• 07.11.2016 14:36

  • von Roman Wittemeier

WEC in Turbulenzen: Es brennt an allen Ecken

Ausstieg von Audi, WM-Status in Gefahr und viele andere Baustellen: 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über die aktuellen WEC-Erdbeben

Titel-Bild zur News: Anthony Davidson, Kazuki Nakajima

Das Feld der LMP1-Klasse wird durch den Audi-Ausstieg noch kleiner Zoom

Liebe Freunde der Langstrecke,

ich liebe den Motorsport, er ist meine Leidenschaft seit frühester Kindheit. Die Formel-1-Heldentaten von Prost, Senna und Schumacher haben es mir angetan, die genialen Fahrten von Valentino Rossi auf zwei Rädern begeistern mich, ich bekomme ein breites Grinsen bei Rallyedrifts ins Gesicht - alles, was schnell bewegt wird, bereitet mir Freude und bringt mir ein Wohlgefühl.

Ich gebe es ganz offen zu: Die Le-Mans-Szene hat es mir ganz besonders angetan. Dieses unbeschreibliche Rennen in Frankreich ist tief in meinem Herzen verankert. Vor diesem Hintergrund liebe ich auch die WEC, denn sie bringt mich mehr als nur einmal im Jahr mit der tollen Szene, den feinen Fahrzeugen und den netten Leuten im Paddock in Kontakt. Hier und dort werde ich als "WEC-Fanboy Wittemeier" tituliert. Ist mir egal.

Darf ich als Journalist meine persönliche Freude an einer Serie transportieren? Ich denke schon, solange ich bei Wahrheiten und in voller journalistischer Verantwortung bleibe. Zu diesen Wahrheiten gehörten in den vergangenen Jahren unter anderen stetig steigende Zuschauerzahlen in der WEC, ein messbar erhöhtes Interesse unserer Leserschaft und auch die Rückkehr von Porsche nach Le Mans mit allem was dazugehört.

Zu diesen Wahrheiten gehören aktuell aber auch zahlreiche negative Entwicklungen. Und diese möchte ich im Rahmen dieser Kolumne offen ansprechen. Der Audi-Ausstieg zum Ende dieser Saison hat mich nicht überrascht, es gab ausreichend Vorzeichen. Zudem sind die Gründe für den Sparkurs im Volkswagen-Konzern nachvollziehbar.

Einer geht, ein anderer kommt: Wirklich so einfach?

Es ist noch gar nicht absehbar, wie teuer der Dieselskandal letztlich für die Wolfsburger wird. Da kommt sicherlich noch viel mehr auf den Konzern und deren Marken zu. Unter solchen Bedingungen kann man einem Betriebsrat kaum eine Fortführung solch horrend teurer Motorsportprogramme verkaufen. Und die Arbeitnehmervertretung in Wolfsburg ist verdammt stark. Stärker als viele meinen.

Trotz allem kommt der Ausstieg von Audi einem Erdbeben gleich. Die WEC gerät ins Wanken. Die Aussage von Serienboss Gerard Neveu, ein solcher Ausstieg eines Herstellers sei ganz normal, mag stimmen. Es gibt dafür genügend Beispiele aus allen Rennserien. Aber muss man lapidar anfügen, dass "einer geht, einer anderer kommt"? Das finde ich Audi gegenüber respektlos. Außerdem vermittelt es mir nicht das Gefühl, als würden sich die Herren von WEC, FIA und ACO mal an die eigene Nase fassen.

WEC Gridgirls

Nicht alle sehen die Entwicklung der WEC durch die offizielle Fanbrille Zoom

Genau das passiert zu wenig. Im Moment brennt es in der Szene an allen Ecken und Enden. Wo bleibt die Feuerwehr? Sie ist vor Ort, aber scheint nur zuzuschauen und sich möglichst lange an den lodernen Flammen die Hände zu wärmen. Ist den Herren klar, dass man mit nur noch zwei beteiligten LMP1-H-Teams keinen Anspruch mehr auf WM-Status hat? Bestimmt, aber man bleibt stumm. Ging ja damals mit Audi und Toyota in den ersten beiden Jahren auch gut.

In den Jahren 2012 und 2013 erhielt man eine Ausnahmegenehmigung von der FIA, weil sich Porsche für 2014 bereits eingeschrieben hatte. Haben Neveu und Co. ein Werksteam in der Hinterhand, das sich schon jetzt ultimativ zu einem Einstieg spätestens 2018 bekennt? Ich bezweifele es stark. Gerüchte um Peugeot halten sich, aber die Aussage der Franzosen ist kristallklar: Wir kommen nur dann, wenn es erheblich billiger wird.

Wird das Reglement 2018 nach hinten verschoben?

Vor dem Saisonfinale in Bahrain wollen ACO und FIA das Gespräch mit Toyota und Porsche suchen. Die Idee: Verschiebung der für 2018 geplanten Reglementänderungen auf 2020. Durch die Einführung der 10MJ-Klasse und eines weiteren Hybridsystems würden die ohnehin extrem hohen Hürden für potenzielle Neueinsteiger noch höher. Das hat man glücklicherweise erkannt. Aber man darf keinesfalls erwarten, dass Porsche und Toyota zurückrüsten. Dafür wurde schon viel zu viel investiert.

Braucht man für ein Programm in Le Mans und in der WEC tatsächlich jährlich 200 Millionen Euro? Nein, Toyota beweist seit Jahren mit sportlichen Topleistungen das Gegenteil. Die Japaner hatten anfangs rund 80 Millionen pro Jahr zur Verfügung, nun mögen es vielleicht 100 Millionen sein. Es geht also auch mit der Hälfte des Budgets, das Audi und Porsche (jeweils!) rausfeuern. Und es ginge sicherlich noch günstiger.

Mit fehlt eine konsequentere Reaktion der Verantwortlichen von ACO und FIA Zoom

Neulich kam mir bei Überlegungen über mögliche Sparkurse in der WEC eine schräge Idee. Warum werden die Autos samt Antrieb nicht jeweils für zwei oder drei Jahre homologiert? Wer in diesem Zeitrahmen eine Weiterentwicklung bringen möchte, kann sich diese nur durch Streichung von WM-Punkten "erkaufen". Klingt nach Token, läuft dann aber anders. Die klügeren Ideen werden so dauerhaft belohnt. Jeder wird sich mehrfach fragen, ob neue Entwicklungsschritte sofort sein müssen. Vielleicht ist die Idee aber auch blöd.

DPi-Interesse zeigt: Es geht auch anders

Es gibt viel realistischere Ansätze für eine Kostenbremse in der LMP1-Klasse. Ich will damit nur darstellen, dass man durchaus auch mal schräg denken sollte und nicht immer nur Innovations-orientiert. Die Werke wollen Technologie. Man reitet immer wieder auf dem "Track-to-Road-Ansatz" herum, also dem Transfer von Motorsport in die Serie. So lassen sich konzernintern Gelder aus dem R&D-Topf abgreifen und die Argumentation gegenüber Motorsportkritikern fällt leichter - viel mehr aber auch nicht.

Natürlich gibt es Entwicklungen, die im Motorsport getestet werden und schließlich in Serienautos landen. Bei Audi gibt es optional Laserlicht. Hätte es das ohne Le-Mans-Programm erst 2040 gegeben? Glaube ich nicht. Außerdem ist ein solches Feature doch kein großer Kostenfaktor. Die wirklich teuren Entwicklungen habe ich bisher in keinem Straßenwagen gesehen. Oder kennt ihr einen Audi Q5 mit Monsteraero? Einen Toyota Prius mit FRIC? Einen Porsche 911 mit A123-Hightech-Batterien und 800-Volt-System?

Vielleicht kommt das ja alles noch...Oder vielleicht auch nicht. Wie kann man aus dem aktuellen LMP1-Hamsterrad entkommen? Man verbietet reine Werksteams! Das halte ich für weniger absurd als es zunächst klingt. Schaut euch mal an, wie sich die DPi-Szene in den USA entwickeln wird. Der Ansatz der Amis, die bestimmt im Endurance-Bereich längst nicht alles richtig machen, ist doch extrem spannend. Das Interesse scheint entsprechend groß zu sein. Okay, in Le Mans waren immer schon Hersteller im Fokus. Obwohl: Joest, TWR, John Wyer, Kremer, Sauber...


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Warum keine Werksentwicklungen für Privatteams?

Ohne reine Werksteams könnte man in der WEC gleich auch eine zweite Baustelle bearbeiten. Die privaten LMP1-Teams gibt es fast nicht mehr. Die Pescarolos, Welters, Penskes und Co. sind allesamt verschwunden. OAK und Oreca haben sich aus Businessgründen in eine andere Richtung orientiert, bei Rebellion hat Geldgeber Alexandre Pesci die Lust verloren und neue Teams lassen auf sich warten. Bleibt 2017 nur noch ByKolles. Respekt vor der Mannschaft aus Greding.

Eine Konstellation ohne LMP1-Werksteams könnte vielleicht Abhilfe schaffen. Rebellion-Toyota gegen ByKolles-Renault gegen Welter-Peugeot gegen Sauber-Audi gegen Pescarolo-Porsche - das hätte doch was? Es wird wohl ein Traum bleiben. Aber warum bieten die Hersteller ihre Jahreswagen oder zumindest ihre Antriebe (in Light-Version?) nicht potenziellen Kunden zum Kauf an? Ah ja, geheime Technologie in fremden Händen. Und der Betrieb der Hybridwummen ist ja so aufwändig...

Simon Trummer, Oliver Webb, James Rossiter

ByKolles wird 2017 das einzige Privatteam in der LMP1-Szene sein Zoom

Wie funktioniert das denn in der Formel 1? Trägt die Mercedes-Power-Unit weniger Technologie, die man nicht gern preisgeben möchte? Ist der Umgang mit den Aggregaten so viel leichter als in der LMP1? Kann ich mir nicht vorstellen. Teuer sind die Antriebe in Formel 1 wie auch in LMP1, und ein Businesscase entwickelt sich für Hersteller daraus ohnehin nie. Und wenn du dir als Privatteam keinen aktuellen Antrieb leisten kannst, dann nimmst du halt einen alten. Saubere Lösung.

Wie lange spielt Ferrari das BoP-Spiel noch mit?

Wie sich die LMP2-Klasse der WEC unter dem neuen Reglement 2017 darstellen wird, warten wir mal ab. ESM wird nicht mehr dabei sein, SMP nicht, Strakka auch nicht. Welche Neuzugänge sollen das alles ausgleichen? Ich lasse mich gern positiv überraschen. Für die GTE-Am sehe ich persönlich schwarz. Der Ferrari wird im kommenden Jahr eigentlich das einzig adäquate Auto sein. Was soll das für eine Kategorie sein? Ein Markenpokal innerhalb eines WM-Rennens? So ein Unfug.

Außerdem brodelt es hinter den Kulissen derart stark, dass man 2017 vielleicht gar keinen Ferrari in der WEC sehen wird. Die Italiener sind mit den Nerven am Ende. Der neue 488 GTE durfte in Silverstone und Spa glänzen, als Ford das Potenzial des GT noch nicht abrufen konnte/wollte. In Le Mans spielte man das inszenierte Ford-Ferrari-Revival gern mit, aber schaute in die Röhre. Und seither? ACO und FIA bremsten die Italiener immer weiter ein.

Die Änderungen an der Balance-of-Performance (BoP) erreichten an diesem Wochenende in Schanghai die Spitze ihrer Lächerlichkeit. Eigentlich wurde den beiden Werks-488 für das Rennen in China etwas mehr Turbopower zugestanden. Das nahm man nach dem zweiten Freien Training aber wieder zurück. Die FIA argumentierte, es handele sich um eine Anpassung, weil man für den Renntag einen veränderten Umgebungsdruck erwarte. AF-Corse-Boss Amato Ferrari brachte dies zum Bluthochdruck.


Fotos: WEC in Schanghai, Sonntag


Der Italiener droht seither ganz offen damit, dass seine Mannschaft der WEC 2017 fern bleibt und künftig ausschließlich GT3-Ferraris mit Profifahrern in den Blancpain-Serien einsetzt. Ist das ernst zu nehmen? Ich denke ja. Jahrelang hatte Ferrari das konzeptionell beste Auto im GTE-Pro-Feld, aber man litt unter der BoP, weil der ACO gern Aston Martin mal als Le-Mans-Klassensieger gehabt hätte. Nun hat man im 488 wieder ein schnelles Geschoss, die Streicheleinheiten bekommt aber Ford. Das darf so nicht weitergehen.

Einnahmen bleiben bei den Serienmachern hängen

Ohnehin verstehe ich den Umgang der Serienmacher mit den beteiligten Teams nicht. Man hat unter anderem in DHL, Rolex und Shell potente Partner, aber entscheidende Rückflüsse an die Mannschaften gibt es nicht. Bei der Formel 1 und bei internationalen Einladungsrennen ist es normal, dass zumindest Privatteams entsprechende Unterstützung erfahren. Für das Rennen in Mexiko 2016 gab es etwas Support, doch dieser wurde zum kommenden Jahr wieder gestrichen.

Auch bei der DTM gab es zu Zeiten von Privatteams einige Unterstützung. Da wurden Flugtickets oder Hotelzimmer teils finanziert, die Einschreibegebühren waren geringer und die Fracht in vielen Fällen frei. Und in der WEC? Man kann dort ein Frachtpaket zum ermäßigten Preis von 60.000 Euro buchen, aber dieses deckt maximal 30 Prozent der zu transportierenden Güter ab. Der Rest wird unwahrscheinlich teuer.

Bei der WEC zahlen die Teams hohe Summen für Reifen, für Eintrittstickets von Partnern und Sponsoren, für benötigten Platz im Fahrerlager. Am Treibstoff verdient der ACO kräftig mit. Man hat mit Shell einen Deal über den Ankauf der Ware und verkauft den Sprit für fünf Euro pro Liter an die Teams weiter. Da bleibt für den Zwischenhändler ordentlich etwas hängen. Muss das in Zeiten wie diesen wirklich sein?


Teaser: WEC-Saisonfinale in Bahrain

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Ich wünsche mir sehr, dass die Macher der WEC die Zeichen der Zeit ganz schnell erkennen. Bitte steigt von eurem hohen Ross und löscht die Brandherde. Das geht nicht von heute auf morgen, aber mit konsequenter Herangehensweise lässt sich ein fataler Flächenbrand noch vermeiden. Und trennt euch von dem Gedanken, dass man ein schwaches Starterfeld jederzeit mit LMP3-Autos auffüllen könnte. Ich möchte Topsport sehen, und zwar mit möglicht vielen Topteams und Topfahrern!

Viele Grüße,

Roman Wittemeier