• 03.10.2008 09:44

  • von Stefan Ziegler

3, 2, 1 - Eine Bleifuß-Reise mit Félix Porteiro

Wie fühlt es sich eigentlich an, mit einem Tourenwagen der WTCC um einen Kurs zu rasen? 'Motorsport-Total.com' hat das in Imola ausprobiert

(Motorsport-Total.com) - Es ist Samstag und der Rennbetrieb im 'Autodromo Enzo e Dino Ferrari' ist schon vor einigen Stunden zum Erliegen gekommen. Die Sonne senkt sich langsam dem Horizont entgegen und taucht die Emilia Romagna in goldfarbenes Licht - da knattert ein BMW 320si die Boxengasse entlang und hält punktgenau vor der Schnitzer-Box an. Wie gebannt starre ich auf das weiße Geschoss, das mich in wenigen Sekunden um den Kurs in Imola tragen wird. Mein Chauffeur Félix Porteiro winkt mir zu, es kann losgehen...

Titel-Bild zur News: Felix Porteiro und Stefan Ziegler

Redakteur Stefan Ziegler durfte in Imola mit Félix Porteiro auf die Rennstrecke

Noch einmal streiche ich mir über meinen strahlend weißen Rennanzug, rücke meine Balaklava zurrecht und ziehe mir den Helm über den Kopf, der mein Blickfeld auf Rennbetrieb zuschneidet. Die Beifahrertür wird aufgemacht und ich gleite langsam und etwas unbeholfen in den leeren Schalensitz, der extra für mich in den Rennwagen eingebaut worden ist. Ein Mechaniker legt mir die Sechspunktgurte an, schnallt mich fest und zeigt mir abschließend seinen erhobenen Daumen - die Show beginnt.#w1#

Ein Countdown geht immer einem großen Knall voraus...

Félix Porteiro, der Youngster aus dem BMW Team Italy-Spain, wirft einen letzten Blick zu mir herüber, dann lässt er die Katze aus dem Sack und der Motor im Herzen des 320si erwacht zum Leben. Kurz darauf setzt sich der Wagen in Bewegung und in bedächtigem Tempo rattern wir dem Ende der Boxengasse entgegen. Trotz Speedlimit weiß ich genau, dass dieser Mann neben mir viel lieber das Gaspedal ganz durchdrücken will - dann gibt mir Félix ein Handzeichen und seine drei ausgestreckten Finger ziehen meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.

Stefan Ziegler

Kleider machen Leute: Für das Abenteuer werfe ich mich in einen Rennoverall Zoom

Drei, zwei, eins - und schlagartig wird mir klar, was für eine Botschaft diese kleine Geste für mich hätte bereithalten sollen: Eben ist die grüne Boxenampel an uns vorbeigeflitzt und mein Helm rutscht klackend an die Kopfstütze meines Kohlefasersitzes - das Gaspedal des Rennwagens befindet sich schon im Anschlag und unsere Spritztour im 'Autodromo Enzo e Dino Ferrari' hat nun unwiderruflich begonnen!

Félix bringt den Wagen auf Touren, schält durch die Gänge und schon rauschen wir durch die alleenhafte Passage der 'Tamburello'-Schikane entgegen. Der Wagen liegt ruhig auf der Piste und scheint nur durch die Schaltvorgänge ganz kurz aus der Balance zu geraten - ganz im Gegensatz zu meinem Freund auf dem Fahrersitz, der sich schon beim 150-Meter-Schild anschickt, das Bremsmanöver für die erste Kurve einzuleiten.

Erste Fliehkraft-Erfahrungen in der 'Villeneuve'

Überrascht nehme ich die Verzögerung zur Kenntnis, hatte ich doch nicht so früh damit gerechnet. Während Félix das Auto in die erste Linkskurve wirft, finde ich mich langsam mit dem Gedanken zurrecht, von der ersten Bremszone eiskalt überrascht worden zu sein - eine urplötzliche Eingebung, wo ich doch gerade eben erfreut festgestellt habe, dass die Gurte um meinen Oberkörper und meine Beine kaum Spielraum lassen: In diesem Sitz sitze ich buchstäblich fest!

Stefan Ziegler und Félix Porteiro

Die Ruhe vor dem Sturm: Gleich lässt der BMW 320si kräftig die Muskeln spielen Zoom

Kaum habe ich diesen Umstand zur Kenntnis genommen, geht es rechts-links hinaus auf den ersten Zwischensprint zur 'Villeneuve'-Schikane und wir lassen die Mauer hinter uns, in die Ayrton Senna bei seinem tödlichen Unfall 1994 eingeschlagen war. In der nach Jacques' Vater Gilles benannten Kurvenkombination lerne ich umgehend, wie sich Fliehkräfte in einem Tourenwagen darstellen und mein behelmter Kopf nutzt seinen geringen Spielraum auf beiden Seiten optimal aus.

Doch nur für einen kurzen Augenblick hält uns die 'Villeneuve'-Schikane in unserem Vorwärtsdrang auf, denn schon hat Félix wieder Maß genommen für die nächste Ecke: 'Tosa'. Noch während erst das 150- und Bruchteile von Sekunden später das 100-Meter-Schild an meinem rechten Fenster vorbeibrausen, frage ich mich, ob mein Chauffeur nicht doch noch vorhat, sein Bremspedal zu benutzen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, stellt sich die Verzögerung umgehend ein und ich bin sehr dankbar für die Gurte, die mich an meinem Logenplatz festhalten.

Über die Kerbs in der Innenseite beginnt der Lange Sprint hinauf auf den Hügel und in voller Fahrt lerne ich einen der schönsten Abschnitte der Rennstrecke in Imola kennen, ehe ein erneut hartes Bremsmanöver für 'Piratella' uns zurück auf Kurs bringt. Ruhig schluckt der Wagen die Kerbs am Scheitelpunkt, sicher lenkt Félix ein und findet die Linie, die uns geradewegs zu der wohl faszinierendsten Kurvenkombination in Imola führt: die Senke um 'Acque Minerali'.

Flugstunden in der 'Variante Alta'

Ein wenig fühle ich mich an die 'Eau Rouge' in Spa-Francorchamps erinnert, als wir in den ersten Rechtsknick eintauchen und ich mich tatsächlich beim Anhalten der Luft ertappe. Félix bremst den Wagen langsam in die abschließende Rechtskurve hinein, an deren Ausgang ein knackiger Anstieg auf uns wartet - und jetzt kann ich die Kerbs deutlich spüren, denn der Wagen ist in 'Acque Minerali' auch noch anderen Kräften ausgesetzt und muss sich am Kurvenausgang erst einmal neu sammeln - so scheint es.

Felix Porteiro und Stefan Ziegler

Einparken vor der Schnitzer-Box - wieder festen Pitlane-Boden unter den Füßen Zoom

Die Gegengerade kommt mir erstaunlich kurz vor, denn kaum haben wir die Senke und den Hügel hinter uns gelassen, kündigen die Hinweistafeln auf der linken Seite schon die 'Variante Alta' an. Dieses Mal kann mich Félix mit dem harten Bremsmanöver nicht überraschen - mit der kostenlosen Flugeinlage dagegen schon! Im leichten Drift nehmen wir die inneren Kerbs knallhart mit, um schließlich auch die äußeren komplett zu überfahren - und für einen kleinen Moment wird dieser so schwerfällig aussehende Wagen zu einem fliegenden Geschoss.

Doch genauso schnell wie der Start folgt auch schon die Ankunft auf dem Boden der Tatsachen und das Auto sucht sich bei der Landung scheinbar seinen eigenen Weg. Félix lässt den Wagen walten, um erst im letzten Moment das Ruder wieder herumzureißen und nur zwei Räder - meine Räder - auf den Rasenteppich am Kurvenausgang zu bekommen. Während ich noch dem Flugerlebnis aus der 'Variante Alta' nachsinne, rauschen der BMW 320si und seine Insassen schon wieder wie der Blitz unter der Brücke hindurch Richtung 'Rivazza'.

Daumen hoch für eine Wahnsinnsfahrt!

Und dort scheint mein spanischer Pilot sehr vorsichtig zu agieren, drückt schon frühzeitig auf die Bremse, lenkt ruckartig ein und steigt sofort wieder auf's Gas. Noch einmal wiederholt sich diese Prozedur für die zweite Linkskurve und schon presst mich die Beschleunigung wieder in den Sitz. Félix nimmt Kurs auf die Boxengasse und zwängt sein Fahrzeug erst wenige Meter vor dem Eingang in den Limiter, der diesem Wagen nicht so recht schmecken will. Im Leitplankenkanal tuckern wir zurück in die Pitlane.

Stefan Ziegler

Letzte Hürde: Wie befreit man sich eigentlich aus einem Renncockpit? Zoom

Jetzt bin ich derjenige, der im Cockpit gestikuliert - doch meine Begeisterung geht im noch immer recht lauten BMW Motorengeräusch unter. Erst als wir mit quietschenden Reifen vor der Schnitzer-Box zum Stehen kommen, danke ich meinem Chauffeur für diese herrliche Ausfahrt. "I hope you enjoyed the trip!", ruft mir Félix unter seinem Helm hervor zu. "Yeah, that was great!", ist meine spontane Antwort, als auch schon wieder die Beifahrertür aufgerissen wird und die Magic Moments auf einer Runde in Imola sich ihrem Ende nähern.

Noch habe ich nicht alle Herausforderungen gemeistert, denn schließlich sollte ich meinen Platz auch wieder aus eigener Kraft räumen. Nachdem man mich von meinen Gurten befreit hat, versuche ich mein Bestes - und wäre wirklich um einen heißen Tipp dankbar! Schließlich angle ich meinen Oberkörper aus der Öffnung heraus, klemme mich zwischen Vordertüre und Dachholm, ziehe meine Beine aus der Schalensitzröhre und habe wieder festen Boden unter den Füßen. Die Tür fliegt zu und mein Abenteuer ist endgültig vorbei, als sich mit dem Helm auch der Rennsport-Schleier wieder lüftet...