• 05.06.2014 08:06

  • von Roman Wittemeier

Leser fragen Lotterer: Basta für die Pasta

Audi-Werksfahrer Andre Lotterer beantwortet die Fragen der 'Motorsport-Total.com'-Leser: Die enormen mentalen Belastungen beim Dauerlauf in Le Mans

(Motorsport-Total.com) - Spätestens seit seinem Husarenritt im Finale der 24 Stunden von Le Mans 2011, als Audi den damaligen Konkurrenten Peugeot um gerade einmal 13 Sekunden schlagen konnte, gilt Andre Lotterer als einer der besten Piloten in der LMP1-Szene. Der gebürtige Duisburger, der neben der WEC auch noch sehr erfolgreich Rennen in der japanischen Super-Formula (ehemals Formel Nippon) fährt, peilt in diesem Jahr seinen dritten Le-Mans-Sieg an. Vor dem Start in die Rennwoche beantwortet der Audi-Werkspilot die interessanten Fragen der Fans.

Titel-Bild zur News: Andre Lotterer

Andre Lotterer hat bei fünf Starts in Le Mans bereits zwei Gesamtsiege geholt Zoom

Thomas Stelberg fragt: "Andre, du bist lange Zeit erfolgreich in der Super-GT in Japan gefahren und warst für mich ein Grund, diese fantastische Rennserie zu verfolgen. Angenommen du würdest in der nächsten Saison nicht mehr in der WEC für Audi fahren, sondern könntest dich frei zwischen der DTM und der Super-GT in Japan entscheiden: Welche Rennserie würdest du denn bevorzugen?"
Andre Lotterer: "Das ist eine gute Frage, weil es ja nicht nur von der Serie abhängt, sondern auch vom Arbeitgeber. Die DTM wäre eine gute Option, weil ich mit Audi verbunden bin."

"Aber wenn es keinen Arbeitgeber gäbe, dann würde ich gerne in die Super GT zurückgehen, weil es für mich von der technischen und fahrerischen Seite eine pure Herausforderung ist. Durch die vier Reifenhersteller gibt es auf der Strecke immer viel Entwicklung und viel Grip, und auch das Reglement ist nicht so eingefroren, sodass man da technisch etwas machen kann. Außerdem gibt es geile Strecken wie Suzuka oder Sugo, und die Mischung zwischen GT 500 und 300 im Verkehr hat so etwas von einer Mischung zwischen Sprint und Langstrecke. Es macht auf jeden Fall sehr viel Spaß."

Michael Luig fragt: "Falls das überhaupt vorkommt: In welcher Situation hast du Angst?"
Lotterer: "Nie, denn wenn man im Rennwagen Angst hat, dann sollte man gar nicht in den Rennwagen einsteigen. Deswegen ist Angst eigentlich kein Thema. Man ist sich der Gefahr bewusst. Das ist etwas, womit wir von klein auf konfrontiert sind, aber das ist unser tägliches Umfeld. Wir haben immer viel Respekt davor, aber Angst ist kein Thema für mich. Vielleicht gibt es Angst, nicht zu gewinnen oder Angst, dass ich die Karriere irgendwann frühzeitig beenden muss und meine Leidenschaft nicht mehr weiterführen kann. Das ist meine große Angst."

Audi trotz kleiner Hybridklasse konkurrenzfähig

Frage: "Und außerhalb des Autos: Spinnen? Schnecken? Schlangen?"
Lotterer: "Ich bin jetzt nicht so ein Schlangen-Fan. Ich habe noch nie etwas mit einer Schlange zu tun gehabt, weil ich wahrscheinlich Angst vor denen habe, aber ich habe jetzt keine Riesenangst vor irgendetwas. Ich bin ziemlich offen für alles. Natürlich habe ich wie jeder Mann Angst vor tödlichen Gefahren."

Andreas Terlechi fragt: "Fandst du die regnerische Nachtphase in Le Mans vergangenes Jahr auch so gruselig wie ich als Zuschauer?"
Lotterer: "Das kann ich nicht beantworten, weil ich war, glaube ich, nicht im Auto. Aber ich kann mir vorstellen, dass das gruselig ist. Und ich hoffe jedes Jahr aufs Neue in Le Mans, dass es uns erspart bleibt."

Marcel Fässler, Andre Lotterer, Benoit Treluyer

Hinterließ beim Testtag in Le Mans einen starken Eindruck: Audi R18 e-tron quattro Zoom

Ronald Noll fragt: "Das Reglement bevorteilt große Hybrid-Systeme. Wie ist es für dich als Fahrer, wenn du per Reglement wegen des Zwei-Megajoule-Systems mit einem theoretischen Nachteil von 1,4 Sekunden pro Runde in Le Mans an den Start gehen musst?"
Lotterer: "Es hat schon was Frustrierendes. Das sind Fakten, und das kann man trotz bester Vorbereitung, die wir bei Audi haben, nicht kompensieren - obwohl unser Paket sehr gut ist."

"Alles ist sehr gut optimiert, aber das Reglement fördert größere Hybridsysteme. Da wir in der kleinsten Hybridklasse sind, haben wir da natürlich ein kleines Defizit. Auf der anderen Seite haben wir Vorteile. Von dem her versuchen wir uns auf die Vorteile zu stützen und schauen, dass wir uns in der Branche auch entwickeln."

Der Unterschied zwischen Nordschleife und Le Mans

Kai Grosskopf fragt: "Was ist beim 2014er R18 e-tron quattro anders als bei der Version von 2013?"
Lotterer: "Das Auto ist im Prinzip zehn Zentimeter schmaler, wir haben jetzt Licht mit Lasertechnik, die Sitzposition ist noch ein wenig aufrechter, man hat ein besseres Sichtfeld, die Reifen sind fünf Zentimeter schmaler...Das ist schon einiges."

Jürgen Hansmann: "2011 ist Benoit Treluyer mal fünf Stints am Stück auf einem Reifensatz gefahren. Wird so etwas in diesem Jahr auch möglich sein?"
Lotterer: "Das kommt darauf an, wie gut wir mit den Reifen umgehen werden. Tendenziell geht es in diesem Jahr im Vergleich zum letzten Jahr in die Richtung. Man kann länger mit den Reifen fahren, weil sie einen Tick härter sind. Von daher wird man so etwas sicherlich versuchen und auch ausnutzen."

Jan-Niklas Hilgenberg fragt: "Welches 24-Stunden-Rennen ist anstrengender: Nürburgring oder Le Mans?"
Lotterer: "Auf dem Nürburgring bin ich nur dreimal gefahren. Physisch ist es am Nürburgring anstrengender, weil man da ständig durchgerüttelt wird. Ich denke, Le Mans ist mental ein bisschen anstrengender, wegen der hohen Geschwindigkeiten. Wir fahren immer 320 bis 330 km/h, und man fährt viel präziser als am Nürburgring."

"Man bremst jedes Mal am Limit. Am Nürburgring lässt man viel mehr Spielraum. Wenn man sich hier nur um einen Meter verbremst, zahlt man den Preis sofort und schießt durch den geringen Abtrieb und die hohen Geschwindigkeiten geradeaus. Das ist mental schon anstrengend, vor allem wenn man vier Stunden im Auto sitzt. Man merkt, dass man nach dem Rennen mental richtig platt ist. In der ganzen Woche sind viele Medien da, man hat viele Verpflichtungen - das ist halt Le Mans!"

Die Formel 1 war mal das große Ziel

Dirk Thiele fragt: "Was würdest du tun, wenn du einen Platz in einem Topteam der Formel 1 angeboten bekämst?"
Lotterer: "Das würde mich schon reizen. Aber ich bin sehr happy, wo ich bin. Momentan fahre ich mit meinem Formelauto in Japan (Super Formula; Anm. d. Red.) in den Kurven schneller als die Formel 1. Es würde mich nur reizen, weil es mein Karriereziel war, in die Formel 1 zu kommen - und ich es nicht geschafft habe. Aber fahrerisch ist es heutzutage nicht mehr das Spannendste, was es gibt."

Sven Stange fragt: "Wie kann Audi den eventuellen Top-Speed-Nachteil von zehn km/h gegenüber Porsche wettmachen?"
Lotterer: "Sich im Windschatten verstecken!" (lacht; Anm. d. Red.)

Lotterer Fässler Treluyer Le Mans 2011

Der große Moment 2011: Andre Lotterer bringt den Audi als Sieger ins Ziel Zoom

Nikolas fragt: "Wie bereitest du dich auf Le Mans vor? Und was macht mehr Spaß: im Hellen oder im Dunkeln fahren?"
Lotterer: "Ich bereite mich seit dem ersten Januar progressiv vor. Man arbeitet das ganze Jahr an Le Mans, aber ab dem ersten Januar sage ich mir: 'Okay, bald kommt Le Mans. Jetzt wird Fitness aufgebaut und viele Grundlagen wie Ausdauer trainiert.' Dadurch, dass ich auch in Japan fahre, muss ich mit meinen Energien sparsam umgehen und immer gut mit der Fitness beieinander sein."

"Zwei Monate vor Le Mans ist Alkohol zu 99,9 Prozent kein Thema mehr. Dann trinke ich nichts. Und zwei Wochen vor Le Mans bin ich zu Hause bei meiner Mutter in Belgien und genieße die Ruhe. Ich unternehme nicht viel, damit ich wirklich mega entspannt ankomme. Ich mache auch Trainingslager in den Bergen - mit Fahrrad und viel Ausdauer."

"Zum Fahren Tag oder Nacht: Ich fahre sehr gerne den Start. Das ist einer der schönsten Momente des Rennens, wenn alle Fahrer auf der Startaufstellung sind und das ganze Publikum den unglaublichen Moment verfolgt. Es sind viele Emotionen und Nationen beisammen - und wir sind alle irgendwie eine Familie. Ich fahre gerne gleich Vollgas, aber nachts ist es auch schon etwas Besonderes."

"Das ist genau das Gegenteil vom Start: Alle Leute sind weg, man ist ganz alleine. Man hat die Zwischenzeiten auf dem Lenkrad, und man versucht, immer seinen Fahrstil anzupassen: Hier einen Tick später bremsen, da ein bisschen besser aus der Kurve kommen - einfach überall optimieren. Diese Einsamkeit da draußen verbindet das Auto und den Fahrer noch einmal ein bisschen mehr. Außerdem ist das Speedgefühl höher, weil wir einfach weniger sehen. Ich bin schon scharf auf die Nacht."

Als plötzlich die Pasta warten musste...

Rico Krause fragt: "Auf der Autobahn hört man immer wieder von Sicherheitsabstand. Wie schafft ihr es als Rennfahrer, dem Vordermann nah aufzufahren, ohne dass ihr beim Anbremsen hintendrauf sitzt?"
Lotterer: "Es kommt drauf an, wer vor einem ist. Wir kennen die Geschwindigkeiten von jedem und den verschiedenen Fahrzeugen genau. Man kann auch fast ahnen, wer drin sitzt - ob das jetzt ein Profi ist oder nicht. Man kann viel besser vorausschauen, was der Vordermann macht, weil wir alle das gleiche Ziel haben: schnell fahren. Es wird nichts Unvorhersehbares kommen, deswegen kann man das alles ein bisschen im Voraus kalkulieren. Wir denken gar nicht an den Abstand, wir denken an das Vorbeigehen. Das ist einfach ein Prozess."

Christoph Marchewicz fragt: "Ich habe gelesen, dass du dir leidenschaftlich gerne Smoothies zubereitest. Welches Rezept magst du am liebsten und würdest du deinen Fans empfehlen?"
Lotterer: "Wenn man sportlich unterwegs ist, ist das eine gute Nahrungsergänzung. Ich mag gerne Spinat und Bananen mit Kokosnusswasser."

Steffen Reimann fragt: "Le Mans 2012 in der Nacht, kurz vor 4:20 Uhr: Fässler fliegt von der Strecke und berührt die Betonwand. Dabei verzieht sich die Motorabdeckung. Er fährt in die Box, steigt aus - und es dauert eine gefühlte Minute bis Lotterer kommt und ins Auto steigt. Was war los?"
Lotterer: "Gute Frage. Ich war oben in der Lounge. Ich wusste, ich bin bald dran, aber der Marcel hatte noch ein paar Runden zu fahren - so fünf oder sieben. Idealerweise wäre ich schon in der Box unten gewesen, aber da ich dem Marcel vertraue und weiß, dass bei ihm meist nichts Unvorhergesehenes passiert, war ich noch ziemlich entspannt am Pasta essen."


Fotostrecke: Le Mans 2013 im Rückblick

"Ich hatte das Radio neben mir und hörte ihn: 'Scheiße! Ich glaub, ich habe die Wand berührt. Ich habe mich gedreht'. Ich habe das kaum gehört, gleich die Pasta weggeschmissen, bin heruntergerannt in die Box, Anzug von der Hüfte hochgezogen, Ohrenstöpsel nochmal gecheckt: Kommt er wirklich rein? Ich habe meinen Helm angezogen, bin hingerannt und dann stand er schon draußen an der Box und war die ganze Zeit am Hüpfen. Und ich denke mir nur: 'Oh, nein!' Das ist ja das Schlimmste in Le Mans: Auf solche Art Zeit zu verlieren. Das fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Ich bin direkt ins Auto gesprungen und hatte nicht einmal Zeit, die Reifen zu wechseln. Da hatten wir unseren Puffer verloren."

"Allan (McNish; Anm. d. Red.) war in jenem Moment direkt hinter mir, ich musste alles herausholen. Ich habe mit den gebrauchten Reifen alles gegeben und konnte innerhalb von ein paar Runden eine kleine Lücke herausfahren. Aber dann kam das Safety-Car. Und da habe ich so ein Schwein gehabt. Das fuhr los, und ich bin vorbei, aber es hat sich vor Allan gesetzt. So haben wir unseren Puffer wieder bekommen. Das war eine heiße Phase. Aber im Nachhinein ist es auch cool. Das sind solche Geschichten. Egal, welche Situation auf einen zukommt: Man muss auf Knopfdruck bereit sein, alles zu geben - auch wenn es auf alten Reifen ist."