Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Tolle Stimmung in Australien, Enttäuschung in Malaysia: Die Höhen und Tiefen bei Yamaha lassen Valentino Rossi in einen ungewissen Winter gehen

Titel-Bild zur News: Valentino Rossi

Nach dem starken Rennen in Australien fuhr Rossi in Sepang wieder hinterher Zoom

Liebe Leser,

jetzt dürfen wir uns auf die WM-Entscheidung beim Finale freuen! Klar, mit 21 Punkten Vorsprung ist Marc Marquez der klare Favorit und sollte sich problemlos die Krone aufsetzen, aber bei einem Finale kann alles passieren. Andrea Dovizioso hat überhaupt keinen Druck. Er kann das Wochenende befreit angehen und versuchen, das Rennen zu gewinnen. Alles andere liegt nicht in seiner Hand. Sollte es nicht für Ducati klappen, dann hat Dovizioso trotzdem die Erwartungen in dieser Saison bei weitem übertroffen.

Der Druck lastet auf Marquez. Er und seine Crew dürfen sich nicht den geringsten Fehler leisten. Ein Ausfall, und der WM-Titel ist womöglich weg. Und wir haben im Motorsport schon die verrücktesten Dinge gesehen. Wir erinnern uns alle an 2006. Damals hatte Valentino Rossi vor dem Finale acht Punkte Vorsprung auf Nicky Hayden. "Alle haben gedacht Rossi wird gewinnen", erinnert sich auch Marquez an das legendäre Rennen zurück. "Und am Ende hat es Hayden geschafft." Das zeigt, dass die Geschichte für Marquez noch lange nicht gegessen ist.

Yamaha fehlt auch im Trockenen die Pace

Apropos Rossi. In unserer Montagskolumne wollen wir immer auf das Rennwochenende zurückblicken und einen Fahrer auswählen, der im übertragenen Sinne "schlecht geschlafen" hat. Wenn Johann Zarco einmal mehr vorne mitmischt und Dritter wird, gleichzeitig vom Yamaha-Werksteam praktisch nichts zu sehen ist, dann ist die Wahl eindeutig. Der siebte Platz von Valentino Rossi und der neunte von Maverick Vinales sind wahrlich kein Ruhmesblatt.

Auf die Schwierigkeiten von Yamaha sind wir vor wenigen Wochen schon ausführlich eingegangen. Im nassen Warm-up in Australien dachte Vinales, er hätte eine Lösung gefunden. Hat er nicht, wie Sepang gezeigt hat. Man könnte natürlich dagegenhalten, dass beide aus der zweiten Startreihe gestartet sind. Wäre bei einem Trockenrennen ein Podestplatz möglich gewesen? Es ist müßig darüber zu spekulieren. Ich glaube aber, dass Yamaha auch ohne Regen nicht ganz vorne dabei gewesen wäre.


Fotos: MotoGP in Sepang, Rennen


Sehen wir uns die Rundenzeiten vom vierten Freien Training an, wo in der Regel mit vollem Tank die Rennpace und der Reifenverschleiß ausgetestet wird. Vinales fuhr mit dem weichen Hinterreifen Rundenzeiten von 2:01,1 Minuten. Rossi experimentierte mit dem harten Hinterreifen und kam etwa auf 2:01,6 Minuten. Dovizioso fuhr mit dem weichen Hinterreifen knapp unter 2:01 Minuten. Marquez pendelte sich mit dem Medium-Hinterreifen bei 2:00,4 Minuten ein.

Neue Yamaha M1 erst im Februar?

Die Pace von Yamaha war also auch im Trockenen nicht überzeugend. Die Hersteller-WM gibt ein realistisches Abbild. Honda hat sich in Sepang den Weltmeistertitel gesichert. Ducati zog mit dem Doppelerfolg wieder an Yamaha vorbei. Platz drei in der Endabrechnung wird für die Yamaha-Techniker die schlimmste Klatsche sein, nachdem man diese Wertung bis in den Sommer hinein angeführt hat. Allen ist klar, dass Yamaha Lösungen finden und für 2018 die Hausaufgaben besser machen muss.

Vor dem Sepang-Wochenende betonte Rossi, dass die letzten beiden Rennen mit Blick auf das nächste Jahr sehr wichtig sind. In Sepang und Valencia ist es in der Regel warm, der Asphalt bietet auf beiden Strecken nicht den optimalsten Grip. Beides Achillesfersen der aktuellen M1. Außerdem ließ Rossi durchsickern, dass das neue Motorrad wahrscheinlich noch nicht bei den ersten Wintertests im November zur Verfügung stehen wird, sondern erst für die Wintertests im Februar.

Pol Espargaro, Valentino Rossi

In Sepang musste sich Rossi auch mit der KTM von Pol Espargaro herumschlagen Zoom

Das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein, denn die Techniker können über den Winter in Ruhe die Daten analysieren und sich Lösungen einfallen lassen. Rossi ist zuversichtlich, dass das auch klappen wird: "In Japan haben sie viele Ideen, wie sie die Situation verbessern können", so der Italiener, der auch anfügt: "Natürlich ist es besser, je früher das Motorrad kommt." Es lässt die Fahrer in einen ungewissen Winter gehen, wenn sie erst im Februar herausfinden werden, ob die neue M1 die Traktionsprobleme gelöst hat.

Bewegt schlechte Performance Rossi zum Rücktritt?

Und diese Ungewissheit ist es, warum wir heute Rossi schlecht schlafen lassen. Seine Stimmung war nach dem schlechten Rennen gedrückt, er war überhaupt nicht happy. Ganz anders das Bild eine Woche zuvor in Australien. Nach dem gigantischen Kampf der Spitzengruppe strahlte Rossi über beide Ohren. Er hat zwar nicht gewonnen, aber den jungen Fahrer gezeigt, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Rennen wie auf Phillip Island sind es, warum Rossi die MotoGP so sehr liebt und immer noch dabei ist.

Rennen wie in Sepang sind natürlich zum Vergessen. Auf seine Zukunft angesprochen hält Rossi immer fest, dass er die ersten Rennen 2018 abwarten will. Wenn er dann immer noch konkurrenzfähig ist und um den Sieg kämpfen kann, dann verlängert er seine beeindruckende Karriere vielleicht noch einmal um weitere zwei Jahre. Aber wie sieht Rossis Stimmung aus, wenn Yamaha die Probleme über den Winter nicht lösen kann? Wenn ihm im Frühling wieder Honda und Ducati um die Ohren fahren? Wird er dann den Helm an den Nagel hängen?

Valentino Rossi, Franco Morbidelli

Im Frühling 2018 will Valentino Rossi über seine Zukunft nachdenken Zoom

Von einem klassenübergreifend zehnten WM-Titel scheint Rossi derzeit sehr weit weg zu sein. Er selbst sagt in Sepang zur aktuellen Saison: "Ich wäre nicht viel besser, denn ich hatte über die Saison hinweg zu viele Probleme und wie wir schon vor Silverstone gesagt haben: Ich war einfach nicht stark genug, um um die Weltmeisterschaft zu kämpfen. Realistisch gesehen, auch wenn ich mir das Bein nicht gebrochen hätte, hätte ich nicht um die Weltmeisterschaft kämpfen können, weil ich einfach nicht stark genug war."

Ihr


Gerald Dirnbeck