Land Motorsport im 24h-Drama: "Gott war auf unserer Seite"

Die Land-Mannschaft erlebte die 90 außergewöhnlichsten Minuten ihres Bestehens - Selbst Fahrer schauten nicht mehr hin - Chronologie des Dramas mit neuen Helden

(Motorsport-Total.com) - "Drama" ist kein neuer Begriff für die Nürburgring-Nordschleife. Auf der Mutter aller Rennstrecken wurden zahlreiche unglaubliche Geschichten geschrieben. Und in der Saison 2017 ging es scheinbar gar nicht ohne Dramen: Bei den ersten beiden VLN-Läufen und dem 24h-Qualifikationsrennen gab es jeweils dramatische Schlussphasen. Auch im Vorjahr endete das 24-Stunden-Rennen mit einem packenden Finale. Doch 2017 übertraf sich das Rennen noch einmal selbst. Mit dem Hauptdarsteller Land Motorsport.

Titel-Bild zur News: Connor de Phillippi, Markus Winkelhock, Christopher Mies

Land erfüllt sich den Traum: Sieg am Ende einer emotionalen Achterbahnfahrt Zoom

"Ich bin ein religiöser Mensch und ich glaube, heute war Gott auf unserer Seite", sagt Kelvin van der Linde, der zweifellos zu den Superstars dieses 45. 24-Stunden-Rennens auf der Nürburgring-Nordschleife zählte. Land Motorsport führte über 20 Stunden lang den Langstreckenklassiker überlegen an. Dann schien das Rennen verloren, als ein Reset der Elektronik bei einem Boxenstopp nicht funktionierte. Bis eine Verzweiflungstat beim allerletzten Boxenstopp mit einem Wechsel auf Regenreifen das Blatt doch wieder wendete. (So lief die 45. Ausgabe des 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburgring)

Diese unfreiwillige Rolle hätte das Schicksal Wolfgang Land nun wirklich nicht aufbürden müssen. Wolfgang Land, dem es mit Porsche nie vergönnt war, das Rennen zu gewinnen. Der bittere Ausfall von 2007 hing lange Zeit wie Stachel in seinem Fleisch. Dann beendete Bilstein das gemeinsame Porsche-Projekt 2009. Land verschwand in der Versenkung, tauchte als Audi-Kundenteam wieder auf und erkämpfte sich durch Leistung Werks-Status. Nun hat sich Wolfgang Land endlich seinen Lebenstraum erfüllt. In einem Drama a la Hitchcock. Mit 64 Jahren. 13 Jahre musste er länger warten als Ring-Legende Olaf Manthey.

Neuer Nordschleifen-Star: Kelvin van der Linde

Und noch ein Hauptdarsteller fuhr sich mit leidenschaftlichem Einsatz auf das internationale Fahrer-Radar: Kelvin van der Linde. Der Südafrikaner ist der Superstar des Rennens: Gerade ihm ist es zu verdanken, dass Land Motorsport einen Vorsprung von rund 100 Sekunden auf den WRT-Audi #9 herausfuhr. In der Nacht verwies er die #9, die gerade mit einem gewissen Rene Rast versuchte, Boden gutzumachen, mit spektakulären Rundenzeiten unter der 8:25er-Marke in die Schranken.

22 Stunden lief alles nach Plan. Spätestens, nachdem der Glickenhaus-SCG #704 nach zweieinhalb Stunden vom Black-Falcon-Mercedes #3 auf die Hörner genommen wurde, hatte der grün-weiße Audi das Geschehen im Griff. Unter allen Audis, die nach einem Last-Minute-Wechsel kollektiv auf Dunlop-Reifen das Rennen in Angriff genommen haben, stach die #29 mit van der Linde, Christopher Mies, Connor de Phillippi und Markus Winkelhock noch einmal heraus.

Es hätte ein wenig spektakulärer, sicherer Sieg werden können, wie es für ein 24-Stunden-Rennen jahrzehntelang Standard gewesen ist, aber mittlerweile immer mehr zur Seltenheit zu werden scheint. Doch dann warf das Schicksal ein Drehbuch an, das die Zuschauer von den Sitzen riss und das Land-Team in eine Achterbahnfahrt der Emotionen stürzte, die ihres Gleichen sucht. (Vierter Sieg für den Audi R8 LMS)


Fotostrecke: Alle Sieger der 24 Stunden Nürburgring

Tränen nach Technik-Drama

"Nö", lacht Christopher Mies auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com', ob er eine solche Achterbahnfahrt der Emotionen jemals erlebt habe. "Wir waren zunächst natürlich zunächst total enttäuscht." Kelvin van der Linde hatte 90 Minuten vor Schluss den Audi R8 LMS übernommen, als das Team gerade einen Reset der Software durchgeführt hat. Ein Sensor hatte merkwürdige Werte gemeldet.

Doch als van der Linde aus der Box beschleunigte, schlug der Blitz ein: Der 5,2-Liter-V10 lieferte keine Leistung. Irgendetwas ist beim Reset zuvor schiefgelaufen. Es kam völlig überraschend. Urplötzlich brach überall Hektik aus. "Das Team hat mich angewiesen, den Hauptschalter umzulegen, um einen Reset vom Cockpit aus auszuführen", erinnert sich der erst 20-Jährige. "Es war hektisch. Ich hatte gar keine Zeit, mich zu ärgern oder enttäuscht zu sein, weil ich die ganze Zeit ausgeführt habe, was mir die Ingenieure sagten. Ich habe die ganze Zeit Knöpfchen gedrückt, aber es hat nichts geholfen."

Van der Linde musste über eine kurze Runde wieder reinkommen, der Sieg schien verloren. An der Box brachen längst die anderen Fahrer in Tränen aus. "Wir dachten, wir hätten es verloren, denn von Regen war nichts zu sehen. Und der Rückstand war nicht mehr aufzuholen", erklärt der Südafrikaner den Emotionsausbruch seiner Fahrerkollegen, die auf dem zwischenzeitlich zurückgezogenen Audi #28 sich heulend in den Armen lagen.

"Wir sind ein fehlerfreies Rennen gefahren, deshalb war es so herzzerreißend", zeigt er Verständnis. Chris Mies ergänzt: "Es war ja kein Fehler, der dem Fahrer oder Team passiert ist, sondern etwas Technisches. Wir konnten ja schlecht etwas dafür." Markus Winkelhock sagte zu jenem Zeitpunkt: "Wir haben 23 Stunden gekämpft und jetzt endet das ganze so, das ist mehr als schade. Aber das ist Racing und ganz hart. Meine Teamkollegen haben geweint, das ist dann auch mal erlaubt. Vielleicht kommen wir noch aufs Podium, das wäre ein kleiner Trost. Aber wenn man bei diesem Rennen mitfährt, dann will man gewinnen."

Van der Linde wiederum hatte gar keine Zeit für Emotionen, denn er saß ja im Cockpit und machte schon wieder Jagd auf den zweitplatzierten Rowe-BMW #98. Ein Splash&Dash stand noch aus, der BMW hatte noch einen Full Service zu erledigen und gab eine exzellente Beute ab. Es ging jetzt vor allem darum, den Doppelerfolg für Audi sicherzustellen. (Ticker-Nachlese zum 24h-Rennen auf dem Nürburgring 2017)

Chaos-Stopp erweist sich als Glücksfall

Beim letzten Boxenstopp brach dann bei Land Motorsport erneut das Chaos aus: Weil das Nachtanken nicht richtig funktionierte, musste der Land-Audi #28 zurückgeschoben werden. Die Jagd auf Rang zwei schien verloren. "Das hat uns nochmal 15 Sekunden gekostet", erinnert sich Mies. Der BMW ging durch. Land wechselte auf Regenreifen - eine Verzweiflungstat, denn mit Slicks wäre man nur noch sicherer Dritter geworden. Diese Entscheidung sollte sich als Coup erweisen.

Plötzlich standen Dreiviertel der Nordschleife unter Wasser und van der Linde begann, Slalom um andere Autos zu fahren, die auf Slicks im Schritttempo dahinschlichen. "Das schwierige war, dass alle anderen auf Slicks gefahren sind", erinnert sich van der Linde, der nach seinem starken Rennen sein Meisterstück im letzten Stint ablieferte. "Ich konnte nicht attackieren, denn alle sind nur geschlichen. Jederzeit hätten sie die Kontrolle verlieren und in mich reincrashen können. Ich musste mich wirklich konzentrieren."

Derweil konnten seine Fahrerkollegen nicht mehr hinschauen, wie Mies berichtet: "Wir waren im LKW und haben nicht hingesehen. Es ist so viel intensiver, wenn man nicht im Auto sitzt. Wir haben realisiert, dass wir gewinnen können. Ich habe nur noch gehofft. Hätten wir mit einer Minute Vorsprung geführt, hätte ich es mir angesehen. Aber so konnte ich mir das nicht antun."

Freudentränen und totale Erschöpfung

Es war schon früh auf der Runde klar, dass Land gewinnen würde, sofern es nicht zum Unfall kommt. WRT sorgte schließlich selbst für die Entscheidung, als der Audi #9 die Box ansteuerte, um auf Regenreifen zu wechseln. Land war wieder in Führung. Nun galt es, in der letzten Runde keine Fehler mehr zu machen. Noch immer schlichen zahlreiche Boliden auf Slicks um die Strecke, doch van der Linde umschiffte sie alle und nahm die Zielflagge entgegen. Emotionaler Ausnahmezustand. "Ich habe die Jungs gesehen und konnte es nicht glauben. So ein tolles Gefühl, ein Traum, der wahr wird", erinnert sich van der Linde an die Zieldurchfahrt. Wieder flossen Tränen, diesmal vor Freude.

Erst auf der Auslaufrunde wurde Kelvin van der Linde klar, wie fertig er wirklich war: "Wenn man noch voll drin ist, dann findet man auch noch das letzte Bisschen Extra-Energie. Aber als alles vorbei gewesen ist, ging es los. Schon auf der Auslaufrunde sind meine Arme schwer geworden. Ich bin einen Doppelstint gefahren, deshalb bin ich wirklich auf Reserve gelaufen." Er hatte insgesamt zehn Stunden im Auto gesessen, die meiste Zeit bei Sommerhitze.

Doch die Strapazen waren es wert, denn er durfte als erster Afrikaner überhaupt den Siegerpokal stemmen. "Der zweite Platz in der Startaufstellung war schon eine große Nummer in meiner Heimat", grinst er. "Es ist ein tolles Gefühl, mein Land auf einer solch großen Bühne zu repräsentieren." Deshalb ließ er nach dem Sieg sein Smartphone auch erst einmal aus. Nach dem Ausschlafen beginnt jetzt das Beantworten der Glückwünsche. Und die werden bei allen im Land-Team zahlreich ausfallen, nachdem der Lebenstraum des Wolfgang Land endlich in Erfüllung gegangen ist - im 65. Lebensjahr.

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