• 04.05.2008 13:23

  • von Roman Wittemeier

Neue Strecke in Nordrhein-Westfalen geplant

Unternehmensgruppe UGOS will nach Plänen von Hermann Tilke Teststrecke bauen - 'Motorsport-Total.com'-Exklusivinterview zu Hintergründen

(Motorsport-Total.com) - Nürburgring, Hockenheim, Lausitz, Oschersleben, Norisring, Sachsenring - da hört die Aufzählung der aktuellen deutschen Rennstrecken auf. Hinzu kommen noch diverse Testgelände, wobei die Anlage in Papenburg eigentlich die einzig relevante Strecke darstellt. Ein Blick auf die Deutschlandkarte macht deutlich: Test-, Entwicklungs- sowie auch Rennmöglichkeiten sind dünn gesät. Im Vergleich zum Nachbarland Frankreich zum Beispiel ist die Streckendichte sehr gering.

Titel-Bild zur News: Strecke

Die 4,3 Kilometer lange Strecke führt durch das Waldgebiet im Eggegebirge

Das einwohnerstärkste Bundesland Nordrhein-Westfalen bietet keine einzige Möglichkeit, während Automobil- und Zuliefererindustrie zuhauf vorhanden ist. Die Bad Driburger Unternehmensgruppe UGOS, die neben einer Mineralwasserquelle zum Beispiel auch Kliniken betreibt, möchte diesen Missstand ändern. Im Eggegebirge zwischen Paderborn, Kassel und Göttingen soll eine neue Strecke entstehen. Als Projektentwickler ist Hans-Jürgen von Glasenapp federführend tätig. Der ehemalige Geschäftsführer der Hockenheimring GmbH erklärte im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com' die Hintergründe zu den Plänen.#w1#

Frage: "Hans-Jürgen von Glasenapp, sie sind als Projektentwickler seit vielen Monaten mit der Planung und Umsetzung eines Streckeneubaus in Nordrhein-Westfalen, nahe Bad Driburg, beschäftigt. Was verbirgt sich hinter dem Projekt?"
Hans-Jürgen von Glasenapp: "Bei dem Projekt 'Bilster Berg' handelt es sich um eine Test- und Präsentationsstrecke. Unser Ziel ist es, dass wir einen Test-, Präsentations- und Technologiepark schaffen auf diesem Gelände. Es ist ein ehemaliges Munitionsdepot der Engländer, 81 Hektar groß. Die Vision ist, dort keine klassische Rennstrecke, sondern eben einen Test- und Technologiepark entstehen zu lassen."

Viel Testbetrieb, wenig Rennsport

Frage: "Sie sprechen immer nur von Tests. Wird es dort keinen Motorsport im eigentlichen Sinne geben können?"
Von Glasenapp: "Doch, da sind natürlich auch zum Beispiel Clubrennen denkbar. Wirtschaftlich viel interessanter und wichtiger ist aber der Testbetrieb, also Forschung und Entwicklung. Hersteller, Zulieferer und Industrie können dort neue Technologie testen. Dass man natürlich auf einer Strecke dieses Ausmaßes, die auch den Sicherheitsstandards entspricht, natürlich auch Rennen durchführen kann, ist klar. Aber keine Großveranstaltung, also keine Formel 1 und keine DTM. Das gibt das Gelände von der Topografie nicht her und das würde enorme Infrastrukturmaßnahmen erfordern, die wir nicht durchführen wollen und können, weil das wirtschaftlich keinen Sinn macht."

Gelände

Das ehemalige Munitionsdepot der Briten ist 81 Hektar groß Zoom

Frage: "Sie haben die Topografie schon angesprochen. Walter Röhrl hat sich das Projekt angeschaut und schwärmte mit der Beschreibung 'Nordschleife in klein' davon. Passt dieses Bild?"
Von Glasenapp: "Ja, so kann man sich das sehr gut vorstellen. Der Bilster Berg ist eine Anhöhe, topografisch der Nordschleife sehr ähnlich, aber deutlich sicherer, wenn der Ausbau so kommt, wie wir ihn planen. Sie ist aber viel kürzer, denn sie wird etwa 4,3 Kilometer lang sein, die Nordschleife ist gut 20 Kilometer lang. Von der Streckenführung, von der Dreidimensionalität - nicht nur rechts-links, sondern auch Höhenunterschiede gleichzeitig - erinnert sie sehr stark auch aufgrund der Natur an die Nordschleife."

"Dort macht man viel Testbetrieb, weil man reale Situationen hervorragend nachbilden kann, das kann aber der Bilster Berg genauso, vielleicht sogar noch etwas sicherer. Auf der Nordschleife werden natürlich auch Rennen durchgeführt, weil das einfach legendär ist - die 'Grüne Hölle'. Das können wir natürlich nicht auf unser neues Projekt einfach übertragen, so etwas muss wachsen. Noch einmal zusammengefasst: es ist nicht geplant, größere Rennen durchzuführen, aber Clubrennen oder auch Porsche-Cup oder ähnliche Rennen sind machbar, gar keine Frage. All das geht, was es nicht erfordert, dass wir große Tribünen bauen, dass wir Parkplätze für Tausende von Zuschauern vorhalten müssen. Das geht nicht für drei oder vier Veranstaltungen pro Jahr."

"Wirtschaftlich konzentrieren wir uns auf die Zielgruppen Forschung- und Entwicklung, Incentives und Medien sowie ganz neu auch Verkehrsmedizin. Da geht es um die Zurückführung von Unfallopfern an den Straßenverkehr. Die sollen dort prüfen können, ob sie wieder fahrtauglich sind nach ihren Ängsten oder Verletzungen. Dort bietet sich eine solche Anlage sehr gut an, weil es außerhalb der Öffentlichkeit stattfinden kann und wir den Straßenverkehr sehr gut simulieren können. Hinzu kommt, dass die Klinikabteilung unserer Unternehmensgruppe diese Verkehrsmedizin anbietet und man so etwas dann natürlich gut einbinden kann."

Zündende Idee für ehemaliges Munitionslager

Frage: "Wer steht denn überhaupt als Unternehmensgruppe oder als Einzelperson hinter diesem Projekt?"
Von Glasenapp: "Der Initiator, Ideengeber und Auftraggeber für dieses Projekt ist Marcus Graf von Oeynhausen-Sierstorpff, der selber Automobil affin ist und im Motorsport erfahren. Er hat in Bad Driburg die Unternehmensgruppe UGOS und sein Nachbar und ehemaliger Schulfreund Baron von der Borch, dem das Gelände heute noch gehört, fragte ihn, ob er eine Idee habe, was man aus diesem ehemaligen Munitionsdepot machen könne. Graf Oeynhausen hat dann aufgrund von vielen Gesprächen, die er auch in der Automobilindustrie hatte herausgehört, dass es hier Bedarf an Testmöglichkeiten gibt."

Speedplan

Anhand der Leistungsdaten eines Porsche GT3 hat man den Speed simuliert Zoom

"In Deutschland gibt es nicht so viele Testmöglichkeiten wie in England oder Frankreich. So ist vor drei, vier Jahren diese Idee entwickelt worden. Man hat das dann immer weiter verfeinert. Man hat mit Hermann Tilke einen der besten Architekten dafür gewinnen können und man hat einen hervorragenden Akustiker hinzugewonnen, weil man natürlich das Thema Lärm weitestgehend ausschließen möchte. Und man hat sich zum Ziel gesetzt, hier etwas entstehen zu lassen, was für die Region ganz entscheidend sein kann: Arbeitsplätze, Technologie und Innovation."

Frage: "Herman Tilke hat wunderbare Skizzen von dieser Strecke angefertigt. Dort sind schon die Kurven benannt, zum Beispiel mit 'Mutkurve'. Das lässt Motorsportherzen höher schlagen, oder?"
Von Glasenapp: "Dieses ständige Auf und Ab sowie Kurven, die sie nicht bis zum Ende einsehen können, diese Dreidimensionalität ist klasse. Hier wird fahrerische Qualität gefragt sein. Walter Röhrl hat sich das Gelände und die Pläne angeschaut und gesagt, dass hier der Fahrer im Mittelpunkt stehen wird. Hier muss der Fahrer wirklich zeigen, was er kann, oder was er nicht kann. Das Auto kann es nicht allein. Das kann man vielleicht von anderen Strecken auch sagen. Aber bei vielen Kursen, die auf ebenem Gelände liegen, wird vom Auto viel verlangt und der Fahrer kann etwas beitragen."

"Röhrl sagt aber, hier stehe der Fahrer im Mittelpunkt und das sei das Reizvolle. Das ist natürlich auch für Motorsportfans interessant. Wir haben einen Höhenunterschied von 65 Metern. Zum Vergleich: die Formel-1-Strecke in Istanbul hat elf Meter. Hier kann ein Formel-1-Auto gar nicht so ohne weiteres fahren. Test ja, aber Rennen ginge gar nicht. Das alles ist eben die Charakteristik hier. Wir wollen ein Ambiente schaffen, das vielleicht am besten vergleichbar ist mit Goodwood (britische Traditionsstrecke; Anm. d. Red.)."

Formel 1 kann zum Testen kommen

Frage: "Die Formel 1 ist ja gar nicht mal so weit entfernt. Toyota hat seinen Sitz in Köln und läge geografisch recht nah an dieser Strecke. Erwarten sie Formel-1-Tests, oder DTM-Probefahrten?"
Von Glasenapp: "Grundsätzlich können sie das tun, ja. Wir würden uns natürlich auch freuen. Wir werden eine Strecke machen, die FIA tauglich ist, aber keine FIA-Abnahme haben wird. Solch eine Abnahme kostet erst einmal viel Geld und für welche Veranstaltungen sollten wir das tun? Sie bräuchten dann schon hohe nationale oder internationale Rennen, die eine FIA-Abnahme erforderlich machen. So etwas wollen wir nicht. Es gibt auch kaum noch solche Großveranstaltungen, die wirtschaftlich tragbar sind. Aber FIA tauglich wird sie sein, weil wir alle Sicherheitsbedingungen erfüllen werden, was zum Beispiel Auslaufzonen anbelangt, damit bei Tests, Entwicklung, Fahrprogrammen oder Incentives nichts passiert."

Fahrzeugentwicklung

Automobilhersteller sollen das Gelände für die Fahrzeugentwicklung nutzen Zoom

Frage: "Wie stellt sich denn das wirtschaftliche Modell hinter diesem Projekt dar? Wer betreibt es in welcher Form?"
Von Glasenapp: "Es wird eine Betriebs- und Besitzgesellschaft geben. An dieser Gesellschaft wird zu mindestens 65 Prozent ein Club, ein so genanntes 'Drive Resort' beteiligt sein. Ein Modell ähnlich wie bei einem Golfclub. Für diesen Club versuchen wir etwa 300 Personen zu gewinnen. Das sind also Unternehmer, die sich mit diesem Projekt identifizieren, die aber auch die Chance sehen, ihr Unternehmen zu verknüpfen. Letztlich wird es ein Club von 300 Unternehmern, die eine Plattform nutzen und gegenseitig von einander profitieren. Das wird also der Hauptgesellschafter sein. Ich möchte nicht ausschließen, dass es eventuell noch andere Beteiligungen direkt an der Betriebsgesellschaft geben könnte. Wir sind nicht auf den großen Hersteller, oder den großen Zulieferer angewiesen und wollen ihn eigentlich auch gar nicht. Somit bleiben sie unabhängig und bleiben interessant für alle. Das wollen wir so beibehalten."

Streckeneröffnung bereits 2010?

Frage: "Sie haben eben bereits die britische Strecke in Goodwood erwähnt. Dort gibt es ähnliche Clubstrukturen. Ist Goodwood das große Vorbild?"
Von Glasenapp: "Ja. In Bezug auf Ambiente, Stil und auch die Park ähnliche Umgebung lässt sich gut mit dem Gräflichen Park in Bad Driburg vergleichen. Man möchte natürlich Kunden gewinnen, die nicht vor leeren Tribünen, in Betonwüsten ihre Fahrzeuge präsentieren. Es soll in einem Park-Ambiente stattfinden, deswegen sehen wir in Goodwood unseren wichtigsten Vergleich oder auch unseren wichtigsten Wettbewerber. Wobei die Engländer immer noch leicht anders ticken. Wir möchten aber auch Kooperationen mit Goodwood eingehen, da gibt es sogar schon erste Gespräche."

Hans Jürgen von Glasenapp

Treibende Kraft hinter dem Projekt Bilster Berg: Hans-Jürgen von Glasenapp Zoom

Frage: "Wir sind in Deutschland und haben bezüglich der Genehmigungsverfahren nicht immer die kürzesten Wege. Wie weit sind sie auf diesem Weg?"
Von Glasenapp: "Also, diese Genehmigungen sind auch sinnvoll, weil wir dadurch Schnellschüsse verhindern können, die wirtschaftlich oder ökologisch später nicht vertretbar sind. Dass so etwas natürlich auch zeitaufwändig ist, bedeutet für einen Projektentwickler ein kleines Übel, aber da muss man durch. Wir sind jetzt beim Bewältigen der vorletzten Hürde, das ist der so genannte vorhabenbezogene Bebauungsplan. Danach schließt sich zuletzt das Bundesimissionsschutz-Verfahren an. Dort wird dann die endgültige Betriebserlaubnis erteilt. Wir rechnen damit, dass wir Ende dieses Jahres die endgültige Genehmigung haben werden. Dann hätten wir das innerhalb von gut drei Jahren gut durchbekommen, auch mit Hilfe der Behörden und der Politik. Auch ein Großteil der Bevölkerung steht hinter diesem Projekt, aber solch ein Verfahren dauert eben. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann wäre ich sehr zufrieden. Dann könnten wir etwa 2010 den Betrieb aufnehmen."