• 17.06.2015 10:41

  • von Roman Wittemeier

Porsche-Sieg in Le Mans: Der Weg zum Erfolg

Porsche-Teamchef Andreas Seidl über die Vorbereitung der Mannschaft, die Vorgaben im 24-Stunden-Rennen und die weiteren Ziele in der WEC 2015

(Motorsport-Total.com) - Nach 17 Jahren Pause zum 17. Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans: Nico Hülkenberg, Earl Bamber und Nick Tandy haben den Porsche-Traum wahr werden lassen. Das Trio im 919 Hybrid mit der Startnummer #19 fuhr am vergangenen Wochenende ein sauberes, kontrolliertes und schnelles Rennen und erarbeitete sich so den großen Sieg an der Sarthe. Es war kein Glücksfall, sondern ein verdienter Erfolg, der mit Mut und Akribie vorbereitet worden war.

Titel-Bild zur News: Earl Bamber, Nick Tandy, Timo Bernhard, Mark Webber, Brendon Hartley

Doppelerfolg für Porsche in Le Mans: Nach 17 Jahren Pause der 17. Gesamtsieg Zoom

"Für die Fahrer, für das Team und für mich persönlich ist es der größte Erfolg in der bisherigen Laufbahn im Motorsport. Wir haben Le Mans gewonnen - mit Porsche einen Doppelerfolg eingefahren! Das ist unschlagbar, das Größte", freut sich Teamchef Andres Seidl im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Ich persönlich wäre schon mit einem Podium glücklich gewesen, denn überhaupt mit einem Auto die 24 Stunden zu überstehen, ist die größte Herausforderung in Le Mans - völlig unabhängig von der Performance."

Der Respekt vor dem großen Rennen und den damit verbundenen riesigen Herausforderungen sei die Grundlage für ein erfolgreiches Auftreten gewesen, meint der Einsatzleiter des Werksteams aus Weissach. "Wir hatten das innovativste Auto im Feld, das gleichzeitig im Rennen das schnellste und haltbarste war", sagt Seidl. "Man kann nur allerhöchsten Respekt vor Alex Hitzinger und seiner Entwicklermannschaft haben. Was die bei aller aggressiven Herangehensweise auf technischer Ebene hingestellt haben, ist unglaublich."

Boxencrews arbeiten fehlerfrei bei 88 Stopps

"Wir hatten auch die beste Boxenmannschaft. Das hat angefangen bei den Telemetrie-Ingenieuren, ging über Strategen und Renningenieure bis hin zu den Mechanikern - alle haben einen absolut fehlerlosen Job abgeliefert, über 24 Stunden an allen drei Fahrzeugen", berichtet der Teamchef stolz. In den vergangenen Monaten musste eine komplette Mannschaft für das dritte Auto in Le Mans aufgebaut werden. Ingenieure und Mechaniker wurden trainiert, man kombinierte erfahrene Kräfte mit Neulingen und schweißte diese zusammen. Das Ziel: Die #19 muss auf Topniveau agieren können.

"In Le Mans kannst du dich nicht auf ein oder zwei Autos konzentrieren. Wenn man drei Autos hat, dann muss man auch sicherstellen, dass alle drei Autos die gleiche Chance haben", sagt Seidl. An der Box wurde perfekte Arbeit abgeliefert. Porsche absolvierte die schnellsten Stopps, profitierte dabei unter anderem von einem strategischen Clou. Der 919 hätte nominell 14 Runden pro Stint fahren können, aber man fuhr nur 13. Konsequenz: Der Tankvorgang dauerte nicht so lange, man sparte pro Stopp rund vier Sekunden. Wichtige Zeit, die sicher auf der Habenseite war.

Alex Hitzinger, Andreas Seidl, Fritz Enzinger

Erfolgreiches Trio: Technikchef Hitzinger, Teamchef Seidl und LMP1-Leiter Enzinger Zoom

"Wir waren jetzt diesbezüglich die Messlatte. Das ist das größte Kompliment für die gesamte Truppe", lobt der Teamchef seine Mannschaften an allen drei Fahrzeugen. "Unsere Renningenieure haben die Autos perfekt durch die 24 Stunden geleitet. Wir sind nicht ein Mal über ein Trümmerteil gefahren oder in ein stehendes Auto, hatten keine wirklich gefährlichen Manöver drin."

Die Nacht in Le Mans: Porsche fährt schneller

"Alle neun Fahrer sind bärenstark gefahren. Man darf nicht vergessen, dass auch unsere Stammfahrer erst im zweiten Jahr mit unserem Projekt sind. In Summe haben wir die wenigsten Fehler gemacht, die Jungs haben immer das passende Maß von Attacke und gleichzeitiger Risikominimierung gefunden", meint Seidl mit Blick auf die neun Helden in den Autos. "Die Piloten hatten von mir die klare Ansage bekommen, dass wir die Nacht überstehen müssen mit einem Auto, an dem noch kein einziges Flügelchen fehlt."

"Anfangs waren wir vorsichtiger, während die Audis extrem aggressiv unterwegs waren. In der Nacht hat es für uns immer besser funktioniert. Das lag wohl daran, dass bei uns die Reifen besser gepasst haben. Das analysieren wir noch genauer", so Seidl. In der kühleren Dunkelheit wuchsen die Neulinge wie Nico Hülkenberg über sich hinaus. Während Audi-Vollgasheld Andre Lotterer Rundenzeiten im Bereich von 3:21.5 Minuten fahren konnte, waren Hülkenberg und Tandy rund eine Sekunde schneller.

Webber Bernhard Hartley

Der Porsche #17 verbrachte die geringste Gesamtzeit bei Boxenstopps in Le Mans Zoom

"Die Fahrer waren wie in einem Fluss, es waren in Nacht der Nacht unglaublich schnelle Stints dabei", freut sich der Teamchef von Porsche. Man sieht sich im Lager des Werksteams bestätigt: Die Kombination von einem Formel-1-Star und zwei schnellen Kräften aus dem eigenen GT-Lager hat sich bewährt. "Mein Chefrenningenieur Stephen Mitas (agierte gleichzeitig als Renningenieur am Fahrzeug #19, war 2014 Renningenieur am Porsche von Bernhard/Webber/Hartley; Anm. d. Red.) und ich wollten eine aggressive, schnelle Fahreraufstellung im dritten Auto, weil auf den WEC-Fahrzeugen etablierte Crews sitzen. So wollten wir Nico, Earl und Nick."

Weitere Ziele 2015: Die WM-Titel in der WEC

Seidl trug seinen Plan bei der Teamleitung vor und erfuhr von Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz und LMP1-Leiter Fritz Enzinger volle Unterstützung. Die ungewöhnliche Konstellation im Porsche #19 wurde umgesetzt, obwohl zahlreiche prominente Piloten ebenfalls großes Interesse an einem Einsatz gehabt hätten. "Dieses Vertrauen haben die Jungs mehr als zurückgezahlt. Im gesamten Rennen haben die nicht ein einziges Mal einen Fehler gemacht. Sensationelle Story!"

"Was für mich diesen Erfolg so besonders macht, ist die Art und Weise, wie das Projekt insgesamt bei Porsche angegangen wurde", sagt Seidl. "Wolfgang Hatz hatte die Vision, dass Entwicklung und Einsatz komplett zentral aus Weissach laufen sollen. Er hat Fritz Enzinger geholt, der mit seinem Netzwerk diese Vision umgesetzt hat. Man hat Alex Hitzinger und mir alle Freiräume und alle Unterstützung gegeben, die es braucht. Der Support des gesamten Vorstandes ist sensationell. Das macht den Spirit dieses Teams aus."

Nico Hülkenberg

War in der Le-Mans-Nacht gut ausgeruht und bärenstark unterwegs: Nico Hülkenberg Zoom

Und diese Mannschaft will noch mehr. Man ist erst im Jahr zwei nach dem LMP1-Einstieg, sieht im 919 Hybrid und dessen Systemen noch viel Potenzial für die Zukunft. "Es gibt eine lange Liste mit Dingen, wo wir noch besser werden wollen - und werden! Wir haben eine großartige Basis", meint der Teamchef. "Wir atmen mal einen Tag lang durch, aber dann geht es weiter. Wir werden nochmal testen. Wir sind noch hungriger. Wir führen die Herstellermeisterschaft an, sind mit den Fahrerteams auf den Plätzen zwei und drei. Da geht noch was. Wir wollen die WM-Titel."