• 21.03.2010 16:04

  • von Michael Noir Trawniczek

Marko: "Wollen einen siegfähigen Formel-1-Piloten"

Der Red Bull-Konsulent und das Juniorenprogramm: Hohe Ansprüche, Killerinstinkt, mentale Stärke und warum schnell sein allein nicht genügt

(Motorsport-Total.com) - Für 2010 wurden die Red Bull Junioren von neun auf nur mehr fünf Piloten reduziert. Auch Formel-2-Vizemeister Robert Wickens musste beispielsweise den Kader verlassen. "Qualität steht vor Quantität" - steht in Fettbuchstaben auf der Website der Junioren geschrieben. Was wird von den fünf Jungpiloten verlangt? Was sind die Kriterien für die Entscheidung, die, fällt sie negativ aus, für manche sogar das Ende der Karriere oder zumindest das Ende vom Traum von der Formel 1 bedeuten könnte? Wir haben bei Red-Bull-Konsulent Helmut Marko nachgefragt.

Titel-Bild zur News: Helmut Marko

Marko ist für das Nachwuchsprogramm von Red Bull verantwortlich

Frage: "Herr Dr. Marko, vielleicht können wir zunächst einmal die fünf Red Bull Junioren besprechen. Brendon Hartley ist seit fünf Jahren bei den Junioren und gilt als große Hoffnung..."
Marko: "Brendon Hartley ist vom Speed her einer der Allerbesten, aber in der Umsetzung muss er sich mental noch stärken."#w1#

Frage: "Er selbst sagt, er müsse in diesem Jahr unbedingt in der Renault-Worldseries werden."
Marko: "Meister werden ist sicher das Ziel, aber das hängt ja auch von anderen Faktoren ab. Wenn er ein paar technische Defekte hat, wird er in einer derart hart umkämpften Meisterschaft nicht den Gesamtsieg holen können. Sicher muss er absolut vorne mitfahren und konstant Spitzenresultate bringen."

Frage: "Wenn Sie sagen, er muss mental stärker werden - was genau ist damit gemeint?"
Marko: "Das heißt, dass er umsetzen muss, wenn Leistung gefragt ist. Im Qualifying muss er eine Zeit hinknallen - es hilft nichts, wenn er im freien Training der Schnellste ist und im Qualifying dann irgendwelche Fehler macht. Das ist ein gutes Beispiel für mentale Stärke."

Frage: "Weil man nervös wird? Oder zu viel mit Gewalt erzwingen will?"
Marko: "Unter Druck können viele die Leistung nicht abliefern. Nur wenn man das nicht kann, ist man in diesem Sport nicht richtig positioniert. Das Ziel des Red Bull Juniorenprogramms ist es, einen siegfähigen Formel 1-Fahrer zu entwickeln. Und nur dabei sein oder schnell sein reicht nicht."

Brendon Hartley

Brendon Hartley kann sein Talent bisher zu selten in Erfolge ummünzen Zoom

Frage: "In Daniel Ricciardo sehen viele jemanden, der das Zeug dazu hat."
Marko: "Der Daniel Ricciardo hat bis jetzt in allen Kategorien, in welchen er vertreten war, die Leistung gebracht und bis jetzt läuft alles sehr, sehr positiv. Sein großes Plus ist nicht nur, dass er sehr schnell ist und kaum Fehler macht. Aber da gibt es noch etwas: Der lacht immer! Den bringt überhaupt nichts aus der Ruhe. Das ist ein Typ, der von allen geschätzt wird, weil er so easy im Umgang ist."

Frage: "Erinnert er ein bisschen an den Mark Webber?"
Marko: "Nein, überhaupt nicht. Das ist ein ganz anderer Typ."

Frage: "Welche Schwäche könnte Ricciardo haben? Übermut?"
Marko: "Selten, aber hier und da keimt Übermut auf, ja."

Frage: "Jean-Eric Vergne fährt 2010 gleich 45 Rennen in der Britischen Formel 3 und der Formel Renault - er hat viel zu tun in diesem Jahr."
Marko: "Der hat viel zu tun. Er war aber in England jeweils Schnellster bei den Tests und bei den Formel Renault-Tests war er auch Schnellster - also bei dem scheint es auch so zu sein, dass er jetzt den internationalen Durchbruch schaffen wird. Aus dem Grund ist bei ihm das Hauptaugenmerk England, das ist Teil der Erziehung: Raus aus Frankreich, weg von den Geborgenheiten des Elternhauses und der Sprache. Der war bis jetzt immer nur in französischen Teams - und das zu ändern gehört einfach mit dazu, für die Abnabelung und für das Selbstständigwerden. Aber er hat bis jetzt alles sehr gut gemeistert."

Frage: "Die zwei jungen Formel BMW Fahrer - da hat der eine gesagt, sein Ziel sei der Gewinn der Rookiewertung und der andere sagte dann: 'Aha, er will die Rookiewertung - ich will den Gesamtsieg in der Meisterschaft!' Da reden wir vom Carlos Sainz junior, der die ganze Meisterschaft gewinnen will."
Marko: "Nein, es war umgekehrt. Der junge Russe Daniil Kvyat hat gesagt, er will gleich die ganze Meisterschaft gewinnen. Dann ist das vielleicht darauf zurückzuführen, dass er seinem Landsmann Vitaly Petrov zugehört hat, der erklärt hat, dass er bei Renault gleich einmal den Robert Kubica schlagen will. Im ersten Qualifying ist er dann aufgewacht, da war er fast um zwei Sekunden langsamer als der Pole."

Daniel Ricciardo

Daniel Ricciardo geht seinen Weg durch die Nachwuchsklassen konsequent Zoom

"Aber egal. Der Daniil Kvyat ist halt noch sehr jung, hat aber einen irrsinnigen Naturspeed - er muss aber in allen Bereichen noch gefestigt werden. Ich glaube nicht, dass er ein Rennwochenende, welches in der Formel BMW aus zwei Qualifyings und zwei Rennen besteht, ohne Fehler schafft. Aber der Schritt vom Gokart in ein Formelauto ist auch kein einfacher, noch dazu ist der Kvyat gerade einmal 15, der wird im April 16 Jahre alt. Er ist also relativ jung und Russe ist er außerdem. Das heißt: Er kommt aus einem ganz anderen motorsportlichen Environment - da gibt es ja nicht diese Struktur, wie wir sie haben."

"Also das ist die Zukunftshoffnung - und ich sehe es umgekehrt: Ich erwarte mir vom Sainz im ersten Jahr den Gesamt-Titel. Bei uns gibt es einen anderen Approach. Bei uns wird nicht gefahren und zuerst sind wir einmal ein Jahr lang dabei und im nächsten Jahr gewinnen wir dann. Nein, das Ziel muss sein, im ersten Jahr sofort die maximale Leistung zu haben. Und auch wenn es jemand im zweiten oder dritten Jahr schafft - das ist für uns kein Maßstab. Denn das sind nicht die Leute, die es an die Spitze schaffen."

Frage: "Das heißt: Beim Robert Wickens, dem Formel-2-Vizemeister aus dem Vorjahr, hat man gesagt: Der ist zwar ein schneller Mann, aber er war nicht in der Lage, den Andy Soucek zu schlagen und deshalb hat man ihn wieder aus dem Programm entfernt?"
Marko: "Nicht, weil er den Soucek nicht geschlagen hat sondern weil er seinen Speed nicht in Resultate ummünzen konnte."

Frage: "Angenommen, der Mark Webber oder der Sebastian Vettel hat an einem Grand Prix-Wochenende eine Fischvergiftung - was wir uns natürlich nicht wünschen - was erwartet man dann von demjenigen, der da einspringen muss? Brandon Hartley und Daniel Ricciardo fungieren ja alternierend als Ersatzpiloten."
Marko: "Das ist Worst Case. Sowohl für uns als Team als auch für den Jungen. Der absolute Worst Case wäre, dass einer der Einsatzpiloten im dritten Training raus kracht und sich verletzt, oder er verstaucht sich die Hand. Jetzt müsste, egal wer das ist, der Brandon Hartley oder der Daniel Ricciardo ohne eine einzige Trainingsrunde in das Auto hüpfen und ins Qualifying gehen. Ein Unterfangen, das nur schief gehen kann. Aber so ist die Situation, die uns das Reglement vorgibt. Und wir wollen nur hoffen, dass so etwas nicht eintritt."

Robert Wickens

Robert Wickens hat in der Formel 2 nach starkem Start auch stark nachgelassen Zoom

Frage: "So etwas könnte ja mitunter vielleicht auch gefährlich sein, oder?"
Marko: "Nein, gefährlich ist es nicht - das ist wesentlich weniger gefährlich, als wenn der Inder, der Karun Chandhok, ohne eine einzige Trainingsrunde ins Qualifying geht und er vorher noch nie wettbewerbsmäßig in einem Formel 1 trainiert hat. Unsere Ersatzpiloten haben ja bereits einige Kilometer absolviert, die können einen Formel 1 bewegen. Nehmen wir an, der Vettel steht auf Poleposition und der Junge ist zwei oder drei Sekunden hinten - die meisten Leute am Rennplatz denken ja nicht mit und analysieren ja nicht, warum das so ist. Aber der Junge kann dann ja gar keine andere Leistung bringen."

Frage: "Das Absurde an dem Reglement ist ja irgendwie, dass man vor jedem Rennen Tausende Runden simuliert - aber wenn ein Stammpilot ausfällt, setzt man jemanden rein, der noch nie mit dem aktuellen Auto gefahren ist oder nur sehr wenig."
Marko: "Naja, die sind ja beide bei dem Dezembertest gefahren, deshalb haben wir sie ja auch reingesetzt. Durch die Kostenreduktion sind halt die Testtage drastisch reduziert worden - normalerweise müsste der unter der Woche testen können, aber das geht halt vom Reglement her nicht. Das ist die Crux, die viele junge Fahrer zu tragen haben."

Frage: "Man sollte ja quasi mit dem Auto zusammenwachsen - doch anstatt das zu ermöglichen, steckt man jetzt das Geld in Simulatoren."
Marko: "Ein Simulator hat aber eigentlich andere Funktionen, da geht es nicht nur um das Fahrertraining - das ist eigentlich der geringere Anteil der Simulatorarbeit."

Frage: "Ich stelle es mir schwer vor als Fahrer..."
Marko: "Ja, so ist es, aber so ist das Reglement und damit muss man leben. Weil Sie Wickens erwähnen, der, wenn eine Kleinigkeit nicht passt, schon die Leistung nicht mehr bringt - was glauben Sie, was so einer dann unter diesen Umständen aufführen würde? Schnell sind alle, oder die meisten. 95 oder 90 Prozent in den Nachwuchskategorien sind schnell, aber das allein nützt nichts."

Frage: "Der Franzose, Vergne, hat erzählt, dass er im Vorjahr eine schwierige Saison hatte, mit einigen heftigen Abflügen, nachdem er die ersten Rennen wegen Krankheit versäumt hatte - man gesteht den Juniorpiloten also schon zu, dass sie Krisen haben, wenn sie sich wieder rausarbeiten können?"
Marko: "Man muss das Gesamtpaket betrachten. Sein Team ist ins Hintertreffen geraten, das kann auch passieren. Diejenigen, die ihn geschlagen haben, sind später disqualifiziert worden. Nur nützt das auch nichts. Denn man wird dann gezwungen, ans oder über das Limit zu gehen. Und dadurch sind ein paar seiner Crashes entstanden. Also wir analysieren das sehr genau, wir sind immer am Ball und wissen, was im Team passiert - und das wird natürlich alles in seiner Gesamtheit berücksichtigt."

Jean Eric Vergne hat für das Jahr 2010 ein Mammutprogramm vor sich Zoom

Frage: "Was wäre, wenn bei einem Junior ein Elternteil sterben würde? Würde man dann sagen: Gut, der hat jetzt zwei Monate ein Tief. Wie weit geht man da ins Private?"
Marko: "Sicher schaut man auf das Umfeld. Nur, so brutal das auch klingt: Wenn Sie Rennfahrer sind...Sie erinnern sich: Die Schumacher-Mutter ist gestorben am Samstag und am Sonntag hat der Michael Schumacher das Rennen gewonnen. Sie müssen diese mentale Stärke haben, diesen Killerinstinkt - als Rennfahrer müssen Sie alles andere hintanstellen."

Frage: "Noch eine Frage zu den beiden Formel-1-Ersatzpiloten: In welchem Team sitzen die, wenn Sie als Ersatz an der Reihe sind?"
Marko: "Der Daniel Ricciardo sitzt bei Red Bull Racing und der Brendon Hartley bei Toro Rosso."

Frage: "Er wechselt also nicht von einem Team zum anderen?"
Marko: "Unsere Junioren, die an einem Grand-Prix-Wochenende dabei sind, müssen PR-Aufgaben, auch Führungen machen, beispielsweise für Gäste von Red Bull. Und sie müssen auch alle technischen Meetings besuchen. Und da hätte es ja auch keinen Sinn, wenn der hin und her wechseln würde - weil ja die Arbeitsweise in jedem Team leicht unterschiedlich ist. Ich sage es so: Wenn Sie ohnehin schon da sind, müssen sie in die Angelegenheit hinein wachsen."

Frage: "Wenn der aber jetzt Pech hat und er muss im jeweils anderen Team einspringen, wo er gar nichts mitbekommen hat von den technischen Meetings, dann hat er ja gar keine Ahnung..."
Marko: "Gar keine Ahnung hat er nicht - ich habe je gesagt dass die Arbeitsweisen leicht unterschiedlich sind. Tun Sie nicht alles so ins Extrem zerren. Das stimmt ja alles nicht. Ein Auto ist immer noch ein Auto mit vier Rädern."

"Wenn einer zu schwach ist, dann ist er für den Job als Formel-1-Pilot nicht geeignet." Helmut Marko

Frage: "Naja, diese technischen Meetings kriegt man ja nicht wirklich mit..."
Marko: "Schauen Sie: Wenn einer zu schwach ist, dann ist er für den Job als Formel-1-Pilot nicht geeignet, da hilft nichts. Mittelmaß interessiert uns nicht."

Frage: "Muss der Ersatzpilot dann also ins Q2 kommen? Eher nicht, oder?"
Marko: "Nein, das kann er nicht schaffen. Man muss einfach schauen, dass man ihn mit den weichen Reifen die beiden ersten Turns fahren lässt. Aber das ist ja ad hoc. Jetzt stellen Sie sich vor, das ist noch dazu eine Rennstrecke, die er nicht kennt."

Frage: "Andererseits liegen die neuen Teams sicher drei Sekunden zurück - erwartet man da also, dass er zumindest vor den neuen Teams am Grid steht?"
Marko: "Das waren keine drei Sekunden, sondern fünf. Aber ich nehme an, dass sich die neuen Teams leicht verbessern werden, dass sie etwas näher dran sein werden. Aber hoffen wir, dass so etwas gar nicht erst eintrifft, dass der Ersatzpilot einsteigen muss."

Frage: "Ja, klar. Deshalb hab ich ja auch nur eine Fischvergiftung als Beispiel genannt, weil das noch relativ harmlos ist - aber natürlich hoffen alle, dass so etwas nicht nötig wird. Und es schaut ja sehr gut aus für Red Bull Racing..."
Marko: "Das hat es voriges Jahr auch, schauen wir mal."