Werde jetzt Teil der großen Community von Motorsport-Total.com auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über den Motorsport und bleibe auf dem Laufenden!
Rampf: "Performance des Polo war oberste Priorität"
Willy Rampf, der Technische Direktor bei Volkswagen, erklärt die technischen Herausforderungen an einen WRC-Boliden - Viele Faktoren sorgten für den Erfolg
(Motorsport-Total.com) - Volkswagen hat in diesem Jahr einen weltmeisterlichen Einstand in die Rallye-WM geschafft. Der neue Polo R WRC war nicht nur von Beginn an schnell, sondern über weite Strecken auch zuverlässig. Unter der Motorhaube arbeitet ein 1,6 Liter Reihen-Vierzylinder mit Abgasturbolader, der etwas mehr als 315 PS leistet. In knapp vier Sekunden wird der Polo aus dem Stand auf 100 km/h beschleunigt. Bei einem Rallye-Boliden sind das Fahrwerk und der mechanische Grip die entscheidenden Faktoren. Willy Rampf, der Technische Direktor bei Volkswagen, erläutert im Interview mit 'Motorsport-Total.com' die technische Herausforderung eines World Rally Cars.

© Volkswagen
Technikdirektor Willy Rampf verfügt über reichhaltige Erfahrung im Motorsport Zoom
Frage: "Mit dem Weltmeistertitel hat Volkswagen alle Erwartungen übertroffen. Konnte man im Vorfeld aus technischer Sicht von den Tests und Vergleichsfahrten erwarten, dass es so gut laufen wird?"
Willy Rampf: "Nein, das konnte man nicht erwarten. Wir hatten den Vergleich mit dem Skoda Fabia S2000. Wir hatten den Skoda auch bei Tests dabei und konnten vergleichen, wie schnell der Polo im Vergleich zum Skoda ist. Wir hatten auch den Vergleich mit dem Skoda zu den Konkurrenzfahrzeugen. Man konnte das natürlich umlegen und wir haben gewusst, dass wir nicht danebenliegen. Es war aber technisch nicht ersichtlich, dass wir so dominieren würden, wie es schließlich passiert ist."
"Ogier hat im Vorjahr das Auto getestet und war mit dem Fahrzeug nie so richtig zufrieden. Es war sehr schwierig abzuschätzen, ob das Auto gut ist der ob wir komplett hinterherfahren. Ogier hat nach dem letzten Test für Monaco Ende 2012 gesagt, dass er mit diesem Auto Rallyes gewinnen kann. Er hat uns immer motiviert, aber auch Kritik geübt, damit wir das Auto schneller machen. Er ist ein absoluter Toppilot an der Strecke und auch bei der Entwicklung. Ohne dem konstant guten und professionellen Feedback von Ogier wären wir auch nicht dort wo wir jetzt sind."
Frage: "Jost Capito hat gemeint, dass ihr ungefähr einen Monat vor dem Start der Rallye Monte Carlo Probleme hattet und ihr dann aufgewacht seid und Vollgas gegeben habt. Was war im Rückblick genau das Wachrütteln?"
Rampf: "Es war weniger ein Wachrütteln. Wir hatten unser Programm und wussten, was wir noch testen müssen. Bei einem der letzten Tests hatten wir kleinere technische Probleme. Sie hätten alle zum Ausfall geführt. Daher hatten wir die Hausaufgabe, alle diese kleineren Probleme zu lösen. Wir konnten aber nicht mehr viele Tests machen. Es war weniger ein Wachrütteln, aber uns war klar, dass wenn wir nicht überall perfekte Arbeit abliefern, dann steht das Auto."
Frage: "Es gibt viele Komponenten, wie die Motorspezifikation, die vorgeschrieben sind. Wie viele Freiheiten hat ein Hersteller bei der Entwicklung eines World Rally Cars?"
Rampf: "Die Rohkarosserie muss von einem Serienfahrzeug stammen. Es dürfen bestimmte Bereiche abgeändert werden. Beim Fahrwerk muss man eine McPherson-Achse vorne und hinten verwenden. Eine McPherson-Achse von einem WRC-Polo ist aber weit entfernt von einem Serienteil. Das heißt was die Stabilität, die Steifigkeit und Festigkeit angeht, sind diese Teile wesentlich stärker dimensioniert. Dazu gibt es natürlich Allrad. Das ist bei diesen kleineren Fahrzeugen gewöhnlich nicht üblich. Das Getriebe ist komplett frei, da sind nur das Gewicht und bestimmte Spezifikationen vorgeschrieben. Der Motor ist der Global Race Engine. Von der Konstruktion ist man frei. Vorgeschrieben sind der Hubraum, die Drehzahl und der Ladedruck sowie andere Kleinigkeiten wie zum Beispiel der Ladeluftkühler. Von dem her gibt es ein breites Spektrum an technischen Bereichen, die man komplett neu auslegen muss."
Unterschiede zu Serienmodell
Frage: "Es kam der Vergleich zum Serienfahrzeug zur Sprache. Kann man als Hersteller Erkenntnisse gewinnen, die in Zukunft in die Serie einfließen werden?"
Rampf: "Man hat einen 1,6 Liter Turbomotor. In diesem Bereich kann man noch am meisten übernehmen. Diese Motoren sind nicht so extrem konstruiert wie ein Formel-1-Motor, sondern sind wesentlich näher an der Serie dran. So ein Motor dreht rund 8.500 Umdrehungen. Viele kleine Motordetails sind auch auf die Serie übertragbar."

© Volkswagen
Der Polo R WRC muss unterschiedlichstes Terrain beherrschen Zoom
"Ein Seriengetriebe ist wesentlich moderner als ein WRC-Getriebe, denn wir haben ein sequentielles Getriebe, das vom Prinzip her einem Motorradgetriebe ähnlicher als einem Seriengetriebe ist. So sieht es auch bei der Elektronik aus. Die Serienelektronik ist wesentlich ausgefeilter. Unsere Elektronik ist speziell auf den Motorsport ausgerichtet. Es gibt auch kein ABS in einem Rallye-Fahrzeug. Wir bremsen ganz normal und sogar ohne Bremskraftverstärker."
Frage: "Das heißt, dass ein Serienmodell in bestimmten Bereichen dem Rallye-Boliden überlegen ist?"
Rampf: "In gewissen Bereichen, was die Technik angeht, ja. Da ist ein Serienfahrzeug moderner. Serienfahrzeuge sind in vielen Bereichen moderner, weil die Rallye-Fahrzeuge vom Reglement her eingeschränkt sind. Das Thema Hybrid wäre beispielsweise eine Entscheidung der FIA. Das liegt nicht an den Teams."
Frage: "Im Rallye-Sport wird auf Schotter, Asphalt und Schnee gefahren. Die Autos unterscheiden sich vor allem bei den Fahrwerken für diese Untergründe doch erheblich. Sind es drei wesentlich unterschiedliche Autos?"
Rampf: "Vom Fahrwerk her sind es zwei verschiedene Fahrzeuge. Man unterscheidet zwischen Asphalt und Schotter. In diesem Bereich sind die Fahrwerke und die Fahrwerksabstimmung unterschiedlich. Fahrwerkskomponenten wie die Radträger sind identisch, weil sie gleich bleiben müssen. Da gibt es beim Radträger zum Beispiel nur einen Homologationsstand."
Frage: "Für den Polo waren alle Rallyes Neuland. Von außen gesehen waren die Vorstellungen teilweise sehr souverän. Trotzdem war es eben Neuland. Ihr musstet natürlich bei jeder Rallye viel lernen?"
Rampf: "Das Lernjahr, das wir mit dem Skoda Fabia hatten, war sehr gut. Daher kannten wir die Anforderungen der Strecken. Wir wussten, was auf uns zukommt. Prinzipiell war der Polo zum ersten Mal auf der Strecke. Deshalb mussten wir die Abstimmung speziell für den Polo machen. Es war viel Neuland dabei."
Frage: "Ein wichtiger Faktor ist auch die Zuverlässigkeit. Bei der Rallye Portugal war das ein großes Thema. Wie macht man einen WRC-Boliden für die unterschiedlichen Streckenanforderungen zuverlässig?"
Rampf: "Das Hauptaugenmerk bei der Entwicklung des Fahrzeuges lag bei der Performance. Die Performance des Fahrzeuges muss gut sein. Das war oberste Priorität. Die Zuverlässigkeit bekommen wir durch gutes Engineering hin. Wenn ein Bauteil bricht, kann man es nachher noch berechnen oder vielleicht einen anderen Werkstoff einsetzen. Die Zuverlässigkeit war eine Selbstverständlichkeit. Jede gute Lösung, die von der Performance her gut ist, müssen wir so hinbekommen, damit wir jede Rallye bestreiten können."
Frage: "Als Beispiel wäre hier die Handbremse zu nennen. Sebastien Ogier hat in der ersten Saisonhälfte mit unterschiedlichen Varianten experimentiert."
Rampf: "Das Problem bei der Handbremse war, dass sie nicht schnell genug reagiert hat - nicht schnell genug für Ogiers Fahrstil. Deswegen haben wir verschiedene Systeme ausprobiert. Wir haben pneumatisch angefangen und dann hydraulisch weitergemacht und das System optimiert. Ab Mitte der Saison hat sich das System stabilisiert und wir sind damit die Saison auch zu Ende gefahren."
Aerodynamik bei Sprüngen wichtig
Frage: "In anderen Motorsportserien wie der Formel 1 oder der WEC spielen die Aerodynamik und CFD-Systeme bei der Entwicklung eine große Rolle. Wie ist das bei einem World Rally Car?"
Rampf: "Die Aerodynamik spielt natürlich eine deutlich geringere Rolle als bei Rundstreckenrennen, egal welche Kategorie. Man versucht natürlich so gut es geht Abtrieb zu erzeugen. Durch das Reglement bedingt hat man auch keinen richtigen Diffusor. Deshalb ist die Wirkung relativ stark begrenzt. Es gibt aber auch Fahrzustände wie in Finnland, wo die Sprünge bis zu 50 Meter lang sind. Dort versucht man durch eine bestimmte Aerobalance das Auto in einer stabilen Flugbahn zu halten. Das Fahrzeug soll natürlich mit allen vier Rädern gleichzeitig aufkommen."

© xpbimages.com
In Finnland begeistern die Rallye-Asse mit spektakulären Sprüngen Zoom
Frage: "Die Sprünge in Finnland sind sehr spektakulär. Abgesehen von der Aerodynamik muss man auch das Fahrwerk anpassen?"
Rampf: "Man muss natürlich das Fahrwerk anpassen, weil der Absprung entscheidend ist. Während der Flugphase will man nicht, dass die Nase abtaucht oder das Auto seitlich rollt. Die Flugphase kann man schon etwas über die Aerodynamik beeinflussen."
Frage: "Jost Capito meinte, dass das Auto bei den ersten Simulationen der Sprünge seitlich weggekippt ist. Habt ihr das dann über die Aerodynamik in den Griff bekommen?"
Rampf: "Ja, das haben wir dann in den Griff bekommen. Zum Thema CFD: Auf der einen Seite geht es um die äußere Umströmung des Fahrzeuges, aber auch darum die Kühlung zu optimieren. Rallye-Fahrzeuge werden mit sehr viel Leistung gefahren, aber die Geschwindigkeit ist nicht so hoch wie bei Rundstreckenrennen. Das heißt, es gibt spezielle Anforderungen an die Kühler. Das wird zu einem großen Maß auch mit CFD simuliert."
Frage: "Die Kühlung ist auch bei den verschiedenen Rallyes unterschiedlich, denn Mexiko, Deutschland oder Schweden stellen ganz andere Anforderungen."
Rampf: "Bei hohen Außentemperaturen sind die Anforderungen natürlich anders. Wenn man aber hohen Vollgas-Anteil hat, aber das Tempo beispielsweise durch viele Kehren niedrig ist, dann ist die Kühlung wirklich gefordert."
Frage: "Ihr habt eine Vorbereitungssaison mit dem Skoda absolviert. Konnte man bei der Kühlung auf Erfahrungswerte zurückgreifen, oder waren das Hochrechnungen, weil der Skoda deutlich langsamer als der Polo ist?"
Rampf: "Das waren Berechnungen."
Feedback der Fahrer entscheidend
Frage: "Kann man die verschiedenen Anforderungen an das Fahrwerk mittels Prüfständen simulieren?"
Rampf: "Man kann es bis zu einem gewissen Maß simulieren, aber die Endabstimmung wird an der Strecke zusammen mit den Fahrern gemacht. Das Fahrerfeedback ist viel entscheidender als bei der Rundstrecke."
Frage: "Inwieweit werden die Autos an die jeweiligen Fahrer angepasst? Speziell in der ersten Saisonhälfte wollte Jari-Matti Latvala einige technische Veränderungen haben, um den Polo auf seine Bedürfnisse abzustimmen."
Rampf: "Die Fahrzeugentwicklung ist sehr stark auf die Fahrer zugeschnitten. Der Fahrer beeinflusst die Fahrzeugentwicklung stark und die Ingenieure versuchen es auch in diese Richtung weiterzuentwickeln. Wenn Ogier ein Jahr lang testet, dann ist klar, dass viele Aspekte auf ihn zugeschnitten sind. Da viele Bauteile homologiert sind, kann man nicht einfach wechseln. Es dauert eine gewisse Zeit, bis man gewisse Teile nachhomologieren kann."
Frage: "Das heißt, dass die Autos von Ogier und Latvala in Details anders sind?"
Rampf: "Ja, sie unterscheiden sich auch leicht. Am Ende wird natürlich die Abstimmung verändert. Aber hier geht es auch um die Charakteristik der Differenzialsperre."
Kaum Parallelen zur Formel 1
Frage: "Sie haben lange Zeit in der Formel 1 gearbeitet. Inwieweit kann man Know-How aus der Formel 1 bei einem World Rally Car anwenden?"
Rampf: "Bei der Problemlösung sind es zwei Motorsportarten auf sehr hohem Niveau. Man kann sicher viel übertragen. Das Spezialwissen in der Formel 1 ist von der Aerodynamik getrieben. Das hat hier weniger Einfluss. Im Rallye-Sport geht es um die Fahrdynamik und um die Feder/Dämpfer-Abstimmung sowie um das Fahrwerk und den mechanischen Grip. Beide Serien haben zum Beispiel den Leichtbau und die Vorgehensweise beim Leichtbau gemeinsam."

© xpbimages.com
Volkswagen wurde auf Anhieb Rallye-Weltmeister Zoom
Frage: "In der Formel 1 und in der Langstrecken-WM wird auf das Thema Energierückgewinnung und Hybrid gesetzt. Würde das im Rallye-Sport Sinn machen?"
Rampf: "Das ist eine schwierige Frage. Auf der Rundstrecke wiederholt sich alles nach einigen Kilometern. Man kann alles vorbereiten und programmieren. Sie fahren auch auf einem geschlossenen Terrain. Sollte ein Auto in einem Reifenstapel landen, dann ist nur geschultes Personal in der Nähe. Rallye-Fahrzeuge fahren in der Natur und die Prüfungen sind 30 Kilometer lang. Das kann man natürlich nicht so gut absichern wie ein Rundstreckenareal. Es gibt schon deutlich unterschiedliche Anforderungen."
Frage: "Ihr habt in diesem Jahr viele Erfahrungen mit dem Polo gesammelt. Diese Werte fließen in Detailentwicklungen für die nächste Saison. Was habt ihr in der Pipeline?"
Rampf: "Wir werden sicher nicht genau sagen was wir in der Pipeline haben. Das bleibt unser Geheimnis. Wir dürfen das Fahrzeug nur in bestimmten Bereichen weiterentwickeln. Es gibt einige Joker, die wir ziehen können - also wenn wir homologierte Bauteile verändern können. Wir werden manche Joker für Performance und andere für die Zuverlässigkeit einsetzen, um das Fahrzeug noch robuster zu machen. Viel Entwicklung findet eben in Details statt. Es sind viele kleine Änderungen, die die Homologation nicht betreffen."
Frage: "In der Formel 1 ist zu beobachten, wie sich die Ingenieure in der Startaufstellung die Autos der Konkurrenz ansehen. Habt ihr euch auch die Autos von Citroen, Ford und Hyundai angesehen?"
Rampf: "Wir wissen überhaupt nicht was Hyundai macht. Wir kennen auch nur die Pressefotos. Natürlich sieht man sich die anderen Fahrzeuge an, aber es ist ganz schwierig zu erkennen, wo sie vielleicht einen Zeitvorteil finden. Man sieht sich die Autos an, weil man an den Fahrzeugen interessiert ist, aber man darf nicht erwarten, dass man dabei revolutionäre Ideen mitbringt."

