• 10.02.2011 11:43

  • von Pete Fink

"We lost Dale Earnhardt": Zehn Jahre danach

Ein trauriges Jubiläum steht an: Am 18.02.2001 starb Dale Earnhardt - was ist damals passiert und welche Konsequenzen hatte dieser schreckliche Unfall?

(Motorsport-Total.com) - Es jährt sich 2011 zum zehnten Mal. Dale Earnhardt, der siebenfache NASCAR-Champion, der "Working-Class-Hero", der "Intimidator", die große NASCAR-Legende verlor beim Daytona 500 in der letzten Kurve der letzten Runde sein Leben. Die NASCAR-Nation stand nicht nur unter Schock, nach dem 18.02.2001 war nichts mehr, wie es vorher war. Dieser Tag änderte alles. Ein völlig unscheinbarer Allerweltsunfall hatte furchtbare Konsequenzen.

Titel-Bild zur News: Dale Earnhardt 1996

Vor zehn Jahren starb die große NASCAR-Legende Dale Earnhardt

Was ist an diesem Tag geschehen? Der damals 49-jährige Dale Sr. hatte kurze Zeit zuvor seinen Vertrag bei Richard Childress Racing ein letztes Mal bis Ende 2003 verlängert. Längst war sein Augenmerk auf den Aufbau seines eigenen Teams Dale Earnhardt Inc. gerichtet. Dort fuhr in der Saison 2001 neben Dale Earnhardt Jr. und Steve Park auch Neuzugang Michael Waltrip einen dritten DEI-Chevy.

Der heutige Sprint-Cup-Teambesitzer Waltrip hatte damals bereits 462 Cup-Rennen absolviert, ohne jemals einen einzigen Sieg herausfahren zu können. Der kleine Bruder des großen Darrell Waltrip, seines Zeichens ein dreifacher NASCAR-Champion, galt als ewiges Talent, dem Teamowner Earnhardt sozusagen eine allerletzte Chance gab.

Drei Tote in der Vorsaison

Dale Earnhardt Senior und Junior

Talladega 2000: Der 76. und letzte Earnhardt-Sieg Zoom

Damals gab es zahlreiche Diskussionen zum Thema Sicherheit. Adam Petty, Kenny Irwin und Truck-Pilot Dean Roper ließen allesamt in der Saison 2000 ihr Leben. Das HANS-System war nicht vorgeschrieben, alte NASCAR-Haudegen wie Earnhardt vertrauten sogar noch auf Halbschalenhelme und einfache Metallsitze. Auch die Soft-Walls oder Safer-Barrier befanden sich damals erst in der Entwicklungsphase.

Und weil das Daytona 500 des Vorjahres mit nur neun Führungswechseln recht unspektakulär war, führte NASCAR schon im Oktober 2000 in Talladega kleine aerodynamische Änderungen ein, um das Renngeschehen auf den Restrictor-Plate-Strecken aufzufrischen. Dieses Rennen, das Winston 500, gewann Dale Earnhardt Sr. am 15.10.2000 in beeindruckender Manier. In den letzten fünf Runden stürmte er von Rang 19 auf eins. Es sollte sein 76. und letzter Sieg werden.

In genau dieser Konfiguration wurde auch in Daytona gefahren, was vielen Piloten nicht gefiel. "Es tut mir leid, aber das ist kein Rennsport mehr", schimpfte zum Beispiel Dale Jarrett, seines Zeichens NASCAR-Champion des Jahres 1999. Sein direkter Nachfolger Bobby Labonte sagte vor dem Rennen: "Es ist beängstigend, wenn es 45 oder mehr Führungswechsel gibt." Der amtierende NASCAR-Titelträger sollte Recht behalten.

Auf dem Weg zum Dreifachsieg

Dale Earnhardt Jr. und Sr.

Vater und Sohn: Der Teamchef und der junge Nachwuchspilot Zoom

In einem wilden Daytona-Rennen geschah 26 Runden vor dem Ende ein spektakulärer Massencrash mit einem Überschlag von Tony Stewart. Stewart wurde mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht. Labonte, sein damaliger Gibbs-Teamkollege, war ebenfalls verwickelt und begleitete ihn. "Er wusste, wer gerade unser Präsident war, das hat mich beruhigt", wird Labonte zitiert.

Dann ging es in die letzte Runde: Vorne lag Michael Waltrip, dicht gefolgt von Dale Earnhardt Jr., beide in einem Chevrolet von Dale Earnhardt Inc. Auf Rang drei fuhr Dale Sr., der sichtlich damit beschäftigt war, die Konkurrenz zu blocken. Eine Übung, in der er der absolute Meister war, denn kein anderer Pilot war in der Lage, das Heck seines Autos so breit zu machen wie der siebenfache NASCAR-Champion.

Es war die klassische "Three-Wide-Situation", wie sie in Daytona unzählige Male zu beobachten ist: Unten Sterling Marlin, in der Mitte Dale Sr., oben Ken Schrader. Hinter Dale Sr. holt Rusty Wallace auf. Earnhardt und Marlin berühren sich leicht, das Heck der schwarzen Drei bricht erst nach links aus, dann nach rechts. Earnhardt gerät auf den Apron, korrigiert und schießt quer über die Fahrbahn in Richtung äußere Streckenbegrenzung. Er erleidet noch einen Treffer von Schrader und schlägt dann in einem recht spitzen Winkel in die Mauer ein.

"We lost Dale Earnhardt"

Dale Earnhardt Sr.

Eine NASCAR-Legende: Dale Earnhardt Sr. gewann sieben Titel Zoom

In der Live-Übertragung blieb 'Fox' auf dem Siegerduo Waltrip/Dale Jr., der Earnhardt-Unfall war im Bildhintergrund gar nicht genau zu erkennen. In Unkenntnis der dramatischen Situation bejubelte Darrell Waltrip in der Kommentatorenbox den Sieg seines kleineren Bruders, als sein Kollege Larry McReynolds, Earnhardts ehemaliger Crewchief, die Frage stellte: "Was ist mit Dale? Ist er okay?" Nichts war okay. Die Kamera schwenkte nun vom Sieger auf die verunfallte Nummer 3. Das Fensternetz, ansonsten ein untrügliches Zeichen für "es ist alles in Ordnung", blieb oben.

Das Drama nahm Gestalt an: Ken Schrader traf als Erster am Unfallauto ein, nahm das Fensternetz von außen ab, blickte in das Cockpit und forderte wild gestikulierend medizinische Hilfe an. Sein Gesicht war aschfahl, als die erste TV-Crew am Unfallort eintraf. "Wir müssen beten", lautet die erste Aussage eines geschockten Schraders.

Auch heute schüttelt man beim Betrachten der Bilder nur mit dem Kopf: Wie kann ein derart harmlos aussehender Unfall tödlich enden? Oder wie es Richard Petty damals formulierte: "Ich dachte nur: Das kann doch nicht möglich sein. Niemals. Ich meine, ich bin oft in die Mauer gekracht, er ist oft in die Mauer gekracht. Und um vieles härter als das hier. Aber das ist halt Schicksal, das sind Umstände, in denen man ganz einfach nicht drinsteckt."

Doch es war zu spät: NASCAR-Präsident Mike Helton musste knapp drei Stunden später mit Tränen in den Augen und niedergeschlagener Stimme die unvergessenen Worte sagen: "We lost Dale Earnhardt." Auch einer der Doktoren der Unfallstelle war bei der Pressekonferenz anwesend. "Er zeigte niemals Anzeichen von Leben", berichtete Dr. Steve Bohannon. "Um 17:16 Uhr Ortszeit erklärten ihn alle anwesenden Ärzte für tot. Die Todesursache waren Kopfverletzungen, speziell im unteren Bereich des Genicks. Diese Verletzungen beendeten sein Leben."

Von HANS bis zum CoT

Carl Edwards

Nicht nur Carl Edwards weiß, wie sicher die aktuellen CoT-Fahrzeuge sind Zoom

In der Folge konzentrierten sich die Untersuchungen auf das Gurtsystem, es folgte ein unschöner Prozess gegen den Gurt-Hersteller. Insgesamt ließ sich NASCAR die ganzen Untersuchungen über eine Million US-Dollar kosten. Im August 2001 wurde dann eine offizielle Stellungnahme veröffentlicht, in der von einer "Verkettung zahlreicher Umstände" die Rede war: Der Winkel, in dem das Earnhardt-Auto in die Mauer krachte, der abrupte Stopp, der schlussendlich zu den Verletzungen am Genick führte und natürlich das Problem mit dem nicht ordnungsgemäß installierten Gurt.

Offenbar riss der Gurt beim Aufprall an einer der Metallführungen des Sitzes. Daraufhin wurde Earnhardt beim Aufprall mit dem Gesicht in das Lenkrad, und unmittelbar danach zurück in den Metallsitz geschleudert. Wie gesagt: Er trug einen Halbschalenhelm und kein HANS. Heute weiß man, dass die Einschlaggeschwindigkeit nur bei 44 Meilen oder 70.811 km/h lag. Doch diese relativ niedrige Geschwindigkeit war in diesem speziellen Fall nicht entscheidend.

Was bleibt, ist die sehr wahrscheinliche Vermutung, dass Earnhardt mit einem modernen Sitz, einem HANS-System und den Safer-Barrier unverletzt aus dem Auto gestiegen wäre. HANS wurde seitens NASCAR unmittelbar nach dem Crash vorgeschrieben, die Soft-Walls folgten. Als weitere direkte Folge des Earnhardt-Unfalls begann NASCAR auch mit der Implementierung der Black-Box, die die Schwere des Einschlags messen kann.

Die Auswirkungen der Earnhardt-Tragödie sind heute in noch einem weiteren wichtigen Element zu sehen, denn man begann danach mit der Entwicklung des Car of Tomorrow. "Es gibt auf diesem Planeten keinen Menschen, der verhindern kann, dass die Sonne auf und untergeht", lautet das dementsprechende Zitat von Richard Petty. "Wir bekommen neue Präsidenten, wir bekommen neue Päpste, aber das Leben geht weiter. Keiner kann die Zeit daran hindern, weiter zu marschieren." Aber sie ändert sich. Teilweise sogar massiv.

Bitterer Tag für Waltrip und Marlin

Sterling Marlin

Sterling Marlin trifft keinerlei Schuld am Earnhardt-Unfall Zoom

Für den Daytona-Sieger Michael Waltrip ist der 18.02.2001 nach wie vor ein extrem bitterer Tag. Es war sein großer Erfolg, der binnen Sekunden zu einem Fiasko wurde. "So ein unglaublicher Sieg - und ein paar Sekunden später ein unvorstellbarer Verlust", schreibt Waltrip in seinem Buch "In the blink of an eye". "Dieser Gegensatz hat mich durch ein Leben stolpern lassen, dass ich gar nicht führen wollte. Er erinnert mich permanent an einen Tag, den ich verzweifelt zu vergessen versuche."

Sterling Marlin hat heute eine Farm irgendwo in Tennessee. Ende 2009 erklärte der heute 53-Jährige seinen Rücktritt vom aktiven Rennsport. Das Daytona 500 gewann er 1994 und 1995 zweimal in Folge. Doch auch an ihm gingen die Ereignisse des 18. Februar 2001 nicht spurlos vorüber. Es war der Kontakt mit seinem Fahrzeug, der Earnhardt in den tödlichen Unfall schickte. Ein Allerweltsbump im Kampf um einen Daytona-Sieg.

2001 war Marlin in Top-Form. Er gewann drei Tage zuvor sein Gatorade-Duel. Dann dieses Three-Wide-Finale: "Es war verrückt", erinnert sich Marlin. "Jeder hat alles versucht, um sich in eine gute Position zu bringen, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein." Neben Earnhardt, Marlin, Schrader und Rusty Wallace auch Ricky Rudd, Bill Elliott, Bobby Hamilton und Jeremy Mayfield knapp dahinter.

"Ich habe nichts getan", sagt Marlin. "Ich fuhr soweit unten, wie ich nur konnte, als Rusty hinter ihm auftauchte. Vielleicht kam er deswegen ein wenig ins Übersteuern. Wir haben uns ganz leicht berührt und das hat uns beide auf den Apron gebracht. Er hat zuviel korrigiert und schoss dann quer über die Rennstrecke."

Schrader und die Hilflosigkeit

Ken Schrader BAM

Kenny Schrader wusste sofort, wie es um Dale Earnhardt Sr. stand Zoom

Den NASCAR-Fans war dies egal. Sie suchten einen Schuldigen und fanden ihn in den Reihen von Chip Ganassi Racing, das Team, für das Marlin damals fuhr. Die Sicherheitsleute bildeten einen Ring um den Ganassi-Truck, einer schrieb: "Sterling, ich werde dich umbringen", auf Marlins Souvenir-Trailer. "Sie brauchten einen Schuldigen", ist sich Marlin sicher. Der ganze Spuk dauerte aber nur eine Woche. Dann ging Dale Earnhardt Jr. bei der Fahrervorstellung des nächsten Rennens auf der großen Bühne demonstrativ zu Marlin und umarmte ihn. "Jede Anschuldigung gegen irgendjemanden ist lächerlich", lautete das deutliche Statement von Dale Jr. Die Fans hörten zu.

Kenny Schrader war der Erste, der am Unfallauto eintraf. Er blickte in das Cockpit und begann sofort mit den Armen zu winken. Schraders heftige Reaktion war es, die das Szenario eines harmlos scheinenden Unfall binnen Sekundenbruchteilen kippen ließ. Auch für ihn ein sehr bitterer Moment, der auf ewig im Gedächtnis bleiben wird.

"Ich wusste sofort, dass er tot war", sagt Schrader. "Aber ich wollte nicht derjenige sein, der sagt, dass Dale tot ist. Das Schlimmste, was mir je passiert ist, war das Gesicht von Richard Childress im Hospital. Er hat den Vorhang zurückgezogen und mich gefragt, was los sei. Ich sagte ihm, dass es nicht gut aussieht. Er wollte wissen, ob Dale eine Zeitlang ausfallen würde. Ich habe ihn angesehen und gesagt: 'Nein Richard, ich bin kein Doktor. Aber es sieht nicht gut aus.' Ich konnte es einfach nicht sagen."

Für Schrader ist niemand schuld: "Es gibt eine Menge Geld zu verdienen. Wenn du ein Auto überholen kannst, dann gibt es einen größeren Scheck. Das ist alles, was passiert ist. Jeder hat so viel Gas gegeben, wie er konnte." Doch er weiß: "Das hätte niemals passieren dürfen. Ich spreche dabei nicht vom Unfall, ich meine die Tatsache, dass Dale durch diesen Unfall getötet wurde. Die gesamte Verkettung der Umstände, die zu seinem Tod geführt haben, hätte niemals geschehen dürfen."