• 19.05.2015 16:30

  • von Neel Jani

Kolumne von Neel Jani: "So muss Rennsport sein!"

Porsche-LMP1-Werksfahrer Neel Jani berichtet in seiner Kolumne über die aktuellen Fights in der WEC, die Anstrengungen im Cockpit und die Vorfreude auf "The Big One"

Liebe WEC- und Le-Mans-Fans,

Titel-Bild zur News: Neel Jani

Ich freue mich schon auf die kommenden Fahrten auf der coolen Le-Mans-Strecke Zoom

jetzt geht es für die WEC bald "nach Hause" um den ganz großen Pokal. Nach den ersten Rennen des Jahres in Silverstone und Spa ist die Vorfreude auf Le Mans bei Romain Dumas, Marc Lieb und mir  riesengroß. Und natürlich auch bei den anderen Porsche 919 Hybrid-Teams. Die beiden WEC-Läufe in England und Belgien haben Porsche zwar noch nicht den erhofften Sieg gebracht, aber ganz klar Racing wie ich mir das wünsche! Die Szene ist im Aufwind, die LMP1-Autos absolut genial und die Zweikämpfe erinnern mich sehr an meine A1GP-Zeit. So kann es für mich ewig weitergehen.

In Silverstone und Spa war es jeweils der Audi mit der Nummer 7, der uns am Ende den Spaß ein wenig verdorben hat, weil er vor uns war. Wir haben uns mit dem Auto immer wieder enge Duelle geliefert - allerdings zweimal unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. In Silverstone war Audi im Rennen in den kurvigen Passagen schneller als wir. Besonders dort galt es für uns, deren Autos möglichst lange in Zweikämpfe zu verstricken, damit sie nicht nach vorne abhauen können.

Unserer Startnummer 18 ist das zwar phasenweise gut gelungen, aber es hat am Ende dennoch nicht ganz gereicht. In Spa waren die Vorzeichen genau anders herum. Dort musste Audi uns in Duelle zwingen, damit wir nicht die Flucht nach vorn antreten können. Es war quasi der gleiche Kampf, nur die Rollen haben wir getauscht. Details entscheiden im Moment über Sieg und Niederlage. Die Jungs im Audi #7 haben in den ersten beiden Rennen einen sehr guten Job gemacht. Nichtsdestotrotz sind wir mit dem Porsche voll im WM-Kampf dabei und werden beim "Big One" alles versuchen, um zurückzuschlagen!

Harte Zweikämpfe bringen viel Freude

Die Zweikämpfe auf den Strecken sind in diesem Jahr viel intensiver als zuvor. Immer wieder begegnen wir den anderen Autos in direkten Duellen. Das macht nicht nur mir einfach unwahrscheinlich viel Spaß. Klar, wir Rennfahrer wollen immer siegen - ein einsames Rennen an der Spitze und eine anschließende Feier auf dem Podest sind fein. Noch schöner ist es aber, wenn man sich Siege erkämpfen muss. Die Aussicht vom Berggipfel ist auch schöner, wenn man selbst hochgekraxelt und nicht per Gondel dorthin gekommen ist.

Romain Dumas, Neel Jani, Marc Lieb

In der LMP1 hat man aktuell immer irgendwo einen Gegner um sich herum Zoom

Das wirklich Schöne ist, dass wir in der LMP1-Szene richtig starke, professionelle Fahrer haben, die genau wissen, was sie tun. Wenn man sich mein Duell mit Marcel Fässler aus Silverstone mal anschaut, dann sieht man, dass wir wohl noch Stunden so hätten kämpfen können, ohne dass etwas passiert. Wir verstehen uns - übrigens auch abseits der Strecke - und haben den nötigen Respekt. Die Zweikämpfe werden im Verlauf des Jahres bestimmt noch härter. So muss Rennsport sein, auch wenn er dadurch anstrengender für uns wird.

Aus Fahrersicht möchte ich das mal darstellen: Dass unsere LMP1-Autos so dermaßen an Tempo zugelegt haben, ist ganz in meinem Sinne. Allerdings geht damit einher, dass die Herausforderung viel größer wird und viele veränderte Faktoren eine Rolle spielen. In Spa waren wir fünf bis sechs Sekunden schneller pro Runde als 2014. Diese fünf bis sechs Sekunden gehen körperlich nicht spurlos an einem Piloten im Cockpit vorbei. Und es kommt dann noch die zusätzliche mentale Belastung hinzu.

Was bei hohem Tempo im Cockpit alles passiert

Man braucht in unseren komplexen Autos eine enorme mentale Aufnahmefähigkeit. Die Konzentration muss noch höher sein, die ständige extreme Aufmerksamkeit laugt einen mental aus. Die GT-Autos sind im Vergleich zum Vorjahr kaum schneller geworden. Dementsprechend kommen wir viel schneller auf die zugeflogen. Wir müssen aus viel größerer Distanz abschätzen, wo wir herauskommen, wo wir sie treffen und - nicht unwichtig - ob es ein Amateur- oder ein Profiauto ist.

Bei einem GTE-Pro-Auto weißt du, dass du nicht ganz so schnell aufläufst und du kannst die Fahrweise und Linienwahl besser einschätzen. Bei einem Amateur weißt du fast gar nichts. Die Bremsen manchmal um einiges früher als man es erwarten würde - und man selbst kommt mit einem gigantischen Speedüberschuss angerauscht.

Während all dieser Überlegungen im Verkehr haben wir noch viele weitere Dinge im Auto zu beachten. Wir müssen schauen, dass wir genügend Energie rekuperieren, um die Batterien wieder aufzuladen. Wir müssen verhindern, zu viel Benzin zu verbrauchen, in dem wir beispielsweise die passenden Gänge wählen. Wir müssen immer wieder Einstellungen am Lenkrad vornehmen. Dafür haben wir sogar eine 30-seitige Anleitung! Ja - und dann kommen im Moment immer noch die engen Zweikämpfe hinzu.

In diesem Jahr ist es nun einmal so, dass ständig ein direkter Gegner um einen herumfährt. Man muss bei der Fahrt nicht nur die Autos der langsameren Klassen im Blick behalten, sondern auch die anderen LMP1, die in der Nähe sind - und da ist eigentlich immer einer irgendwo. Und jetzt projiziert all das mal nach Le Mans: die Nacht, womöglich Regen, höhere Geschwindigkeiten, mehr Autos. Dann wisst ihr, warum Le Mans die absolut größte Herausforderung für alle sein wird.

Schulzeiten legen Grundlage für Le-Mans-Racing

Weil die Anstrengungen im Cockpit zugenommen haben, bin ich im Training seit einiger Zeit etwas mehr auf lange Ausdauereinheiten gegangen. In Le Mans sitzen wir bis zu vier Stunden am Stück im Auto, was ganz schön anstrengend ist! Mein Training an sich hat sich ansonsten seit meinen ersten Formel-1-Tests 2005/2006 nicht großartig verändert. Damals waren die Formel-1-Autos noch richtig schnell, physisch ziemlich fordernd. Mein Training von damals hat sich bewährt.

Ich mache im Rahmen der Vorbereitung auch immer ein paar Konzentrationsübungen, aber ich habe das große Glück, dass ich irgendwie die Veranlagung habe, mich sehr gut auf eine Aufgabe fokussieren zu können. Das stammt wohl noch aus Schulzeiten. Weil ich damals wegen des Rennsports immer wieder einige Unterrichtsstunden verpasst habe, musste ich immer innerhalb kürzester Zeit den Stoff nachholen, um die Prüfungen zu bestehen - hat immer ganz gut geklappt. In diesem Sinne war die Schule toll! :)


WEC Silverstone 2015: Audi vs. Porsche um den Sieg

Marcel Fässler und Neel Jani fighten in der letzten Stunde des WEC-Auftakts in Silverstone verbissen um den Sieg.

Ernsthaft: Diese Fähigkeit, mich auf den Punkt zu konzentrieren, hilft mir auch jetzt noch. Hinzu kommt, dass man als Fahrer seine Grenzen kennen muss - nicht nur die des Autos. Die Kunst dabei ist es, die eigenen Limits zu kennen und niemals darüber hinaus zu gehen, denn sonst macht es ganz schnell "Bumm"! Ein Fehler - und das Rennen ist bei den momentan so engen Entscheidungen schnell hinüber.

Wenn wir uns in Spa schon um fünf Sekunden verbessert haben, dann kann man erahnen, wie schnell es in Le Mans zugehen wird. Das wird fahrerisch eine richtig schöne Herausforderung. Ich habe eigentlich erst seit meiner ersten Teilnahme 2009 eine richtige Beziehung zu Le Mans. Damals war ich "hauptberuflich" noch in der A1GP-Serie unterwegs, wurde aber vom damaligen Team Speedy - später Rebellion - für das 24-Stunden-Rennen angefragt.

Was hat der Trainer vom Lotterer übrig gelassen?

Als ich 2009 dort in Le Mans diese ganze Woche mit den tollen Fans, der besonderen Atmosphäre und vor allem dieser ganz außergewöhnlichen Strecke erlebt habe, da hat es auch mich erwischt. Seitdem ist Le Mans für mich in jedem Jahr das absolute Highlight. Jetzt gehe ich dort schon zum siebten Mal an den Start - wie schnell doch die Zeit vergeht. Beim Lola 2009 war noch ein schreiender V12 im Heck. Das war cool, aber nicht schnell genug. Jetzt geht es für Romain Dumas, Marc Lieb und mich mit Porsche um den Gesamtsieg. Ein Traum!

Neel Jani

So richtig viel Entspannung bekommen wir Fahrer in der Le-Mans-Woche nicht Zoom

Wir haben jetzt gerade unseren letzten Test vor Le Mans hinter uns gebracht. In Aragon sind wir mit dem neuen Aeropaket für weniger Luftwiderstand gefahren und haben mächtig geschwitzt. Die spanische Sonne hat gebrannt, es waren immer über 30 Grad. Unser Paket funktioniert wie wir es uns vorgestellt hatten. Timo (Bernhard; Anm. d. Red.) und ich sind an den ersten beiden Tagen gefahren, anschließend haben die anderen sieben Kollegen den 30-Stunden-Dauerlauf absolviert.

Auch wenn es noch rund vier Wochen sind: Le Mans steht schon direkt vor der Tür. Ich bin nun noch zwei Tage lang in Frankreich bei einem Event, anschließend fahre ich direkt zu meinem Trainer Helmut nach Österreich, um mir den letzten Schliff verpassen zu lassen. Aktuell ist gerade der "Lotti" (Andre Lotterer) beim Helmut im Training. Ich hoffe, dass er den Kollegen schön müde gemacht hat, damit unsere Chancen besser werden!

Jetzt heißt es eigentlich nur noch: Volle Fahrt voraus! Nach Le Mans erzähle ich euch in einer neuen Kolumne über meine Erlebnisse dort. Ob erfolgreich oder nicht, es wird jedenfalls ereignisreich werden.

Viele Grüße,

Neel Jani

P.S.: Schaut auch auf meinen Accounts bei Twitter, Facebook und Instagram vorbei, um weitere besondere Einblicke in mein Leben als Porsche-Werksfahrer zu bekommen!