• 17.12.2016 08:09

Cal Crutchlow: "Sie meinten, ich bin erledigt"

Cal Crutchlow im Interview Teil 1: Wie schwierig die Situation zu Saisonbeginn wirklich war, wie der Brite mit Kritik umgeht und wie groß sein Selbstvertrauen ist

(Motorsport-Total.com) - Seine zweite MotoGP-Saison im LCR-Honda-Team begann für Cal Crutchlow äußerst schlecht. In den ersten fünf Rennen fuhr der Brite nur ein einziges Mal in die Punkteränge. Kritik wurde laut, dass Crutchlows Tage in der Königsklasse gezählt seien. Für die schwachen Vorstellungen gab es auch technische Gründe, doch letztendlich zählen nur Ergebnisse. Crutchlow spricht im Interview darüber, wie er mit der schwierigen Saison umging und warum sein Platz in der Honda-Familie gerechtfertigt ist.

Titel-Bild zur News: Cal Crutchlow

Im Frühling stand Cal Crutchlow in der Kritik: Ergebnisse blieben lange aus Zoom

Frage: "Cal, war es nicht ein irres Jahr für dich? Du bist Vater geworden und hast sportlich deinen Durchbruch geschafft!"
Cal Crutchlow: "Eigentlich nicht. Zu Beginn des Jahres habe ich ehrlich gesagt daran geglaubt, dass ich besser gefahren, als ich es am Ende dann getan habe. Für mich lief nur nichts zusammen. In Katar musste ich vom Bike springen, sonst wäre ich Fünfter oder Sechster geworden. In Argentinien stürzte ich auf einem nassen Fleck, so wie sechs andere Fahrer auch. In Austin bin ich gestürzt, weil ich zu hart attackierte. In Jerez hatte ich einen Hinterreifen, der eigentlich nicht zur Verfügung stehen sollte."

"Ich hatte praktisch keine WM-Punkte. Waren es vier? Ich habe keine Ahnung. Meine Pace war zu diesem Zeitpunkt gut, aber aus unterschiedlichen Gründen konnte ich das nicht in Ergebnisse umsetzen. Nur mein Team und Honda verstanden die Situation. Alle anderen sagten: 'Bla, bla, bla. Du wirst am Ende der Saison zurücktreten. Du bist erledigt.'"

Frage: "Hattest du wirklich diesen Einruck?"
Crutchlow: "Alle haben das gesagt. Es war wie bei Lorenzo. Er war auch zu Saisonmitte 'erledigt', aber schau dir seine Leistung in Valencia an. Das ist Teil des Sports. Man muss sich zusammenreißen und stärker zurückkommen. Das einzige Rennen, wo ich eine schreckliche Performance gezeigt habe, war Mugello. Ich bin nur herumgerollt, weil Lucio zu mir gesagt hat, dass ich ins Ziel kommen muss. Außerdem bin ich in Mugello mit einer 320 Millimeter Vorderbremse bei 350 km/h gefahren, obwohl ich die 340er-Scheibe verwenden hätte müssen. Aber sie sagten mir, dass ich wegen dieser Bremse gestürzt bin. Das war aber nicht wahr."

Cal Crutchlow

26 Mal am Boden: Kein MotoGP-Fahrer stürzte 2016 häufiger als Cal Crutchlow Zoom

Frage: "Warum bist du dann gestürzt?"
Crutchlow: "Wir haben zu viel Druck auf das Vorderrad der Honda ausgeübt, weil wir sonst keine Vorteile hatten. Was haben die Kritiker zum Sachsenring, zu Brünn, Silverstone und Australien gesagt? Ich hatte eine tolle zweite Saisonhälfte, aber ich glaube wirklich, dass auch die erste Hälfte so verlaufen hätte können, wenn die Umstände auf meiner Seite gewesen wären."

Crutchlow glaubt an Chance im HRC-Werksteam

Frage: "Wie gehst du mit dieser Kritik um? Sagst du dir, dass du es allen beweisen willst, oder ignorierst du es? Oder willst du mit dem Kopf gegen eine Mauer laufen?"
Crutchlow: "Was kann ich tun? Trotz der schlechten Ergebnisse hatte ich eine Chance im Werksteam, wenn Pedrosa nicht bei HRC geblieben wäre. Sie kennen mein Potenzial auf diesem Bike. Abgesehen von Marc und Dani gibt es niemanden außer mir mit dem gleichen Potenzial auf diesem Motorrad."

"Sie wollen natürlich jüngere Fahrer unterstützen, wie Bastianini. Aber man muss sie nur auf ein MotoGP-Bike setzen und man wird es eh sehen. Es ist nicht vergleichbar mit einer Yamaha. Ich denke Zarco und Folger werden sich gut schlagen. Ich würde liebend gerne Pol Espargaro und Smith auf meinem Motorrad sehen, weil ich weiß, welches Paket sie bei Tech 3 hatten. Dani ist gut, weil er so viele Jahre bei Honda war und es versteht. Marc ist ein Freak, er versteht eigentlich nicht so viel. Er ist einfach nur schnell. Ich glaube nicht, dass sonst irgendjemand auf der Honda einen besseren Job machen kann als ich."

Cal Crutchlow

In seiner sechsten Saison holte Cal Crutchlow seine ersten Siege Zoom

Frage: "War es nicht verrückt, dass dir zunächst gesagt wurde, dass du das Rennen einfach beenden sollst und dann gewinnst du und brichst Rekorde?"
Crutchlow: "Es hängt davon ab, mit wem du sprichst. Ich bin ganz gut darin, die Journalisten auf meiner Seite zu haben und nicht gegen mich. Ich denke, sie verstehen die Situationen und den Rennsport, während es bei den Fans anders ist. Es ist wie im Fußball. Sie unterstützen dich, wenn du gewinnst. Aber wenn du verlierst, dann bist du ihnen egal. Ich spreche nicht von allen, denn es gibt viele großartige Fans, die immer loyal zu dir sind, egal wie oft du stürzt und schlechte Ergebnisse hast. Sie werden immer deine Fans sein!"

"Aber dann gibt es noch Leute, die sagen: 'Er ist nutzlos, er ist erledigt,...' Und wenn du gewinnst, dann wollen sie ein Selfie mit dir. Man muss das akzeptieren. So wie diese 'Fans' applaudiert haben, als Marc in Australien gestürzt ist. Glaubst du nicht, dass sie ihn nach einem Foto gefragt hätten, wenn er an ihnen vorbeigegangen wäre?"

"Du kennst mich. Die Leute mögen mich oder sie tun es nicht, aber ich sage die Wahrheit. Und das ist die Wahrheit. Wenn mir nicht mein enges Umfeld, meine Frau, Christian, Bob, mein alter Manager, meine Freunde und mein Team sagt, dass ich etwas falsch mache, dann beeinflusst es mein Leben nicht, was andere Leute sagen oder denken."

Morgen spricht Crutchlow im zweiten Teil des Interviews über seine Erfolge in der zweiten Saisonhälfte. Außerdem gibt er Einblicke, wie die Geburt seiner Tochter sein Leben verändert hat.