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  • 14.04.2014 02:58

  • von Stefan Ziegler

Kolumne: Es kam, wie es kommen musste...

Citroen haushoch überlegen, es scheppert und kracht, ein Neuling siegt beim Debüt: Stefan Ziegler erklärt, warum der WTCC-Saisonauftakt vorhersehbar war

Titel-Bild zur News: Tom Coronel

Moderne Kunst? Der erste Totalschaden eines TC1-Autos der neuen Generation Zoom

Liebe Leser,

es kam, wie es kommen musste. Diese Formulierung ging mir an diesem Wochenende recht häufig durch den Kopf. Denn überraschend war am Saisonauftakt der WTCC in Marrakesch nur wenig. Die haushohe Überlegenheit von Citroen hatte sich schon von langer Hand angedeutet, mit viel Schrott war zu rechnen. Und selbst der Debütsieg von WTCC-Neuling Sebastien Loeb kam nicht von ungefähr.

Um da gleich mal einzuhaken: Ich freue mich sehr für Herrn Loeb. Denn er ist wohl der am besten vorbereitete Serienneuling der WTCC-Geschichte. Seit der Einstiegsverkündung von Citroen hat er nichts unversucht gelassen, um bei seiner Rennpremiere in Topform zu sein. Und er hat seine Hausaufgaben sehr gut gemacht. Der Sieg im zweiten Rennen in Marrakesch ist der verdiente Lohn.

Loeb siegt: gut oder schlecht für die WTCC?

Für die WTCC ist dieser Erfolg gewissermaßen Gold wert, schließlich ist Loeb in der Motorsport-Welt kein Unbekannter. Mit seinem Sieg am ersten Rennwochenende hat er seinen Ruf, einer der besten Rennfahrer der Welt zu sein, einmal mehr aufpoliert. Dem ohnehin gestiegenen Medieninteresse an der WTCC kann das nur guttun. Denn die Meisterschaft hat plötzlich eine neue absolute Galionsfigur.

Andererseits ist dieser Sieg von Loeb auch denkbar schlecht für die WTCC. Denn da kommt ein - zugegebenermaßen unheimlich erfolgreicher - Rallyepilot daher und düpiert gleich mal das komplette Starterfeld. Was sagt uns das über die fahrerische Qualität in der Tourenwagen-WM? Ist Loeb schlicht ein Überflieger? Sind die anderen Piloten einfach nur Nasenbohrer? Oder was ist denn nun Sache?

Sebastien Loeb

Sebastien Loeb bejubelt seinen ersten Sieg in der WTCC - am Debütwochenende Zoom

Sache ist: Citroen ist total überlegen. Und ich sage wieder: Es kam, wie es kommen musste. Schon im Juli 2013 hatte die französische Marke ein 2014er-Auto auf den Rädern, hat in neun Monaten über 10.000 Testkilometer zurückgelegt. Der zeitliche Vorsprung bei der Vorbereitung auf das neue WTCC-Reglement war gewaltig. Und ebenso gewaltig war der zeitliche Vorsprung beim Auftakt in Marrakesch.

Citroen so dominant wie Chevrolet früher

In der Vergangenheit wurde ja die Überlegenheit von Chevrolet oft und ausführlich kritisiert. Und auch ich selbst war kein großer Fan davon, wenn die "Blue Boys" immer und immer wieder regelrecht Kreise um die Konkurrenz gefahren sind. Denn fast genau vor zwei Jahren fragte ich anlässlich der Chevrolet-Dominanz in Marrakesch 2012 in einer Kolumne: "Ist Chevrolet zu schnell für die WTCC?" (zur Kolumne!)

Diese Frage lässt sich auch 2014 vortrefflich stellen, lediglich der Markenname ist auszutauschen: Citroen ist den anderen Herstellern um Längen voraus. So sehr, dass nur eine Sache in der WTCC-Saison 2014 wirklich überraschend wäre, nämlich der WM-Titelgewinn durch eine andere Marke. Und in der Fahrerwertung deutet alles auf einen Dreikampf hin - allerdings nur auf einen markeninternen.

Yvan Muller

Erinnerungen werden wach: Chevrolet fuhr 2012 in Marokko alles in Grund und Boden Zoom

Wie ein eben solcher aussehen könnte, war im ersten Rennen zu sehen: Jose-Maria Lopez vor Loeb und Yvan Muller. Und der Dreikampf der drei Citroen-Piloten war ungefähr so spannend wie Socken ordnen. Ich hoffe wirklich, Yves Matton lässt seine Jungs von der Kette. Denn sonst steht die WTCC einmal mehr vor einem Jahr, in dem eine Marke ein Sieg-Abo hat und der Rest kräftig in die Röhre schaut.

Da war jemand ganz schön nervös...

Doch es ist vermutlich nicht fair, schon nach einem Rennwochenende ein so scharfes Urteil zu fällen. Nicht vergessen: Es war das WTCC-Debüt von Citroen. Und nach der ganzen Überzeugungsarbeit, die Matton und Loeb intern geleistet hatten, nach der umfangreichen Testarbeit, nach all den großen Investitionen - da stand das Werksteam gewaltig unter Druck, in Marrakesch auch Ergebnisse zu bringen.

Und das hat sich vor Ort auch bemerkbar gemacht: Die Citroen-Box glich einer Sperrzone, Zutritt nur für Teammitglieder. Die Garagentore waren manchmal schneller unten als die Konkurrenz zurück in der Boxengasse. Und die Pressevertreter des Rennstalls hatten beim raschen Verstecken ihrer Fahrer im Citroen-Motorhome alle Mühe, nicht vor Anstrengung und Stress auf der Stelle zu kollabieren.


Fotostrecke: Alle WTCC-Autos 2014

Ja, da war jemand ganz gewaltig nervös. Gleichzeitig hat Citroen in Marrakesch aber auch einen Auftritt hingelegt, der alle anderen Teams vor Neid erblassen ließ: In einer so ausgerüsteten Box hätte sich auch ein Formel-1-Rennstall wohlgefühlt. Mit so vielen Lastwagen könnte das halbe Starterfeld zum Rennen fahren. Und mit so viel Personal könnte Citroen noch zehn weitere Fahrzeuge einsetzen.

Ein bisschen mehr Lockerheit, bitte!

All das mit einer für die WTCC untypischen Verschlossenheit und Unnahbarkeit. Manch einer dachte wohl, er wäre im falschen Film. Denn während zum Beispiel nebenan bei Honda freundlich und sehr zuvorkommend zum Mediengespräch eingeladen wurde, hieß es bei Citroen zum Beispiel nach dem Qualifying einfach nur: "Jetzt nicht!" Wenn überhaupt. Oder die Fahrer verschwanden direkt im Truck.

Da weht also nun eine ganz steife Brise durch die Boxengasse der WTCC. Und ich wünsche mir für alle Beteiligten, dass das nur ein einmaliges "Wetter-Phänomen" war, das auf den besonderen Druck an diesem Debütwochenende für Citroen zurückzuführen ist. Mit der Gewissheit, absolute Spitze zu sein, hält vielleicht auch etwas Lockerheit Einzug bei den Neulingen. Das täte der Sache sicher gut!

Citroen-Hospitality

Voller Einsatz: Citroen scheut in der WTCC offenbar keine Kosten und Mühen Zoom

Sicher nicht gut war die Wahl des Austragungsorts für den Saisonauftakt. Auch diesem Thema habe ich schon mal eine ganze Kolumne gewidmet (hier klicken!). Und ich fühlte mich am Wochenende nochmals klar in meiner damaligen Wortwahl bestätigt: Marrakesch ist toll, aber nicht zum Rennfahren. Ein Satz, den ich vor Ort nicht nur einmal gehört habe. Und es stimmt: Der Stadtkurs ist schlichtweg ein Unding.

Marrakesch ist untauglich als Saisonauftakt

Da kann FIA-Präsident Jean Todt in seiner Audienz für ausgewählte Medienvertreter noch so sehr von Marrakesch und Marokko als Veranstalter der jüngsten FIA-Weltrats-Sitzung und des WTCC-Auftakts schwärmen - es gibt im gesamten Fahrerlager sicherlich keinen Beteiligten, der angesichts dieses ersten Rennwochenendes in Jubelstürme ausgebrochen ist. Citroen natürlich mal außen vor gelassen.

Die Wahrheit ist: Es kam, wie es kommen musste. Denn einige der schönen neuen TC1-Autos, die für teures Geld entwickelt und beschafft wurden, sind jetzt nur noch Schrott. Man kann ja von Le Castellet halten, was man will, und die Strecke in Südfrankreich mit ihren großen Auslaufzonen als "Parkplatz" betiteln. Aber dort wären diese schweren Unfälle so nicht passiert. Und so frage ich: Musste das sein?

Yvan Muller

Immer wieder Marrakesch: Ein Unfall am Start kam Yvan Muller teuer zu stehen Zoom

Ich meine: Die WTCC hat die große Chance verpasst, stilvoll in die neue TC1-Ära zu starten. Von einem "Fehlstart" will ich (noch) nicht reden, aber die Bilanz ist doch ziemlich traurig: Ex-Champion Gabriele Tarquini war schon am Samstag nach einem heftigen Crash außen vor und nur mit viel Glück unverletzt geblieben, Tom Coronel hat nach dem Startunfall das nächste Wochenende unplanmäßig frei.

Das TC1-Starterfeld schrumpft bereits

Und das zu einem Zeitpunkt, an dem Ersatzteile rar sind. Honda wird es bestimmt irgendwie schaffen, den Tarquini-Civic in Le Castellet wieder zusammenzubasteln - mit einem neuen Chassis, das aus der Teamzentrale bei Mailand angeliefert wird. Und AF Corse aus der Langstrecken-WM (WEC) hat Honda sogar angeboten, vor Ort die Garagenräume zu teilen, damit direkt in Le Castellet repariert werden kann.

Bei Coronel sieht es anders aus. Dass in Marrakesch überhaupt sechs fertige Chevrolet Cruze in der Startaufstellung standen, grenzte fast schon an ein Wunder. Ein Ersatzchassis gibt es nicht, der Weg bis in die RML-Zentrale in Großbritannien ist aber ohnehin zu weit - keine Chance, am kommenden Wochenende in Le Castellet dabei zu sein. Und so schrumpft das tolle, neue TC1-Starterfeld schon mal.


Der Startcrash im zweiten Rennen

"Setzen, sechs!" Oder was heißt das nun alles? Nein, sicher nicht! Aber, und um diese Erkenntnis komme ich nicht umhin: Ganz glücklich verlief dieser Saisonauftakt nicht für die WTCC. Wieder mal hat sich die Meisterschaft in vielerlei Hinsicht selbst ein Ei gelegt. Und ich rede noch nicht mal von der Siegerehrungs-Panne, als die französische Hymne für Citroen nicht lief und a cappella gesungen wurde!

Zwischenbilanz: Geben wir der Sache eine Chance!

Peinlich ist das, aber zu verschmerzen. Solange die vielzitierte "Show" auf der Strecke gut ist. Und ist sie das? Nun: Die neuen TC1-Autos sind toll. Sie sehen schmuck aus, haben einen schönen Sound und lassen die Fahrer schwärmen. Aber: Die neuen TC1-Autos sind auch zerbrechlich. Das haben die Trainings gezeigt und die Rennen bestätigt. Kontaktsport war es mal. Doch warten wir noch etwas ab.

Das alles war schließlich nur der erste Streich. Es folgen noch elf weitere. Und wer sagt denn, dass zu Beginn von etwas Neuem immer alles sofort perfekt funktionieren muss? Aller Anfang ist schwer. Das weiß jeder von uns aus eigener Erfahrung. Also geben wir der WTCC noch ein bisschen "Schonzeit" und streben nach ein paar Rennen eine neue Bestandsaufnahme an. Vielleicht tut sich ja noch was.

Stefan Ziegler, Redakteur

Geben wir der WTCC bei den kommenden Rennen nochmals eine neue Chance! Zoom

Ich fürchte nur, auf der Strecke bietet sich uns auch in Zukunft das aus den vergangenen Jahren gewohnte Bild: Eine Marke fährt souverän vorneweg, dahinter geht es auf unterhaltsame Art und Weise drunter und drüber. Schauen wir einmal, ob sich das auch in der Saison 2014 bestätigt. Das WTCC-Rennjahr ist ja noch jung. Und egal, wie es losging: Schön, dass die Jungs wieder da sind!

Beste Grüße & auf ein Neues in Le Castellet!

Euer


Stefan Ziegler

PS: Folgt mir auf Twitter unter @MST_StefanZ!