Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Worst Case in Silverstone: Warum letzte Nacht alle Beteiligten schlecht geschlafen haben dürften, es aber keine Alternative zur Absage des Rennens gab

Liebe Leser,

Titel-Bild zur News: eingepackte MotoGP-Bikes

Die MotoGP-Bikes gingen am Sonntag nicht mehr auf die Strecke Zoom

eigentlich hatte ich mich gefreut, auch in dieser Kolumne wieder über ein spannendes MotoGP-Rennen schreiben zu dürfen. Über einen Kampf bis zur letzten Kurve, über packende Rad-an-Rad-Duelle, über Sieger und - worum es in dieser Kolumne ja eigentlich geht - Verlierer. Doch diese Möglichkeit habe ich heute nicht. Denn gestern gab es kein Rennen in Silverstone.

Nach Stunden des Wartens war um kurz nach 16:00 Uhr Ortszeit klar: Der Große Preis von Großbritannien fällt 2018 im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Viele Fans befanden sich da bereits auf dem Heimweg - oder sogar schon zuhause. Denn dass es am Sonntag noch einmal fahrende Motorräder zu sehen geben würde, daran glaubten zu diesem Zeitpunkt wohl nur noch die größten Optimisten.

Eins gleich vorweg: Die Entscheidung, das Rennen abzusagen, war die einzig richtige. Die Sicherheit der Fahrer muss in jedem Fall oberste Priorität haben. In dieser Hinsicht übe ich ausdrücklich keinerlei Kritik an irgendeinem der Beteiligten. Klar ist aber auch, dass es ein Debakel mit Ansage war. Denn bereits am Samstagabend war absehbar, dass das Rennen möglicherweise nicht stattfinden kann.

Da fällt es natürlich leicht, mit dem Finger auf einen "Schuldigen" zu zeigen: Dorna, IRTA, Silverstone - sie allen waren an der letztendlich schwierigen Entscheidung, das Rennen abzusagen, beteiligt. Und auch, wenn alle Beteiligten an diesem Sonntag nicht immer die beste Figur machten, bin ich am Ende des Tages der Meinung, dass alle ihr möglichstes Getan haben, um den Super-GAU zu verhindern. Doch das war nicht mehr möglich.

Ein hoffnungsloses Unterfangen

Rückblick: Akt 1 des Dramas fand bereits am Samstag statt, als sich Tito Rabat im vierten Freien Training schwer verletzte. Zu diesem Zeitpunkt waren sich die MotoGP-Fahrer bereits einig: Regnet es am Sonntag, wird es kein Rennen geben. Der neue Asphalt in Silverstone war den Wassermassen schlicht nicht gewachsen. Somit war bereits am Samstagabend klar, dass eine realistische Chance auf eine Absage am Sonntag besteht.

Ich selbst war am Wochenende für Eurosport in Silverstone, und unser Team hat sich am Samstagnachmittag und Sonntagmorgen mit mehreren "Einheimischen" unterhalten. Die waren sich alle einig: Am Sonntag wird der Regen noch schlimmer werden. Das war übrigens auch die Wettervorhersage. Sie alle sollten Recht behalten. Das Millionengeschäft MotoGP lahmgelegt vom Wettergott.


Fotos: MotoGP in Silverstone


Alle Versuche, das Rennen anschließend noch zu retten, waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt. In einer Nacht-und-Nebelaktion wurden am späten Samstagabend zusätzliche Löcher in den Asphalt gebohrt, um das Abfließen des Wassers zu verbessern - ohne Erfolg. Sogar der komplette Zeitplan wurde umgeworfen, um zumindest das Rennen der MotoGP - auf Kosten der anderen Klassen - noch über die Bühne zu bringen.

Dass es am Ende alles nicht half, dürfte allen Beteiligten keine ruhige Nacht beschert haben. Denn die Geduld der Zuschauer wurde gestern extremst strapaziert. Immer wieder wurden neue Startzeiten angepeilt, die aber zu keinem Zeitpunkt wirklich realistisch waren. Vor Ort muss eigentlich jedem Fan klar gewesen sein, dass der Zustand der Strecke sich nach der ersten Absage nie wirklich verbesserte.

Zuschauer müssen lange warten

Zur Erinnerung: Ursprünglich war der MotoGP-Rennstart für 11:30 Uhr Ortszeit angesetzt. Die tapfersten Zuschauer warteten also knapp fünf Stunden an der Rennstrecke, nur um anschließend enttäuscht abzureisen. Das finde ich persönlich für die Fans zwar extrem schade, doch auf der anderen Seite ist es nachvollziehbar, dass man so lange wie möglich versucht hat, das Rennen doch noch stattfinden zu lassen.

Zum einen, um den Zuschauern doch noch etwas Action zu bieten, und zum anderen, weil es eben auch um eine Menge Geld geht. Die übertragenden TV-Sender haben schließlich viel bezahlt, um am Sonntag ein Rennen zeigen zu können. Trotzdem hätte sich der ein oder andere anwesende Fan natürlich gewünscht, dass man sich etwas früher zu der Entscheidung, das Rennen abzusagen, durchringen kann. Wie heißt es doch: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Kehrwagen

Keine Motorräder auf der Strecke, dafür andere schwere Maschinen ... Zoom

Da spreche ich übrigens auch für mich selbst. Über Stunden hinweg in der kalten Kommentatorenkabine warten und die Zuschauer immer wieder vertrösten zu müssen, ist auch kein Spaß. Dabei hatten wir es dort ja sogar noch relativ angenehm, weil wir vor Wind und Regen geschützt waren - anders als die Fans auf den Tribünen. Zumindest diejenigen, die bis zum Ende an der Strecke blieben.

Den glücklichsten Eindruck machte man mit den ständigen kleinen Verschiebungen nicht. Doch man stelle sich einmal vor, man hätte den GP bereits um 13:00 Uhr abgesagt, und später wäre die Strecke doch noch einmal abgetrocknet und befahrbar gewesen. Von daher ist es irgendwie nachvollziehbar, dass man sich hier an den letzten Strohhalm klammert, auch wenn sich der ein oder andere Fan von dieser Hinhaltetaktik sicherlich leicht verschaukelt fühlte.

Am Ende bleibt vor allem Enttäuschung

Auch die Entscheidung, das Rennen nicht am Montag stattfinden zu lassen, ist übrigens nachvollziehbar. Ein zusätzlicher Tag an der Strecke hätte für alle Beteiligten enorme Kosten bedeutet. Verständlich, dass das vor allem für die kleineren Privatteams nicht akzeptabel war. Ein Trost ist das für die enttäuschten Fans aber natürlich nicht. Und so bleibt die Frage, ob das ganze Chaos hätte verhindert werden können. Die Beantwortung dieser Frage möchte ich aber anderen Leuten überlassen.

Und so bleibt am Ende vor allem eins zurück: Enttäuschung. Enttäuschung über ein abgesagtes Rennen, Enttäuschung über stundenlanges Warten im Regen, Enttäuschung über die Unfähigkeit, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Aber seien wir doch mal ganz ehrlich: Wie hätten wir in dieser Situation entschieden? Ich vermute, das Rennen war gestern - unter dieses Bedingungen - schlicht und ergreifend nicht mehr zu retten.

Will man also Ursachenforschung für die gestrige Absage betreiben, so muss man bereits weit vorher ansetzen. Am Sonntag war das Kind nämlich längst in den Brunnen gefallen. Vermutlich haben alle Beteiligten, die gestern in die schwierige Entscheidung eingebunden waren, letzte Nacht nicht besonders gut geschlafen. So einen richtigen Vorwurf kann man aber keinem machen.

Ihr


Ruben Zimmermann


Ruben Zimmermann