• 28.07.2008 14:43

  • von Pete Fink

NASCAR, Goodyear und der Supergau

Nun hat es also auch die NASCAR erwischt - drei Jahre nach der Formel 1 erlebte NASCAR beim zweitwichtigsten Saisonrennen ein Indianapolis-Fiasko

(Motorsport-Total.com) - Der 19. Juni 2005 ging in die Motorsportgeschichte ein. Nachdem Ralf Schumacher mit seinem Toyota TF105 im Training zum United-States-Grand-Prix in Turn 13 einen Reifenschaden erlitt, informierte Reifenhersteller Michelin seine Formel-1-Teams, dass man die Sicherheit der französischen Gummis in Indianapolis nicht mehr gewährleisten könne.

Titel-Bild zur News: Goodyear Reifen

Die Goodyear-Reifen lösten sich nach nur zehn Runden in ihre Einzelteile auf

In Windeseile wurden einige Szenarios entworfen, die einen Supergau kurzfristig verhindern hätten sollen, sogar der Vorschlag einer zusätzlichen Schikane wurde auf den Tisch gelegt, die Turn 13 so entschärft hätte, dass die Michelin-Vertreter zumindest antreten hätten können.#w1#

Doch FIA, Hersteller und Teams waren nicht in der Lage, kurzfristig auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen und das Resultat ist bekannt: Nach der Einführungsrunde bogen die Michelin-Fahrzeuge in die Boxengasse ab, und ein armseliges Feld mit sechs verbliebenen Mohikanern fuhr ein Formel-1-Rennen, das der Königsklasse des Motorsports in den USA einen kaum mehr zu reparierenden Ruf einbrachte.

Etwas über drei Jahre später wiederholten sich die Dinge nun in der NASCAR. Was im Formel-1-Layout der ominöse Turn 13 war, ist im regulären Ovalbetrieb von Indianapolis Turn 1, und nun ist es bei weitem nicht so, dass wenig überhöhte Kurven im US-Motorsportgeschäft auch nur annähernd ein Neuland darstellen.

Keine gute Show im zweitwichtigsten Saisonrennen

Start Indianapolis NASCAR

Beim Start herrschte noch Optimismus, der sich jedoch bald verflüchtigte Zoom

Zudem herrscht in der NASCAR kein Konkurrenzkampf zweier Reifenhersteller, wie es 2005 mit Bridgestone und Michelin der Fall war. Und das 1909 gebaute 2,5 Meilenoval von Indianapolis ist wahrlich keine unbekannte Größe mehr, denn die StockCars drehen dort seit der Saison 1994 ihre Runden.

Umso unverständlicher erscheint das Fiasko, das NASCAR am gestrigen Sonntag erlitt, denn eigentlich waren alle Zutaten zusammen, um das zweitwichtigste Sprint-Cup-Rennen der Saison vor einer - trotz aller wirtschaftlichen Probleme - beeindruckenden Kulisse von über 200.000 Zuschauern abzuhalten.

Doch es kam anders. In regelmäßigen Abständen von zehn bis zwölf Runden rollte das Feld 160 Umläufe lang an die Box zum Reifenwechsel. Goodyear brachte einen Reifentyp an die Strecke, der sich an der rechten Fahrzeugseite der Boliden nach etwa acht Runden in seine Einzelteile auflöste, und eine Verbesserung im Rennverlauf durch mehr Gummi auf der Rennstrecke wollte sich nicht einstellen.

Unverbesserliche Optimisten könnten nun argumentieren, dass NASCAR im Vergleich zur Formel 1 immerhin in der Lage war, alle 43 Piloten an den Start zu bringen, doch dieses würde die Realität etwas verzerren. Denn was die Amerikaner von einem Motorsportereignis erwarten, ist eine gute Show - und ausgerechnet beim zweitgrößten NASCAR-Event des Jahres versagten alle Sicherungsinstrumente.

Kein Ford bei den Reifentests

Jack Roush

Jack Roush sparte nach dem Rennen nicht mit bissigen Kommentaren Zoom

2005 präsentierte sich die Formel 1 in Indianapolis als ein absolut egozentrisches Gebilde verschiedenster Interessen, das den US-Zuschauer aufgrund seiner Unbeweglichkeit befremdete. Lächerlich, peinlich lauten auch drei Jahre später die Attribute darüber, wie sich die Formel 1 damals auf dem so wichtigen US-Markt präsentierte, doch nun muss sich der Stolz der amerikanischen Motorsportwelt genau die gleichen Vorwürfe anhören.

Wenn auch aus anderen Gründen, denn die Unbeweglichkeit anno 2008 hatte andere Ursachen. Die Kernfrage lautet, warum NASCAR, Goodyear und der Indianapolis Motor Speedway keinen offiziellen Reifentest ansetzten. Sicher drehten Dale Earnhardt Jr. (Chevrolet), Brian Vickers (Toyota) und Kurt Busch (Dodge) im April ein paar Runden, doch etwa aus dem Ford-Lager wurde dazu kein einziges Fahrzeug eingeladen.

NASCAR-Teambesitzer Jack Roush, der starke Mann aus den Ford-Reihen, kommentierte dieses wie folgt: "Das liegt an Goodyear. In ihrer Weisheit wählen sie den Reifen aus, den wir brauchen und wir müssen so viele davon kaufen, wie sie uns verkaufen."

Darüber hinaus stellt sich die Frage, in wieweit ein minimal besetzter Reifentest im April den im Hochsommer-Juli herrschenden Temperaturen Genüge tun kann. Joie Chitwood, der verantwortliche IMS-Streckenchef, betonte jedenfalls: "Der Streckenbelag hat sich seit 2005 nicht verändert und ich glaube auch nicht, dass wir in näherer Zukunft den Belag ändern werden."

CoT und keine offiziellen Reifentests

Goodyear Robin Pemberton NASCAR

Große Ratlosigkeit herrschte bei Goodyear und bei Robin Pemberton Zoom

Auch der verwendete Reifentyp sei derselbe gewesen, den man bereits 2007 gefahren habe. Was als einziger Unterschied bleibt ist die Tatsache, dass man anno 2008 in Indianapolis mit dem neuen Car of Tomorrow (CoT) unterwegs war, das NASCAR als eine Art heilige Kuh betrachtet.

Mit dem alten Auto war es in der Vergangenheit so, dass sich der Gummiabrieb im Rennverlauf tatsächlich ausgewirkt hatte. Auch waren die verwendeten Reifen fast identisch zum Pocono-Rennen, dessen Charakteristik ganz ähnlich der von Indianapolis ist. Doch offenbar gelten diese Erfahrungswerte mit dem CoT nicht mehr.

Verwunderlich ist nur, dass NASCAR einen offiziellen Reifentest mit allen Teams als nicht hilfreich hinzustellen versuchte. "Ich glaube nicht, dass es mit einem offenen Test alleine getan gewesen wäre", erklärte Wettbewerbsdirektor Robin Pemberton nach dem Rennen. "Das hätte nicht geholfen."

Denn, so seine Argumentation weiter, selbst wenn man dabei Nachbesserungen gefunden hätte, hätte Goodyear keine Zeit mehr gehabt, diese auch umzusetzen. Seine Ursachenforschung kombiniert beide Möglichkeiten: "Das neue Auto und kein Test haben uns wahrscheinlich nicht geholfen. Die Oberfläche ist reifenmordend, aber wenigstens konnten wir in der Vergangenheit einen kompletten Benzin-Run unternehmen."

Ratlosigkeit an hohen Stellen

Goodyear Reifen

So präsentierten sich die Goodyears nach nur zehn Rennrunden Zoom

Dieser umfasst in Indianapolis etwa 30 Runden. Am Sonntag hielten die Goodyear-Reifen nur knapp ein Drittel der Distanz. NASCAR-Präsident Mike Helton jedenfalls war ratlos: "Ich weiß es nicht", lautete seine erste Erkenntnis. "Der Reifen ist der Gleiche wie 2007. Es gibt eine Menge an unbeantworteten Fragen."

Goodyear-Direktor Greg Stucker blies ins gleiche Horn: "Wir haben keine Antwort auf die Frage, warum sich der Reifenverschleiß im Rennverlauf nicht verbessert hat. 2007 hat sich das so verbessert, dass wir irgendwann einen vollen Benzin-Stint fahren konnten. Das ist heute nicht geschehen."

Angesichts dieser - zugegebenermaßen recht frühen - Erklärungsversuche kann man sich eines Eindrucks aber nicht erwehren: NASCAR und Goodyear haben sich offenbar auf die Daten der Vergangenheit verlassen und vollkommen unterschätzt, welch großen Einfluss das schwere CoT und dessen problematisches Handling auf die Reifen hatte.

Und man muss sich die Frage gefallen lassen, warum man ausgerechnet in Indianapolis - dem zweitgrößten NASCAR-Event der Saison - so unvorbereitet und gutgläubig angetreten ist. So war das Schlusswort von Sieger Jimmie Johnson absolut passend: "Es tut mir leid, dass ich meine Ehrenrunde nicht bis zur Gegengerade fahren konnte. Leider sind mir vor der Haupttribüne meine Hinterreifen geplatzt."