• 30.03.2015 16:48

  • von Roman Wittemeier

Testanalyse Audi: Der große Favorit in Silverstone?

Die Ergebnisse des WEC-Prologs unter der Lupe: Audi überzeugt sich selbst und die Konkurrenz mit starken Longruns - Kleine Technikprobleme, viele Umbauten in Le Castellet

(Motorsport-Total.com) - Beim zweitägigen Prolog in Le Castellet sind sich die drei LMP1-Werksteams von Audi, Porsche und Toyota erstmals mit ihren neuen Fahrzeugen auf der Strecke begegnet. Die Probefahrten in Südfrankreich lassen keine endgültigen Rückschlüsse auf die Hackordnung in der bald beginnenden Saison zu, aber es waren dennoch einige Trends abzulesen. Vor allem im Lager der Ingolstädter wurde eine Stärke deutlich: konstant hohes Tempo über lange Distanzen.

Titel-Bild zur News: Marcel Fässler, Andre Lotterer, Benoit Treluyer

Der Audi mit der Startnummer 7 war über die Distanz extrem konstant und schnell Zoom

"Die Zeiten sahen gut aus", freut sich Andre Lotterer. "Es ist aber schwierig, echte Vergleiche zu sehen. Alle drei Hersteller waren bezüglich der Aero-Konfiguration immer wieder unterschiedlich unterwegs. Unsere Longruns waren allerdings sehr gut. Das ist das, was im Rennen zählt. Auf eine einzelne Runde ist Porsche stark, was durch deren Hybridsystem bedingt ist. Auf die Distanz sahen sie nicht ganz so gut aus. Wir hingegen schon."

Vor allem am Freitagnachmittag versetzte Audi die Beobachter - auch von den Mitbewerbern - in einiges Erstaunen. Das Team aus Ingolstadt hatte sich am Morgen zurückgehalten, war wenig gefahren und hatte immer wieder umfassende Umbauten an den Autos vorgenommen. Dann - gegen 17:00 Uhr - machte sich Le-Mans-Sieger Benoit Treluyer mit seinem R18 auf eine längere Reise. Mit fortlaufender Dauer wurden die Augen der Beobachter immer größer.

Audi lässt die Gegner am Freitagnachmittag staunen

Die Rundenzeiten des Treluyer-Stints (in Minuten) ohne Einrollrunde: 1:39.058, 1:39.428, 1:40.228, 1:40.183, 1:40.132, 1:40.454, 1:40.812, 1:40.552, 1:41.458, 1:39.919, 1:39.934, 1:39.963, 1:40.584, 1:40.448, 1:41.023, 1:40.598, 1:40.260, 1:41.336, 1:41.119, 1:41.665, 1:40.179, 1:41.315, 1:40.453, 1:39.714. Durchschnittliche Rundenzeit über 24 Umläufe: 1:40.449 Minuten.

Der Longrun des Franzosen stach beim zweitägigen Test heraus. Treluyers Teamkollege Marcel Fässler und Lucas di Grassi im Schwesterfahrzeug mit der Nummer 8 absolvierten am Samstagnachmittag ähnlich lange Stints mit ihren R18, die allerdings einen Hauch langsamer und vor allem erheblich inkonstanter waren. Die Bedingungen hatten sich verändert, die Verkehrssituation auf der Strecke war eine andere. Außerdem wollte Audi womöglich gar nicht weiter zulegen, um die Karten verdeckt zu halten.

"Der Longrun war sehr gut, bärenstark. Es war auch wichtig, diese Message herüberzubringen. Ob es gewollt oder ungewollt war, das lassen wir mal im Raum stehen", schmunzelt Treluyers Teamkollege Fässler im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Der Schweizer fügt zufrieden und selbstbewusst hinzu: "Unser Auto kann das. Ob es die Konkurrenz genauso gut kann, sehen wir erst später. Es war wichtig zu zeigen, dass wir dort gut mitfahren können, auch wenn wir nicht in der gleichen Hybridklasse fahren."


Fotos: WEC-Prolog in Le Castellet


Die Signale sind zweifellos angekommen. "Der Longrun von Treluyer war stark, sehr beeindruckend - konstant und schnell", lobt Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz. "Der ist dort ziemlich am Limit gefahren", meint Porsche-LMP1-Leiter Fritz Enzinger. "Man hat gesehen, dass er arg über die Randsteine geräubert ist. Es war dennoch beeindruckend. Genau richtig! Es geht endlich los! Jeder zeigt mal die unterschiedlichen Möglichkeiten auf. Das macht Spaß."

Audi zufrieden: Kein "großer Bock" im neuen R18

"Natürlich ist es zufriedenstellend, wenn wir uns in einem gewissen Bereich bestätigt sehen. Wenn es aber um die wirkliche Einschätzung der Performance geht, dann braucht man die Referenz zum Wettbewerb. Diese ist aber überhaupt noch nicht definiert. Die Wettbewerber können uns nicht richtig einordnen und umgekehrt genauso", relativiert Audi-LMP-Chef Chris Reinke die Bewunderung aus dem Lager der Konzernschwester. "Aber es ist natürlich schon so, dass unser Tempo auf dem Longrun ein ermutigender Teil dieses Tests war."

"Wir können es, ob der Wettbewerb das auch kann, wissen wir nicht. Wir haben an diesen Testinhalt einen Haken machen können. Wichtig ist aber: Unser Ziel ist es, Rennen zu gewinnen - und nicht unbedingt das Qualifying. Das gibt unser System vermutlich auch nicht her. Unseres ist für das Rennen gut", fasst Reinke nach zwei Tagen in Le Castellet zusammen. Es sei ein "sehr, sehr positiver Test" gewesen, bei dem man alle aufgelisteten Punkte des Testplans hat abarbeiten können.

Lucas di Grassi, Oliver Jarvis

Beim Topspeed lag Audi (313 km/h) deutlich hinter Porsche (339 km/h) zurück Zoom

"Es gibt Tests, wo es überhaupt nicht läuft und es gibt Tests, wo es okay läuft. Dieser war ganz okay", lacht Joest-Einsatzleiter Ralf Jüttner. "Wir haben die Gewissheit, dass wir keinen ganz großen Bock im Auto haben. Es gibt aber noch ein paar Dinge auf unserer Liste, wo wir uns auf den Hosenboden setzen und Lösungen finden müssen - bis spätestens Le Mans, besser aber schon für Silverstone. Beruhigend ist, dass keine großen Dinger dabei sind."

Kleine Technikdefekte an den zwei Testtagen

Audi spulte an zwei Tagen die wenigsten Runden aller LMP1-Werksteams ab. Dies hatte unter anderem als Hintergrund, dass in Le Castellet jene beiden Fahrzeuge im Einsatz waren, die in Silverstone als Rennfahrzeuge auf die Bahn gehen werden. Man sparte sich einige Kilometer, wollte die Bauteile nicht bis zum Letzten ausreizen und belasten. Dennoch gab es zwischenzeitlich auch kleinere technische Probleme.

Ein Audi R18 e-tron quattro stand einige Zeit in der Box, weil man ein Problem an der Elektrik zunächst orten musste. "Es war wohl ein kleiner Defekt an einem Stecker, den wir dann schnell überbrückt haben, um weiterfahren zu können. Das schauen wir uns zu Hause noch genau an", schildert Reinke das Problem am Kabelbaum. Desweiteren hatte man zwischenzeitlich Probleme mit einer Leitung für Getriebeöl. Das Fässler-Auto rauchte phasenweise, weil das Konservierungsöl an Neuteilen verbrannte - kein Defekt.

"Wir konnten noch einige Dinge ausprobiert, die wir gern ausprobiert haben wollten. Bei den anderen Tests sind wir meist auf die lange Distanz gegangen. Dabei geht man nicht ganz so ins Detail bei der Set-uparbeit. Das war beim Le-Castellet-Test anders", meint Fässler, an dessen R18 immer wieder aufwändigere Umbauten stattfanden. Unter anderem spielte man mit der Bodenfreiheit und ging dabei dermaßen ans Limit, dass bei einer Fahrt der Frontsplitter beim Aufsetzen beschädigt wurde.

Porsche sicher: Audi in Silverstone der Favorit

"Wir liegen in jenem Performance-Fenster, das wir erwartet hatten. Damit haben wir die erwartet deutliche Steigerung erreicht", so Reinke zusammenfassend. "Wir hatten aber auch eine solche Steigerung beim Wettbewerb erwartet. Wir haben drei Hersteller, die allesamt die Ambition haben, Weltmeister zu werden und Le Mans zu gewinnen - und das ist dann das Resultat, eine solche Steigerung der Performance. Ich denke, das Feld liegt wieder nahe beisammen. Man trifft sich immer wieder, keiner enteilt."

"Toll ist, dass wir in die neue Saison starten mit einem LMP1-Feld, das spannenden Wettbewerb verspricht. So können wir alle gemeinsam die WEC als Gesamtes weiterentwickeln", so der LMP-Leiter aus dem Lager der Ingolstädter. "Sieht so aus, als hätten wir unser Ziel erreicht. Allerdings war es jetzt nur eine Strecke, die nicht unbedingt für alle anderen Strecken repräsentativ ist", meint Jüttner. "Ich bin positiv gestimmt für den Auftakt in Silverstone", sagt Andre Lotterer.


Fotostrecke: Vergleich: Audi R18 2015 vs. Audi R18 2014

"In Silverstone sollte Audi stark aufgestellt sein, denn es kommt deren Aeropaket entgegen. Es wird aber auch Strecken geben, wo es vielleicht eher in unsere Richtung geht. Da kommt pures Racing heraus", zeigt sich Porsche-Pilot Timo Bernhard fasziniert. "Audi ist für mich klarer Favorit in Silverstone", redet Porsche-Entwickler Hatz Klartext. "Für unser Auto wird es wohl das schwierigste Rennen. Wenn wir das hinter uns haben, dann kommen die Strecken, die uns besser liegen sollten."