jahr überwiegend Single-File-Racing Zoom

Am vergangenen Wochenende folgte das entgegengesetzte Experiment: Das Brickyard 400 auf dem Indianapolis Motor Speedway musste für die Premiere des High-Drag-Package mit einem deutlichen größeren Heckspoiler herhalten. Hatten sich die Piloten im Nachgang zum Kentucky-Rennen lobend über die Auswirkungen auf das Racing geäußert, so hagelt es im Nachgang zum Indianapolis-Rennen Kritik von allen Seiten.

"Wir alle hatten uns mehr Windschatten versprochen", befand Penske-Pilot Brad Keselowski, seines Zeichens Sprint-Cup-Champion des Jahres 2012, nachdem das Brickyard 400 mit 16 Führungswechseln über die Bühne gegangen war. Wurden auf dem Kentucky Speedway noch 22 Führungswechsel allein bei Rennbedingungen unter Grün notiert, so kam ein Großteil der 16 Führungswechsel in Indianapolis entweder durch eine Gelbphase oder durch einen unter Grün eingelegten Boxenstopp des Führenden zustande.

Windschatten kleiner und Nachteil in den Kurven größer als gedacht

Im Vergleich zu den Indianapolis-Auftritten der NASCAR-Boliden in den vergangenen Jahren war mit dem knapp 23 Zentimeter hohen Heckspoiler zwar ein etwas größerer Windschatten erkennbar, doch der Nachteil, in den Kurven hinter einem anderen Auto herzufahren, war laut Keselowski "signifikant".

Brad Keselowski

In Kurvenfahrt kurz vor dem Abflug: Sam Hornish Jr. hinter Brad Keselowski Zoom

"Ich fand, das Überholen war schwieriger als jemals zuvor", äußerte auch Furniture-Row-Pilot Martin Truex Jr. nach seinem vierten Platz beim Brickyard 400 Kritik am High-Drag-Package. Gibbs-Pilot Matt Kenseth, der das Rennen auf Platz sieben beendete, setzte noch einen drauf: "Fürchterlich. Überholen ist einfach unmöglich."

Heftige Kritik von Champion Kevin Harvick

Kevin Harvick, der mit seinem Stewart/Haas-Chevy die meisten Führungsrunden verbuchte und am Ende Dritter wurde, äußerte "Bedenken, ob alle Ziele erreicht wurden. Ein Haufen Geld wurde jedenfalls ausgegeben". Damit spielt der amtierende Sprint-Cup-Champion auf die Tatsache an, dass Ende April zahlreiche Teams in Indianapolis testen waren - damals freilich noch mit dem Standard-Aero-Paket. Die Entscheidung, am Rennwochenende erstmals auf das High-Drag-Package zu setzen, wurde seitens NASCAR erst Anfang Juli getroffen...

Kevin Harvick

Not amused: Kevin Harvick kritisiert die Experimentierlaune von NASCAR Zoom

Die Kritik von Indianapolis-Sieger Kyle Busch fällt naturgemäß nicht ganz so heftig aus, doch auch der Gibbs-Pilot hatte am Sonntag nicht immer Spaß. "Ich hatte den Eindruck, das beste Auto im Feld zu haben. Doch wenn man einmal im Verkehr hing, war es schrecklich - egal, ob hinter einem Auto oder hinter einer Gruppe von Autos. Im Verkehr war das Auto kaum zu beherrschen. Das ist nicht zwangsläufig etwas Schlechtes, aber das Gefühl, in den Kurven jeden Moment abfliegen zu können, braucht niemand. Es braucht ein bisschen Sicherheit."

So schlussfolgerte Busch nach seiner Siegesfahrt: "Wenn ein Fahrer auf der Geraden auf einen anderen Fahrer aufholen kann, das hat schon etwas. So macht man aus einem PS-Rennen ein Windschatten-Rennen. Das Aero-Paket hat sicherlich seine Vorteile. Ob es aber die richtige Kombination ist, da bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, wir können etwas lernen."

Überstunden für Mike Helton und Co.

Trotz der eher verhaltenen Kritik von Sieger Kyle Busch: Die Grundstimmung im Fahrerlager ist nach dem Brickyard 400 alles andere als gut. Dies ist auch Mike Helton bewusst. Der NASCAR-Präsident plädiert nun für eine genaue Datenanalyse, bevor die nächsten Aero-Experimente in Angriff genommen werden. "Wir haben die Meinungen von einigen der Piloten, wonach sie einige der Charakteristiken des Aero-Pakets nicht mögen, zur Kenntnis genommen. In Gesprächen mit den Herstellern, den Fahrern, den Crewmitgliedern und den Teambesitzern können wir die Daten nun umfänglich aufnehmen", so Helton gegenüber 'SiriusXM NASCAR Radio'.

Mike Helton

NASCAR-Präsident Mike Helton will zunächst alle Eindrücke und Daten sammeln Zoom

Grundsätzlich geht es der NASCAR-Führung darum, "die wettbewerbsintensivste Form des Motorsports zu bieten", wie Helton betont. Im Klartext: "Unser Produkt auf der Rennstrecke muss den Fans gefallen. Das heißt, wir wollen engen Wettbewerb. Wenn man im Fahrerlager 15 bis 20 Leute fragt, wie man engen Wettbewerb erreichen kann, dann hat man 15 verschiedene Meinungen. In einem Punkt aber sind sich alle einig. Es braucht Überholmanöver, ein ausgewogenes Kräfteverhältnis und die Möglichkeit, sich durch das Feld arbeiten zu können. Es liegt jetzt an NASCAR, herauszufinden, mit welchem Regelpaket man all diese Punkte erreichen kann."

Die beiden anstehenden Sprint-Cup-Rennen auf dem Tri-Oval in Pocono (2. August) und dem Straßenkurs in Watkins Glen (9. August) werden mit dem Standard-Aero-Paket ausgetragen. Auf dem Michigan International Speedway (16. August) soll Stand heute noch einmal das High-Drag-Package zum Einsatz kommen, das in Indianapolis nur wenig überzeugt hat. Angesichts der Kritik der Fahrer ist es allerdings nicht auszuschließen, dass NASCAR kurzfristig doch mit einem anderen Michigan-Plan um die Ecke kommt.