• 02.09.2008 15:17

  • von Britta Weddige

Christian Abt: "Eins der größten Rennen der Saison"

Experte Christian Abt analysiert das England-Rennen, erklärt die Ekström-Strategie und wundert sich über die Audi-Jahreswagenfahrer

(Motorsport-Total.com) - Das DTM-Rennen in Brands Hatch hielt wohl keinen auf den Tribünensitzen oder im bequemen Fernsehsessel. 82 Runden lang jagten Audi-Mann Timo Scheider und sein Mercedes-Rivale Paul Di Resta als Führungsduo um den Kurs - beinahe im Formationsflug. Di Resta war immer knapp hinter Scheider, jeder Boxenstopp und jede der vielen Überrundungen war entscheidend. Di Resta lauerte bis zur Zielflagge auf einen Fehler von Scheider, doch der Deutsche lieferte wie der Schotte ein perfektes Rennen ab.

Titel-Bild zur News: Christian Abt

Christian Abt hatte beim Rennwochenende in Brands Hatch seinen Spaß

Scheider gewann mit der Winzigkeit von acht Zehntelsekunden Vorsprung. Dazu kam die clevere Spätstopp-Strategie, mit der Mattias Ekström das Feld durchpflügen und von Rang sieben auf drei vorfahren konnte. Und für zusätzliche Würze sorgten jede Menge Zweikämpfe auf der Strecke, auf der man eigentlich nicht überholen kann. "Es war mit Sicherheit ein wahnsinnig spannendes Rennen, ich war ganz überwältigt", schwärmt auch 'Motorsport-Total.com'-Experte Christian Abt. "Es war Spannung pur, vom Anfang bis zum Ende. Ich würde sagen: Das war bis jetzt eines der größten Rennen in der DTM-Saison 2008."#w1#

Strategiespiel: Leerer Tank, frische Reifen

Während an der Spitze Scheider Di Resta hinter sich halten konnte, fuhr Ekström sein ganz eigenes Rennen. Als alle anderen zur Box abbogen, blieb der Schwede draußen. Selbst, als manch anderer schon seinen zweiten Stopp absolvierte, fuhr Ekström stur weiter Runde um Runde. Und als sich die Beobachter irgendwann fragten, wie lange er denn noch draußen bleiben will, gab Renningenieur Alex Stehlig Ekström via Funk die Order, noch weitere fünf Runden zu fahren.

"Das war bis jetzt eines der größten Rennen in der DTM-Saison 2008." Christian Abt

In der DTM gilt normalerweise als Grundregel: Je früher man stoppt, umso besser. Doch das Abt-Team entschied sich, das in Brands Hatch große Boxenstoppfenster voll auszureizen und Ekström so spät wie möglich hereinzurufen. War das nicht riskant? "Nein auf keinen Fall", betont Experte Abt. "Das Team kennt die Strategie. Ich selbst bin mit dieser Strategie 2006 schon einmal vom zwölften auf den fünften Platz vorgefahren. Die geht auf jeden Fall auf. Man muss nur die Nerven bewahren, wenn man so lange mit dem ersten Satz Reifen draußen bleibt."

In Brands Hatch funktioniere diese außergewöhnliche Strategie wirklich gut, "weil man zum Schluss die ganze Zeit mit einem leeren Tank fahren kann", erklärt Abt. "Man muss bei den späten Stopps nur noch wenig Nachtanken. Das heißt, man hat dann zwei kurze Stints mit zwei Satz frischen Reifen, aber wenig Gewicht, weil man wenig Benzin an Bord hat."

Und damit kann man richtig aufholen: "Wenn man das richtig umsetzen kann, und das hat Mattias super gemacht, kann man pro Runde bis zu einer halben Sekunde schneller fahren. Dadurch hat er sich am Schluss diesen riesigen Vorsprung herausfahren können. Beim Stopp war Mattias mit Martin Tomczyk noch gleichauf und am Schluss haben Martin fast 20 Sekunden gefehlt. Das zeigt auf jeden Fall, dass diese Strategie in Brands Hatch super funktioniert."

Es müssen allerdings gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, damit diese Taktik aufgeht. Immer und auf jeder Strecke funktioniert das nicht: "In Brands Hatch geht es immer bergauf und bergab, da merkst du jedes Kilo. Wenn du da einen leeren Tank und neue Reifen hast, kannst du einfach wesentlich schneller fahren. Noch dazu hatte Mattias immer freie Bahn, es war niemand vor ihm und niemand hinter ihm. Auch deshalb konnte er so viel aufholen und kam bei seinem zweiten Stopp vor Jamie Green wieder raus."

Zuviel Kampf bei den Jahreswagen

Alexandre Prémat, Markus Winkelhock

Markus Winkelhock hängt im Heck von Alexandre Prémat Zoom

Doch nicht alles hat Abt im England-Rennen begeistert. "Die Audi-Jahreswagen haben mich ein bisschen enttäuscht, denn die sind sich glaube ich ein bisschen selbst im Weg herumgestanden und haben sich selbst die Rundenzeiten kaputt gemacht", kommentiert der Experte den Dreikampf, der sich hinter dem Achtplatzierten Mercedes-Jahreswagen-Fahrer Gary Paffett zwischen Oliver Jarvis, Alexandre Prémat und Markus Winkelhock abgespielt hat.

"Die Kämpferei untereinander kostet einfach Zeit. Und sie haben sehr viel gekämpft", so Abt. "Stattdessen hätten sie versuchen müssen, zusammen nach vorn zu fahren. Ich fand das nicht ganz clever. Markus Winkelhock ist momentan von Audi der Jahreswagenfahrer mit den meisten Punkten und wenn er hätte in den direkten Kampf mit Gary Paffett hätte eingreifen sollen, dann hätten sie sich ein bisschen zusammennehmen müssen und zusammenarbeiten. Aber okay, jeder fährt sein Rennen und jeder will nach vorn."

In diesen Dreikampf wurden dann unfreiwillig allerdings auch noch Scheider und Di Resta involviert, als sie das Trio überrunden mussten. "Was mir nicht gefallen hat, war dass sie Timo Scheider ein bisschen aufgehalten und innerhalb von zwei Runden seinen Vorsprung von drei Sekunden auf Paul Di Resta kaputt gemacht haben", kritisiert Abt. "Für Di Resta war es eigentlich sogar ein großer Vorteil, dass die drei da vorn miteinander gekämpft haben. Es war von den dreien nicht clever, da hätten sie mehr in den Rückspiegel schauen müssen. Ich bin mir sicher, dass man ihnen über Funk gesagt hat, dass Timo hinter ihnen ist und da sollten sie doch ein bisschen drauf achten."

Der clevere Schneider

Eine andere Überrundung dagegen funktionierte reibungslos: Als Scheider und Di Resta auf den Zweikampf von Bernd Schneider und Gary Paffett um Platz acht und damit einen Punkt aufliefen, machte Mercedes-Rekordchampion Schneider sofort Platz. "Das war von Bernd clever gemacht", analysiert Abt. "Einerseits hat er seine ganze Routine ausgespielt, indem er gesagt hat: 'Hier kommen diejenigen, die das Rennen anführen, denen gebe ich freie Bahn'. Das finde ich einen tollen und fairen Zug von Bernd."

Doch Schneider habe auch gewusst, dass Paffet das Gleiche tun muss und dadurch auch Zeit verlieren wird: "Bernd hat die Situation abgewartet, denn am Schluss war er ja wieder direkt an Gary dran und hat ihn in der letzten Kurve noch einmal heftig angegriffen. Wenn das Rennen noch zwei Runden länger gedauert hätte, hätte er ihn sicherlich noch gepackt. Aber wenn man nur noch eine halbe Runde hat, tut sich auch Bernd schwer."

Nach dem Rennen in Brands Hatch führt Scheider mit neun Punkten Vorsprung auf Di Resta und Green, Ekström ist mit zehn Zähler Rückstand auf Scheider Vierter. Und Experte Abt ist sich sicher: Entschieden ist da noch gar nichts.