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Kolumne zum Volkswagen-WRC-Ausstieg: Wie geht es weiter?

Redakteur Markus Lüttgens beleuchtet die Hintergründe des WRC-Ausstiegs von Volkswagen und skizziert, wie es für Sebastien Ogier und Co. weitergehen könnte

Liebe Freunde der Schotterwege,

Titel-Bild zur News: Volkswagen

Der Rückzug von Volkswagen hat die WRC-Szene erschüttert Zoom

für Motorsportfans und Leute, die wie ich in dieser Branche ihre Brötchen verdienen, sind es traurige Tage. Innerhalb von einer Woche hat die Dieselaffäre des Volkswagen-Konzerns für zwei heftige Kollateralschäden gesorgt. Erst zieht Audi in Le Mans den Stecker, dann macht Volkswagen den Deckel auf das Thema WRC drauf - und zwar schon Ende dieses Jahres! Für den Motorsport-Standort Deutschland sind das zwei verheerende Nachrichten und für die Motorsportwelt insgesamt ein herber Verlust. Da tröstet es mich nur wenig, dass wir in der vergangenen Wochen weltweit die Ersten waren, die über den bevorstehenden Ausstieg berichtet haben.

Der schlagartige Rückzug von Volkswagen aus der Rallye-WM erscheint auf den ersten Blick verstörend, denn in Wolfsburg und Hannover, dem Sitz der Rallyeteams, hatte man in diesem Jahre mit viel Aufwand einen neuen Polo R WRC für das neue technische Reglement der WRC-Saison 2017 entwickelt. Genau das war auch der Hoffnungsschimmer für die Mitarbeiter des Teams. Man wird doch nicht all das Geld für die Entwicklung des Autos umsonst ausgegeben haben?

Neuer Polo R WRC wandert ohne Rennkilometer ins Museum

Volkswagen 2017

Dem neuen Polo R WRC bleibt ein Rallye-Einsatz verwehrt Zoom

Doch die Hoffnung auf eine Gnadenfrist von einem Jahr erfüllte sich nicht. Der Volkswagen Polo R WRC des Jahrgangs 2017 wird ohne einen einzigen Rennkilometer gefahren zu sein, den Gang ins Museum antreten. Das ist allerdings nichts Ungewöhnliches. 2010 hatte Toyota auch schon ein fertiges Formel-1-Auto entwickelt, als der Konzern kurzfristig den Rückzug verkündete.

Auch wenn der Rückzug von Volkswagen aus der WRC eine unmittelbare Folge des Dieselskandals ist, spielen die finanziellen Gründe bei dieser Entscheidung im Grund nur eine untergeordnete Rolle. Sicherlich muss der Konzern sparen, aber bei den Milliardenzahlungen, die im Zuge der Affäre auf Volkswagen zukommen, ist das WRC-Budget nur eine Tropfen auf den heißen Stein.

Vielmehr geht es beim Rückzug darum, ein Zeichen zu setzen. Man kann vom normalen Arbeiter am Fließband nur schwerlich Opfer verlangen, wenn gleichzeitig gut bezahlte Werksfahrer rund um die Welt reisen. Vor allem, wenn sich nach den totalen Triumphen von Volkswagen in den letzten vier Jahren, weitere Erfolge nicht mehr als Steigerung vermarkten lassen.

Volkswagen wildert im Revier von Skoda

So war der abrupte Stopp des WRC-Programms letztlich eine fast schon unabdingbare Folge. In gut zwei Wochen werden nach der Rallye Australien die Lichter beim WRC-Team ausgehen. Nicht jedoch bei der Volkswagen Motorsport GmbH. Denn das ist die gute Nachricht an einem schlechten Tag: Alle gut 200 Jobs bleiben erhalten.


Fotostrecke: Volkswagen: Meilensteine im Rallyesport

Im Zuge der Konzentration auf den Kundensport - unter dieser Bezeichnung wurde der WRC-Ausstieg offiziell verkauft - wird Volkswagen unter anderem eine R5-Version des Polo entwickeln. Diese Nachricht machte mich allerdings stutzig, denn in genau diesem Segment ist der Volkswagen-Konzern mit dem Skoda Fabia R5 bestens aufgestellt. Der Allradler aus der Tschechischen Republik ist in seiner Klasse das Maß der Dinge und ein Kassenschlager.

Welche Auswirkungen die Volkswagen-Ankündigung auf das Motorsport-Programm von Skoda haben wird, bleibt daher abzuwarten. Allerdings treten in der GT3-Klasse mit Audi, Bentley und Porsche ja auch drei Marken des Volkswagen-Konzerns im Wettkampf auf der Rennstrecke und um Kunden gegeneinander an.

Was macht Sebastien Ogier?

Sebastien Ogier

Sebastien Ogier dürfte der WRC trotz des VW-Rückzugs erhalten bleiben Zoom

Für drei Mitarbeiter gilt die Jobgarantie bei Volkswagen allerdings nicht: Sebastien Ogier, Jari-Matti Latvala und Andreas Mikkelsen. Die Werksfahrer stehen urplötzlich und zu einem späten Zeitpunkt in der Saison ohne Cockpit für das kommenden Jahr da, und dass auf einem Fahrermarkt, der eigentlich schon geschlossen war. Wie geht es für die drei also weiter?

Ogier stehen im Grunde alle Optionen offen. Zwar hatte er in der Vergangenheit schon mit einem Rücktritt kokettiert, doch in letzter Zeit schien das Feuer in ihm wieder aufzulodern. Dass sich der viermalige Weltmeister im Alter von bald 33 Jahren zu Ehefrau Andrea Kaiser, Söhnchen Tim und ins Privatleben zurückzieht, glaube ich nicht.

Wahrscheinlicher ist eine Rückkehr zu Citroen, für die Ogier bereits von 2009 bis 2011 in der WRC gefahren war. Nach dem Ausstieg von Volkswagen dürften die Franzosen die sportlich attraktivste Wahl sein, denn von den verbleibenden Herstellern hat keiner so lange und intensiv am neuen Auto gearbeitet.

Überraschender Wechsel zu M-Sport?

"Wenn der Fahrer, der in den vergangenen vier Jahren die Meisterschaft gewonnen hat, auf dem Markt ist, sollte man auf jeden Fall mit ihm sprechen", ließ Citroen-Teamchef Yves Matton heute auch passend in der 'L'Equipe' verlauten. Mit Ogier und Kris Meeke hätte Citroen zwei absolute Hochkaräter im Team. Craig Breen oder Stephane Lefebvre, die beide einen Vertrag für die kommenden Saison besitzen, würden dann in die Röhre schauen.


Rallye Großbritannien: Volkswagen wird Weltmeister

Sebastien Ogier schnappt sich den Sieg in Wales und macht Volkswagen damit zum vierten Mal zum Weltmeister Weitere Rallye-Videos

Denkbar wäre auch ein Wechsel von Ogier zu M-Sport. Aus sportlicher Sicht mag das sehr überraschend klingen, doch das Team verkauft sich in dieser Saison weit unter Wert. Was mit dem Ford Fiesta immer noch möglich ist, zeigte Ott Tänak am vergangenen Wochenende bei der Rallye Großbritannien. Und bei einem Team mit der Erfahrung von M-Sport ist es unwahrscheinlich, dass das neue Auto im kommenden Jahr ein Rohrkrepierer wird.

Hinzu kommt: M-Sport-Boss Malcolm Wilson und Ogier schätzen einander sehr und pflegen seit langem ein gutes Verhältnis. Noch in diesem Jahr hatte Ogier bei einer Podiumsdiskussion bedauert, dass er nie für Wilson gefahren sei. Das könnte er jetzt ändern. Auch sportlich könnte diese Alternative reizvoll sein, denn ein kleiner Makel haftet Ogier trotz seiner Erfolge hartnäckig an.

Latvala und Mikkelsen mit wenigen Optionen

Jari-Matti Latvala, Miikka Anttila

Jari-Matti Latvala blickt in eine ungewisse Zukunft Zoom

Zwar war er in den vergangenen vier Jahren jeweils überlegener Weltmeister, allerdings auch immer in einem überlegenen Auto. Schon Sebastian Vettel musste in der Formel 1 in seinen WM-Jahren mit Red Bull mit diesen Restzweifeln leben. Diese könnte der überaus ehrgeizige Ogier beseitigen, wenn er in einem Underdog-Team wie M-Sport auch erfolgreich ist.

Für unwahrscheinlich halte ich, dass Ogier bei Hyundai andockt - was im übrigen auch für seine beiden Teamkollegen gilt. Mit Thierry Neuville, Dani Sordo und Hayden Paddon verfügen die Koreaner über das wohl homogenste Fahrertrio der WRC, welches zudem gut aufeinander eingespielt ist. Nach dem Aufwärtstrend in dieser Saison nun durch Personalwechsel Unruhe ins Team zu bringen, kann nur kontraproduktiv sein.

Das Abenteuer Toyota dürfte Ogier sich kaum antun. Zwar erklärte Teamchef Tommi Mäkinen heute gegenüber 'mtv.fi', dass man mit Ogier und auch Latvala "in gewissem Kontakt stehe", aber hinter dem Team stehen nach der schwierigen Vorbereitung zu viele Fragezeichen. Zumindest für einen Fahrer wie Ogier, für den nur Siege zählen.

WRC steht auch ohne Volkswagen gut da

Markus Lüttgens

Redakteur Markus Lüttgens sieht die WRC auch ohne Volkswagen gut aufgestellt Zoom

Für Latvala hingegen könnte das in Finnland beheimatete Werksteam von Toyota in der Tat die neue sportliche Heimat werden. Mit seiner großen Erfahrung könnte er die Entwicklung des Yaris WRC entscheidend vorantreiben. Andere Alternativen sehe ich für den Finnen derzeit nicht, denn nach den durchwachsenen Leistungen der vergangenen beiden Jahre hat sein Ruf einige Kratzer abbekommen.

Auch für Mikkelsen dürfte es schwierig werden, einen Platz in der WRC zu finden. Am ehesten scheint ein Wechsel zu DMACK wahrscheinlich, die damit liebäugeln, ihr WRC-Team im kommenden Jahr auf zwei Autos aufzustocken. Andere Möglichkeiten dürften sich für Mikkelsen, der seine Klasse zweifelsohne unter Beweis gestellt hat, kaum zu ergeben.

Für die WRC insgesamt gilt trotz des Rückzugs von Volkswagen das Motto des legendären Fußballtrainers Dragoslav Stepanovic: "Lebbe geht weiter!" Zwar waren die vergangenen Jahre sportlich nicht immer hochspannend, doch die Rallye-WM steht heute besser da als 2013. Mit Citroen, Hyundai, M-Sport und Toyota werden in den nächsten Saison vier Werksteams antreten, die neuen Autos sehen spektakulär aus und hören sich auch so an, und zum ersten Mal seit vielen Jahren könnte es zu einem echten Kampf mehrere Hersteller um die WM kommen.

Marketing von Volkswagen hat Maßstäbe gesetzt

Was über den Ausstieg von Volkswagen hinaus bleibt sind die Verdienste, die sie sich um die WRC erworben haben. Anfang 2013 stand die WRC beim Einstieg von Volkswagen ohne Promoter dar, woraufhin die Wolfsburger selbst viele Marketing-Kampagnen anstießen. In den sozialen Medien war Volkswagen sehr aktiv und erschloss mit vielen kreativen Beiträgen ganz neue Zielgruppen. Und wer einmal gesehen hat, welches Programm bei der Rallye Deutschland für die Fans aufgezogen wurde, kann davor nur den Hut ziehen.

Deswegen möchte ich an dieser Stelle Danke sagen: Danke Volkswagen für vier tolle Jahre in der Rallye-WM, die ich als Journalist begleiten durfte. Denn auch in der Zusammenarbeit mit den Journalisten hat Volkswagen Maßstäbe gesetzt, die andere Hersteller erst einmal erreichen müssen.

Ihr


Markus Lüttgens

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