Röhrl: Moderne Rallyes sind "aneinandergereihte Minirennen"

Rallye-Legende Walter Röhrl vergleicht die heutigen Anforderungen an Rallye-Piloten mit jenen in seiner aktiven Karriere - Komplett anderer Grundgedanke

(Motorsport-Total.com) - Der Rallye-Sport hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte deutlich verändert. Elemente wie die Rally2-Regel, nach der ein bereits ausgeschiedenes Fahrzeug auf der nächsten Etappe wieder mit von der Partie ist oder auch die in erster Linie für das Fernsehen ins Leben gerufene Power-Stage haben mit dem Rallye-Charakter vergangener Tage nicht mehr viel gemein.

Titel-Bild zur News: Walter Röhrl

Röhrl erkennt in der heutigen Rallye-Szene grundlegene Unterschiede zu früher

Auch die modernen Autos, etwa die in der Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) zum Einsatz kommenden World-Rallye-Cars, unterscheiden sich inzwischen deutlich von ihren Vorgängern. Mitte der 1980er-Jahre mussten die Rallye-Piloten am Steuer der über 500 PS starken Gruppe-B-Monster zaubern, um heil über die Asphalt- und Schotterprüfungen der Weltmeisterschaft zu kommen. Die modernen WRC-Autos hingegen mit rund 300 PS aus und darüber hinaus mit diversen Fahrhilfen daher.

"Heute ist es ziemlich einfach, die modernen Rallye-Autos zu fahren", sagt der zweifache Rallye-Weltmeister Walter Röhrl im Gespräch mit 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' und zieht einen Vergleich zu seiner aktiven Zeit in den 1970er- und 1980er-Jahren: "In unserer Zeit war es so schwierig, diese Autos zu fahren, dass sich der Gute ganz schnell zehn Minuten von den anderen abgesetzt hat." Im Unterschied dazu müsse man laut Röhrl heutzutage "keine Kondition für vierzig Stunden im Auto haben" und auch "bei Nebel und in der Nacht nicht besonders gut sehen können". Aus diesem Grund falle es immer schwerer, einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz herauszufahren.

Rallye damals und heute: Komplett anderer Grundgedanke

"Der Abgrund ist eben da. Da musst du den Fuß vom Gas nehmen und nicht fordern, dass einer den Abgrund auffüllt." Walter Röhrl

Der Weltmeister der Jahre 1980 und 1982 betont, dass der Rallye-Sport im Laufe der Zeit generell einen Wandel durchlaufen hat. "Der Grundgedanke war früher die Prüfung von Mensch und Material auf Zuverlässigkeit. Diese aneinandergereihten Minirennen heute haben ja nichts mehr mit diesem Gedanken zu tun", kritisiert der 66-Jährige, um im selben Atemzug hinzuzufügen: "Aber zum Glück ist der wichtigste Grund, warum ich den Rallye-Sport für den größten Motorsport halte, immer noch der gleiche - weil der Baum eben nicht auf die Seite springt."

"Jedes Jahr werden die Autos schneller und jedes Jahr wird den Fahrern noch mehr Platz für Fehler eingeräumt. Das ist pervers", führt Röhrl weiter aus und gibt zu bedenken: "Das ist doch ein Sport, der dich zur Gewissenhaftigkeit erzieht. Der Abgrund ist eben da. Da musst du den Fuß vom Gas nehmen und nicht fordern, dass einer den Abgrund auffüllt."

Das 22-jährige Nachwuchstalent Sepp Wiegand, in diesem Jahr für Skoda auf internationaler Ebene in der WRC2-Wertung am Start, kann die Gedanken der Rallye-Legende nachvollziehen, beteuert aber, dass die Gefahr im Cockpit ausgeblendet wird. "Wenn du auf der Prüfung unterwegs bist, dann siehst du das alles nicht. Es ist dir schon bewusst, dass etwas passieren kann, aber man hat da diesen Tunnelblick", so Wiegand gegenüber 'Frankfurter Allgemeine Zeitung'.

Röhrl fuhr mit "fotografischem Gedächtnis"

Aufgrund des Altersunterschieds in Höhe von 44 Jahren und der damit einhergehenden Differenz in puncto Erfahrung unterscheiden sich die Aussagen von Röhrl und Wiegand auch beim Thema Beifahrer. "Mein Glück ist, dass ich ein fotografisches Gedächtnis habe. Ich habe neunzig Prozent im Kopf gehabt", erinnert sich Röhrl daran, wie er zu seiner aktiven Zeit über die Wertungsprüfungen raste und stellt klar, man könne "in einem Gruppe-B-Auto mit 535 PS nach dem fahren, was der Beifahrer erzählt, aber halt nur langsam".

Wiegand hingegen müsse in der WRC2 nach der Ansage seines Co-Piloten fahren. "Für mich war bis jetzt beinahe jede Rallye neu. Ich bin fast keine schon zweimal gefahren und somit kenne ich die meisten Strecken gar nicht. Ich bin mal gespannt darauf, wie es ist, wenn ich eine Rallye zum zweiten Mal fahre - wenn man schon einen Aufschrieb hat, den man dann verbessern kann", so der zum Nachwuchskader des Volkswagen-Konzerns gehörende Skoda-Pilot.