• 07.12.2007 18:04

  • von Pete Fink

Die Geschichte der NASCAR (1)

In einer neuen Serie wirft 'Motorsport-Total.com' in mehreren Teilen einen ausführlichen Blick auf die lange Historie, die hinter der NASCAR steht

(Motorsport-Total.com) - Was in den USA längst zu einem einmaligen Motorsportphänomen geworden ist, ist in Deutschland immer noch eine Motorsportserie, die für viele mit einigen großen Fragezeichen versehen ist. Die NASCAR hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer Gruppe abenteuerlustiger Whiskeyschmuggler zu einem motorsportlichen Koloss gemausert. 'Motorsport-Total.com' stellt die Motorsportserie vor, die nach europäischen Maßstäben bisweilen immer noch völlig zu Unrecht belächelt wird.

Titel-Bild zur News: Start Charlotte 1949

Der Start zu einem der ersten NASCAR-Rennen in Charlotte 1949

Wenn man es ganz pingelig genau nehmen will, dann geht die Geschichte der modernen NASCAR zurück bis in das Jahr 1791, und hat in einem Menschen namens Alexander Hamilton einen - wohl eher unfreiwilligen - Urheber. Denn Hamilton war nichts anderes, als der Finanzminister unter der Regierung von George Washington, und die noch junge amerikanische Republik steckte nach dem teuren Unabhängigkeitskrieg von 1775 bis 1783 in argen Finanzproblemen.#w1#

Hamilton handelte nun - bis heute für jeden Politiker - beispielhaft und überzeugte den US-Kongress, einfach eine nagelneue Steuer auf destillierten Alkohol, im Volksmund auch Schnaps genannt, einzuführen. Was Hamilton jedoch nicht bedachte, war die Tatsache, dass er damit vor allem die kleinen Farmer und deren Privatbrennereien in die Illegalität drängte, die sich in den vielen abgelegenen Teilen des Landes einen feuchten Kehricht um die sonderbaren Gesetzideen der Hauptstadtpolitiker scherten.

Was folgte, war eine große Welle dessen, was man im Deutschen unter dem Begriff Schwarzbrennerei kennt und dessen amerikanisches Synonym "Moonshining" lautet. Das wiederum bedeutet nichts anderes, als dass beinahe jeder Farmer irgendwo einen kleinen Destillationsapparat versteckt hatte, mit dem er sich und seine Familie mit Stoff versorgen konnte, da die offiziellen Ladenpreise unter der Steuerlast geradezu explodierten.

Moonshiner und Bootlegger

An den notwendigen Hauptzutaten, Mais und Zucker, mangelte es nicht und die zum großen Teil aus schottischen oder irischen Familien stammenden Neu-Amerikaner wussten aufgrund ihrer Herkunft durchaus, wie man einen guten Whiskey auch zuhause braut.

Red Byron Martinsville 1947

Red Byron nach seinem Sieg auf dem Dirt Track von Martinsville 1947 Zoom

Plötzlich bemerkten einige der Farmer, dass sich mit der Produktion und Verteilung von Moonshine ein recht ordentliches Nebeneinkommen verdienen ließ - und der Amerikaner, der freiwillig auf einen auf der Strasse liegenden Dollar verzichtet, muss wahrscheinlich noch geboren werden.

Über die Jahre stand noch das Problem eines professionellen Moonshine-Distributionsnetzes an, und die Erfindung des Automobils kam den Schwarzbrennern da gerade recht - vor allem da allzu puritanische US-Regierungen zwischen 1851 und 1916 die Prohibition in nicht weniger als 23 Bundesstaaten eingeführt hatten.

Fast überall gab es also Dry Countys, aber die Zahl der "Good Ol'Boys", die dem langen Arm des Gesetzes mit ihren aufgemotzten Schlitten entgingen, war größer. Diese verwegenen Jungs, die in der Lage waren, PS-starke Boliden bei Nacht und Nebel auf entlegenen Nebenstrecken so zu fahren, dass ihre kostbaren Schnapslieferungen nicht kaputt gingen und die Polizei trotzdem das Nachsehen hatte, nannte man "Bootleggers".

Prohibition und Schmuggelrouten

Zwar wurde 1933 die Prohibition wieder aufgehoben, die einzelnen Bundesstaaten behielten aber das Recht, eigene Alkoholgesetze zu erlassen, also etwa ein Alkoholmonopol einzuführen, das unter Umständen alle Getränke erfassen und den Ausschank in Gaststätten verbieten konnte. Die Moonshining-Industrie war zu diesem Zeitpunkt jedoch längst zu einem Multi-Millionen-Dollar-Geschäft geworden.

Junior Johnson

Junior Johnson war der legendärste aller Bootlegger und später Teambesitzer Zoom

Die Fahrzeuge der Bootleggers waren mit einer getunten Maschine versehen, die zum damaligen Zeitpunkt etwa 115 PS hervorbrachten, während die Polizeiautos auf nur geschätzte 95 Pferdestärken kamen. Zudem experimentierten die Fahrer damals bereits mit speziellen Federn und Stoßdämpfern, um mit teilweise gewagten Fahrmanövern die Gesetzeshüter austricksen zu können.

Eine der Hauptschmuggelrouten war der US Highway 421, der die abgelegenen Hügel der Appalachen mit den großen Städten Winston-Salem, Greensboro und Charlotte verband. Dies ist das heutige Gebiet von North Carolina, was nach wie vor das Zentrum des US-amerikanischen Motorsports darstellt.

"Die Moonshiners haben mehr Zeit, Energie, Gedanken und Liebe in ihre Autos gesteckt, als das jeder Rennfahrer überhaupt jemals machen kann", stellte Junior Johnson einmal fest. "Wenn du auf der Rennstrecke verlierst, dann gehst du nach Hause. Wenn du aber eine Ladung Whiskey verlierst, dann gehst du ins Gefängnis."

Bill France und der Daytona Beach

Junior Johnson ist der wohl mit Abstand legendärste Bootlegger, dessen "Bootleg-Turn", eine 180-Grad-, oder U-Turn-Vollgas-Wendung auf einer engen Nebenstrecke, bis heute den legitimen Urheber jeder zweiten Autoverfolgung in den weltweiten Kinos darstellt. Unter dieser Tradition versteht man übrigens auch die amerikanische Vorliebe für spektakuläre Autoverfolgungsjagden.

William Bill France NASCAR Gründer

NASCAR-Gründer William "Bill" France leitete die NASCAR von 1947 - 1972 Zoom

Natürlich trafen sich die Bootlegger der verschiedenen Countys in ihrer Freizeit und diskutierten eifrig darüber, wer denn nun der Beste sei und wessen Fahrzeug das Leistungsfähigste wäre. Es entstanden erste Kräftemessen, die in der Folge immer größer wurden - bis ein gewisser William "Bill" France irgendwann auf die Idee kam, organisierte Rennen auf einem gesonderten Terrain für die Bootlegger zu veranstalten

France war ein 1935 aus Washington D.C. nach Florida ausgewanderter Mechaniker, der damals vor den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise geflüchtet war. Seit 1936 nahm er als aktiver Pilot an verschiedenen lokalen Rennen teil, doch er war es, der die bis dato versprengten Bootleggers schließlich einigen sollte.

Im Sommer 1938 fand auf dem abgesperrten Strand von Daytona Beach, Florida, das erste offizielle Rennen für interessierte Bootlegger aus allen Countys statt. Der Sieger erhielt damals eine Flasche Rum, eine Kiste mit Zigarren und einen Kanister Motoröl. Bill France fuhr natürlich selbst mit und beendete das Rennen auf dem 5. Platz.

Stock Cars und das passende Regelwerk

Der zweite Weltkrieg sollte diese neue Idee zwar zeitweilig unterbrechen, auf der anderen Seite hatte er jedoch auch eine positive Auswirkung. Denn nach dem Krieg entstand durch die zurückkehrenden Soldaten plötzlich ein großer Bedarf an völlig neuen Modellen, und so wurde der Gebrauchtwagenmarkt mit einer ganzen Reihe von billigen Vorkriegsmodellen gesättigt, die für Jedermann erschwinglich waren.

Talladega 2000 Dale Earnhradt Senior

Die Definiton eines Stock Cars hatte viele Jahre Bestand im Regelwerk Zoom

Jedes County hatte bald seine eigene Organisation für Autorennen, was jedoch fehlte, waren einheitliche Regeln und ein einheitlicher, überregionaler Auftritt. Wieder war es Bill France, der am 14. Dezember 1947 35 lokale Veranstalter in Daytona zusammenzog und eine Organisation ins Leben rief, deren Regelwerk und Spezifikationen für Autorennen mit ganz normalen Fahrzeugen aus den Schaufenstern der lokalen Händler bestand.

Denn ein Stock Car ist ein Fahrzeug, welches - im ursprünglichen Sinn - nicht modifiziert wurde, nachdem es in der Fabrik vom Band gelaufen war. Später wurde die Definition etwas weiter ausgedehnt, doch der Begriff Stock Car dient nach wie vor als klare Abgrenzung zu einem Race Car, dem keinerlei Absicht unterstellt wird, jemals als normales Transportmittel zu dienen.

Es entstand eine der heute weltweit größten Motorsport-Organisationen, deren Präsident Bill France bis in das Jahr 1972 bleiben sollte, die "National Association for Stock Car Auto Racing" - kurz NASCAR.

Übrigens: Was Bill France sicher nicht bewusst war, ist, dass der 14. Dezember just der Tag war, an dem Finanzminister Alexander Hamilton im Jahr 1791 den Gesetzesvorschlag im US-Kongress einbrachte, nach dem später die Whisky-Steuer verabschiedet wurde. Und: Der 14. Dezember ist gleichzeitig der Todestag von George Washington.

Dirt Tracks und die ersten Tricks

Erschwingliche Autos, eine große Historie und vor allem die Idee, Rennen mit reinen Serienwagen durchzuführen, machten die Idee von Bill France schnell zu einem Riesenerfolg. Die Zuschauer konnten hier ihr eigenes Modell fahren und siegen sehen, und strömten in Scharen an die Strecken, auf denen die zunächst "Strictly Stock Division" genannte Serie aktiv war.

Jim Roper Charlotte 1949

Der aus Kansas stammende Jim Roper gewann in Charlotte im Jahr 1949 Zoom

Die Rennpromoter hatten plötzlich richtig Geld in der Tasche, die sie sofort in den Bau neuer Strecken investierten. Die Fahrer kamen mit einem relativ kleinen Budget aus und konnten mit ihrem Rennfahrzeug auf öffentlichen Straßen zum Event fahren.

Gefahren wurde damals auf Dirt-Track-Ovalen, also zumeist nicht asphaltierten Strecken, die so angelegt waren, dass die Zuschauer jederzeit jeden Winkel der Strecke einsehen konnten. Der Untergrund bestand fast immer aus Sand oder Asche, der - heute undenkbar - mit einem Schlackegemisch aus Altöl oder Teer verfestigt wurde.

Staubentwicklung wurde dadurch verhindert, dass der Belag vor einem Rennen bewässert wurde und die Länge der Strecke war abhängig von der Größe des zur Verfügung stehenden Areals. Zwei Geraden und zwei Kurven - mehr brauchte man nicht. Allentscheidend war ein starker Motor und mit einem Blick auf die NASCAR-Superspeedways von Daytona oder Talladega hat sich bis heute prinzipiell nicht allzu viel verändert.

Win on Sunday, sell on Monday

Natürlich war ein Erfolg bei einem NASCAR-Rennen nicht nur der Beweis der Fahrkünste der Bootleggers, sondern auch ein deutliches Indiz über die Qualität der verwendeten Automarke, schließlich konnte man sich den jeweiligen Siegerwagen am Montag beim Händler kaufen. "Win on Sunday, sell on Monday", dieser Spruch stammt aus genau jener Zeit.

Ford

Ford ist eine der Marken, die in der NASCAR eine lange Tradition besitzen Zoom

Das blieb natürlich auch den US-amerikanischen Herstellern im fernen Detroit nicht verborgen, denn der Erfolg und die Zahl der nun "Grand National" genannten Serie war rasant. Cadillac, Chevrolet, Ford, Chrysler, Buick, Lincoln, Mercury, Oldsmobile, Plymouth, Pontiac - alles wohlklingende Namen, fast alle Marken, die ein Modell mit einem richtig starken Triebwerk unter der Haube hatten, waren von Beginn an beim "Grand National" am Start.

Die beiden großen Probleme der damaligen Zeit waren zum einen die Reifen, denn Rennreifen im heutigen Sinne gab es damals nicht. Es wurden die abenteuerlichsten Konstruktionen verwendet, wie das Beispiel von Tim Flock verdeutlicht. Er ließ in sein Auto eine Klappe ins Bodenblech einbauen, die über eine Kette bei Bedarf geöffnet werden konnte.

So hatte Flock einen Kontrollblick auf seinen rechten Vorderreifen und wusste immer genau, dass er dringend an die Box kommen müsste, wann immer sich weiße Flächen auf der Lauffläche des Reifens offenbarten. Auch Gurte oder Überrollkäfige gab es nicht. Letztere wurden 1952 vorgeschrieben, doch auf der Suche nach Versteifungen im Oval-Verkehr wurde man auch zuvor schon fündig, und schweißte das eine oder andere Bettgestell ins Auto.

Darlington als erstes Asphalt-Oval

Der Darlington Raceway war 1950 das erste komplett asphaltierte NASCAR-Oval mit einer originalen Streckenlänge von 1,25 Meilen oder knapp über zwei Kilometern. Harold Brasington war der Erbauer und die - heute so typische - Eiform vieler NASCAR-Speedways entstand aus einer einfachen Notwendigkeit.

Darlington

Der Darlington Raceway war 1950 das erste Asphaltoval der NASCAR Zoom

Denn eigentlich war Brasington vom Indianapolis Motor Speedway inspiriert, doch das auserwählte Grundstück in Darlington, South Carolina fiel deswegen kleiner aus, weil der verkaufende Farmer an einer Ecke mehrere Fischteiche angelegt hatte, die er unangetastet sehen wollte.

So entstand ein Speedway, der die Teams bis heute vor eine große Herausforderung stellt, weil die westliche Kurve aus Platzgründen wesentlich steiler und enger ist, während die östliche Kurve dem flachen und weiträumigen Layout von Indianapolis nachempfunden wurde.

Am ersten Montag im September 1950, dem amerikanischen Labor-Day, wurde das erste Southern 500 ausgetragen, was in der Folge zu einem der klassischen NASCAR-Events heranreifen sollte. Die Qualifikation dauerte ganze zwei Wochen und über 80 Fahrer wollten dabei sein. Das Rekord-Preisgeld belief sich damals auf 25.000 US-Dollar. Erst im Jahr 2005 wurde das Southern 500 eingestellt, was übrigens viele eingefleischte NASCAR-Fans auf die Palme brachte.

Der zweite Teil der NASCAR-Geschichte auf 'Motorsport-Total.com' folgt in den nächsten Tagen.

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