David Castera im Interview: "Die Dakar erfordert ein ganzes Jahr Vorbereitung"
Dakar-Direktor David Castera über die Herausforderungen während und nicht zuletzt vor einer neuen Ausgabe der Rallye Dakar - Was Saudi-Arabien so besonders macht
(Motorsport-Total.com) - David Castera ist der Rennleiter der Rallye Dakar. Der gebürtige Franzose, einst selber Rallyefahrer auf dem Motorrad, nahm fünfmal an der Dakar teil, als diese noch durch Afrika führte. Sein bestes Ergebnis: Platz drei im Jahr 1997.
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David Castera hat die Rallye Dakar von Südamerika nach Saudi-Arabien verlegt Zoom
Nach seiner aktiven Karriere trat Castera im Jahr 2005 der Amaury Sport Organisation (A.S.O.) bei, zunächst als Sportdirektor. Nach zehn intensiven Jahren beschloss er 2015, eine Pause einzulegen, bevor er 2019 zurückkehrte, und zwar als Dakar-Direktor.
In seiner Funktion als Rennleiter verlegte Castera die Rallye Dakar von Südamerika nach Saudi-Arabien. Seither ist er für die Routenplanung und die Gesamtorganisation zuständig. An den kommenden Tagen (5. bis 19. Januar) findet die Rallye Dakar zum fünften Mal in Saudi-Arabien statt. (Die Route der Rallye Dakar 2024 im Detail)
Im Interview spricht Castera über die Schwierigkeit der Erstellung einer passenden Dakar-Route für alle Teilnehmer, über neue Technologien wie Elektro- und Wasserstoffverbrennungsmotoren, über ein ganzes Jahr Vorbereitung für die jeweils nächste Dakar-Ausgabe und darüber, was die Rallye Dakar in Saudi-Arabien von früheren Ausgaben (Afrika und Südamerika) unterscheidet.
Frage: David, was ist der Schlüssel, um die perfekte Route für eine Marathonrallye wie die Rallye Dakar zu finden?
David Castera: "Es braucht alle Zutaten für eine Marathonrallye. Das heißt, wir brauchen eine Route mit Dünen, Sand, Felsen, mit schnellen und langsamen Abschnitten, durch die navigiert werden muss. All diese Zutaten finde ich in den großen Wüsten. Saudi-Arabien bietet heute viele Möglichkeiten, all diese Faktoren miteinander zu verbinden. Das ist woanders nicht immer der Fall. Die Wüste ist ein integraler Bestandteil der Rallye und eine wichtige Zutat einer Marathonrallye."
Frage: Ist es schwierig, einen Kompromiss zwischen Terrain, Navigation und Sicherheit zu finden?
Castera: "Es stimmt, dass es nicht einfach ist, denn wenn wir es zu schwierig machen, können wir Fehler machen und die Sicherheit der Veranstaltung gefährden. Die Navigation sollte keine Lotterie sein. Sie sollte einerseits anspruchsvoll genug sein, um die menschlichen Qualitäten des Fahrers oder Beifahrers zur Geltung zu bringen. Andererseits sollte sie aber nicht so schwierig sein, dass der Sieg zu einer Glückssache wird."
"Wir müssen also immer die Balance finden und ständig mit dem Land arbeiten. Das ist eine echte Aufgabe, für die man sich viel Zeit nehmen und die richtigen Fragen stellen muss. Mit unserer Erfahrung können wir die richtige Balance finden, aber es ist jedes Mal eine Herausforderung."
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Bei der A.S.O. war Castera zunächst Sportdirektor, seit 2019 ist er Dakar-Direktor Zoom
Frage: Können Sie die Herausforderung beschreiben, die Strecken für die einzelnen Etappen so auszuwählen, dass sie für alle Fahrzeugkategorien passend sind?
Castera: "Wir haben heutzutage Motorräder, Trucks, Autos und das, was wir als kleine SSV-Buggys bezeichnen. All diese Kategorien müssen sich auf demselben Terrain bewegen. Ich würde sogar noch eine weitere Kategorie hinzufügen: Amateure und Profis. Wir haben das Glück, dass wir einen Sport haben, in dem wir diese beiden Kategorien von Wettbewerbern noch mischen können. Und alles muss für beide geeignet sein."
"Es gibt also Etappen, die für die einen sehr schwierig und für die anderen einfach sind. Wir suchen aber immer nach der richtigen Balance zwischen Schwierigkeit und Kategorie. Wir müssen auch an die Trucks denken, denn die können nicht überall hinfahren. Wir haben all diese Faktoren ständig im Blick und müssen dafür sorgen, dass jeder seinen gerechten Anteil an dem Terrain bekommt, das er sucht. Es ist ein ständiges Streben nach Ausgewogenheit."
Die Route der Rallye Dakar 2024
Die Rallye Dakar 2024 in Saudi-Arabien führt die Teilnehmer vom 5. bis 19. Januar über zwölf Etappen, darunter eine erstmals im Programm befindliche "48-Stunden-Etappe" über zwei Tage! Weitere Rallye-Videos
Frage: Saudi-Arabien hat eine Vielzahl von unterschiedlichen Terrains, Landschaften und Klimazonen zu bieten. Welchen Einfluss hat das auf die Auswahl der Route?
Castera: "Wir müssen mit allen Zutaten arbeiten, die Saudi-Arabien bietet. Manche Dinge kann man ausnutzen, andere wiederum nicht. Wir haben zum Beispiel Schwierigkeiten, mit Rallyes in die Berge oder in die Wälder zu gehen. So können nämlich in bestimmten Gebieten keine Hubschrauber landen oder die Verletzten erreichen."
"Wir müssen also mit dem arbeiten, was wir haben. Das Empty Quarter ist eine Herausforderung für uns, weil wir dort nicht sehr tief eindringen können, da es keinen Zugang gibt. Wir verlieren daher direkt die Möglichkeit, um Treibstoff, Ausrüstung und so weiter dorthin zu bringen. Wir müssen uns also anpassen."
"Auch wenn wir uns in Wüsten befinden, brauchen wir Zugang. Wir brauchen ein gewisses Straßennetz, um die Sicherheit und Logistik der Veranstaltung zu gewährleisten. Das ist wichtig. Saudi-Arabien bietet uns riesige Wüsten, die unserem Sport und Marathonrallyes im Allgemeinen sehr entgegenkommen."
"Wir erleben hier das, was wir früher in Afrika erlebt haben: weite Wüsten, wenig Zivilisation, endlose Dünen. All diese Elemente finden wir in Saudi-Arabien und sie sind sehr wichtig. Diese Elemente haben einen großen Einfluss auf die Route und ihre Schwierigkeit."
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David Castera (links) hat die Rallye Dakar fünfmal als Fahrer bestritten Zoom
Frage: Finden Sie Ihre Erfahrung, selbst an der Rallye Dakar teilgenommen zu haben, vorteilhaft für die Erstellung der Route und für die Aufgaben als Rennleiter?
Castera: "Ich glaube, beide Positionen sind schwer zu vergleichen. Ich würde sagen, es geht nicht darum, die eine der anderen vorzuziehen. Auf jeden Fall ist das Leben eines Fahrers oder Beifahrers viel einfacher als das eines Organisators. Die Rolle des Rallye-Direktors ist viel komplizierter. Sie ist mit einem größeren Druck und einer größeren Verantwortung verbunden."
"Ich war früher nicht nur einfach Rennfahrer, sondern Motorradfahrer und Organisator kleinerer Veranstaltungen. Das fing als Privatperson in Frankreich an und dehnte sich später auf andere europäischen Ländern aus. Dann war ich in der Dakar-Organisation als Sportdirektor tätig. Anschließend habe ich eine Veranstaltung gekauft, nämlich die Rallye Marokko, die ich zwei Jahre lang auf persönlicher Basis organisiert habe. Erst von diesem Moment an fühlte ich mich bereit, die Leitung der Rallye Dakar zu übernehmen."
"Dieser Job erfordert die Beherrschung zahlreicher Themen. Das ist nichts, was man improvisieren kann. Aber nur weil man Fahrer war, heißt das noch lange nicht, dass man ein guter Dakar-Direktor sein kann. Ich glaube, für einige kann das ein Vorteil sein, für andere wiederum funktioniert es nicht. Ich denke aber schon, dass es letztlich ein großer Vorteil ist, wenn man selber gefahren ist."
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HySe-X1: Wasserstoff-Fahrzeug der großen japanischen Marken Zoom Zoom
Frage: Wie wirkt sich die Einführung neuer Technologien, einschließlich Wasserstoffverbrennungsmotoren und Elektromotoren, auf die Rallye Dakar aus?
Castera: "Die Dakar muss die neuen Technologien annehmen. Das hängt mit den Geschehnissen in der Welt und den Klimafragen zusammen. Die Dakar muss Teil einer Mobilitätsrevolution sein und zu dieser beitragen. Wir haben das Glück, einen Sport zu haben, der sehr anspruchsvoll ist. Wenn wir in diesem Sport erfolgreich sind, können wir das auf viele andere übertragen."
"Es geht nicht um die Auswirkungen der Fahrzeugtechnologie auf die Dakar, sondern vielmehr darum, dass die Dakar diese Fahrzeuge und neuen Technologien in die Rallye und auf die Strecken einführen will. Warum? Weil die Dakar sich an den globalen Themen von heute orientieren muss, ihnen zuhören muss und vor allem als Labor dienen muss. Darin liegt heutzutage die große Stärke des Motorsports."
"Der Motorsport war schon immer ein Treiber, ein Beschleuniger für Technologien, einschließlich Sicherheit, Performance und mehr. Die Dakar hat ihre Energiewende eingeleitet und neue Technologien vorangetrieben, damit sie Teil der Rallye werden. Wir führen Wasserstoff- und Elektrotechnologien ein, aber aufgrund logistischer Herausforderungen geht es nicht immer so schnell voran, wie wir es uns wünschen."
"Heute nutzen wir diese Technologien zu Demonstrationszwecken am Rande unserer Veranstaltungen, um an der Zukunft der Rallye zu arbeiten und sie weiterzuentwickeln, sodass wir eines Tages einen vollständigen Übergang vollziehen können. Im Moment befinden wir uns noch in der Experimentierphase, aber wir arbeiten intensiv an diesem Thema."
Frage: Was treibt Sie an und was macht Ihnen am meisten Spaß, während der Rallye Dakar vor Ort zu sein?
Castera: "In erster Linie bin ich einfach ein leidenschaftlicher Motorsportler. Ich bin früher Motorrad gefahren, bevor ich zu Marathonrallyes kam. Ich habe mich schon sehr früh für die Rallye Dakar interessiert und war fasziniert von den riesigen Weiten. Ich war fasziniert von den Wüsten und der Vorstellung, sie auf Motorrädern und in Autos zu durchqueren und sich den Risiken zu stellen."
"Auch ich brauche diesen Adrenalinschub. Ich kann mir ein Leben ohne diesen Kick nicht vorstellen. Ich lebe ihn auf unterschiedliche Art und Weise und auf unterschiedlichen Ebenen aus. In der Wüste zu sein, ein Lager aufzuschlagen, wie ich es in Saudi-Arabien mehrfach getan habe, das sind für mich außergewöhnliche Momente."
"Die 15 Tage der Rallye selbst bereiten mir allerdings nicht dieselbe Freude. Sie sind wegen des Drucks und der vielen Dinge, die zu bewältigen sind, am wenigsten erfreulich. Aber Dinge wie die Erkundungsfahrten zum Beispiel, also das Durchqueren des Landes in einem entspannten Tempo mit kleineren Teams, das ist es, was mich motiviert und was mir Spaß macht."
"Die Leidenschaft, die ich dabei empfinde, führt dazu, dass ich meine Erfahrungen anschließend mit den Fahrern teilen möchte. Das Ganze passiert natürlich auf eine andere Art und Weise, denn sie fahren gegen die Uhr, während wir das Renngeschehen verfolgen und überblicken. Aber es geht darum, das, was ich erlebt habe, zu vermitteln. Damit meine ich die Atmosphäre und die Menschen, die ich getroffen habe. Das möchte ich teilen. Wenn die Leute glücklich sind, bin auch ich glücklich. Mein größtes Vergnügen ist aber nicht die Rallye selbst, sondern die Vorbereitung."
Frage: Wie viel Vorbereitungszeit ist nötig, um eine Rallye Dakar zu organisieren?
Castera: "Die Rallye Dakar erfordert ein ganzes Jahr Vorbereitung. Wir haben mehrere Teams, die daran beteiligt sind. Da gibt es die Arbeitsgruppen im Büro von A.S.O. in Paris, die sich hauptsächlich mit den sportlichen Aspekten und den Spezifikationen beschäftigen. Und dann gibt es noch alle mit uns verbundenen saudischen Arbeitsgruppen, die sich mehr auf die Logistik konzentrieren."
"Gemeinsam arbeiten wir über ein Jahr lang an der Vorbereitung dieser Rallye. Wir müssen vier bis fünf Inspektionsreisen von jeweils etwa zwei Wochen machen, um eine mehr oder weniger vollständige Dakar zu erhalten. Hinzu kommen die Kontrollen des Roadbooks. Insgesamt machen wir also in einem Jahr fünf oder sechs komplette Durchgänge der Dakar, um uns darauf vorzubereiten."
"Wir machen im Grunde vier Dakar-Rallyes mit unseren Fahrzeugen, um uns auf eine vorzubereiten. Um mal eine Vorstellung davon zu geben: Wir legen eine Menge Kilometer zurück. Einige Strecken werden genehmigt, andere nicht. Einige Strecken sind gesperrt, sodass wir wiederkommen müssen. Es gibt eine Menge Arbeit, um sicherzustellen, dass alles von allen Institutionen validiert und gut organisiert ist, bis wir die Rallye starten können."
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Der Fahrplan für die Rallye Dakar 2024 vom 5. bis zum 19. Januar Zoom
Frage: Die Rallye Dakar 2024 wird die fünfte Dakar-Ausgabe in Saudi-Arabien. Welche Veränderungen haben Sie in den vergangenen fünf Jahren festgestellt?
Castera: "Die Rallye hat sich in der Tat weiterentwickelt, denn wir haben vor allem gelernt, das Land zu verstehen. Wir haben die Wüste kennengelernt und haben gelernt, das jeweilige Terrain zu lesen und damit zu arbeiten. Anfangs ließen wir das Empty Quarter fast unberührt. Heute sind wir dort voll und ganz eingetaucht. Wir erforschen die Dünen noch mehr. So entdecken wir neue Gebiete, neue Strecken. Und wir passen die Dakar entsprechend an."
"Die Dakar wird mit der Zeit immer anspruchsvoller, weil wir den Schwierigkeitsgrad der Strecken immer besser einschätzen können. Die Schwierigkeit des Sandes, der felsigen Pisten und des Wetters hat uns vor viele Herausforderungen gestellt und uns zur Vorsicht gezwungen, weil es stark regnen kann. Wir haben schon viel Regen erlebt und mussten die Etappen entsprechend ändern."
"Es ist eine ständige Entwicklung, aber sie hat auch einen großen Einfluss. Die Nächte sind viel kürzer, sodass die Teilnehmer mehr in der Nacht fahren als in Südamerika. Es ist viel kälter, was die Gewohnheiten verändert hat. Die Teilnehmer stehen einfach vor anderen Herausforderungen. In Südamerika war es Sommer und es war zu heiß. In Saudi-Arabien ist es eher kalt. Das hat viele Veränderungen mit sich gebracht und die Rallye insgesamt schwieriger gemacht."
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Die 2024er-Ausgabe der Rallye Dakar ist die fünfte in Saudi-Arabien Zoom
Frage: Was genau unterscheidet die Rallye Dakar in Saudi-Arabien von ihren früheren Austragungen in Afrika und Südamerika?
Castera: "Ich glaube, dass alle Ausgaben der Rallye Dakar etwas Besonderes sind. Jede Dakar hat ihre eigene Einzigartigkeit. Aber wie ich bereits erwähnt habe, hat das Wetter einen großen Einfluss auf die Dakar in Saudi-Arabien und macht sie noch anspruchsvoller. Ich denke da an die vielen Wüsten, sehr unterschiedlich und riesig, und an die vielen Landschaften."
"Diese Rallye hat sich im Laufe der Zeit wirklich weiterentwickelt. Dennoch bleibt sie immer die Dakar mit all ihren Zutaten: die Wüste, die Schwierigkeit, die Einsamkeit zuweilen, das Wetter, die Nacht, die Kälte, die Hitze, die Dünen. Alles ist vorhanden. Die Navigation ist in Saudi-Arabien schwieriger geworden. Das ist eines der Hauptmerkmale, das die Rallye Dakar in diesem Land so besonders macht."
"Die Dakar verläuft auf relativ schnellen Strecken, die oft weniger gefährlich sind als die, die wir anderswo erlebt haben. Die Dakar muss eine besondere Veranstaltung bleiben und wir arbeiten stets daran, dass sie besonders bleibt. Deshalb erfinden wir uns immer wieder neu und kreieren neue Konzepte."
"In diesem Jahr gibt es die 48-Stunden-Etappe, eine zweitägige Marathonetappe im Empty Quarter, die absolut unglaublich wird. Wir versuchen ständig, etwas Neues zu schaffen. Es ist wichtig, diese Attraktion aufrechtzuerhalten und uns immer wieder neu zu erfinden. Die Wüste hilft uns dabei, aber wir müssen auch einfallsreich sein und neue Dinge anbieten, um attraktiv zu bleiben und dafür zu sorgen, dass diese Rallye die größte Rallye der Welt bleibt. Das gelingt uns auch dank Saudi-Arabien."
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