• 14.06.2016 18:05

  • von Wittemeier, Stritzke & Haidinger

Standfestigkeit bei Audi: Mit Halbgas gewinnt niemand

Trotz der noch etwas fragilen Technik im neuen R18 will Audi in Le Mans Vollgas geben: Schonend fahren ohne Performanceverlust - "Was soll Halbgas bringen?"

(Motorsport-Total.com) - Die bisherigen Rennen der Langstrecken-Weltmeisterschaft 2016 in Silverstone und Spa-Francorchamps haben deutlich gemacht, dass der Wettbewerb bei den 24 Stunden von Le Mans von der Standfestigkeit der Autos geprägt sein wird. Vor allem im Lager von Audi ist man im Zwiespalt. Der neue R18 überquerte in beiden WEC-Rennen die Ziellinie als erstes Fahrzeug, aber an anderer Stelle hatte man immer wieder Sorgen mit der Standfestigkeit der neuen Systeme.

Titel-Bild zur News: Lucas di Grassi, Loic Duval, Oliver Jarvis

Sieger in Spa-Francorchamps: Jarvis, di Grassi und Duval im Audi #8 Zoom

"Ich denke, unser neues Konzept ist sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil. Unser Auto hat mehr Potenzial, da kann noch viel mehr kommen. Andererseits ist es noch nicht so ausgereift wie der Porsche", sagt Oliver Jarvis. "Wir haben immer noch ein paar Zuverlässigkeitsprobleme. Wir hätten noch gerne ein paar Monate mehr, um das Auto zu entwickeln, aber wie immer vergeht die Zeit wie im Flug. Unser Nachteil ist vielleicht, dass es uns an Entwicklungszeit mangelt, aber das Positive ist der Spielraum für Entwicklung im weiteren Verlauf des Jahres."

Audi hat den R18, der 2016 erstmals mit einem 6MJ-Hybrid samt Batteriespeichern ausgestattet ist, in vielen Tests ausgiebig erprobt. Dennoch reichte die Vorbereitungszeit nicht ganz, um allen potenziellen Schwierigkeiten vor dem Highlight in Le Mans begegnen zu können. "Ich war bei zwei Ausdauer-Tests involviert - und die waren definitiv nicht problemlos. Wir hatten ständig irgendwelche Probleme, was ganz normal ist", berichtet Spa-Sieger Jarvis. Die große Sorge: Ein Problem zieht meist ein anderes nach sich.

Mindestens ein Werks-LMP1 wird sauber durchkommen

Teamkollege Lucas di Grassi, der sich den in Belgien siegreichen R18 mit Jarvis und Loic Duval teilt, ist zuversichtlicher als der Brite. "Wir sollten es nun aussortiert haben", meint der Brasilianer. Noch vor wenigen Wochen war di Grassi der Ansicht, dass angesichts der Standfestigkeitssorgen bei den Werken "sogar Rebellion in Le Mans gewinnen könnte", aber davon nimmt der aktuelle Formel-E-Gesamtführende nun wieder Abstand. "Aufs Podium kommen sie vielleicht, aber der Sieg geht an ein Werk."

Toyota hat die Motorschäden von Belgien erklärt und aussortiert, Porsche ist nach Problemen mit den Batterien auf den Stand von 2015 zurückgegangen und Audi hat die neue Technologie immer besser in den Griff bekommen. Diese Faktoren deuten an, dass die LMP1-Raketen der drei Hersteller in Le Mans stabiler laufen werden. Hinzu kommt, dass die Herangehensweise an das 24-Stunden-Rennen in Frankreich ein wenig anders ist: kontrollierte Offensive statt bedingungsloser Attacke.

"Man muss sorgsam mit den Autos umgehen. Und das kann kann", erklärt Audi-Technikchef Jörg Zander im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Zwar seien die Prozesse bei Rekuperieren, Energiespeicherung und Abgabe der Power immer gleich - also völlig unabhängig davon, ob ein Fahrer mit 100 Prozent Attacke oder 95 Prozent unterwegs ist -, aber die Auswirkungen bei verschiedenen Betriebsstrategien können für die Zuverlässigkeit durchaus erheblich sein.


Teaser: 24 Stunden von Le Mans 2016

Anheizer für die 84. Auflage der 24 Stunden von Le Mans am 18./19. Juni dieses Jahres

Cruisen ist nicht der Schlüssel zum Le-Mans-Sieg

"Man könnte beispielsweise sagen, dass man zwar voll rekuperiert, man aber den Boost sanfter, aber dafür länger gestaltet - also mit weniger Leistung über einen längeren Zeitraum. Die eingebrachte Energie ist identisch, aber die strukturelle Belastung geringer. Die Spitzen nimmt man heraus und sollte somit eine bessere Langlebigkeit von Komponenten haben", sagt Zander. "Es mag kleine Einflüsse auf die Performance geben, aber unter dem Strich sollte man immer darüber nachdenken."

Was sich nach Halbgas anhört, ist allenfalls ein wenig reduzierte Attacke mit verringertem Risiko. "Selbst wenn wir drei Autos hätten, würden wir alle auf Angriff setzen", sagt Audi-Motorsportchef Wolfgang Ullrich. "Ein Auto im Schongang? Was soll das bringen?", fragt der Österreicher. "Ich muss alle voll fahren lassen. Wenn einem Auto etwas passiert, dann muss das andere anschließend in der bestmöglichen Situation sein. Es muss also auch voll gefahren sein", erklärt Ullrich.

Jörg Zander

Hat ein schnelles Auto gebaut: Audi-Technikchef Jörg Zander Zoom

"Le Mans gewinnst du nicht mit Cruisen", meint auch Technikchef Zander. Nicht nur der Betrieb des R18 ist von entscheidender Bedeutung, sondern auch die Verantwortung der Fahrer. "Die vertikalen Lasten beim Überfahren von Randsteinen belasten auch die Systeme", merkt Zander an. "Es ist immer ein Risikomanagement. Wir haben in Silverstone und Spa unsere Erfahrungen gemacht. Man gewinnt nur, wenn man ankommt. Da muss man entsprechende Abschätzungen machen."