• 06.08.2007 09:27

  • von Inga Stracke

Green: "Habe das Fahren nicht verlernt"

HWA-Pilot Jamie Green zieht im Exklusiv-Interview eine Zwischenbilanz und versucht Licht ins Dunkel des manchmal irritierenden Strategie-Pokers zu bringen

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Dein Ziel für diese Saison war, deinen ersten Sieg zu holen. Das hat noch nicht geklappt, kannst du trotzdem ein einigermaßen positives Zwischenfazit ziehen?"
Jamie Green: "Insgesamt gesehen kann ich meinen bisherigen Saison-Ergebnissen nicht allzu viel Positives finden. Trotzdem laufen aber viele von den grundsätzlichen Sachen jetzt besser bei mir. Zum Beispiel war ich in dieser Saison besser in den Longruns als in der Vergangenheit und konnte mich zudem in einigen Punkten, wo ich 2006 noch Schwächen hatte weiter verbessern. Aber auf der anderen Seite lief es in der vergangenen Saison in den Qualifyings sehr viel besser für mich als in diesem Jahr. Das liegt vielleicht an den Reifen. Vor allem in den ersten Rennen konnte ich mich nicht richtig auf die neuen Reifen einstellen. Zudem kommen die Jahreswagen durch den Gewichtsvorteil immer näher. Das ganze Feld liegt insgesamt sehr eng zusammen, also ist es im Moment ziemlich tough."

Titel-Bild zur News: Jamie Green

Jamie Green wartet immer noch auf seinen ersten Sieg in der DTM

Frage: "Trotzdem hat die neue C-Klasse bewiesen, dass sie schnell ist und ein Siegauto. Stimmt dich das zuversichtlicher?"
Green: "Ja, es ist wie ich sagte, in diesem Jahr von der Wettbewerbssituation her schwieriger, aber es ist trotzdem möglich, das Auto auf die Pole Position zu stellen und Rennen zu gewinnen. Dieses kann man daran sehen, dass die neue AMG Mercedes C-Klasse bisher bei fünf von sieben Rennen von der der Pole Position ins Rennen gegangen ist und vier Rennen gewonnen hat. Nur für mich lief es bisher nicht optimal. In Brands Hatch bin ich in der Qualifikation die schnellste Rundenzeit gefahren, aber dann gab es die Rote Flagge. Das war ein potentiell gutes Wochenende für mich, aber es sollte dann doch nicht sein. Es ist nicht so, dass ich verlernt hätte, wie man fährt oder dass der Speed nicht da wäre. Denn der Speed ist da. In Mugello war ich im Vergleich zu meinen Teamkollegen das ganze Wochenende über sehr stark. Obwohl ich also einen guten Job gemacht habe, fuhr ich die meiste Zeit um Platz sechs oder sieben herum."#w1#

"Im Rennen lag ich dann auf Platz fünf und hätte ein gutes Ergebnis geholt, wenn mir nicht auf einem Kerb die Aufhängung gebrochen wäre. Das war leider eine sehr unglückliche Situation. Normalerweise geht das Auto nicht kaputt, wenn man etwas unsanft über die Kerbs rumpelt, aber dies sind in Mugello richtige Stahl-Poller. Die gibt es dort, um das Kurvenschneiden zu verhindern, da die Strecke dort eigentlich eine Motorradstrecke ist. Dass auch mein Speed generell stimmt, konnte man zudem am vergangenen Wochenende in Zandvoort sehen, wo ich die schnellste Rennrunde gefahren bin."

"Haben es wortwörtlich nicht leicht"

"Ich hatte keinen eigenen Rennerfolg, das Erfolgszusatzgewicht gilt aber auch für mich." Jamie Green

Frage: "Es stehen aber noch drei Rennen aus - was hast du dir für den Endspurt vorgenommen?"
Green: "Ich möchte einfach mein Bestes geben und versuche, schneller als meine Teamkollegen zu sein. Unser Auto ist derzeit schwerer als der Audi, also haben wir es grundsätzlich wortwörtlich nicht so leicht. Für mich ist das eine etwas komische Situation, ich hatte keinen eigenen Rennerfolg, das Erfolgszusatzgewicht gilt aber auch für mich. Und mit dem Zusatzgewicht ist es schwer, Rennen zu gewinnen. Das verringert meine Chance natürlich, aber ich werde nicht aufgeben."

Frage: "Die Jahres- und Zweijahreswagen sind in dieser Saison auch sehr stark. Überrascht dich das?"
Green: "Nicht wirklich. Okay, in der DTM ist das etwas Neues, dass ein altes Auto gewinnen oder Podestplätze holen kann. Aber man muss sich ja nur die Fakten anschauen: Das 2005er Auto ist nach wie vor sehr gut, vor zwei Jahren hat Gary mit dieser AMG Mercedes C-Klasse die Meisterschaft gewonnen. In dieser Saison ist es durchschnittlich 30 Kilogramm leichter als das aktuelle Auto. Dazu haben wir in diesem Jahr neue Reifen und daran müssen sich die, die in der letzten Saison auf anderen Reifen in der DTM gefahren sind, erst gewöhnen. Deshalb hat ein Neuling keinen Nachteil, was die Reifen angeht, denn die sind für alle etwas Neues und wir "Alten" haben da keinen Vorteil. Paul di Restas Auto ist ähnlich wie unseres und wesentlich leichter. Und Paul ist ein guter Fahrer, er hat wie ich die Formel 3 Euro Serie gewonnen. Und wenn man alle diese Fakten betrachtet, dann ist es durchaus logisch, dass er vorn mitfahren kann."

Strategien in der DTM anders als in der Formel 1

"Wenn man seine Boxenstopps früh macht, ist man vorne." Jamie Green

Frage: "Es wird viel diskutiert darüber, dass die Fans die Rennen nicht mehr verstehen, zum Beispiel die Strategien, warum plötzlich Piloten von ganz hinten nach vorn kommen und warum Safetycar-Phasen ganze Rennen entscheiden können. Wie könnte man das wieder verständlicher machen?"
Green: "Ich denke, in der DTM besteht der Unterschied zur Formel 1 oder anderen Serien mit Boxenstopps in Folgendem: Wenn man seine Boxenstopps früh macht, ist man vorne. Das wird allerdings dann problematisch, wenn ich zum Beispiel vorn bin, früh an die Box komme und gleichzeitig ein langsamerer Hinterbänkler keinen Boxenstopp macht. Wenn der einen langen ersten Stint fährt und ich schon beim Stopp war, dann laufe ich recht schnell auf ihn auf, weil ich wesentlich schneller bin. Und dann wird es verwirrend. Dann stellt man sich die Frage ob Vanina Ickx jetzt vor Jamie Green fährt oder nicht. Deshalb haben die Kommentatoren an der Strecke und im TV die Aufgabe, das Publikum entsprechend gut zu informieren."

"Was die DTM allerdings so interessant macht, ist ja, dass jedes Wochenende ein anderer gewinnt. Um ein DTM-Rennen zu gewinnen brauchst du einen guten Start, du musst schnell sein, du musst konstant sein und du darfst keinen Verkehr haben, sonst kann dich schnell ein langsameres Auto aufhalten. Wenn du nach dem Stopp kurz vor dem Langsameren auf die Strecke kommst, ist das gut für dich. Wenn du aber dahinter raus kommst, kannst du echte Probleme bekommen. Denn die DTM-Autos sind sich sehr ähnlich und du kannst nur schwer überholen, selbst wenn du ein oder zwei Sekunden pro Rennrunde schneller fahren kannst. Wenn du also hinter jemanden hängst und es keine blauen Flaggen für ihn gibt, dann kommst du da nur schwer daran vorbei. Das ist der Unterschied zur Formel 1 und das ist vielleicht der Grund, warum das alles etwas verwirrend ist. Denn alles wird durcheinander gewürfelt abhängig davon, wer einen Boxenstopp gemacht hat und wer nicht."

"In der Formel 1 werden die Autos beim Boxenstopp auch mit mehr Benzin betankt und dadurch werden diese wesentlich schwerer. Wir können ja nur eine gewisse Menge Benzin tanken, da wir genormte Tankkannen haben. Deshalb ist das Auto nach dem Boxenstopp nicht wesentlich schwerer, gleichzeitig hast du aber neue Reifen drauf. Deshalb bist du nach dem Boxenstopp normalerweise immer schneller und deshalb versuchen wir ja auch immer, möglichst früh unsere Stopps zu absolvieren, um schnelle Rundenzeiten hinzulegen."

"Das ist eine Wissenschaft für sich." Jamie Green

"In der Formel 1 wird der Tank leer gefahren und beim Stopp werden wieder 30 bis 50 Kilo Benzin nachgetankt. Deshalb sind sie nach den Stopps normalerweise nicht schneller. Es gibt dort auch nicht so ausgeklügelte, ungewöhnliche Strategien. Da kommt im Normalfall keiner in der siebten Runde zu seinem ersten Stopp, denn sie würden da keinen Vorteil daraus ziehen. In der DTM ist es ein Vorteil, wenn man früher stoppt und deshalb hast du mehr Möglichkeiten, was die Strategie angeht. Das ist eine Wissenschaft für sich (lacht; Anm. d. Red.)."

"Natürlich würde ich gern Formel 1 fahren"

"Das Leben ist manchmal kein Wunschkonzert." Jamie Green

Frage: "Du hast jetzt sehr viel über die Formel 1 gesprochen. Viele junge Piloten haben das große Ziel, irgendwann in der Formel 1 zu fahren. Ist das bei dir auch so oder versuchst du lieber, in der DTM richtig Erfolg zu haben?"
Green: "Ich liebe es, Formel-Autos zu fahren. Ich hatte sehr viel Spaß in der Formel Renault und der Formel 3. Dort habe ich mit Mercedes-Benz ja auch die Euroserie im Jahr 2004 gewonnen. Natürlich würde ich gerne in der Formel 1 fahren, aber das Leben ist manchmal kein Wunschkonzert. Ich habe viel dafür gearbeitet, dass ich ein Profi-Rennfahrer werden konnte. Ich habe mit zehn Jahren mit dem Rennsport angefangen, und wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass ich dafür bezahlt werden würde, Rennen zu fahren, wäre ich im siebten Himmel gewesen. Und das habe ich erreicht. Man muss sich immer fragen, ob das Glas halb leer oder halb voll ist. Natürlich wäre ich gern in der Formel 1, aber ich habe das Glück, dass ich etwas machen kann, was mir Spaß macht und in der DTM fühle ich mich sehr wohl."

Frage: "Du bist also noch im 'siebten Himmel'?"
Green: "Ja! Wenn ich Lewis Hamilton in der Formel 1 gewinnen sehe und mir überlege, dass ich ihn, Robert Kubica und Nico Rosberg in der Formel 3 geschlagen habe, dann kann das schon manchmal frustrierend sein (lacht; Anm. d. Red.). Aber wenn ich in der DTM einen guten Job abliefere, dann ist das vielleicht noch möglich. Das muss mein Weg, das muss mein Ziel sein. Nur wenn ich von der Formel 1 träume, aber in der DTM keine Leistung bringe, dann wird das nur ein Traum bleiben. Das ist, wo ich stehe und das ist, worauf ich mich in der DTM voll und ganz konzentrieren muss."