• 01.10.2008 10:15

  • von Weddige/Szlapka

Exklusiv: "Die Chance im richtigen Moment nutzen"

Die Mercedes-Piloten Paul Di Resta und Jamie Green im Doppelinterview: Alles über den gemeinsamen Titelkampf und eine Saison mit Höhen und Tiefen

(Motorsport-Total.com) - Die DTM-Saison 2008 neigt sich dem Ende entgegen. Zwei Rennen vor Schluss zeichnet sich ab, dass Tabellenführer Timo Scheider (Audi) und Mercedes-Jungstar Paul Di Resta den Titelkampf unter sich ausmachen. Nach dem neunten Saisonlauf in Barcelona trennen die beiden sieben Punkte. Doch theoretische Chancen haben auch noch Mercedes-Pilot Jamie Green und Titelverteidiger Mattias Ekström. Die Mercedes-Titelanwärter Di Resta und Green haben im 'Motorsport-Total.com'-Exklusiv-Interview gemeinsam über den Verlauf der Saison 2008, den Titelkampf und die Zukunft gesprochen.

Titel-Bild zur News: Paul di Resta und Jamie Green

Paul di Resta und Jamie Green sind in dieser Saison die Mercedes-Speerspitzen

Frage: "Kurz vor dem Saisonende geht es für euch beide noch um den möglichen Titel. Wie ist derzeit euer Verhältnis? Seid ihr eher Teamkollegen oder eher Rivalen?"
Jamie Green: "Ich würde sagen, dass wir vor allem Teamkollegen sind. Wir fahren beide für Mercedes-Benz und werden dafür bezahlt, einen guten Job zu machen. Und das ist, was wir beide versuchen und was uns beiden bisher ganz gut gelungen ist. Das sieht man an den Punkten, die wir auf unserem Konto haben. In den verbleibenden Rennen werden wir unser Bestes geben, um vor Timo zu kommen und die Meisterschaft zu gewinnen."
Paul di Resta: "Ich würde sagen, dass Jamie es auf den Punkt gebracht hat. Wir sind Teamkollegen, wir sind hier, um unsere Arbeit für Mercedes-Benz gut zu erledigen. Wir müssen uns auch gegenseitig helfen, denn das Hauptziel ist, für Mercedes-Benz den Titel zu gewinnen. Aber Jamie und ich fahren auch unsere eigenen Rennen, wir machen uns gegenseitig Druck, so gut es geht."#w1#

"Ich weiß nicht, warum manche zu Beginn von den anderen beiden mehr erwartet haben als von uns." Paul Di Resta

Frage: "Zu Beginn der Saison galten die beiden anderen HWA-Piloten Bruno Spengler und Bernd Schneider - zumindest in der breiten Öffentlichkeit - als die Titelfavoriten im Team. Euch beide hatte man eher weniger auf der Rechnung..."
Di Resta: "Vor einer Saison gibt es immer Spekulationen und Erwartungen, die auch durch die Medien oder was auch immer beeinflusst werden. Aber Jamie und ich hatten schon im vergangenen Jahr eine starke Saison, deshalb weiß ich nicht, warum manche zu Beginn von den anderen beiden mehr erwartet haben als von uns. Wir hatten beide eine fantastische Saison 2007 und alle Fahrer gehen mit dem gleichen Siegeswillen in ein neues Jahr: Alle sind bereit, ihr Bestes zu geben."
Green: "Es ist doch immer so, dass manche Leute hoch gelobt und andere für ihre Ergebnisse oder das, was sie in der Vergangenheit erreicht haben, kritisiert werden. Das gehört zum Job der Medien dazu - sie brauchen ihre Story, egal ob sie positiv oder negativ ist. Wie Paul schon sagte, sind wir beide Topfahrer, wir haben beide die gleichen Chancen und das gleiche Material wie unsere Teamkollegen. Wir sind genauso in der Lage, um den Titel in der DTM zu kämpfen. Das haben wir in der Vergangenheit schon bewiesen, indem wir beide - wie übrigens auch Lewis Hamilton - Meister in der Formel-3-Euroserie geworden sind."

"Bei mir stehen vielleicht zu viele vierte, fünfte und sechste Plätze Timos zweiten und dritten Plätzen gegenüber." Jamie Green

Frage: "Ihr habt beide ebenso wie Timo Scheider in dieser Saison schon jeweils zwei Siege geholt. Doch Siege sammeln allein reicht nicht, um in der Gesamtwertung vorn zu bleiben. Wo habt ihr die Punkte verloren, die euch derzeit auf Timo fehlen?"
Di Resta: "Timo war bisher sehr konstant und oft auf dem Podium. Er hat vor allem auch im Qualifying einen sehr guten Job gemacht. Auf der Suche nach verlorenen Punkten kann ich gleich in Hockenheim beginnen. Die hängende Kupplung beim Boxenstopp hat mich sechs oder vielleicht sogar acht Punkte gekostet, denn ich hätte Zweiter werden können. Aber in einer Meisterschaft passiert so etwas nun einmal. Natürlich kann man es immer so sehen, dass ich eigentlich einen Punkt mehr als er haben sollte. Aber wir sollten die Vergangenheit abhaken und uns nach vorn konzentrieren. Es gibt immer noch 20 Punkte zu vergeben und die will ich holen."
Green: "Ich war bisher in jedem Rennen in den Top 6 und wäre das auch in Barcelona gewesen, wenn mich nicht Mattias Ekström in der letzten Runde noch vom fünften Platz gerammt hätte. Ich war also sehr konstant und ich habe in jedem Rennen gepunktet. Timo dagegen hatte in Mugello wegen seines Frühstarts eine Nullnummer. Aber er war sonst in fast jedem Rennen auf dem Podium. Er ist häufiger auf das Podest gefahren als ich. Also stehen bei mir vielleicht zu viele vierte, fünfte und sechste Plätze Timos zweiten und dritten Plätzen gegenüber. Und dass ich in Barcelona letztlich nur noch einen Punkt bekommen habe, hilft auch nicht weiter."


Fotos: HWA, Rennwochenende in Barcelona


Frage: "Mit welcher Taktik geht ihr in die letzten Rennen: Volle Attacke oder doch lieber etwas vorsichtiger, um sichere Punkte nicht zu riskieren?"
Di Resta: "Man kommt an einen Punkt, an dem man sich zwischen maximaler Attacke und sicherem Punktesammeln entscheiden muss. Das hängt von der Situation ab, in der man sich selbst an diesem Punkt befindet und davon, auf welchen Positionen die anderen dann liegen. Der Schlüssel zum Erfolg ist einfach, weiter in der Meisterschaft vorn mitzufahren und sie offen zu halten, um die Chance auf den Titel im richtigen Moment nutzen zu können."

"Man kommt an einen Punkt, an dem man sich zwischen maximaler Attacke und sicherem Punktesammeln entscheiden muss." Paul Di Resta

Green: "Ich denke, dass man einfach weiter so fahren muss, wie man das schon die ganze Saison über getan hat. Man muss sich innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden, ob man ein Manöver riskiert oder es lieber bleiben lässt. Ich denke, dass man sich da auf seinen Instinkt verlassen muss. Wenn man innerlich überzeugt ist, dass ein Manöver klappen könnte, muss man es versuchen. Denn wir wollen ja nicht die ganze Zeit hintereinander her fahren und ein langweiliges Rennen haben, ohne weiter nach vorn zu kommen. Man sollte weiter so fahren wie bisher und zur richtigen Zeit die richtigen Entscheidungen treffen. Das kann man aber nicht vorher planen, da man nicht weiß, was die anderen im Rennen tun werden. Ich werde also jetzt genauso weiter pushen, wie ich das das ganze Jahr über getan habe."

"Dein Job ist es, für das Team das Beste zu geben." Paul Di Resta

Frage: "Muss man als Titelkandidat noch härter arbeiten als sonst? Gibt es noch mehr Meetings mit den Ingenieuren, dreht man noch mehr Trainingsrunden, macht man noch mehr Fitnesstraining?"
Green: "Nein, es ist nicht mehr Arbeit. Wir arbeiten bei den Rennen so oder so sehr hart, konzentriert und so intensiv wie möglich mit den Ingenieuren und dem Team zusammen, um das Beste aus unserem Auto herauszuholen. Wir haben auch ein ganz gutes System, damit uns das gelingt. An der Arbeitsweise hat sich also nicht viel geändert. Vielleicht interessieren sich die Medien etwas mehr für dich, wenn du in der Meisterschaft weiter vorn bist. Das ist allerdings positives Interesse, das einem doch viel lieber ist als negatives Interesse (lacht; Anm. d. Red.). Aber abgesehen davon ist alles ähnlich wie im vergangenen Jahr."
Di Resta: "Ich glaube, dass man zu jedem Rennen mit derselben Einstellung und mit dem selben Arbeitspensum kommt: Dein Job ist es, für das Team das Beste zu geben. Das ist das, was wir als Team tun. Wir arbeiten zwischen den Rennen extrem hart. Wir haben die Chance, den Titel zu holen und wir wollen die Meisterschaft offen halten und weiter nach vorn kommen."

Erst Saisonendspurt, dann Zukunftsplanung

Paul Di Resta

Zukunft? Paul Di Resta hat vergangene Woche in Paul Ricard in der GP2 getestet Zoom

Frage: "Blicken wir über die Meisterschaft 2008 hinaus - macht ihr euch schon Gedanken über das nächste Jahr oder gilt derzeit die ganze Konzentration dem aktuellen Titelkampf?"
Green: "Ich habe noch keine Pläne, die über dieses Jahr hinausgehen. Ich denke auch nicht, dass es sich auf meine nächste Saison auswirken wird, ob ich Meister bin oder nicht. Im Moment konzentriere ich mich nur darauf, was ich jetzt mache. Und hoffentlich entscheiden sich die Dinge für nächstes Jahr von selbst."
Di Resta: "Was nächstes Jahr passiert, steht auf einem anderen Blatt. Derzeit widme ich mich ganz meinen Zielen, die ich in dieser Saison habe. Ich konzentriere mich jetzt erst einmal nur auf die DTM und auf die letzten Rennen der Saison. Das ist meine Aufgabe, die ich so gut ich nur kann, erfüllen werde."

"Ich denke nicht, dass es sich auf meine nächste Saison auswirken wird, ob ich Meister bin oder nicht." Jamie Green

Frage: "Jamie hat es schon angedeutet: Als Titelkandidat steht man mehr im öffentlichen Interesse. Merkt ihr das auch in eurer Heimat? Kennen euch dort jetzt mehr Leute?"
Di Resta: "Je erfolgreicher man ist, umso mehr wird über einen berichtet und umso eher erkennen einen die Leute - das ist klar. Aber ich habe Glück: Da, wo ich wohne, kennen mich die Leute ohnehin schon sehr gut. Wir stehen zu Hause aber nicht so im öffentlichen Fokus wie wir das an der Rennstrecke tun."
Green: "Nein, es hat keinerlei Auswirkungen auf mein Leben abseits der Rennstrecke. In England bin ich außerhalb der Motorsportszene nicht sehr bekannt. Deshalb kann ich zu Hause wie jeder andere Mensch ganz normal auf die Straße gehen, ohne dass ich erkannt oder angesprochen werde. Von daher hat sich jetzt nichts geändert. An der Rennstrecke muss ich jetzt mehr Interviews geben - aber das mache ich gern!"

Frage: "Auf welcher Rennstrecke, die nicht im DTM-Kalender steht, würdet ihr gern mal fahren?"
Green: "Da gibt es einige! Aber wir sind zum Beispiel schon in Spa gefahren und wir sind schon in Istanbul gefahren. Das sind wirklich tolle Strecken. Meiner Meinung nach wäre es schön, wenn wir da wieder fahren würden."
Di Resta: "Ich schließe mich Jamie an. Es gibt auf der Welt viele tolle Rennstrecken, auf denen ich gerne fahren würde. Aber die, auf der ich gerne mit der DTM fahren würde, ist Spa. Diese Strecke ist etwas ganz Besonderes."