• 16.10.2007 13:59

  • von David Pergler

Der große Reifenzoff: Alle Stimmen

So unterschiedlich wie die Leistungsunterschiede 2007 auf der Strecke waren, so unterschiedlich sind die Meinungen zu den Einheitsreifen

(Motorsport-Total.com) - Am 20. Oktober soll eine Entscheidung fallen, nämlich die, ob die MotoGP 2008 mit Einheitsreifen an den Start geht, oder ob weiterhin ein offener Wettbewerb unter verschiedenen Fabrikaten zugelassen wird. Momentan streiten in der Königsklasse die Marken Bridgestone, Michelin und Dunlop um Punkte, Podestplätze und Platzierungen. Doch das könnte sich bald ändern.

Titel-Bild zur News: Michelin-Reifen

In Malaysia geht der Kampf ums schwarze Gold in die entscheidende Runde

Dabei sind die Reifenhersteller, um die es eigentlich geht, gegen ein Reifenmonopol. Verständlich, denn nur ein Wettbewerb erlaubt eine ideale Vermarktung. Für einen Reifenhersteller ist ein Engagement in einer Rennserie primär mit Aufwand verbunden und nur der Werbeeffekt rechtfertigt einen solchen Einsatz.#w1#

Bei nur einem Hersteller ist dieser Effekt natürlich gering, gut kann man sich beispielsweise noch an die Formel-1-Saison 2006 erinnern, wo das Reifenduell eine entscheidende Rolle im Titelkampf mitspielte und entsprechend Erwähnung in den Gazetten fand. Ähnlich verhält es sich aktuell in der MotoGP. Das wäre bei nur einem Hersteller natürlich nicht mehr der Fall. Aus diesem Grund lehnen sowohl Sieger Bridgestone, Verlierer Michelin und Outsider Dunlop einen Einheitsreifen ab.

Bridgestone hat viel investiert, im an die Spitze zu gelangen und das soll sich nun längerfristig auszahlen. Michelin möchte die jüngste Schlappe natürlich nicht auf sich sitzen lassen und möglichst nächstes Jahr wieder zurückschlagen. Win on Sunday, sell on Monday, wie es so schön heißt. Und auch Dunlop ist stolz darauf, zumindest ab und an die Großen ärgern zu können wie in Japan und will den Wettbewerb beibehalten.

Doch in der Königsklasse der Motorräder mehren sich immer mehr und mehr Stimmen, die für ein Reifenmonopol stimmen, zu sehr würde der Wettbewerb unter den Fahrern und Teams durch einen dominanten Reifenhersteller verzerrt und verfälscht werden. Doch wie soll es weitergehen? Auch wenn nur ein Reifenhersteller antritt, bleiben Unterschiede zwischen den Teams bestehen und verzerren das Kräfteverhältnis unter den Fahrern. Eine schwierige Diskussion also.

Ezpeleta relativiert die "Einheitsreifengefahr"

Carmelo Ezpeleta

Carmelo Ezpeleta hat mit seiner Forderung für einigen Wirbel gesorgt Zoom

Dorna-Boss Carmelo Ezpeleta war es, der diese Diskussion ins Rollen brachte. Der Rechte-Inhaber der Serie bestätigte, dass am Samstag in Malaysia die Entscheidung gefällt werden soll. Doch während er sich in Japan noch für Einheitsreifen aussprach, rudert der Zampano nun zurück: "Noch ist nichts entschieden. Aber heute ist ein Einheitsreifen noch nicht so sicher, wie er es noch in Motegi war. Ich bin der erste, der sich für einen offenen Wettbewerb in der höchsten Klasse des Motorrad-Rennsports begeistert. Aber so können wir nicht weitermachen."

Der von Ezpeleta vorgebrachte Vorschlag habe einen ganz anderen Zweck: "Was ich in Japan gesagt habe, hat das angefacht, was ich wollte: Die Firmen sollen sich Gedanken machen und ihre eigenen persönlichen Interessen zurückstellen, um die Meisterschaft spannender zu machen. Die Entscheidung wird nächsten Samstag von der GP-Kommission vor dem Rennen gefällt. Sie ist noch immer unsicher, aber momentan ist es eher wahrscheinlich, dass sie Dinge so bleiben, wie sie sind."

"Ich bin es, der die Spielregeln aufstellt." Carmelo Ezpeleta

Ezpeleta möchte seinen Reifenvorschlag primär als Drohung verstanden wissen: "Nach meinen Worten haben die Reifenhersteller einen Schritt vorwärts gemacht und scheinbar ganz plötzlich hat sich die Situation verändert. Michelin hat in der Vergangenheit immer gesagt, dass sie kein Interesse daran haben, als Alleinausstatter auszutreten. Jetzt sehen sie, dass wenn sie den Sport verlassen, 30.000 Arbeitsplätze in Gefahr wären. Sie investieren also besser mehr Geld in den Rennsport, um ihre diesjährige Situation zu verbessern."

"Ich habe Bridgestone klargemacht, dass im Falle einer Einheitsreifenregel es absolut nicht von Haus aus gegeben wäre, dass derjenige, der als Alleinausstatter ausgewählt würde, der wäre, der den besten Ruf hat. Ein Reifenmonopol würde bedeuten, dass zwei der Hersteller uns komplett verlassen müssten", fährt Ezpeleta fort. "Es ist also besser, ein Übereinkommen zu finden. Ich denke, das finden wir, aber letzten Endes bin ich es, der die Spielregeln aufstellt", macht der Dorna-Boss seinen Standpunkt unmissverständlich fest.

Hayden hasst es, nur wegen Reifen keine Siegchancen zu haben

Nicky Hayden

Nicky Hayden weiß um die Vorteile und Nachteile von Einheitsreifen Zoom

Die Fahrer selbst sind sich insgesamt nicht einig über ein Reifenmonopol. Der Ex-Weltmeister Nicky Hayden ist einer der Befürworter für Einheitsreifen. Verständlich, der gestürzte Champion war eines der großen Opfer von Bridgestones Dominanz: "Ich bin nicht komplett gegen die Einheitsreifenregel. Als ich das erste Mal davon in der Superbike-WM gehört habe, hielt ich es für eine schlechte Idee, aber jetzt haben die Fahrer keine Entschuldigungen mehr."

Der Weltmeister von 2006 erklärt: "Wir könnten dann nicht mehr sagen 'Nun, ich hatte eben am Donnerstag die falschen Reifen ausgewählt'. Für die Hersteller ist es dann auch eindeutiger, wer die beste Maschine hat. Ich denke, die Rennen würden für die Fans spannender werden."

"Ich denke, die besten Fahrer werden ganz vorne bleiben", meint Hayden gegenüber 'Motor Cycle News'. "Und die besten Piloten und Motorräder werden klar gewinnen. Ich denke, dass dieses Jahr die beste Bike-, Reifen- und Fahrerkombination den Titel eingesackt hat und kommendes Jahr würden immer noch der beste Fahrer und die beste Maschine gewinnen."

"Die Fahrer haben keine Entschuldigungen mehr." Nicky Hayden

"Dabei schlagen Hayden zwei Seelen in seiner Brust: "Ein Teil von mir ist dagegen, weil ich den Wettbewerb mag und ich weiß, wie sehr sich Michelin darum bemüht, zurückzuschlagen. Andererseits hasse ich den Gedanken, in ein Rennwochenende zu gehen und zu wissen, dass, wir ohne einen funktionierenden Reifen genauso gut zuhause hätten bleiben können, egal wie gut ich fahre, egal wie gut mein Team das Motorrad einstellt und anpasst."

"Das nimmt der Sache einigen Spaß, besonders bei meinem Heimrennen in Laguna", so der Amerikaner. "Das war einfach ein Desaster. Manchmal war es dieses Jahr einfach eine Reifenlotterie. Etwas Gutes hätte ein Reifenmonopol auf jeden Fall: Man würde nicht sooft herumsitzen und so viel über Reifen philosophieren."

Über die Michelin-Reifen hat der Amerikaner nebenbei eine eigene Sicht: "Wir müssen uns in einigen Gebieten verbessern. In der Vergangenheit haben wir zu lange gebraucht, um die Reifen richtig auf Temperatur zu bekommen. Casey (Stoner, Anm. D. Red.) war auch auf Michelinreifen schnell in seinen Out-Laps, doch gelegentlich hatte er dort auch große Probleme." Casey Stoner war 2006 bei LCR-Honda noch auf französischen Gummis von Michelin unterwegs. Bei Ducati rollt der Weltmeister nun auf Bridgestone-Reifen.

"Aber er war immer schnell. Das Beste, was man hinter solchen Jungs machen kann, ist es einen Fehler von ihnen abzuwarten. Manchmal können sie sich sogar Fehler erlauben und verlieren dabei keine Zeit. Das ist manchmal frustrierend, weil sie nicht auf der perfekten Linie bleiben müssen. Die Bridgestone-Reifen helfen einem, besser in die Kurven reinzubremsen", weiß Hayden, der in Phillip Island einige Gelegenheit hatte, den Fahrstil und die Linien seines Gegners Stoner zu studieren, bevor er ausfiel.

Stoner versteht die Aufregung nicht

Casey Stoner

Weltmeister Casey Stoner will Wettbewerb an allen Fronten Zoom

Sein Kronprinz Casey Stoner ist wiederum komplett gegen Einheitsreifen eingestellt: "Ich habe es wieder und immer wieder gesagt: Dies ist eine Prototypenmeisterschaft. Die Maschinen werden nur für diesen Wettbewerb konstruiert und gebaut. Die Reifen werden nur für diese Meisterschaft hergestellt. Wenn wir eine Einheitsreifenregel bringen, dann sollten wir als nächstes nur noch einen Hersteller bei den Motorrädern zulassen und dann fahren wir den R6 Cup. Es wäre nicht mehr die selbe Meisterschaft, die es mal war."

"Es war schon immer so, wie es ist, also sollte es auch so bleiben. Ich denke, diese Saison war eben etwas anders und jetzt will jeder auf dieses Schiff aufspringen und keiner kann es steuern. Die Jungs, die die Meisterschaft betreiben, kennen ja alle unsere Meinung. Es wird wohl abseits von unserer Meinung entschieden werden", so der neue Weltmeister.

Bei einem Hersteller gebe es laut Stoner keine Verbesserungen. Wenn also ein Team mit dem Einheitsreifen besser klar kommt, dann habe es einen Vorteil. Zudem wisse man nicht, ob man dieselbe Reifenqualität wie ein anderes Team bekommt. Das sei schon in der Vergangenheit so passiert.

Vermeulen fürchtet einen Entwicklungsstopp

"Kaum waren die Hersteller verbannt, schon stoppte die Entwicklung." Chris Vermeulen

Sein Landsmann, der Suzuki-Pilot Chris Vermeulen stimmt dem Ducati-Fahrer zu: "Ich denke, Casey hat bereits alles gesagt. Ich stimme damit vollkommen überein. Ich denke nicht, dass dieser Wettbewerb eine Einheitsreifenregel braucht. Es ist ein Wettkampf zwischen Prototypen. Ich kenne das von Pirelli in den Superbikes. Kaum waren die Hersteller verbannt, schon stoppte die Reifenentwicklung und wurde zwei Jahre lang nicht mehr fortgesetzt. Das wirft jedermann zurück. Sie (Pirelli, Anm. d. Red.) werden nur deswegen lange nicht mehr in der Lage sein, sich an der MotoGP zu beteiligen."

"Wenn wir eine Einheitsreifenregel einführen, welcher Reifen soll es sein? Passt der Reifen zu jeder Maschine? Kommt eine Ducati mit Bridgestone-Reifen prima zurecht, während eine Yamaha mit Bridgestone-Reifen hoffnungslos hinterherfährt? Werden sie sich dann wieder beschweren? Es gibt so viele Dinge zu bedenken", mahnt Vermeulen.

Melandri ist ebenfalls für Reifenvielfalt

Stoners künftiger Teamkollege bei Ducati ist ebenfalls dessen Meinung: "Die Rennen werden nicht mehr Spaß machen als jetzt, weil die Superbikes mit ihren Einheitsreifen nicht mehr Spaß machen, als unsere Rennen. Ich weiß nicht, wer uns garantieren kann, dass die Entwicklung eines Reifens jedem Bike zusagt."

"Wenn man einen Reifen entwirft, der gut für einige und weniger gut für andere funktioniert, haben wir das selbe Problem wieder von vorne", meint der Italiener. "Für eine Weltmeisterschaft braucht man die besten Fahrer, die besten Maschinen-Hersteller und auch die besten Reifenhersteller. Ich denke, dass das lange Zeit Michelin war, vielleicht zehn Jahre. Das war auch nicht lustig."

Suppo verteidigt Ducatis Leistung

Casey Stoner

Livio Suppo meint, die Dominanz sei primär dem Gesamtpaket zu verdanken Zoom

Livio Suppo hat zur Reifendiskussion natürlich auch seine eigene Meinung. Der Ducati-Boss möchte natürlich nicht auf sich sitzen lassen, dass die Leistung seiner Mannschaft auf die überlegen Reifen reduziert wird: "Die erste Nicht-Ducati auf Bridgestone-Reifen lag 17 Sekunden hinter dem ersten Michelin-Piloten (Rossi auf Platz drei, Anm. d. Red.)."

"Es liegt nicht nur an den Reifen, vieles hängt auch von den Fahrern und vom Gesamtpaket ab", so Suppo gegenüber 'autosport.com'. "Auch die Maschine macht einen wichtigen Teil des Pakets aus. Unser Bike war von Anfang an gut. Deswegen denke ich, haben wir diese Meisterschaft verdient, wir haben einfach einen fantastischen Job gemacht."

Rossis Chefingenieur fällt seinem Schützling "in den Rücken"

Unabhängig davon wägt Yamaha seine Möglichkeiten ab, egal welche Entscheidung am Samstag gefällt wird. Valentino Rossi selbst ist wie Nicky Hayden und Dani Pedrosa zwar einer der Befürworter von Einheitsreifen, doch ironischerweise hat genau sein Renningenieur Jeremy Burgess eine andere Meinung zu dem Thema und beleuchtet die Streitfrage mit ein paar weiteren interessanten Punkten.

"Reifen sind schon von Anfang an Teil des Motorsports gewesen", so Burgess gegenüber 'Gazzetta dello Sport'. "Man nimmt das Auto oder das Motorrad, mit dem man fahren möchte, wählt verschiedene Komponenten aus und sortiert sie aus. Manchmal funktioniert das, manchmal nicht, weil Entwicklungsarbeit etwas sehr zähes ist. Aber wenn wir die Hersteller rauswerfen, wo werden sie in der Lage sein, in einen Wettkampf zu treten, um zu zeigen, dass ihr Reifen der beste ist? Wettbewerb ist etwas grundsätzliches. Sollen wir Dunlop und Michelin einfach so rausschmeißen? Es ist unlogisch, die Regeln zu ändern, nur weil ein Jahr schlecht verlaufen ist."

"Es ist unlogisch, die Regeln zu ändern, nur weil ein Jahr schlecht verlaufen ist." Jeremy Burgess

"Den eingeschlafenen WM-Kampf von 2007 könne man auch anders wieder entfachen: "Lasst uns doch ein Drei-Jahres-Programm aufstellen: Michelin will kämpfen, sie genießen es sicher nicht, zu verlieren. Es ist eine Schande, dass eine halbe Saison die Geschichte des Rennsports verändern soll. Das ist mein persönlicher Standpunkt, wir müssen die Ergebnisse der Meisterschaft als Ganzes betrachten. Auch Valentino hat heuer einige Fehler gemacht und wir hatten technische Probleme mit unserem Bike. Man darf auch nicht die Unfälle vergessen, an denen die Michelinteams gelitten haben."

Es sei immer die übliche Diskussion, sobald jemand dominant wäre: "Es ist ganz normal: es gab schon immer welche, die Valentinos Bike wollten und einige wollten auf die Werks-Honda. Bridgestone unterstützt auch andere Fahrer im Feld und auch sie kamen nicht nahe genug an Stoner heran. Wenn alles nur eine Reifenfrage sein soll, wären sie alle dort. Was wir dieses Jahr gesehen haben, stellt sich für mich nicht als Reifenproblem dar."

Eines steht fest: In der Vergangenheit gab es immer Reifenvielfalt und dennoch spannende WM-Duelle. Man darf auf die Entscheidung am Samstag gespannt sein.