• 08.05.2013 15:43

  • von Roman Wittemeier

Le Mans: Toyota wünscht neue Einstufungen

Interview: Pascal Vasselon sieht sein Toyota-Team im Kampf um den Le-Mans-Sieg benachteiligt - Audi sieht keine Entscheidungsgrundlage

(Motorsport-Total.com) - In gut vier Wochen wird es für die Le-Mans-Teams ernst. Am 9. Juni steht auf dem "Circuit de la Sarthe" der wichtige Vortest auf dem Programm. Dort wird man Hinweise auf das mögliche Kräfteverhältnis beim 24-Stunden-Klassiker bekommen. Erste Andeutungen gab es allerdings auch schon am vergangenen Wochenende in Spa-Francorchamps. Dort trafen im WEC-Rennen erstmals die neuen Le-Mans-Autos von Audi und Toyota aufeinander.

Titel-Bild zur News: Anthony Davidson, Sebastien Buemi, Stephane Sarrazin, Tom Kristensen, Loic Duval, Allan McNish

In den zwei WEC-Rennen des Jahres 2013 hatte Audi die Nase stets vorn Zoom

Unter dem Strich gingen die Ingolstädter als klarer Sieger aus dem Belgien-Rennen hervor. Mehr noch: Der neue R18-Langheck, der an der Sarthe fahren wird, machte über weite Strecken einen stärkeren Eindruck als der Toyota TS030 in 2013er-Spezifikation. Der Frust im Lager von TMG war während des Rennwochenendes in den Ardennen groß. Man sieht sich bezüglich der Einstufungen im Nachteil und bangt um die Wettbewerbsfähigkeit in Le Mans.

ACO und FIA befassen sich mit dem Thema, haben aber einen schwierigen Job. Beim WEC-Auftakt in Silverstone war Toyota mit Vorjahresfahrzeugen, in Spa setzte man nur einen einzigen Neuwagen ein - und dieser fiel wegen eines Hybriddefektes aus. "Wir würden uns wundern, wenn man auf Grundlage dieser beiden Rennen Anpassungen bei den Einstufungen vornehmen würde", sagt Audi-Motorsportchef Wolfgang Ullrich auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com'. Toyota drängt dennoch auf Veränderungen, wie TMG-Technikchef Pascal Vasselon im Interview erklärt.

Toyota sicher: Audi hat nicht alles gezeigt

Frage: "Pascal, wie ist die Stimmungslage bei Toyota derzeit?"
Pascal Vasselon: "Naja, wir sind in Silverstone und auch direkt nach dem Rennen in Spa erst einmal ruhig geblieben. Unter dem Eindruck eines Rennens kann man mal überreagieren, so etwas ist nie gut. Daher sind wir zunächst gelassen geblieben. Jetzt - einige Tage danach - hat sich aber das Gefühl gefestigt, dass wir mit der Situation einfach nicht glücklich sein können. Im Rennen in Spa sah es so aus, als wären wir nahe dran. Aber aus unserer Sicht lag das weniger daran, dass wir schneller geworden sind. Es lag eher daran, dass Audi die Motoren heruntergeregelt und das Tempo kontrolliert hat."

Frage: "Ihr habt sicherlich Anfang der Woche alle Rundenzeiten, Boxenstopps und Sektorenzeiten analysiert. Welche Schlüsse habt ihr daraus gezogen?"
Vasselon: "Unsere Erkenntnis daraus war, dass Audi sein Tempo gedrosselt hatte - vor allem durch ein verändertes Motoren-Mapping. Die Aussagen unserer Piloten waren eindeutig. Im Rennen hatten sie kaum Probleme, sich gegen die Audis zu wehren."


Fotos: WEC in Spa-Francorchamps, Samstag


"Unsere Jungs konnten in den Beschleunigungsphasen sogar an Audis vorbeigehen. Das war in den Trainings zuvor undenkbar gewesen. Am Kurvenausgang war es plötzlich ganz anders als in den anderen Sessions. Hinzu kam, dass während des Rennens erheblich weniger dunkler Qualm zu sehen war. Das liegt natürlich an den Einstellungen und dem Betrieb des Motors. Die werden ein weniger fettes Gemisch im Rennen gefahren sein."

Frage: "Schwarzer Qualm? Ist doch gar nicht erlaubt..."
Vasselon: "Ja, das ist ein wirklich schwieriges Thema. So etwas ist von ACO und FIA kaum zu regulieren. Im Regelbuch steht eindeutig, dass kein schwarzer Rauch zu sehen sein darf. Aber es gibt kein Messgerät, das schwarzen Qualm messen könnte. Das ist nicht ganz unkompliziert."

ACO und FIA schauen auf Einstufungen

Frage: "Welche Konsequenzen fordert Toyota?`"
Vasselon: "Neue Einstufungen. Kernpunkt des Langstreckensports und der gesamten Le-Mans-Szene ist, dass man mit unterschiedlichen Technologien starten darf. Das ist hoch interessant, aber eben auch für die Regelhüter schwierig. Man muss sicherstellen, dass die Vor- und Nachteile der verschiedenen Konzepte so ausbalanciert sind, sodass man einen fairen Wettbewerb gewährleisten kann. Es ist nicht zu unterschätzen, wie schwierig das für FIA und ACO ist. Aber jetzt ist eine Anpassung erforderlich."

"Diesel- und Benzinmotoren bringen unterschiedliches Potenzial mit. Wenn es nicht Probleme unter anderem mit Russ und Feinstaub gäbe, dann würde der Diesel den gesamten Automobilbau dominieren. Das liegt daran, dass es eben das effizientere Konzept eines Verbrennungsmotors ist. Auch im Rennsport steckt so viel Potenzial im Dieseltriebwerk. Seit Jahren schon laufen die Benzinerteams den erheblichen Fortschritten der Dieselmotoren stets hinterher. Das ist zu diesem Jahr wieder passiert."

TMG-Technikchef Pacal Vasselon wünscht neue Einstufungen vor Le Mans Zoom

Frage: "Gibt es Signale von ACO und FIA, dass es neue Einstufungen geben könnte?"
Vasselon: "Im Regelwerk steht, dass die Einstufungen nach zwei Saisonrennen - also vor Le Mans - noch einmal überprüft werden müssen. Dieser Prozess läuft also sowieso schon. Wir haben vollstes Vertrauen und ACO und FIA, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Wir sind gespannt, wie man es letztlich lösen wird. In den kommenden ein bis zwei Wochen sollten wir Gewissheit bekommen."

Frage: "Die Audis haben seit Jahresbeginn kleinere Restriktoren. Haben die dennoch an Power zugelegt?"
Vasselon: "Ja, genau das ist unser Eindruck. Wir haben das Gefühl, dass deren Leistungsvorteil in diesem Jahr sogar noch größer ist als im vergangenen Jahr. 2012 war Audi im Vergleich zu uns in Sachen Treibstoffverbrauch deutlich im Vorteil. Man kann nun sehen, dass sie auf etwas Effizienz verzichten und einfach ihren Treibstoff dazu nutzen, noch mehr Leistung zu generieren. Man kennt das von früheren Diesel-Zweikämpfen in Le Mans: schwarzer Qualm bedeutet mehr Power."

"Sie fahren also ein fetteres Gemisch und haben somit mehr Power. Hinzu kommt noch der ganz normale Entwicklungssprung, der von Jahr zu Jahr stattfindet. Das alles zusammengenommen hat dazu geführt, dass die Balance zwischen Diesel und Benzinern nicht mehr passt - noch weniger passt als zuvor. Audi hat dermaßen an Power zugelegt, sodass wir auf aktueller Grundlage da nicht mithalten können."

Audi hat mindestens 50 PS mehr

Frage: "Über welches Leistungsdefizit beim Toyota reden wir? Sind es 50 PS, oder sogar mehr?"
Vasselon: "Im vergangenen Jahr hatte sich das bei etwa 50 PS eingependelt. Jetzt ist es aber mehr. Man muss aber ganz ehrlich sein. Wenn die Differenz bei 50 PS liegt, dass müssen über die Einstufungen nicht die vollen 50 PS ausgeglichen werden. Ein Dieselmotor wiegt halt 50 Kilogramm mehr als ein Benziner. Das muss man natürlich mit einrechnen."

"Es gibt da eine Formel, nach der diese ausgleichenden Maßnahmen berechnet werden. Man sagt zum Beispiel, dass die 50 Kilogramm zusätzlich für den Dieselmotor ausgeglichen werden sollten über rund 20 PS mehr Leistung. Also: Wenn unser Leistungsdefizit bei 50 PS liegt, dann müssten nur 30 PS über Einstufungen korrigiert werden. Da wir aber mittlerweile mehr als 50 PS Defizit haben muss neue eingestuft werden."


Zusammenfassung WEC-Rennen in Spa

Frage: "Im Regelwerk steht, dass die Balance of Performance (BoP) überarbeitet werden muss, wenn die Rundenzeiten von Benzinern und Dieseln bei zwei aufeinander folgenden Rennen um zwei Prozent oder mehr auseinander liegen. Diese zwei Prozent waren in Spa nicht erreicht..."
Vasselon: "Das stimmt. Im Regelwerk steht aber auch, dass die Langstrecken-Kommission jederzeit eingreifen darf, wenn es als nötig erachtet wird. Es sind sich eigentlich alle einig. Anpassungen müssen vorgenommen werden, bevor der Abstand zwischen den Technologien zwei Prozent erreicht. Zwei Prozent klingt nach wenig, ist aber viel. In Spa wären dies 2,4 Sekunden pro Runde, in Le Mans sogar rund fünf Sekunden. So weit darf es nicht erst kommen."

Frage: "Ich habe mir mal die optimalen Rundenzeiten aus Spa angeschaut, also jeweils die Kombinationen der schnellsten Sektoren des Audis Nummer 3 und des Toyotas Nummer 7. Im Qualifying war dabei Audi um fast 1,9 Sekunden vorn, im Rennen um 1,2 Sekunden. Welche der beiden Zahlen gibt den realistischen Abstand am besten wieder?"
Vasselon: "Die Zahl aus dem Qualifying. Im Rennen hat Audi nicht die volle Leistung ausgespielt."

"Noch einmal: Wir wollen hier niemand anklagen, oder uns irgendwelche Vorteile verschaffen. Wir möchten einen fairen Wettbewerb. Wenn wir ein Rennen verlieren, dann wollen wir wegen eines starken Konkurrenten verlieren und nicht wegen der Einstufungen. Wenn uns ein anderes Team schlägt, weil es irgendetwas besser gemacht hat als wir, dann ist das zwar schmerzhaft, aber okay. Wir hätten es gern selbst in der Hand, ob wir gewinnen oder verlieren."