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  • 23.03.2016 08:24

Bereit zur Titelverteidigung: Der neue Porsche 919 Hybrid

Porsche setzt beim 919 Hybrid auf Evolution - Mit dem überarbeiteten LMP1-Boliden will das Porsche Team den Le-Mans-Sieg und beide Weltmeisterschaften verteidigen

(Motorsport-Total.com) - Nach der Erfolgssaison 2015 - Gesamtsieg in Le Mans, Gewinn der Hersteller- und Fahrerweltmeisterschaft - tritt Porsche 2016 als Titelverteidiger in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) an. Für die dritte Saison seit Porsches Rückkehr in die Topkategorie der Le-Mans-Prototypen wurde der zukunftsweisende Porsche 919 Hybrid stark weiterentwickelt. Die Basis der Chassis-Struktur und des Antriebskonzepts bleiben erhalten.

Titel-Bild zur News: Romain Dumas, Neel Jani, Marc Lieb, Timo Bernhard, Mark Webber, Brendon Hartley

Der neue Porsche 919 Hybrid ist eine Evolution des Vorjahresmodells Zoom

Der Hybridantrieb im 919 verbindet innovative Downsizing-Turbotechnologie mit effizienter Benzindirekteinspritzung für den Zweiliter-V4-Verbrennungsmotor und nutzt eine Lithium-Ionen-Batterie als Speichermedium für die elektrische Energie aus zwei unterschiedlichen Rückgewinnungssystemen (Bremsenergie von der Vorderachse und Abgasenergie). Der 919 Hybrid erreicht eine Systemleistung von ca. 900 PS und lieferte Porsche bereits entscheidende Impulse für die Entwicklung zukünftiger Straßensportwagen.

Die Evolution des Porsche 919 Hybrid für seine dritte Saison in der Langstrecken-Weltmeisterschaft basiert auf einer soliden Soll- und Haben-Rechnung. Auf der Habenseite steht eine starke Basis, an deren Grundfesten für 2016 nicht gerüttelt wird: Die Struktur des Chassis bleibt ebenso erhalten wie das hybride Antriebskonzept aus dem Zweiliter-Vierzylinder-Turbo-Benziner und den beiden Rückgewinnungssystemen (Bremsenergie von der Vorderachse und Abgasenergie).

Demgegenüber stehen für 2016 eine Reduzierung des vom Reglement vorgeschriebenen Kraftstoffkonsums sowie dessen Durchflussmenge. So verhindert das Regelwerk, dass die Le-Mans-Prototypen endlos schneller werden und befeuert gleichzeitig den Eifer der Ingenieure, immer mehr Leistung aus immer weniger Kraftstoff zu generieren. Effizienz-Maximierung und Elektrifizierung sind die entscheidenden Aspekte.

Nach dem ersten Wurf bot der 919 für 2015 ein ausgesprochen großes Potenzial, weshalb praktisch ein neues Auto gebaut wurde. Nun ist der Änderungsbedarf geringer, und Porsche profitiert von der Konzeptstabilität. Die Ingenieure stellten in jedem Detail die Frage, ob es noch robuster und performanter geht. Für 2016 waren konzeptionell keine großen Schritte notwendig. Jeder Bereich des Fahrzeugs wurde verbessert, ohne große Risiken einzugehen. Das zeichnet das 2016er Auto aus.


Porsche präsentiert den neuen 919 Hybrid

Verbrennungsmotor

Porsche debütierte 2014 mit dem innovativsten Antriebskonzept des gesamten Starterfeldes. Für 2016 wurden erneut alle Komponenten optimiert. Die Verbrennungseffizienz des Zweiliter-Vierzylinder-Turbo-Benziners, der die Hinterachse antreibt, konnte noch einmal gesteigert werden. Die Rennsport-Ingenieure in Weissach arbeiten eng mit den Kollegen aus der Serienentwicklung zusammen. Diese unterstützen maßgeblich bei der Verbrennungsentwicklung und Gemischaufbereitung. Die LMP1-Experten nutzen auch dieselben Prüfstände wie die Serienentwickler.

Der Vierzylinder im 919 ist ein V-Motor mit 90 Grad Bankwinkel. Für 2016 wurde sein Gewicht noch einmal reduziert. Im Vorjahr betrug die Leistung des Verbrennungsmotors klar über 500 PS. Für 2016 erlaubt das Reglement nur noch eine geringere Energiemenge aus Kraftstoff pro Runde und reduziert die maximale Kraftstoffdurchflussmenge für alle Prototypen. Im Fall des 919 bedeutet dies rund acht Prozent weniger Benzin und Leistung. Anders ausgedrückt: ein Defizit von zehn Megajoule Energie pro Runde in Le Mans aus dem Kraftstoff. Das kostet etwa vier Sekunden auf der 13,629 Kilometer langen Runde. Durch die neuen Beschränkungen sank die Leistung des Verbrennungsmotors auf unter 500 PS.

Energierückgewinnungssysteme

Die hohe Effizienz des Verbrennungsmotors, der Rückgewinnungssysteme und des Energiespeichers erlaubte Porsche bereits 2015, als erster und einziger Hersteller die höchste Kategorie für die Energie aus Strom zu wählen, das sind acht Megajoule pro Le-Mans-Runde. Für 2016 wurden die Komponenten des elektrischen Antriebs noch leistungsfähiger und effizienter. Das gilt für die optimierte E-Maschine an der Vorderachse ebenso wie für die Leistungselektronik und die neue Generation der Lithium-Ionen-Zellen in der selbst entwickelten Batterie. An der Vorderachse wird beim Bremsen kinetische Energie in elektrische umgewandelt.

Romain Dumas, Neel Jani, Marc Lieb, Timo Bernhard, Mark Webber, Brendon Hartley

Porsche begnügt sich bei der offiziellen Angabe der Systemleistung mit 900 PS Zoom

Das zweite Rückgewinnungssystem sitzt im Abgastrakt. Der Abgasstrom treibt - praktisch parallel zum Leistungs-Turbolader - eine zweite Turbine an. Sie nutzt überschüssige Energie aus dem Abgasdruck, die sonst einfach in die Umwelt entweichen würde. Die hier angewandte VTG-Technik, also die variable Anpassung der Turbinengeometrie an die Höhe des Abgasdrucks, erlaubt es, auch bei geringen Motordrehzahlen und entsprechend geringem Druck die Turbinenschaufeln anzutreiben. Die Zusatzturbine ist direkt an einen elektrischen Generator gekoppelt. Der so erzeugte Strom wird ebenso wie jener vom Vorderachs-KERS in Lithium- Ionen-Batteriezellen zwischengespeichert.

Von dort kann der Fahrer sie abrufen. Wenn er den vollen Boost abruft, presst ihn eine Zusatzkraft in der Größenordnung von über 400 PS in den Sitz. Diese Leistung treibt über einen Elektromotor die Vorderachse an und verwandelt den 919 Hybrid in einen temporären Allradler mit einer Systemleistung von dann ca. 900 PS. Die Strategie, wann und in welchem Maß auf welcher Strecke Energie rekuperiert und per Boost abgerufen wird, entwickeln Team und Fahrer ununterbrochen weiter.

Speicher

Bei der Wahl der Speichermedien sind die Ingenieure in der WEC grundsätzlich frei. Die Konkurrenz bot zunächst Schwungräder und Ultracaps (elektrochemische Superkondensatoren) auf. Für 2016 schlagen alle den von Porsche aufgezeigten Weg der Lithium-Ionen-Batterien ein. Eine weitere wichtige Grundlagenentscheidung beim 919 Hybrid war die hohe Spannung von 800 Volt - eine Technologie, die seitens der Serienentwickler in der Konzeptstudie Mission E zum Einsatz kommt .

Gerade hinsichtlich der Hybrid- und Speicherentwicklung betont Oliver Blume, der Vorstandsvorsitzende der Porsche AG, die Vorreiterrolle des 919: "Weil wir mit unserem elektrifizierten Prototypen erfolgreich unterwegs sind, verfügen wir über handfeste Erkenntnisse. Beispielsweise müssen wir für unsere Seriensportwagen keine Elektromotoren von der Stange kaufen.?

Fahrzeugstruktur

Das Monocoque des Porsche 919 Hybrid besteht aus Carbonfaser in Sandwichbauweise und ist in einem Stück gefertigt. Monocoque, Verbrennungsmotor und Getriebe bilden eine optimal versteifte Einheit. Während der Vierzylinder auch eine tragende Funktion im Chassis erfüllt, sitzt das sequenziell geschaltete und hydraulisch betätigte Siebengang-Renngetriebe aus Aluminium in einem eigenen Carbongehäuse. Für 2016 blieben Getriebe und Getriebeträger strukturell identisch, der Fokus der Weiterentwicklung für die Schaltzentrale lag auf der Gewichtsreduzierung.

Fahrwerk, Bremsen und Reifen

Für noch bessere Fahrdynamik, Balance, Traktion, Grip und Abstimmungsmöglichkeiten erhielt der Porsche 919 Hybrid für 2016 eine neue Vorderachse und eine optimierte Hinterachse. Damit sollte das Auto noch gutmütiger zu fahren und insgesamt besser zu handhaben sein. Auch die Bremsen konnten weiter verbessert werden. Zusätzlich ist eine Performance-Steigerung seitens der Reifen von Partner Michelin zu erwarten. Die ersten Entscheidungen für den Porsche 919 Hybrid der Saison 2016 fielen bereits im Frühjahr 2015, als im kleinen Kreis die wichtigsten Parameter für das Fahrwerk festgelegt wurden.

Aerodynamik

Bei der Aerodynamik-Entwicklung für 2016 fährt Porsche erstmals dreigleisig. Bislang war Porsche für den ersten WM-Lauf der Saison einen Kompromiss eingegangen und hatte den 919 mit geringerem Abtrieb antreten lassen, als für die Strecke in Silverstone ideal wäre. Dieser Kompromiss war der Fokussierung auf den Saisonhöhepunkt in Le Mans geschuldet.

2016 startet der 919 mit einem High-Downforce-Paket in die Saison. Er tritt in Le Mans mit einer extremen Low-Downforce-Konfiguration an und wird für die anschließenden sechs WM-Läufe ein weiteres High-Downforce-Paket erhalten. Mehr als drei Aerodynamik-Auslegungen im Jahr lässt das Reglement nicht zu.

Romain Dumas, Neel Jani, Marc Lieb, Timo Bernhard, Mark Webber, Brendon Hartley

Porsche möchte Audi und Toyota auch in der Saison 2016 das Heck zeigen Zoom

Die aerodynamischen Veränderungen waren getrieben von einer weiteren Effizienzverbesserung und einem stabileren Verhalten in unterschiedlichen Fahrsituationen. Einflüsse wie Seitenwind, Balancewechsel in den Kurven, Gierwinkel- und Rollwinkelabhängigkeiten sollten weiter reduziert werden. Je stärker das Vertrauen des Fahrers, desto besser die Rundenzeiten.

Für Versuche mit einem 60-Prozent-Modell nutzt Porsche den Windkanal des Williams-Formel-1-Teams im englischen Grove. Zur Korrelation der Modellversuche mit den Testergebnissen auf der Rennstrecke leistet der 1:1-Windkanal von Porsche in Weissach einen wichtigen Beitrag. Ein anderes immer wichtiger werdendes Hightech-Werkzeug im Entwicklungszentrum ist der Fahrsimulator. Dass die Piloten sich darin auch auf den nächsten Parcours einschießen können, ist ein willkommener Nebeneffekt. Im Vordergrund steht die Abstimmungsarbeit.

Anhand von Simulationsprogrammen entwickeln die Ingenieure eine Basisabstimmung für den 919, die anhand der Simulatorergebnisse und Fahreraussagen verfeinert wird. Ein solcher Simulator ist ein eigenes Entwicklungsprojekt, fast wie ein zweiter Rennwagen. Porsche hat gute Fortschritte mit diesem Werkzeug gemacht. Das Team ist mittlerweile bei der Fahrzeugabstimmung schon sehr gut aussortiert, wenn es an der Strecke ankommt.

Scheinwerfer

Während sich die meisten Verbesserungen des 919 Hybrid kaum von außen erkennen lassen, geben die neuen Scheinwerfer dem 919 ein frisches Gesicht. Die Vier-Augen-Optik, die ihn als Mitglied der Porsche-Turbo-Familie kennzeichnet, wurde zwar im Wesentlichen beibehalten, jedoch sind die Scheinwerfer jetzt mit deutlich mehr LEDs bestückt. Die erheblich gesteigerte Lichtenergie sorgt bei den Nachtfahrten in Le Mans, Austin und Bahrain für eine bessere Ausleuchtung.