• 15.08.2015 11:14

  • von Gary Watkins (Haymarket)

Die neue Ära der Formel E erklärt

Die Formel E wird in der neuen Saison viele interessante Antriebslösungen präsentieren: Wir erläutern, was das heißt, und warum das passiert

(Motorsport-Total.com) - Neue Regeln bedeuten neue technische Lösungen. Und in der mutigen neuen Welt der Formel E bedeuten sie eine Reihe von verschiedenen Lösungen. Durch die neue Antriebsregelung für die zweite Saison der Elektrorennserie werden viele verschiedene Konfigurationen gegeneinander antreten, wenn die Meisterschaft Mitte Oktober in Peking beginnt. Einige Boliden werden mit einem Motor fahren, andere mit zwei - und die Anzahl der Gänge der zehn Teams wird zwischen eins und fünf liegen.

Titel-Bild zur News: Stephane Sarrazin

Die Formel E beginnt in dieser Saison eine neue Ära Zoom

Für die verschiedenen Ansätze gibt es drei Hauptgründe: die Leistungsobergrenze bei den Motoren bleibt bestehen, die Ressourcen der Teams unterscheiden sich, und - vermutlich am wichtigsten - niemand hat eine definitive Antwort in der ersten Elektrorennserie. Die Lösungen reichen von Aguris Entscheidung, mit dem Paket der ersten Saison und dem Motor von McLaren Electronics Systems sowie dem Fünfganggetriebe von Hewland weiterzumachen, bis zu der von DS Virgin.

Das britische Team, das sich mit der Submarke DS von Citroen verbunden hat, hat noch keine Details bekanntgegeben, doch es gibt Hinweise, dass man weiter gegangen ist als die Konkurrenz. Man kann einen Doppelmotor mit nur einem Gang erwarten, wenn sie alles bekannt geben. Aguri-Teamchef Mark Preston, der früher Designer beim Formel-1-Team von McLaren war, sieht die Formel E einzigartig im internationalen Motorsport, weil die Power limitiert ist - und nicht nur die Energiemenge, die die Power kreiert.

"In keiner Serie ist der Verbrennungsmotor in seiner Leistung beschränkt, aber in dieser Serie beschränken wir die Leistung - und Leistung bedeutet Topspeed", sagt er. "Solange man am Kurvenausgang nicht in der Drehzahl limitiert ist, ist man vom Antriebsstrang selbst nicht limitiert. Unsere Kalkulation hat ergeben, dass die Rennen wahrscheinlich die gleiche Anzahl an Runden haben werden, und die Energie von der Batterie bleibt gleich."

Revolution oder Evolution?

"Wenn man sich die Unterschiede im Energieverbrauch in der Startaufstellung der ersten Saison anschaut, dann sind die Abstände größer als die Effizienzzuwächse, die man mit dem Motor in der zweiten Saison machen kann. Und wenn man auf die Ressourcen schaut, die für die Entwicklung eines neuen Antriebs nötig sind, dann haben wir gedacht, dass es vermutlich besser ist, das Auto für die zweite Saison zu optimieren."

Die große Frage ist, ob die Beschränkungen von Power und Energie (die maximale Rennleistung wird von 150 auf 170 Kilowatt erhöht, die Energie der Batterie bleibt bei 28 Kilowattstunden) den Innovatoren in Saison zwei einen Vorteil ermöglichen. DS-Virgin-Technikchef Sylvain Filippi glaubt schon: "In der Theorie kann man nur bis ans Limit gehen", sagt er, "aber in Wirklichkeit ist es das Gegenteil. Eine verbesserte Effizienz wird sich direkt auf die Performance auswirken. Je effizienter man ist, desto weniger muss man lupfen."

"Darum sah unsere Philosophie vor, den Antrieb komplett neu zu designen. Wir glauben, dass wir signifikante Fortschritte bei der Effizienz gemacht haben, die sich in Performance niederschlagen werden. Die Frage ist nur: Wie viel haben wir im Vergleich zu den anderen gewonnen?" Zudem gebe es noch einen anderen Grund für eine Revolution statt einer Evolution, meint Filippi. In fünf Jahren will die Formel E vom Autowechsel während des Rennens wegkommen, daher wird sich die Technologie zwischen jetzt und dann enorm verändern. "Was wir in diesem Jahr lernen können, können wir auch in den folgenden Saisons anwenden", erklärt er.


Der Sound der neuen Formel-E-Boliden

Die acht Formel-E-Teams testen Anfang August ihre neuen Boliden. Durch Reglementänderungen ergibt sich ein neuer Sound Weitere Formelsport-Videos

Andretti-Boss Roger Griffiths hat ähnliche Gedankengänge: "Irgendwann in Zukunft werden wir auf viel höhere Zahlen in Sachen Leistung und Energie gehen", sagt er. "Wir müssen uns bis dahin vorarbeiten. Wenn wir Rennen mit einem Auto und freieren Regeln bestreiten, dann können wir diesen Schritt nicht von jetzt auf gleich machen, sei es aus finanziellen Gründen, technischen Ressourcen oder Zeit."

Die Sache mit dem Getriebe

Das direkte Drehmoment eines Elektromotors scheint ohne Getriebe am optimalsten eingesetzt. Zum einen gibt es dadurch natürlich einen Gewichtsvorteil, zum anderen verschlingen keine notwendigen Gangwechsel Zeit. Aber so simpel ist das in der Formel E nicht. Die Regeln besagen, dass der Motor - oder die Motoren - die Hinterachse über ein herkömmliches mechanisches Differenzial antreiben muss.

Das macht große Vorteile vom Fahren ohne Getriebe wieder zunichte und ist der Grund, warum die FIA ein Differenzial vorschreibt. Direktantrieb von beiden Motoren würde Drehmomentverteilung (Torque Vectoring) erlauben, bei der man die Leistung auf jedes Rad verändern könnte, was dem Handling hilft. Diese Komplexität wollte die Behörde in der wachsenden Serie allerdings gerne vermeiden.

Sam Bird

Revolutionär: Virgin wird mit nur einem einzigen Gang die Saison bestreiten Zoom

"Das war der Tod der Zwei-Motoren-Lösung für uns", sagt Griffiths, dessen Andretti-Autos 2015/2016 nur mit einem Motor, der in den USA von Houston Mechatronics gebaut wurde, sowie einem Vierganggetriebe von Hewland fahren werden. "Das Schöne an zwei Motoren ist, dass man sie für die Drehmomentverteilung individuell kontrollieren kann."

Warum man weniger Gänge fährt

Der andere Faktor ist, dass die acht Hersteller mit der bestehenden Architektur des SRT_01E-Chassis von Dallara arbeiten müssen. Schaut euch die Bilder der neuen Boliden vom Formel-E-Tests von Donington in dieser Woche an, und ihr werdet keinen Unterschied zu den Autos aus Saison eins feststellen.

"Wenn du möchtest, dass dein Motorenpaket schön klein ist und einen niedrigen Schwerpunkt besitzt, dann kommst du zu einem Highspeed-Motor, der mehr Gänge braucht", sagt Griffiths, der betont, dass der fünfte Gang in der vergangenen Saison nur selten genutzt wurde. Das notwendige Drehmoment mit einem Getriebe zu erreichen, verlangt einen Motor mit größerem Durchmesser. Darum fahren die Teams ohne herkömmliches Getriebe oder mit weniger Gängen - Renault e.dams hat sich für zwei entschieden - mit zwei Motoren. Ein Motor wäre ein leichterer Weg, um das gleiche Drehmoment zu erreichen, allerdings hätte man dadurch Nachteile mit dem Schwerpunkt.

Laut dem NextEV-Team, das die Debütsaison der Formel E mit Nelson Piquet jun. gewonnen hat, gibt es auch einen Kühlungsvorteil bei der Zwei-Motoren-Lösung, für die sich das Team entschieden hat. Renault, die den neuen Antrieb in der gleichen Fabrik wie die Formel-1-Motoren entwickelt haben, hat eine Zwischenlösung gewählt. Man fährt mit zwei Motoren und zwei Gängen. "Das ist eine Frage von Risikoabwägung", sagt Vincent Gaillardot, Renaults Programmmanager für die Formel E.


Fotos: Formel-E-Test in Donington 1


Kompromisse bei Abt und Renault

"Möchte man in der ersten Saison mit freien Antrieben wirklich auf eine völlig optimale Lösung in Sachen Gewicht und Verpackung setzen und etwas verpassen, das Probleme verursacht, oder möchte man etwas tun, wo man ein bisschen Spielraum hat? Wir haben uns entschieden, keine Risiken einzugehen und ein Getriebe mit mehreren Gängen zu verwenden. Aber wie wir es in der Saison verwenden werden, ist noch nicht definiert."

Das Abt-Team, das von Audi Sport unterstützt wird, setzt ebenfalls auf einen Kompromiss. Zwar muss man immer noch Details seines Pakets bekannt geben, doch man fährt mit einem Dreiganggetriebe und nur einem Motor. Ein Motor und vier Gänge werden die bevorzugte Lösung im Grid sein: Andretti, Mahindra und Venturi, die ihren Antrieb an Dragon liefern, werden diesen Weg gehen.

Mahindra hat mit McLaren zusammengearbeitet, um eine verbesserte Version des Original-Formel-E-Motors herzustellen, während Elektrofahrzeug-Spezialist Venturi, die den Geschwindigkeitsrekord für elektrisch betriebene Fahrzeuge auf dem Land halten, seinen eigenen mit mehr Drehmoment und einer größeren Bandbreite bei den Drehzahlen entwickelt hat. Alle benutzen Modifikationen des letztjährigen Hewland-Getriebes.

Rückschritt als Option

Jedes Team, das seine Technologie nicht in den Griff bekommt, kann auf die Spezifikation der Saison 2014/2015 zurückgehen und die gleiche Konfiguration wie Aguri benutzen. Sie haben bis zum 30. August Zeit, um sich zu entscheiden, denn einen Tag später machen sich die Autos auf die Reise nach China.

Alle zehn Teams waren in dieser Woche beim ersten von drei Zwei-Tages-Tests in Donington anwesend, doch Andretti konnte keine gezeitete Runde fahren, und Trulli hat es nicht auf die Strecke geschafft. Die Zeitentabelle der beiden Tage war nicht gerade aussagekräftig, aber wann war sie das jemals? Die Topzeiten wurden alle mit der Qualifying-Leistung von 200 Kilowatt erzielt, die aus der ersten Saison übernommen wurde.


Formel-E-Tests in Donington: Saison kann kommen

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Die wahren Unterschiede werden erst auftreten, wenn die Formel-E-Autos Rennen fahren - und zwar mit einer höheren Leistung als zuvor bei gleicher Energiemenge pro Auto. Dann kommt die gewonnene Effizienz ins Spiel. "Das Gute an der Formel E ist, dass wir nicht alle Antworten kennen", sagt Preston. "Erst die Zeit wird zeigen, wer richtig liegt - und das wird faszinierend sein."

Die Übersicht der Motoren und Gänge
Abt: 1 Motor, 3 Gänge
Aguri: 1 Motor, 5 Gänge
Andretti: 1 Motor, 4 Gänge
Dragon: 1 Motor, 4 Gänge
DS Virgin: 2 Motoren, 1 Gang
Mahindra: 1 Motor, 4 Gänge
NextEV: 2 Motoren, 1 Gang
Renault e.dams: 2 Motoren, 2 Gänge
Trulli: noch nicht bekannt
Venturi: 1 Motor, 4 Gänge