• 26.06.2017 10:27

  • von Maria Reyer & David Emmett

Dovizioso fliegt an die WM-Spitze: "Dachte an die Punkte"

Andrea Dovizioso holt in Assen einen soliden fünften Platz und sichert sich damit hauchdünn die WM-Spitze - Heikler Moment bei Vinales' Crash

(Motorsport-Total.com) - Andrea Dovizioso geht als strahlender Sieger aus der Dutch TT hervor. Er konnte zwar keinen Hattrick nach Mugello und Barcelona hinlegen, mit dem soliden fünften Platz in Assen übernimmt er dennoch - zum ersten Mal in seiner MotoGP-Karriere und als erster Ducati-Pilot seit Casey Stoner 2009 - die Führung in der Weltmeisterschaft. Realistisch, überlegt und konstant schnell - mit diesen Ingredienzien mausert sich der Italiener zum Topfavoriten auf die WM-Krone. Allerdings führt er mit nur vier Punkten Vorsprung auf den verunfallten Maverick Vinales. Die ersten vier Piloten liegen innerhalb von elf Zählern, das gab es in der modernen MotoGP noch nie zuvor.

Titel-Bild zur News: Andrea Dovizioso

Andrea Dovizioso fährt im regnerischen Assen seiner WM-Führung entgegen Zoom

Im Qualifying am Samstag unterlief dem Ducati-Piloten ein seltener Fehler. Er stürzte im Q2, sein insgesamt vierter Crash in dieser Saison. Daher positionierte er sich für das Rennen nur in der dritten Startreihe. Am Start konnte er einige Positionen aufholen. In den ersten zehn Runden duellierte er sich im Mittelfeld mit seinem direkten WM-Kontrahenten Vinales.

"Leider hat der Fehler im Qualifying mein Rennen beeinträchtigt, da ich nicht sofort in der Spitzengruppe mitfahren konnte von Rennbeginn an. Das hat es etwas verkompliziert", muss Dovizioso zugeben. Zu Beginn sei er noch nicht recht in den Rhythmus gekommen, er blieb jedoch ruhig. "Als ich hinter Maverick war, wollte ich verstehen, in welchen Bereichen ich mich noch verbessern könnte. Eine Runde war genug vor seinem Crash, um einiges zu verstehen."

Hauptsächlich ging es Dovizioso um die Linienwahl seines Yamaha-Gegners. "Diese Strecke liegt mir nicht so sehr, weil das Layout konträr zu meinem Fahrstil steht. Du kannst viele verschiedene Linien in den Kurven fahren. Als ich Maverick in ein paar Kurven zusah, habe ich versucht, seine Linien zu übernehmen - und es hat funktioniert", freut er sich über Vinales' Fahrhilfe.

Der Spanier erlitt zu Rennhälfte einen Schock. Vinales flog vor Dovizioso in der letzten Schikane bei einem aggressiven Richtungswechsel von seiner M1 ins niederländische Gras. Der Italiener hatte Mühe, einen Zusammenstoß mit dem am Boden schlitternden 22-Jährigen zu verhindern. Nachdem er freie Fahrt hatte, wurde Dovizioso um rund vier Zehntelsekunden pro Runde schneller. Damit markierte er die schnellsten Zeiten im gesamten Feld. "Ich bin sehr zufrieden damit, wie ich im Rennen reagiert habe."

"Ich konnte mehr als vier Sekunden aufholen. Nach seinem Sturz war ich der Schnellste im Rennen. Darüber bin ich sehr glücklich, weil es so enorm wichtig für die Meisterschaft ist", spricht er seine WM-Führung an. "Das ist nämlich die Realität und wir waren heute wirklich sehr schnell. Und das ganz klar nicht auf meiner Lieblingsstrecke", betont er. Seine Gedanken seien vor allem im letzten Renndrittel immer wieder zur WM-Tabelle abgeschweift.

"Bin natürlich nicht zufrieden mit dem fünften Platz"

Gegen Rennende konnte Dovizioso mit seiner starken Pace bei Nieselregen noch auf Cal Crutchlow und Marc Marquez aufschließen und sich sogar kurzzeitig noch in das Duell um den Sieg einmischen. Die Topfahrer lieferten sich ein packendes Duell bis zur Ziellinie. "Ich bin natürlich nicht zufrieden mit dem fünften Platz, weil ich mindestens Dritter werden hätte können. Der Kampf mit Cal und Marc war am Ende aber ziemlich verrückt. Ich konnte sie nicht mehr überholen, das freut mich nicht", stellt er auch klar.

Über sein Renntempo sei er dennoch froh. Vier Runden vor Ende, als der Regen stärker wurde und wenige Piloten, wie auch Teamkollege Jorge Lorenzo, zum Bikewechsel an die Box kamen, ging Dovizioso in den Sicherheitsmodus. "Zu diesem Zeitpunkt habe ich begonnen, an die Meisterschaft zu denken. Es war unmöglich zu wissen, ob es in einer Kurve nass oder trocken war. Das Risiko war also sehr hoch."

Nachdem er an den vergangenen Rennwochenenden noch nicht über das Thema Weltmeisterschaft reden wollte, zeigt sich Realist Dovizioso nun etwas offener. Natürlich würde er in jedem Rennen an die Meisterschaft denken. "Auch wenn ich nur um den sechsten Platz kämpfe. Ich habe noch nie etwas Verrücktes in einem Rennen angestellt und nicht an die WM gedacht. Alle Toppiloten haben das im Hinterkopf", weiß er.

Dovi überzeugt: Argentinien-Ausfall kann WM entscheiden

Außerdem ist der unaufgeregte Italiener davon überzeugt: "In dieser Meisterschaft, wie schon im Vorjahr, ist es enorm wichtig, nicht auszufallen und einen Nuller zu schreiben. Leider ist uns das bereits passiert, was nicht mein Fehler war. Das wird die WM-Entscheidung beeinflussen", macht er sich Gedanken über seinen Crash in Argentinien. In Termas de Rio Hondo wurde die Ducati von Aleix Espargaros Aprilia ins Aus gekegelt. "Ich denke, dass du manchmal, wie eben auch in diesem Rennen, nicht all das Risiko nehmen solltest, das du könntest."

Bestätigt wird Doviziosos Aussage von seinen Rennergebnissen bisher. Abgesehen von dem Ausfall in Argentinien schaffte er es bei jedem Rennen in die Top 6. Der Sieg war für den WM-Führenden diesmal kein Thema: "Valentino und Danilo konnten mehr Risiko gehen aufgrund der Situation in der Weltmeisterschaft. Ich musste langsamer fahren, leider konnte ich nicht um den Sieg mitkämpfen."

Dennoch kommt er nun mit noch mehr Selbstvertrauen zum letzten Rennen vor der Sommerpause. "Jedes Wochenende schreibt eine komplett andere Geschichte. Du weißt zuvor nie, ob du am nächsten Wochenende konkurrenzfähig sein wirst. Wir haben jetzt gezeigt, dass wir auf drei unterschiedlichen Strecken mit dabei sind. Am kommenden Wochenende wartet wieder ein komplett anderer Kurs, der uns eigentlich nicht so sehr entgegen kommt." In Deutschland wurde er bisher zweimal Dritter.


Fotos: Andrea Dovizioso, MotoGP in Assen


"Wir haben mit Sicherheit die Form der vergangenen beiden Rennen bestätigt. Wir haben gezeigt, dass wir kämpfen können." Das muss Dovizioso auch, möchte er als WM-Leader in die Sommerpause gehen. Mit 115 Punkten liegt er vier Punkte vor Vinales (111), sieben vor Assen-Sieger Rossi (108) und elf vor Marquez (104). Noch nie hatte der WM-Führende übrigens so wenige Punkte nach acht Saisonrennen auf dem Konto.