DTM-Mysterium Spa: Wieso der "Höllenritt" zur Reifenschlacht wird

Die DTM startet mit einem wahren Kraftakt in Spa in die Saison: Wieso die Reifen schon nach wenigen Runden in die Knie gehen und Eau Rouge wieder zur Kurve wird

(Motorsport-Total.com) - Das Warten hat ein Ende: Die DTM startet nach fast zehn Monaten Pause dieses Wochenende (hier geht's zum Zeitplan) in die 34. Saison. Und das mit einem absoluten Kracher! Der spektakuläre Kurs von Spa-Francorchamps mit seinen legendären Mutkurven wie Eau Rouge, Blanchimont oder Pouhon lässt die Herzen der Fahrer und Fans noch heute höher schlagen.

Titel-Bild zur News: Augusto Farfus

Ein DTM-Auto in der Eau Rouge: Nach 15 Jahren Pause kehrt man nach Spa zurück Zoom

"Das wird ein echter Höllenritt", prophezeit BMW-Pilot Philipp Eng im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Und Audis Vizemeister Nico Müller stimmt ihm zu: "Die Autos werden dort in ihrem Element sein. Man kann die Leistung auf den langen Geraden in den Sektoren 1 und 3 abrufen. Und im Sektor 2 kann man den Abtrieb nutzen, den diese Autos erzeugen. Das passt perfekt zu diesen Autos und wird sicher tolles Racing ermöglichen."

Damit könnten die beiden Spitzenpiloten recht behalten, denn schon beim bisher einzigen Gastspiel in den Ardennen im Jahr 2005 sorgten die DTM-Boliden für ein Spektakel.

Rundenzeiten von 2:05 erwartet

"Die DTM-Autos waren schon damals die schnellsten Tourenwagen der Welt", sagt mit Audi-Routinier Jamie Green der einzige Pilot, der damals als Mercedes-Rookie schon dabei war. "Sie haben sich aber natürlich sehr verändert und weiterentwickelt. Wir haben jetzt mehr Grip und mehr Power. Wen die Strecke noch die gleiche wäre - was sie nicht ist - dann würde man an den Rundenzeiten sehen, das die Autos jetzt viel schneller sind."

Damals fuhr Sieger Mika Häkkinen im Rennen in 2:13.134 Minuten den DTM-Rundenrekord. Laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' darf man dieses Wochenende mit Rundenzeiten im Bereich von 2:05 rechnen. Das hängt aber auch vom Gripniveau ab. Und da der sieben Kilometer lange Kurs zuletzt kaum befahren wurde, wird sich dieses in Grenzen halten.

"Nach sieben Runden um fünf Sekunden langsamer"

Das wird auch die Reifen besonders fordern. Und die werden in Spa-Francorchamps, wo man wegen des Zweitages-Events nur 45 Minuten Zeit für die Set-up-Suche hat, zum Zünglein an der Waage. "Nach sieben Runden ist das Auto bis zu fünf Sekunden langsamer auf der Runde", verrät Ex-DTM-Champion Timo Scheider, der seine Informationen von seinem Kumpel Timo Glock hat, im Podcast von 'ran.de'. "Wir können uns auf ein Rennen vorbereiten, das für große Überraschungen sorgen könnte."

Das weiß auch Audi-Pilot Loic Duval, der gegenüber 'Motorsport-Total.com' besätigt: "Das große Fragezeichen für die Rennen in Spa sind für mich die Reifen, denn dort macht man sehr schnell seine Vorderreifen kaputt."


Fotostrecke: Die DTM-Regeländerungen 2020

Bart Mampaey, Chef des belgischen BMW-Teams RBM, kennt den Grund. "Da das Auto so viel Power und Downforce hat, was es auf diesem Kurs zu einem fantastischen Biest macht, bauen auch die Reifen recht schnell ab", verweist er auf die Erkenntnisse des aus Sicherheitsgründen eingeschobenen Hersteller-Testtag am 9. Juli, bei dem Augusto Farfus im M4 und Benoit Treluyer im RS 5 saßen.

Hitzeschlacht droht: Geht Hankook auf Nummer sicher?

Man habe dadurch gelernt, "dass der Reifenabbau über die Renndistanz eine Herausforderung sein wird, und darauf legen wir unseren Fokus. Wir müssen die richtige Balance für diese Rennstrecke und die Bedingungen, die uns dort am Wochenende erwarten werden, finden."

Und die Bedingungen werden, wenn man dem Wetterbericht glaubt, alles andere als einfach: Vor allem am Samstag droht der DTM eine Hitzeschlacht mit Temperaturen an die 30 Grad, bei der es aber sogar regnen könnte, am Sonntag sollte Quecksilbersäule dann auf Werte im Bereich von 20 Grad sinken. Die hohen Temperaturen sollten die Reifen-Herausforderung noch größer machen.

Zumal auch die auf die Pneus einwirkenden Kräfte von an die 3g in der Eau-Rouge-Senke die Hankook-Pneus enorm fordern. Aus diesem Grund denkt man beim Reifenhersteller darüber nach, den Mindestreifendruck von 1,3 auf 1,4 oder 1,5 bar anzuheben, um Reifenschäden in den ersten Runden zu vermeiden.

Ist ein zweiter Boxenstopp notwendig?

Wird es überhaupt möglich sein, mit einem Boxenstopp über die Distanz zu kommen? "Am schnellsten ist man natürlich, wenn man nur einen Stopp macht und die Reifen im Griff hat", antwortet DTM-Champion Rene Rast, der den Kurs von zahlreichen 24-Stunden-Rennen gut kennt. "Ich bin aber sicher, dass es jemand mit zwei Stopps versuchen wird. Und er könnte dann der Glückliche sein, wenn es ein Safety-Car gibt und er gerade gestoppt hat."

Das wird auch der Plan von Rasts großem BMW-Rivalen Marco Wittmann sein, der als "Reifenflüsterer" gilt. Zudem erwiesen sich die Münchner laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' beim Herstellertest vor nicht ganz einem Monat als schneller als Audi, nachdem auf dem Nürburgring die Ingolstädter meist die Nase vorne hatten.

"Wir hatten natürlich den Test, aber da war nicht viel Gummi auf der Strecke, da ja nur zwei Autos unterwegs waren", warnt Wittmann davor, den Testdaten zu viel Bedeutung beizumessen. "Generell ist es eine Strecke mit viel Abbau. Man kann es ein bisschen mit Assen vergleichen - und das war ein verrücktes Wochenende, speziell der Sonntag. Mal sehen, vielleicht gibt es ein paar, die überraschenderweise zwei Mal stoppen, vielleicht gibt es aber auch nur einen Stopp."

Eau Rouge mit offenem DRS? "Dann scheppert es"

Das Überholen sollte, so der Tenor, kein Problem sein. Denn die Überholhilfen wurden für diese Saison deutlich aufgewertet, zudem rechnet Audi-Pilot Duval auf den langen Geraden in Spa damit, dass "DRS eine enorme Wirkung haben wird".

Wird es ein Pilot wagen, die Mutkurve Eau Rouge mit offenem DRS zu durchfahren? "Es wird eine richtige Challenge, wie man das mit DRS und Push-to-pass macht", ist BMW-Neuling Lucas Auer überzeugt. "Wenn du das durchziehst, dann wird es interessant. Dann scheppert es."


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Im Formel-1-Auto ist Eau Rouge längst zur Geraden geworden und keine Herausforderung mehr, im DTM-Boliden sollte es aber anders sein. Noch scheiden sich die Geister unter den Piloten, ob die Kurve problemlos voll geht oder nicht "Es ist eine dieser Kurven, bei denen sich der Herzschlag erhöht, wenn man sich ihr nähert", sagt BMW-Pilot Eng.

Eau Rouge in DTM keine Gerade

"Dein Herz sagt dir dann: Geh nicht vom Gas. Aber dein Kopf sagt manchmal etwas anderes. Da muss man das Gehirn auch mal abschalten und auf dem Pedal bleiben. Es ist auch eine wichtige Kurve, weil eine lange Gerade folgt. Es ist also wichtig, dass man schnell durchkommt. Mit den derzeitigen DTM-Autos wird es eine Herausforderung - aber eine angenehme. Und ich bin überzeugt, dass sie voll geht."

Vor allem unmittelbar nach dem Boxenstopp könnte es mit kalten Reifen aber zu heiklen Situationen kommen. "Dann kühlen auch die Bremsen extrem ab, weil du aus der Box herausfährst und es dann einen guten Kilometer lang geradeaus geht. Wenn du da in einem engen Infight bist und vielleicht ein Auto hinter dir hast, dann ist das nicht ohne."

Während Landsmann Auer davon überzeugt ist, dass die Kurve "easy voll geht", ist Routinier Green nicht ganz seiner Meinung. "Das wird keine einfache Vollgas-Kurve sein, die man einhändig fahren kann. Unsere Autos haben ja auch nicht so viel Grip wie die derzeitigen Formel-1-Autos. Ich denke, Eau Rouge wird wahrscheinlich die schwierigste Kurve werden, was die Höchstgeschwindigkeits-Herausforderung angeht, vor allem im Rennen, wenn der Grip nachlässt und noch relativ viel Benzin an Bord ist."

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