Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Der Kampf für die letzten freien Plätze für 2018 ist im vollen Gange: Scott Redding verschlechterte seine Ausgangslage und bangt um seinen Platz in der MotoGP

Titel-Bild zur News: Scott Redding

Scott Redding erlebte am Sachsenring ein katastrophales Wochenende Zoom

Liebe Leser,

ein weiteres elektrisierendes MotoGP-Wochenende liegt hinter uns. Den Zuschauern am Sachsenring wurde in allen drei Klassen spannender Motorsport geboten. Auf den in diesem Jahr leider nicht ganz so vollen Rängen herrschte gewohnt gute Stimmung. Vor allem beim Gänsehautmoment des Wochenendes - dem Podium von Lokalmatador Jonas Folger - wurde es auf der Traditionsrennstrecke richtig laut. Und selbst der Wettergott outete sich als MotoGP-Fan, denn im Gegensatz zu den verregneten Trainingstagen blieb es am Renntag trocken.

Mit dem Grand-Prix-Wochenende auf dem Sachsenring endete wie in den vergangenen Jahren die erste Saisonhälfte. Die Rennen auf der kürzesten Strecke im WM-Kalender waren für die Titelaspiranten wichtig, um noch einmal möglichst viele Punkte für die Meisterschaft zu holen, denn zu Beginn der zweiten Saisonhälfte geht es Schlag auf Schlag: Brünn, Spielberg, Silverstone. Im August werden an vier Wochenenden drei Rennen gestartet. Ein gutes Selbstvertrauen ist extrem wichtig, da Vorentscheidungen denkbar sind.

Am Sachsenring leisteten sich die großen Favoriten keine Schwächen. In allen drei Klassen setzten sich die Fahrer durch, die in meinen Augen auch am Saisonende vorne liegen werden. Doch nicht nur die WM-Favoriten standen beim Deutschland-Grand-Prix im Fokus. Die Rennen unmittelbar vor und nach der Sommerpause sind mit Blick in die Zukunft entscheidend, denn die Vertragsverhandlungen befinden sich in vollem Gange.


Fotos: MotoGP in Assen, Girls


Zukunftssorgen

Glücklich schätzen können sich diejenigen, die ihre Zukunft schon dingfest gemacht haben. Im Gegensatz zur vergangenen Saison haben alle Spitzenfahrer feste Verträge. Doch in den kleineren Teams wackeln einige Stühle. Und das bringt mich zu dem Fahrer, der nach dem neunten von 18 Rennen mit Sicherheit keinen ruhigen Schlaf hatte: Scott Redding.

Scott Redding

Kein Vertrag für die Saison 2018: Scott Redding droht das Aus in der MotoGP Zoom

Der Brite, der seit der vergangenen Saison bei Pramac-Ducati fährt, sollte bei der Dutch TT und beim Sachsenring-Grand-Prix eine Visitenkarte für die kommende Saison abgeben. Diese Mission scheiterte. Deutlich. Die bittere Realität lautet: Null Punkte in beiden Rennen, Vorletzter in der Startaufstellung und mehr als eine Minute Rückstand beim Rennen auf dem Sachsenring. Reddings Selbstvertrauen ist mit dem Beginn der Sommerpause am Boden. Die Ausgangsposition für bevorstehende Verhandlungen könnte kaum schlechter sein.

Petrucci stellt Redding in den Schatten

Während Redding im vergangenen Jahr auf Augenhöhe zu Teamkollege Danilo Petrucci fuhr, hat er in der laufenden Saison zur Halbzeit gerade einmal die Hälfte an Punkten auf dem Konto. Einige Stimmen behaupten, dass Reddings Untergang bereits in der vergangenen Saison eingeleitet wurde. Damals unterlag er knapp im teaminternen Duell und verlor den Kampf um die heiß begehrte 2017er-Ducati, die Petrucci seit den Wintertests pilotiert. Ich teile diese Meinung nicht.

Scott Redding

Keine Haftung, kein Selbstvertrauen, keine Ideen: Redding nur 20. im Rennen Zoom

Warum? Aspar-Pilot Alvaro Bautista zeigt regelmäßig, wozu die 2016er-Ducati fähig ist. Beim Rennen auf dem Sachsenring war der Spanier bester Ducati-Pilot. Bautista setzte sich sogar gegen die Werksmaschinen von Andrea Dovizioso und Jorge Lorenzo durch. Und auch gegen Petrucci, der sorgenfrei in die Ferien gehen kann, denn im Rahmen des Rennwochenendes auf dem Sachsenring verlängerte der charismatische Italiener bei Pramac.

Es war nicht das erste Rennen der Saison, in dem eine Vorjahresmaschine aus Ducati-Sicht die Kohlen aus dem Feuer holte. Viele Ausreden hat Redding nicht für das seiner Meinung nach "schlechteste Rennen der Karriere". Wie ernst die Situation für den Moto2-Vizeweltmeister von 2013 ist, verdeutlicht ein Social-Media-Posting vom Sonntagabend.

Emotionale Botschaft

"Wenn ich behaupten würde, dass ich glücklich in die Sommerpause gehe, dann würde ich lügen. Ich gebe jedes Mal mein Bestes, wenn ich auf das Motorrad steige. Meistens war es in diesem Jahr nicht einfach für mich", teilt Redding seinen Fans mit. "Ich weiß, dass ich es besser kann. Ich bin zu den Medien und meinen Fans immer sehr offen und ehrlich. Ich weinte heute beinahe bei einigen Interviews, weil ich mit dem Herzen fahre."

In diesem Jahr bestreitet der groß gewachsene Brite seine vierte Saison in der Königsklasse. Es könnte seine vorerst letzte MotoGP-Saison sein. Platz zwölf in der Debütsaison war das bisher beste Saisonfinish. Zu wenig, um sich für ein fünftes Jahr im Haifischbecken MotoGP zu empfehlen. Mit MotoGP-Laufsieger Jack Miller steht ein potenzieller Nachfolger bereit. Gerüchten zufolge hätte der Australier längst bei Pramac unterschrieben, wenn die Gehaltsforderungen nicht zu hoch wären.

Dass die Zukunft am seidenen Faden hängt, dürfte für Reddings Psyche nicht zuträglich sein. Bereits beim Barcelona-Rennen wirkte er niedergeschlagen. Die Situation verschlechterte sich von Rennen zu Rennen. Redding ahnte, dass Pramac nach einer Alternative sucht. Während Teamkollege Petrucci ein Highlight ans nächste reihte, kämpfte Redding um Top-15-Ergebnisse.

Doch wer am Willen des 24-jährigen Mann aus Quedgeley zweifelt, dem ist vielleicht nicht bewusst, welche Entbehrungen erforderlich waren, um den Weg in die MotoGP zu gehen. In den kleinen Klassen kämpfte Redding jahrelang mit seiner Größe. Zwischenzeitlich trieb der vierfache Grand-Prix-Sieger seine Diät so weit, dass ihm die Kraft ausging, um eine Moto2-Maschine zu bewegen. Während die anderen Fahrer Pasta schaufelten, knabberte Redding in der Mittagspause an seinen Reiswaffeln. Erst als er wieder an Gewicht zulegte, lief es sportlich besser.

Redding mental zu schwach?

Ich bin überzeugt, dass Redding einen Platz in der MotoGP verdient hat. Das Talent dazu hat er in meinen Augen. Die psychische Stärke eines Marc Marquez oder Maverick Vinales fehlt ihm aber. Und das ist das Problem. Ich bin überzeugt, dass sich durch die anhaltenden Misserfolge Blockaden gebildet haben, die Redding daran hindern, seine natürlichen Fähigkeiten abzurufen. Gelöst werden solche Blockaden aber nur durch Erfolgserlebnisse. Und diese liegen im Fall von Redding weit zurück.

Scott Redding

In der Moto2 gewann Redding drei Grand Prix und wurde Vizeweltmeister Zoom

Seine Aussagen nach dem Rennen auf dem Sachsenring decken meine Theorie: "Ich bin frustriert, denn ich erwartete in diesem Jahr mehr, doch es scheint, als ob es aus irgendeinem Grund immer schlimmer wird. Es ist schwer, für die Positionen zu kämpfen, auf denen ich mich sehe. Ich erreiche diese Ergebnisse nie", gesteht Redding. Hilft hier nur noch ein konsequenter Neustart? Sehen wir Redding in der kommenden Saison in einer anderen Serie? Spätestens Ende August dürften die Würfel fallen.

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat

Lin Jarvis: Der Yamaha-Rennleiter musste erneut zusehen, wie sich Valentino Rossi und Maverick Vinales mit der 2017er-Yamaha im Verfolgerfeld abmühen. Ein weiteres Mal wurde die Yamaha-Werksmannschaft vom Kundenteam geschlagen. Von einem MotoGP-Rookie. Eine Rückkehr zur offensichtlich deutlich ausgewogeneren Vorjahres-M1 ist für Yamaha nach wie vor kein Thema. Jarvis dürften die extrem wechselhaften Vorstellungen seiner Fahrer auch mit Blick auf die zweite Saisonhälfte große Sorgen bereiten. Jahrelang hatte die Yamaha M1 den Ruf inne, das ausgewogenste Motorrad im MotoGP-Feld zu sein. Davon ist man in meinen Augen momentan weit entfernt. Wenn sich die Situation nicht verbessert, dann zieht Marquez wie im vergangenen Jahr in der WM-Wertung davon.

Jorge Lorenzo: Der erfolgsverwöhnte Ex-Champion tritt weiterhin auf der Stelle und hätte sich erneut für die Hauptrolle in unserer Montagskolumne qualifiziert. Auch am Sachsenring fiel Lorenzo nach einer starken Startphase Runde um Runde zurück. Nicht nur Teamkollege Andrea Dovizioso sah erneut vor Lorenzo die Zielflagge. Auch Aspar-Pilot Alvaro Bautista kam vor Lorenzo ins Ziel. Ich erkenne keinen Aufwärtstrend. Nicht einmal ansatzweise. Umso gespannter bin ich, wie es bei Ducati in der zweiten Saisonhälfte weiter geht.

Ihr,

Sebastian Fränzschky