• 25.07.2008 12:56

Nissen: "Es wäre schön, wenn der Dakar-Sieg kommt"

Das große Interview mit Kris Nissen, der seit ein kleines Jubiläum feiert: Seit fünf Jahren ist er Motorsportdirektor bei Volkswagen

(Motorsport-Total.com/sid) - Frage: "Sie sind jetzt seit fünf Jahren VW-Motorsportdirektor - waren es fünf schöne oder fünf stressige Jahre?"
Kris Nissen: "Fünf schöne stressige. Früher als Fahrer - das waren deutlich mehr als fünf Jahre, eher 20 - gab es schöne Rennen und nicht so schöne Rennen, und es gab auch schöne und nicht so schöne Jahre. Wenn man hier in einer so tollen Truppe arbeitet und sich wie wir in den allermeisten Bereichen nach vorne entwickelt hat, dann war der Spaßfaktor wesentlich höher als der Frust. Stress ist immer da. Wenn man versucht, etwas bis in das letzte Detail zu planen, dann kommen irgendwelche Fremdfaktoren, wo man eine Planung ändern muss oder in einer gewissen Form einen Kompromiss eingeht."

Titel-Bild zur News: Carlos Sainz, Kris Nissen

Carlos Sainz und Kris Nissen können mit VW einige Erfolge vorweisen

Frage: "Dinge, die nicht vorhersehbar sind - in diese Kategorie fällt mit Sicherheit die letzte Dakar. Wenn man am Start steht und dann plötzlich die Rallye abgesagt wird ..."
Nissen: "Das war eine völlig überraschende Situation, in Lissabon zu stehen und dann am Abend vorher die ersten Signale zu bekommen, dass man überlegt, am nächsten Tag die Dakar abzusagen. Und dann am Vormittag zu erfahren, dass es zu 99,9 Prozent sicher ist und um 14.00 Uhr verkündet wird. Es war eines meiner schwierigsten Meetings, als ich die ganze Mannschaft informieren musste und klar gesehen habe, wie enttäuscht alle waren. Ich denke heute genauso wie damals, dass die Entscheidung richtig war, abzusagen, wenn Gefahr besteht. Ich komme aber wie viele andere zu dem Entschluss, dass es besser gewesen wäre, wenn die ASO sich mit den Teilnehmern zusammen gesetzt hätte und dann eine Lösung gefunden hätte, in der man teilweise gefahren wäre."#w1#

Schwierige Situation gut gelöst

Frage: "Warum?"
Nissen: "Es gibt heute noch bei vielen Teams und Fahrern Unklarheiten über Verträge und Vereinbarungen und darüber, wer was zurückzahlen oder nicht zurückzahlen muss. Hier bei Volkswagen haben wir das relativ schnell abgearbeitet, ohne Streit und Ärger. Wir haben mit sämtlichen Involvierten - das fängt an mit Dienstleistern, die wir in dieses Rennen eingebunden hatten, und hört auf bei Sponsorenverträgen - eine sehr gute Lösung gefunden. Ich bin stolz darauf, dass wir aus dieser schwierigen Situation so gut herausgekommen sind."

Frage: "War in der Zeit danach relativ schnell klar, dass VW diesen Weg weitergehen wird, egal, wo er hinführen wird, oder stand aufgrund der unklaren Zukunft der "Dakar" das Rallye-Projekt vielleicht auf der Kippe?"
Nissen: "Auf der Kippe ist - glaube ich - nicht das richtige Wort. Aber es ist doch selbstverständlich, dass wenn man sehr viel Geld und auch Zeit in so eine Vorbereitung investiert hat und dann plötzlich nichts passiert, es ein sehr großes Fragezeichen gibt, ob das für uns der richtige Sport für die nächsten Jahre ist. Direkt nach der Absage konnte keiner genau sagen, wie alles weitergehen soll. Volkswagen hat von Anfang an klar gesagt: 'Wir möchten, wenn wir weiter diesen Sport betreiben, mit ASO zusammenarbeiten.' In den letzten vier Jahren waren die besten Rennen die Dakars. Die so genannten Weltcups und die Bajas waren gute Rennen, aber insgesamt im Bereich Medien und Marketing sehr sparsam. In diesem Sport, den in Deutschland viele als 'Dakar-Sport' kennen, sind die ASO und der Mythos Dakar das, was es nach vorne bringt."

Race Touareg

Der Volkswagen Race Touareg soll den Sieg bei der nächsten Dakar holen Zoom

Frage: "Dann präsentierte die ASO die neue Dakar-Serie mit zwei Rallyes in Ungarn und Rumänien sowie im September in Portugal ..."
Nissen: "Wir sind überzeugt, dass es richtig war, die Zentral-Europa-Rallye zu fahren. Es war eine gute Veranstaltung, nicht nur, weil wir gewonnen haben, sondern weil es viele Teilnehmer, eine große Konkurrenz und gute Medienpräsenz gab. Zudem war es für uns die Möglichkeit, unter Beweis zu stellen, dass das Team auf die Dakar gut vorbereitet war. Wir haben alle sieben Etappen und die Rallye gewonnen, das spricht für sich. Das zweite Rennen in Portugal stand für uns auch schon frühzeitig fest, nur nicht gleich der Termin. Dazu hatten wir uns schon im letzten Jahr dazu entschlossen, mitten im Jahr nach Brasilien zu gehen - in Kooperation mit Volkswagen Brasilien. Deshalb standen diese drei Rennen für uns schnell fest."

"Volkswagen hat von Anfang an klar gesagt: 'Wir möchten, wenn wir weiter diesen Sport betreiben, mit ASO zusammenarbeiten.'" Kris Nissen

Zwischen Afrika und Südamerika

Frage: "Und was ist mit der nächsten Dakar?"
Nissen: "Die Teilnahme an der Dakar 2009 hatten alle im Team natürlich in der ganzen Zeit im Hinterkopf. Aber darauf konnte man erst zielorientiert hinarbeiten, als man wusste, dass und wie sie wirklich stattfindet. Es hat in der Szene schon seit Jahren Gerüchte gegeben, dass man versuchen will, die Dakar aus Afrika herauszuholen, weil es dort Gefahren gibt und es nicht der größte Markt für die Hersteller und Sponsoren ist. Es gibt viele gute Gründe, zu sagen, wir können woanders fahren. Es gab aber auch Gründe, in Afrika zu fahren, weil die Autos dort reinpassen. Dass nichts dagegen spricht, in Afrika zu fahren, das gilt jetzt natürlich nicht mehr, da der Veranstalter gezwungen war, ein Rennen abzusagen. Deswegen kam eine Wiederholung nicht mehr in Frage. Das einzige, was gegen eine Rallye in Argentinien und Chile spricht, ist die Tatsache, dass es nicht einfach wird, die Resultate in Europa früh genug zu kommunizieren. Aber wir haben jetzt einen Weg gefunden, jeden Tag früh fertig zu werden. Ansonsten sehen wir nur Vorteile."

"Dass nichts dagegen spricht, in Afrika zu fahren, das gilt jetzt natürlich nicht mehr." Kris Nissen

Frage: "Welche?"
Nissen: "Das Gelände ist sehr gut, es wird sehr spannend und schwierig. Es gibt dort harten Untergrund, unebenen Untergrund, echte Offroad-Gebiete und vor allem in Chile genau so viel Sand und so hohe Dünen wie in Afrika. Dazu kommt, dass der amerikanische Markt für jeden Partner und die Automobilindustrie interessant ist. Viele Fahrer, die sonst in Mexiko oder Argentinien Offroad-Rennen fahren, haben sich bemüht, eine Starterlaubnis für die Dakar zu bekommen. Das Feld ist jetzt schon voll. Es wird also keinen Rückgang bei der Masse geben, und bei der Klasse natürlich auch nicht. KTM bei den Motorrädern, die LKW und auch die Spitzenteams in der Auto-Kategorie werden genau so vertreten sein, wie es für die Dakar 2008 vorgesehen war."

Frage: "Das Ziel von VW ist, die Leistung der Zentral-Europa-Rallye dann auch bei der Dakar zu zeigen, oder?"
Nissen: "Wir haben seit unserer unglücklichen Dakar 2007, wo wir 14 Etappen, aber nicht die Rallye gewonnen hatten, eine stolze Bilanz. Von fünf Rennen seitdem haben wir vier gewonnen und waren einmal Zweiter. Dazu haben wir im vorigen Jahr den Weltcup gewonnen. Das ist gut für die Motivation des Teams und das Selbstvertrauen. Ich bin überzeugt, das Team ist in allen Bereichen gut aufgestellt, und angesichts der Erfolge der letzten 18 Monate kann ich sagen, dass das Auto, die Fahrer und die Beifahrer gut sind, sonst hätten wir diese Ergebnisse nicht erzielen können. Wir gehen mit einem sehr guten Gefühl in die nächsten Rennen, aber ich bleibe dabei: Im Sport ist man nie sicher. Wir sind allerdings gut vorbereitet und werden bestimmt eine gute Rolle spielen, hoffentlich bis zum Schluss. Es wäre schön, wenn unser lang ersehnter Dakar-Sieg kommt."

"Wir haben seit unserer unglücklichen Dakar 2007, wo wir 14 Etappen, aber nicht die Rallye gewonnen hatten, eine stolze Bilanz." Kris Nissen

Erfolge in der Formel 3 und auf der Nordschleife

Frage: "Erfolgreich sind Sie auch in der Formel 3, wo Sie am Wochenende auf dem Nürburgring das einjährige Jubiläum der VW-Rückkehr in diese Klasse feiern ..."
Nissen: "Wir sind unserer Zielsetzung ein wenig voraus. Wenn man sich Ziele setzt, muss man immer ein bisschen von dem abziehen, was man sich erhofft. Man soll sich ja nicht ständig zu weit aus dem Fenster lehnen, weil das böse zurückkommen kann. Deswegen haben wir von Anfang an den Ball relativ flach gehalten und gesagt, wir wollen 2007 unter die ersten Zehn fahren und jedem zeigen, VW ist zurück, wir nehmen die Sache ernst und jeder kann davon ausgehen, dass der Motor 2008 besser sein wird. Das ist uns gelungen. In diesem Jahr wollten wir öfter auf das Podest fahren, und sollten wir ein Rennen gewinnen, wäre das sehr schön. Hinter verschlossenen Türen hatten wir natürlich schon gesagt, wir müssen sehr oft auf das Podest kommen und alles dafür tun, 2008 das erste Rennen zu gewinnen."

Frage: "Was der Italiener Edoardo Mortara geschafft hat und jetzt zudem die Gesamtwertung anführt ..."
Nissen: "Die Tabellenführung zu haben, ist ganz nett, aber da muss man fair und ehrlich sein. Fakt ist, die drei besten Fahrer im Feld, ohne Reihenfolge, sind Mika Mäki, Nico Hülkenberg und Edoardo Mortara. Das schnellste Paket hatte an jedem Wochenende eigentlich Hülkenberg mit seinem Mercedes-Motor, erst danach kam Mortara und dann Mäki. Auf Mortaras Tabellenführung sind wir stolz, weil wir im Gegensatz zu den anderen überhaupt keine technischen Probleme hatten. Aber die anderen Fahrer haben auch ab und zu Mist gebaut. Sonst lägen diese Drei in der Meisterschaft viel enger beieinander. Unsere Aufgabe ist jetzt, dass Edoardo bis zum Schluss weiter perfekt fährt und wir ihm auf der Motorenseite gute Technik liefern."

Frage: "Sehr erfolgreich war auch der Werkseinsatz des neuen Scirocco beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. Was haben Sie jetzt mit diesem Auto vor?"
Nissen: "Wir planen, im nächsten Jahr wieder am Nürburgring zu starten. Wir planen nicht, aus dem Scirocco ein Fahrzeug zu bauen, das für den Gesamtsieg gut ist, wenn das Reglement so bleibt, wie es ist. Denn dafür braucht man weit über 500 PS und entweder Allrad oder Heckantrieb, außerdem einen sehr hohen Entwicklungsaufwand und ein sehr großes Budget. Das ist im Moment nicht geplant, weil unsere Kapazität im Haus begrenzt ist."

Volkswagen Scirocco

Der neue Rennscirocco von Volkswagen im Einsatz auf der Nordschleife Zoom

Frage: "Es gibt nicht wenige Experten, die sagen, dieser Scirocco würde perfekt in die Tourenwagen-WM passen ..."
Nissen: "Davon bin ich überzeugt, weil das Auto seine sehr gute Basis hat. Aber so lange Seat in der Tourenwagen-WM fährt, noch dazu so erfolgreich, wird es dort keinen Volkswagen und auch keinen Audi geben. Wir machen uns im eigenen Haus keine Konkurrenz. Damit ist auch gesagt, dass dieses Auto auch nicht in der DTM fahren wird."