• 05.04.2016 09:07

  • von Roman Wittemeier

Audi: Der neue R18 im Detail erklärt

Interessante Einblicke in die Entwicklung des neuen Audi R18 für die WEC-Saison 2016: So funktioniert die extreme Aerodynamik - Warum 6MJ-Klasse ausreicht

(Motorsport-Total.com) - Mit einem radikal neuen Konzept wird Audi in der Saison 2016 der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) gegen Konzernschwester Porsche und die japanische LMP1-Konkurrenz von Toyota antreten. Der neue R18, bei dem die Zusatzbezeichnung "e-tron quattro" nicht mehr verwendet wird, obwohl man weiterhin auf Hybridtechnik und Allradantrieb setzt, gilt vor allem im Bereich Aerodynamik als richtungsweisend. Aber auch unter der Haube stecken jede Menge Neuheiten.

Titel-Bild zur News: Marcel Fässler, Andre Lotterer, Benoit Treluyer

Der neue Audi R18 kommt mit einem radikalen Aerodynamikkonzept Zoom

"Es ist eine ganz neue Maschine mit unglaublich viel neuer Technik und Technologie", fasst Audi-Technikchef Jörg Zander im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' zusammen. "Unsere Aero-Abteilung ist absolut top. Es ist etwas ganz Radikales dabei herausgekommen", frohlockt Andre Lotterer über sein neues LMP1-Geschoss mit über 1.000 PS Systemleistung. Das Fahrzeug mit der internen Bezeichnung "RP6" wird von einem Vierliter-V6-Turbodiesel und einem neuen 6MJ-Hybridsystem mit Batteriespeichern angetrieben.

"Hintergrund der Entwicklung unseres neuen R18 war zu nicht unerheblichem Maße die Reduktion der Energie pro Runde um zehn Megajoule", beschreibt Jörg Zander die Herangehensweise der Ingolstädter. "Wir haben uns entschieden, von vier auf sechs Megajoule Hybridleistung aufzurüsten. Das allerdings hat eine weitere Einschränkung beim fossilen Brennstoff zur Folge. In Le Mans haben wir deshalb insgesamt 14 Megajoule pro Runde weniger."

Radikale Front für mehr Effizienz und gute Balance

"Um ähnliche Rundenzeiten zu erzielen, ist bessere Effizienz erforderlich. Die für die Performance relevanten Bereiche sind diesbezüglich der Antrieb und andererseits ganz klar die Aerodynamik. Wir wollten das Abtriebsniveau gleich halten, um die Funktionalität der Reifen zu sichern, gleichzeitig aber den Luftwiderstands-Beiwert senken", so der Technikchef. "Man sieht es auch: Unser Fahrzeug-Design ist extrem von Effizienz getrieben."

"Es war schon ein Wow-Effekt", beschreibt Lotterer seine erste Begegnung mit dem R18. "Ich wusste ja schon ein bisschen, in welche Richtung es geht, hatte schon ein paar Zeichnungen gesehen. Intern habe ich viel vom 'RP6' gehört, dass es ein Hammer-Auto werden soll. Dann war ich aber schon sehr erstaunt, wie radikal es ist mit der hohen Nase." Audi hat die Front ganz neu gestaltet. Von einer tiefen und breiten Nase wechselte man zu einer schlanken, hohen Konstruktion.

Marcel Fässler, Andre Lotterer, Benoit Treluyer

Der neue Audi R18 ist 4,65 Meter lang: Der Fahrer sitzt exakt in zentraler Position Zoom

"Wir haben die Footbox und die vordere Template nach hinten verlagert. Der Bereich des Monocoques mit Mindestbreite ist nach hinten gerückt, sodass wir die Nase schlanker gestalten konnten", schildert Zander das Vorgehen beim Entwurf. "Es gibt an der Nase eine Verjüngung. Dadurch ergibt sich mehr Platz für eine saubere Luftdurchführung mit reduzierter Umlenkung und flachen Flügelwinkeln, um im Bereich des Vorderwagens keine Turbulenzen zu erzeugen und damit eine saubere Anströmung des Unterbodens und Diffusors zu erzielen."

Neues Monocoque: Fahrer sitzt in einer Holzkiste...

Durch die schlankere Form gewinnen die vorderen Flügelelemente an Bedeutung. Aufgrund der großflächigeren und saubereren Anströmung kann in diesem Bereich ein geringerer Anstellwinkel gewählt werden, um gleichen Antrieb bei geringerem Luftwiderstand zu erzeugen - auch der Luftdurchsatz für die Kühlung wurde somit effizienter, die Anströmung der hinteren Aerodynamikbauteile inklusive Diffusor ebenso. Es entstehen insgesamt geringere Turbulenzen.

"Der Fahrer sitzt nun anders im Auto. Er sitzt aufrechter, die Füße sind quasi nach hinten gewandert", beschreibt der Audi-Technikchef jene Veränderungen, die für die Piloten sofort spürbar sind. "Dadurch, dass ich der Größte bin, war ich frühzeitig ins Projekt involviert - für das Monocoque, wie wir da reinpassen. Es fängt dann fast mit einer Holzkiste an, sodass man schaut, wie man das so gut wie möglich hinkriegt. So radikal war bisher noch keiner im LMP-Bereich", meint Lotterer,


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Das Monocoque wanderte im Vergleich zum Vorgängermodell insgesamt etwas nach hinten, um vorn mehr Platz für sauberen Luftfluss zu schaffen. Am Heck kompensierte man diese Verschiebung durch ein kompakteres Sechsgang-Getriebe. "Wichtig war uns bei all dem, dass wir unsere Zielvorgaben hinsichtlich Gewichtsverteilung erreichen. Das ist ein ganz großes Thema, weil sich die Gesamtstruktur nach hinten verlagert hat", sagt Zander.

Aerodynamik: Wer vorne gut arbeitet, hat mehr Möglichkeiten

"Hinzu kommt, dass wir durch den veränderten Hybrid zusätzliche Masse ins Auto bekommen, die bezüglich einer ausbalancierten Gewichtsverteilung eigentlich konträr liegt. Das war also eine gewaltige Anstrengung", so der gebürtige Rheinländer. Jede Komponente im neuen LMP1-Autos aus Bayern wurde hinsichtlich des Gewichts optimiert, sodass man trotz des im Vergleich zum Schwungradspeicher schwereren Batterie-Hybridspeichers unterhalb des Minimalgewichts von 875 Kilogramm bleiben konnte.

"Grundlage ist immer, dass an der Front die Reifen funktionieren. Ist das der Fall, dann kann man die Aero im Sinne von Effizienz optimieren. Kommen die Reifen nicht ins Fenster, muss man dies wieder über mehr Abtrieb regeln", beschreibt Zander die Voraussetzungen. Über eine effiziente Aerodynamik und eine neue Pushrod-Aufhängungen an der Front (Pullrod am Heck) erreichte man eine gute Nutzung der Reifen, die gleichzeitig von Michelin zur neuen Saison entsprechend der Kundenwünsche weiterentwickelt wurden.

Jörg Zander

Audi-Technikchef Jörg Zander hat positives Feedback von den Fahrern erhalten Zoom

"Die Balance kann man über den Heckflügel jederzeit in die eine Richtung verschieben. Das gleiche an der Front zu tun, ist immer ungleich komplexer und schwieriger. Wenn ich die Flügelprofile an der Front verstelle, ergeben sich oft Turbulenzen. Dies hat dann nicht nur Auswirkungen auf die Aerodynamik am gesamten Fahrzeug, sondern auch Einfluss auf die Kühlung. Das wird alles aus dem Bereich Vorderwagen gefüttert und kann manchmal drastische Auswirkungen haben", nennt der Ingenieur einen weiteren wichtigen Faktor.

Mehr Hybridenergie lohnt nicht: Warum Audi in der 6MJ-Klasse fährt

Im Bereich Kühlung hatte Audi 2015 am Nürburgring schlechte Erfahrungen gemacht. Beim Heimrennen brachte ein neues Aeropaket zwar erheblich mehr Abtrieb, gleichzeitig gab es allerdings Schwierigkeiten mit der Kühlung der Systeme, weil die dafür vorgesehenen Luftkanäle aufgrund von Turbulenzen plötzlich nicht mehr optimalen Durchsatz boten. In diesem Jahr benötigt man sogar noch mehr Effizienz im Kühlsystem, denn die Batteriespeicher werden schnell zu heiß.

Konzeptionell machte man bei der Kühlung keinen radikalen Schritt, man adaptierte die bisherigen Lösungen im Niedertemperatur-Kreislauf an die neuen Voraussetzungen. Audi bezieht die Lithium-Ionen-Zellen von Samsung und entwickelt gemeinsam mit einem Partner daraus die notwendigen Batterie-Pakete, die optimal im Auto verbaut werden können. Theoretisch wäre mit der Rekuperation der kinetischen Energie in den Bremsphasen per MGU an der Vorderachse sogar der Sprung in die 8MJ-Klasse möglich gewesen.

"Wenn man sich die EoT-Liste mal anschaut, dann sieht man aber, dass der 6MJ-Diesel eigentlich ähnlich aufgestellt ist wie der 8MJ-Benziner", erklärt der Audi-Technikchef den Grund, warum der R18 "nur" in der 6MJ-Kategorie geführt wird. "Leistungsmäßig sind wir ähnlich aufgestellt, allerdings mit einer Fußnote: Der Motor ist schwerer und an nicht optimaler Position im Auto, somit in puncto Gewichtsverteilung ist das eher nachteilig." Ein Faktor, der bereits in den Vorjahren - im wahrsten Sinne - ins Gewicht fiel.


Fotos: WEC-Prolog in Le Castellet


"8MJ-Diesel würde sich nicht lohnen. Da gäbe es keine Kompensation mehr", sagt Zander. Ein Blick auf das entscheidende Appendix B des Reglements, im dem die sogenannte Equivalence-of-Technology (EoT) festgehalten ist, zeigt, dass der Konzept-ausgleichende K-Faktor beim 8MJ-Diesel den Wert 1 beträgt. "Wir hätten die gleiche Leistung und Energie, aber das höhere Gewicht. Das macht auf EoT-Seite nicht wirklich Sinn. 6MJ ist die optimale Klasse für den Diesel - so, wie es derzeit deklariert ist."

Nach anfänglichen Defekten: Neuer R18 wird stabil und schnell

"Natürlich merkt man, dass viele Sachen anders passieren im Auto, weil das ganze Hybridsystem viel mehr Einfluss hat. Das merkt man bei der Rekuperation und beim Boosten, da haben wir ja fast 1.000 PS. Die Leistung hatten wir früher nicht", beschreibt Lotterer seine Eindrücke nach umfangreichen Testfahrten im neuen Audi R18. "Das fühlt sich einfach viel stärker an. Aber vom Fahrstil her ändert sich nicht so viel. Und genau das war das Ziel."

"Die Fahrer sind diesbezüglich sehr zufrieden. Das Auto gibt tolles Feedback", freut sich Technikchef Zander, dass die Ideen seiner Abteilung die gewünschten Effekte im Fahrbetrieb zeigen. "Anfänglich in Sebring hatten wir Probleme, aber in Bahrain wurde es besser und beim Test danach war es nochmal erheblich besser. Da haben wir Stimmen von den Piloten gehört, dass sie noch nie ein solches tolles Auto gefahren seien. Das ist natürlich eine super Rückmeldung für die Techniker."

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"Wir haben sehr komplexe Systeme, dort müssen wir die Regelmechanismen weiter entsprechend abstimmen", so laut Zander die Marschroute. "Im Auto steckt unheimlich viel Potenzial, das wir nun entfalten müssen. Die Regelprofile müssen erarbeitet werden. Da müssen wir noch einiges lernen. Was bringt die Simulation? Was kann man davon auf die Strecke übertragen? Womit kann der Fahrer umgehen und was fordert er ein? Wo sind die Grenzen? Wir haben aber sicherlich keine Baustelle, von der ich das Gefühl hätte, sie könnte uns komplett aushebeln."