"Habe es komplett verbockt": Newgarden nach DQ den Tränen nahe

Wie ein Hybrid-Test und das Thermal-Rennen das gesamte Penske-Team in einen unfassbaren Irrglauben stürzen - Josef Newgarden bei Erklärung in Tränen

(Motorsport-Total.com) - Er kämpfte mehrmals mit den Tränen: Josef Newgarden stellte sich bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz vor dem Rennen im Barber Motorsports Park den unangenehmen Fragen der Presse. Dabei gab er zu, beim Saisonauftakt in St. Petersburg einen schweren Fehler gemacht zu haben - ohne es zu wissen.

Titel-Bild zur News: Josef Newgarden kann nicht fassen, was für einen Fehler er und sein Team gemacht haben

Josef Newgarden kann nicht fassen, was für einen Fehler er und sein Team gemacht haben Zoom

Das böse Erwachen kam nach Long Beach. Im Warm-up fiel auf, dass die Penske-Boliden Push-to-pass nutzen konnten, obwohl es von der Rennleitung gesperrt war. Penske gab zu, den entsprechenden Software-Code nach einem Test mit den neuen Hybridmotoren vor der Saison nicht zurückgesetzt zu haben.

Weitere Untersuchungen ergaben, dass Josef Newgarden den Glitch beim Saisonauftakt in St. Petersburg dreimal ausgenutzt hatte - für insgesamt neun Sekunden. Daraufhin wurde er disqualifiziert - im US-Motorsport eine außerordentlich drastische Maßnahme.

Normalerweise werden Geldstrafen und Punktabzüge verhängt, doch in diesem Fall wurde das gesamte Ergebnis nachträglich geändert, was in den USA sehr ungern gemacht wird. Die gleiche Strafe erhielt Scott McLaughlin, der die Überholhilfe für 1,9 Sekunden benutzte. Will Power nutzte Push-to-Pass nicht und kam mit zehn Punkten Abzug für die illegale Software davon.

Newgarden nimmt die ganze Schuld auf sich: "Da nur eine Person im Auto sitzt, liegt die Verantwortung und die Nutzung des Push-to-Pass-Systems direkt bei mir. Es liegt in meiner Verantwortung, die Regeln und Vorschriften zu kennen. In dieser Hinsicht habe ich mein Team kläglich im Stich gelassen. Ich habe es komplett verbockt."

"Es ist in vielerlei Hinsicht demoralisierend und es gibt nichts, was ich sagen kann, was die Tatsache ändern würde, was passiert ist. Ich möchte mich von ganzem Herzen bei allen Fans, unseren Sponsoren, meinen Teamkollegen, meinen Konkurrenten und jedem in der gesamten [IndyCar-] Community entschuldigen."


Die gesamte Pressekonferenz mit Josef Newgarden im Video

"Ich habe meine ganze Karriere lang hart daran gearbeitet, die höchstmöglichen Standards für mich selbst zu setzen. Und ich habe hier eindeutig versagt. Ich kann nicht genug betonen, wie schwer es ist, damit umzugehen." Er spricht von einem "sehr peinlichen Prozess".

Penskes verrückter Irrtum

Die Geschichte, warum er beim Restart überhaupt den Push-to-pass-Knopf drückte, ist schier unglaublich: Newgarden gibt zu, dass er und sein Team das Reglement nicht genau kannten und irrtümlich annahmen, die Restart-Regeln seien geändert worden.

"Nennt mich, was ihr wollt. Inkompetent, Idiot, Arschloch, nennt mich dumm oder was auch immer. Aber ich bin kein Lügner. Ich habe Saint Petersburg nicht mit dem Gefühl verlassen, irgendjemandem übel mitgespielt zu haben. Ich wusste nicht einmal, dass ich etwas falsch gemacht hatte, bis zum Montag nach Long Beach. Erst da habe ich erfahren, dass ich gegen die Regeln verstoßen habe", sagt er.

"Ich weiß, warum es passiert ist. Und ich glaube kaum, dass es sehr glaubwürdig ist. Irgendwie war das Team davon überzeugt, dass es eine Regeländerung gab, die Push-to-Pass auch beim Neustart erlaubt. Und man fragt sich: Wie kommt man auf so etwas? Das ist noch nie passiert."

Newgarden wirkte aufgelöst und hatte kaum geschlafen

Newgarden wirkte aufgelöst und hatte kaum geschlafen Zoom

Ein wahrscheinlicher Grund ist das nicht zur Meisterschaft zählende Rennen auf dem Thermal Club Raceway, bei dem der Einsatz von Push-to-Pass völlig freigestellt war. "Das ist tatsächlich das einzige Mal in meiner Zeit in der IndyCar-Szene, dass wir eine legale Änderung des Push-to-Pass-Systems hatten, das ab der Start-/Ziellinie funktioniert", so der zweimalige Champion.

"Es gab viele Diskussionen darüber, und irgendwie haben wir wirklich geglaubt und uns selbst davon überzeugt, dass die Regel in St. Pete lautete, dass man es jetzt sofort bei Neustarts einsetzen kann. Es wäre sofort verfügbar."

Diese Meinung vertrat er auch noch in Long Beach: "Ich war immer noch der Meinung, dass das neue Verfahren auch für Long Beach gelten würde. Ich wollte sogar, dass das Team mich daran erinnert, damit ich es nicht vergesse. Das Verrückte an der Geschichte ist, dass das Softwareproblem, von dem niemand etwas wusste, uns nur noch mehr in diesem Glauben bestärkt hat. "


IndyCar St. Petersburg 2024: Rennhighlights

Also versuchte Newgarden das Gleiche noch einmal beim Rennen in Long Beach, nur dass diesmal die Software korrigiert war und es zu seiner Überraschung nicht funktionierte: "Ich habe genau das Gleiche versucht, als ich das Rennen in Long Beach angeführt habe. Ich habe sogar den Knopf gedrückt - 29 Mal!"

"Dann habe ich über Funk gesagt: 'Hey Jungs, der Überholknopf funktioniert nicht richtig!' Das habe ich die ganze erste Runde über so gemeldet. Warum macht jemand, der geistig völlig gesund ist, so etwas? Selbst wenn ich die Geschichte jetzt erzähle, finde ich sie unglaublich. Aber es ist die Wahrheit."

Aus allen Wolken gefallen

Der Penske-Pilot gibt zu, dass die Tage seit Montag extrem schwierig waren. Das zeigt auch die Tatsache, dass er mehrmals während des Interviews absetzen musste, weil ihm die Stimme versagte. "Ich habe am Montag mit einigen Leuten gesprochen. Das war das erste Mal, dass ich eins und eins zusammenzählen konnte."

Er gibt zu, dass ihm die ganze Geschichte, dass er unwissentlich einen Fehler gemacht hatte, so unglaublich vorkam, dass er es erst am Dienstag so richtig realisiert hat. Da war er bei seiner Familie in Kalifornien.

"Es sackt nicht sofort ein. Erst am Dienstag wurde mir klar, dass das ein großes Problem wird. Dann wird es am Mittwoch öffentlich und plötzlich überwältigen einen die Emotionen, weil man es einfach nicht kontrollieren kann. Man kann es nicht mehr ändern."

Erst in Long Beach flog die ganze Geschichte auf

Erst in Long Beach flog die ganze Geschichte auf Zoom

"Ich habe 48 Stunden an nichts anderes gedacht. Ich bin um 3 Uhr morgens aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Jetzt geht es mir etwas besser. Der Mai steht vor der Tür und es sollte ein sehr schöner Monat werden, vor allem als Titelverteidiger [beim Indy 500]. Ich freue mich immer noch darauf. Ich habe den schönsten Job der Welt. Ich freue mich auf das Wochenende."

Zwischenzeitlich hat auch ein Gespräch mit Roger Penske stattgefunden. Der "Captain" war am Wochenende nicht in Long Beach, sondern in Imola bei der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC), wo sich Porsche Penske Motorsport beim 6-Stunden-Rennen auf den Angriff auf den ersehnten Le Mans-Sieg im Juni vorbereitete.

"Ich habe einmal mit ihm gesprochen, und das kam bei ihm nicht gut an, wie man sich vorstellen kann. Er hat mich zuerst befragt. Ich möchte jetzt nicht für ihn sprechen. Aber ich habe noch nie jemanden gesehen, der so integer ist wie dieser Mann. Ja, er war nicht gerade begeistert."

Diese Fragen bleiben offen

Einige Fragen bleiben offen, vor allem an IndyCar. Wie konnte dieser Regelverstoß unbemerkt bleiben, obwohl Push-to-pass, wie auch Newgarden in der Medienrunde betonte, durch sechs grüne LEDs am Lenkrad für jeden sichtbar angezeigt wird? Wie konnte so etwas nur zufällig entdeckt werden? Und wie konnte das IndyCar-Team schlechthin einem solchen Irrtum unterliegen?

Das Push-to-pass-System darf in der IndyCar-Serie nach Start und Restart erst ab der alternativen Ziellinie eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um eine Ziellinie kurz vor der Boxeneinfahrt, die im Qualifying genutzt wird. Dadurch sparen sich die Teilnehmer eine Inlap und können direkt nach der schnellen Runde in die Box abbiegen. Im Rennen hat sie außer dem Push-to-Pass keine Bedeutung.

Auf die Frage, ob er die Disqualifikation - notabene eine im US-Motorsport ungewöhnlich harte Strafe - für richtig hält, antwortet er: "Absolut. Die Integrität der Serie steht über allem. Sie muss jeden zur Rechenschaft ziehen, ob vorsätzlich oder nicht.""

"Wenn man eine Regel gebrochen hat, hat man sie gebrochen und muss die Konsequenzen tragen. Die Serie muss diesen Standard anlegen und aufrechterhalten. Ich bin stolz, Teil einer Rennserie zu sein, die so handelt. Das ist die Serie, von der ich ein Teil sein möchte. Also ja, ich denke, die Strafe ist fair. Ich hätte diesen Sieg nicht gerne in meiner Biografie gesehen."