• 29.03.2014 12:03

  • von Roman Wittemeier

LMP1-Dreikampf: Porsche bleibt vorsichtig

Porsche-Technikchef Alexander Hitzinger hält den Ball trotz guter Testfahrten in Le Castellet noch flach: "Die Mitbewerber haben viel mehr Erfahrung"

(Motorsport-Total.com) - Die drei LMP1-Hersteller der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) senden derzeit schöne Grüße in Richtung Formel 1. Sah man die Grand-Prix-Boliden bei den Testfahrten vor dem Start in die Saison 2014 immer wieder defekt am Streckenrand oder in der Box stehen, so herrscht bei den WEC-Probefahrten in Le Castellet entspannter Normalbetrieb. Rote Flaggen? Fehlanzeige. Kein einziges der technisch komplizierten LMP1-Autos rollte zwischenzeitlich aus. Im Schnitt fuhr jedes Werksauto allein am Freitag knapp 900 Kilometer.

Titel-Bild zur News: Timo Bernhard, Mark Webber, Brendon Hartley

Schnell und zuverlässig in Le Castellet: Porsche mit Webber/Bernhard/Hartley Zoom

Neben den engen Zeitabständen zwischen den LMP1-Werksautos ist die enorme Zuverlässigkeit ein großes Thema bei den aktuellen Probefahrten in Le Castellet. Die beiden Porsche schafften an nur einem Tag ohne erkennbare Probleme 967 Kilometer (Startnummer 14) und 1.112 Kilometer (Startnummer 20). Im Gegenteil: Die 919 waren immer ganz vorn dabei, in den Top-Speed-Messungen am Ende der langen Mistral-Geraden sogar unschlagbar. Mit 339,6 km/h jagte Romain Dumas am Freitag auf die Signes-Kurve zu. Ist Porsche somit schon im ersten Jahr der Favorit? Nein.

"Es ist schwierig, auf Grundlage der Tests einen direkten Vergleich anzustellen", erklärt Porsche-Technikchef Alex Hitzinger. Der Ingenieur mag sich auch vom wahnsinnigen Top-Speed nicht blenden lassen. "So etwas ergibt sich aus der Kombination von Antrieb und Luftwiderstand. Es ist doch die Frage, mit welcher Aerodynamik-Konfiguration die einzelnen Teams hier unterwegs sind. Das hat großen Einfluss. Hinzu kommt, dass es einen erheblichen Unterschied ausmachen kann, wenn ich eine gewisse Boost-Strategie wähle."

"Wie lange nutze ich den Zusatzschub auf der langen Geraden? Wie verteile ich die Hybridenergie auf die gesamte Runde? Das alles schlägt sich in Sektorenzeiten und Top-Speeds nieder", sagt Hitzinger. Klartext: Wenn Porsche die kompletten sechs Megajoule Hybridpower und reichlich Benzin zum Beschleunigen auf die Mistral-Geraden nutzt, dann ist man am Ende eben schnell. "Wir haben unterschiedliche Strategien ausprobiert. Daher schwanken die Top-Speeds auch so sehr."

Bewusst in hohe Top-Speed-Bereiche

"Wir alle probieren hier auch Dinge für andere Strecken, also auch für Le Mans. Man geht auch mal bewusst auf absolute Höchstgeschwindigkeiten, weil solch ein hohes Tempo auch technische Probleme mit sich bringen könnte. Es ist halt der ganz normale Testablauf", meint der Porsche-Technikchef. "Wir haben keine explizite Le-Mans-Variante und keine WEC-Variante. Unser Auto liegt irgendwo dazwischen und ist entsprechend über Setups anzupassen."

"Unser Auto läuft grundsätzlich gut und zuverlässig. Jetzt geht es um die Details und die Kleinigkeiten", sagt Hitzinger. Bis zum Dezember vergangenen Jahres hatte Porsche erheblich mit Vibrationen des neuen V4-Turbos zu kämpfen, aber dies ist behoben. "Die großen Baustellen sind bearbeitet, jetzt kommt die Phase, in der dich mal diese Zehn-Cent-Bauteile ausbremsen können. Diese Dinge schauen wir uns genau an, außerdem optimieren wir weiterhin die Abläufe im Team."

"Wir bleiben realistisch. Audi ist so lange im Geschäft und hat alle Strukturen entsprechend optimiert. Auch Toyota ist seit einigen Jahren dabei, außerdem konnten sie von Anfang an auf all die Tools aus der Formel-1-Zeit zurückgreifen. Insgesamt haben die beiden Mitbewerber einen riesigen Erfahrungsvorsprung", will Hitzinger trotz der guten Eindrücke aus Le Castellet keinesfalls abheben. Man übt sich in Bescheidenheit und Demut.


Fotos: WEC-Test in Le Castellet, Freitag


"Beide Konkurrenten haben Basisfahrzeuge. Das bedeutet, dass sie bei jeder Entwicklung einen bewährten Lösungsansatz in der Hinterhand haben, falls mal etwas nicht klappt. Sie können jederzeit mit der Gewissheit einen Schritt voran machen, dass sie nach einem Schritt zurück wieder auf sicherem Boden sind", so der Techniker. "Wir haben mit einem weißen Blatt Papier begonnen. Wir haben keine Referenzwerte und nichts, von dem wir wissen, dass es in der Vergangenheit funktioniert hat. Wir müssen alles neu lernen. 2015 wird alles anders sein, denn dann haben auch wir eine Referenz, auf die wir aufbauen können."