Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Nächste Klatsche in Motegi, in der Herstellerwertung auf Platz drei zurückgefallen - Bei Yamaha rauchen die Köpfe und eine Lösung für die Probleme ist nicht in Sicht

Titel-Bild zur News: Kouichi Tsuji

Kouichi Tsuji ist bei Yamaha für die technische Entwicklung verantwortlich Zoom

Liebe Leser,

nach dem packenden Grand Prix von Japan ist nun endgültig klar, dass es in der Weltmeisterschaft nur noch ein Duell zwischen Marc Marquez und Andrea Dovizioso ist. Wie der Italiener in der letzten Runde Marquez die Stirn geboten hat, war mehr als beeindruckend. So wie in Österreich blieb "Dovi" cool, denn ein Marquez gibt bekanntlich bis zum Zielstrich nicht auf. Wer wird Weltmeister? Keine Ahnung! Ich würde mir wünschen, dass es bis Valencia offen bleibt und dann wieder ein tolles Rad-an-Rad-Duell die Entscheidung bringt. Möge der Bessere gewinnen!

Noch sind 75 WM-Punkte zu vergeben und Maverick Vinales ist mit 41 Zählern Rückstand theoretisch auch noch im Titelkampf. Aber wenn man seit Mai (Le Mans) kein Rennen gewonnen hat und es seither bei zehn Rennen nur dreimal auf das Podest geschafft hat, dann hat sich die WM in der Praxis erledigt. Deswegen ist es heute nicht schwer, jemanden bei Yamaha zu finden, der nach dem wichtigen Heimrennen schlecht geschlafen hat.

Yamaha bei der Entwicklung falsch abgebogen

Erinnern wir uns zurück, wie fulminant Yamaha in die Saison gestartet ist. Vinales dominierte die Wintertests, gewann die ersten beiden Rennen und in Le Mans lieferten sich der Spanier und Valentino Rossi in der letzten Runde ein enges Duell um den Sieg. Im Frühling schien es, als würde Vinales alles in Grund und Boden fahren. Auch Rossi stand bei den ersten drei Rennen auf dem Podest, bevor ein Einbruch kam. Yamaha machte insgesamt einen starken Eindruck.

Nur bei Hitze in Jerez und Barcelona machte die M1 Probleme. Beim Barcelona-Test Mitte Juni brachte Yamaha ein neues Chassis. Rossi konnte damit zwar in Assen gewinnen. Seither gibt es aber keine Siege. Woche für Woche klagen die Fahrer über mangelnde Traktion. Misano und Motegi haben gezeigt, dass diese Probleme im Regen noch schlimmer sind. Die angespannten Gesichter von Motorsportchef Kouichi Tsuji, M1-Projektleiter Kouji Tsuya und Teammanager Lin Jarvis sprachen Bände. Sie haben bestimmt nicht gut geschlafen.

Maverick Vinales

Aus der Traum vom WM-Titel: Auch Vinales fordert technische Fortschritte Zoom

Längst sprechen auch Vinales und Rossi offen aus, dass Yamaha technisch Fortschritte machen muss. Es darf nicht sein, dass ein Johann Zarco mit dem Vorjahresmotorrad dem Werksteam um die Ohren fährt. In Japan war im Regentraining teilweise ein Kohta Nozane schneller. Yamaha muss reagieren. Dass man aber seit Monaten keine Lösung findet, ist bedenklich, denn seit Silverstone wird ein Chassis verwendet, das eigentlich mit Fokus auf 2018 entwickelt wurde.

Grundstein für erfolgreiche Zukunft nicht in Sicht

Momentan sieht es so aus, dass die Yamaha-Techniker keinen Ausweg für die Traktionsprobleme finden. Das Bike harmoniert nicht optimal mit dem Michelin-Hinterreifen. Rossi gab in Motegi zu Protokoll, dass sich für ihn der Reifen "zu weich" anfühlt, obwohl Michelin die Grundstruktur seit dem Vorjahr nicht verändert hat. Nachsatz Rossi: "Für Honda und Ducati funktioniert der Reifen. Also ist es unser Problem." Ein Wechsel zurück auf das 2016er-Chassis ist ausgeschlossen, weil der aktuelle Motor etwas anders ist.

Erinnern wir uns an 2014 zurück, als Marquez die ersten zehn Rennen am Stück gewonnen hat. Yamaha ging damals nicht so wie jetzt komplett unter, sondern die Kombination Honda/Marquez war den entscheidenden Tick besser. Yamaha reagierte und die zweite Saisonhälfte war deutlich besser. Rossi und Jorge Lorenzo gewannen je zwei Rennen. Viel entscheidender war aber, dass damals im Sommer 2014 die Basis für die erfolgreiche Saison 2015 gelegt wurde.

Valentino Rossi

Die Traktion am Hinterrad bereitet den Fahrern große Probleme Zoom

Und genau diesen Grundstein, um im nächsten Jahr wieder bei jedem Rennen siegfähig zu sein, sehe ich momentan bei Yamaha nicht. Bezeichnend ist auch der Blick auf die WM-Tabelle. Yamaha hat lange die Herstellerwertung angeführt, bevor man von Honda überholt wurde. In Motegi fiel man sogar hinter Ducati auf den dritten Platz zurück. So "schlecht" war Yamaha zum letzten Mal 2007, als Casey Stoner mit Ducati Weltmeister wurde.

Details machen den Unterschied aus

Erschwerend kommt hinzu, dass das Feld relativ ausgeglichen ist. Läuft es nicht rund, dann ist man nicht Vierter oder Fünfter, sondern gleich Neunter. Für uns Fans ist das natürlich eine tolle Geschichte, wenn viele Fahrer konkurrenzfähig sind. Es zeigt auch, dass kein Motorrad klar überlegen ist. Alle haben ihre Stärken und Schwächen. Details machen den Unterschied aus. Und bei diesen Details hat sich Yamaha in diesem Jahr verrannt.

Wie lange hat es gedauert, bis Ducati gemeinsam mit Dovizioso ein ausgeglichenes Paket formen konnte? Honda hat über den Winter das Motorkonzept verändert. Klare Fortschritte gelangen dann im Sommer beim privaten Test in Brünn. Seither ist Marquez bärenstark. Dass die RC213V das beste Motorrad ist, bezweifle ich dennoch. Denn abgesehen von Supertalent Marquez sind die Ergebnisse der anderen Honda-Fahrer bescheiden. Pedrosa hat trotz seiner vielen Podestplätze keine Chance auf den WM-Titel.

Lin Jarvis

Teammanager Lin Jarvis muss auf erfolgreichere Zeiten hoffen Zoom

Am kommenden Wochenende könnte es für Yamaha schon wieder anders aussehen. Der schnelle und flüssig zu fahrende Kurs auf Phillip Island sollte der M1 besser liegen. Es ist auch eine Paradestrecke für Rossi und Vinales. Trotzdem werden nach der erneuten Schlappe in Motegi die Köpfe in der Yamaha-Zentrale in Hamamatsu rauchen. Sind wir gespannt, welche Neuerungen die Techniker für den Nachsaisontest in Valencia im Gepäck haben werden. Denn für 2018 müssen Tsuji, Tsuya und Co. einen deutlichen Fortschritt finden.

Ihr,


Gerald Dirnbeck