Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Luigi Dall'Igna (Ducati)

Interne Streitereien und kaum noch Hoffnung: Ducati bekommt den WM-Titel auf dem Silbertablett gereicht und wirkt nach dem zweiten Aragon-Rennen chancenlos

Liebe Motorradfreunde,

Titel-Bild zur News: Luigi Dall'Igna

Hat Luigi Dall'Igna die Kontrolle über das MotoGP-Projekt verloren? Zoom

die MotoGP-Saison 2020 biegt so langsam auf die Zielgerade. Bei nur noch drei ausstehenden Rennen werden Fehler ab jetzt konsequent bestraft. Pole-Setter Takaaki Nakagami kann das bestätigen.

Für das zweite Aragon-Rennen war der Japaner der große Favorit. Doch durch den Sturz in Runde eins platzten nicht nur die Hoffnungen auf das erste Podium. Auch beim Kampf um den WM-Titel wird der Honda-Pilot keine Rolle mehr spielen.

Besagter WM-Titel ist in diesem Jahr laut HRC-Teammanager Alberto Puig weniger wert, da Titelverteidiger Marc Marquez nicht dabei ist. Diese Aussage sorgte im Sommer für Aufregung. Was auf den ersten Blick recht arrogant klang, trifft den Nagel aber meiner Meinung nach auf den Kopf.

Wer hat denn nun den Titel in diesem Jahr am meisten verdient? Welcher Fahrer wäre ein würdiger Weltmeister? Diese Fragen stelle ich mir schon wochenlang. Und ehrlich gesagt habe ich mit jedem der potenziellen WM-Anwärter meine Probleme.

Niemand will Weltmeister werden

Jeder Fahrer hat Fehler gemacht oder schwache Leistungen gezeigt. Auf eine Saison gesehen lassen sich Fehler kaum vermeiden. Aber die Fehlerquote in diesem Jahr ist schon speziell. Joan Mir führt die WM ohne einen einzigen Sieg an. Fabio Quartararo ist WM-Zweiter, obwohl er nur bei drei von elf Rennen auf dem Podium stand. Und Maverick Vinales kann als WM-Dritter auch nicht mehr als drei Podestplätze vorweisen.

Andrea Dovizioso

Andrea Dovizioso liegt drei Rennen vor Schluss 28 Punkte zurück Zoom

Nach dem Saisonauftakt in Jerez hätte ich mein Geld ganz klar auf Andrea Dovizioso gesetzt. Der Ducati-Pilot startete mit einem dritten Platz in die Saison. Ein dritter Platz in Jerez war für Dovizioso wie ein Sieg. Noch nie zuvor schaffte es der Italiener in Jerez aufs Podium. Und die folgenden Strecken spielten Ducati voll in die Karten. Doch alles kam anders.

Großes Durcheinander im Lager von Ducati

Womit wir beim Hauptakteur der heutigen Kolumne wären. Nachdem ich Ducati-Corse-Chef Luigi Dall'Igna bereits am vergangenen Wochenende für die WSBK-Kolumne auswählte, komme ich nach dem jüngsten MotoGP-Wochenende nicht am Verantwortlichen der Ducati-Rennabteilung vorbei.

Nach der desaströsen Vorstellung in Aragon kann Dall'Igna nicht ruhig geschlafen haben. Die in meinen Augen sichere WM rutschte Ducati zuletzt immer mehr aus den Händen. Lediglich die Fehler der Konkurrenz sorgten dafür, dass Dovizioso noch in Reichweite zum WM-Führenden liegt.

Ducati Desmosedici

Andrea Dovizioso sammelte pro Rennen im Durchschnitt weniger als zehn Punkte Zoom

Mit einem 13. Platz im zweiten Aragon-Rennen erreichte Doviziosos vermutlich letzte MotoGP-Saison einen neuen Tiefpunkt. Dovizioso ließ nur zwei Fahrer hinter sich: Tito Rabat und Bradley Smith. Ducati bekam den WM-Titel auf dem Silbertablett gereicht, als feststand, dass Marc Marquez wochenlang ausfällt. Doch durch die internen Unruhen verspielen die Italiener diese vermutlich einmalige Chance.

Kein Zusammenhalt im Team

Nach drei Vize-Titeln in Folge war alles vorbereitet, um in diesen Jahr den Titel zurück nach Bologna zu holen. Doch bereits im vergangenen Jahr wirkte Ducati nicht mehr so harmonisch wie in den Jahren zuvor. "Desmo Dovi" war nicht mehr. Stattdessen drang nach außen, dass es zwischen der Startnummer 04 und Ducati-Corse-Chef Dall'Igna Unstimmigkeiten gibt.

Gigi Dall'Igna

Luigi Dall'Igna muss wohl weiter auf seinen ersten MotoGP-Titel warten Zoom

Ehrlich gesagt überraschte mich nicht, dass die Traumehe in diesem Jahr zu Ende geht. Dall'Ignas ständige Flirts mit Jorge Lorenzo, das sture Vertrauen auf Daten anstatt auf Fahrereindrücke und die Kritik an Doviziosos Herangehensweise haben die Verbindung zur jahrelangen Ducati-Speerspitze zerstört. Die entstandenen Risse waren nicht mehr zu stopfen.

Die Chemie im Ducati-Werksteam stimmt nicht mehr

Zuletzt wirkte Dovizioso lustlos und unmotiviert. Als ob er gar kein Interesse daran hat, Ducati zum WM-Titel zu führen. Für Außenstehende wirkt das vermutlich befremdlich. Da hat er nach drei Vize-Titeln endlich die große Chance und nutzt sie nicht.

Doch so einfach ist die MotoGP nicht. Um Bestleistungen zu bringen, muss die Chemie zwischen Fahrer, Team und Hersteller stimmen. Und das ist bei Ducati seit Monaten nicht mehr der Fall.

Niemand weiß genau, was intern wirklich passiert ist. Aber wenn Dovizioso seine MotoGP-Karriere aufs Spiel setzt, dann wird das Gründe haben. Erneut den WM-Titel zu verpassen, trifft Dovizioso und Dall'Igna vermutlich gleichermaßen.

Andrea Dovizioso

Andrea Dovizioso wirkt momentan lustlos und wenig optimistisch Zoom

Klar, für Dovizioso ist es die wohl letzte Chance. Aber auch Dall'Igna war nie näher dran, seinen beeindruckenden Lebenslauf mit einem MotoGP-Titel zu erweitern.

Wäre Dovizioso überhaupt ein würdiger Weltmeister?

Kehren wir zur Ursprungsfrage zurück und projizieren diese auf Ducati und Dovizioso. Vorausgesetzt, er könnte die WM noch einmal drehen und als Weltmeister abtreten. Wäre Dovizioso ein würdiger Weltmeister?

Gönnen würde ich ihm den Titel. Ohne Zweifel. Hätte er diesen verdient? Bei nur zwei Podestplätzen aus den vergangenen elf Rennen? Sagen Sie es mir auf Facebook unter "Sebastian Fränzschky - Motorsport-Journalist". Welcher Fahrer wäre für Sie ein würdiger Weltmeister? Oder gibt es in diesem Jahr gar keinen Fahrer, auf den das zutrifft?

Sportliche Grüße,

Sebastian Fränzschky