IndyCar-Titelkampf: Junger Star fordert alte Garde heraus

Josef Newgarden bringt frisches Blut in einen Titelkampf, der aus Veteranen besteht - Wie die Chancen der Titelkandidaten vier Rennen vor Schluss stehen

(Motorsport-Total.com) - Wie so oft in der IndyCar-Serie ist die Saison eng und mit einigen Überraschungssiegern versehen, doch am Ende steht sich wieder die Elite aus den Teams von Penske und Ganassi gegenüber. Selbst wenn die Ganassi-Elite nur noch aus Scott Dixon besteht. Doch etwas ist anders an diesem Titelkampf 2017: Zum ersten Mal seit 2008 (damals ebenfalls Scott Dixon) könnte wieder ein Fahrer den IndyCar-Titel holen, der jünger als 30 Jahre ist. Lange Zeit hat die Wachablösung auf sich warten lassen, doch 2017 könnte es soweit sein.

Titel-Bild zur News: Simon Pagenaud, Helio Castroneves

Klassischer Kampf Penske vs. Ganassi: Wer hat hier am Ende die Nase vorn? Zoom

Mit Josef Newgarden hat sich frisches Blut unter eine Elite geschoben, die in den vergangenen Jahren die Titelkämpfe untereinander ausgemacht hat. Scott Dixon, Helio Castroneves, Will Power, Simon Pagenaud, Juan Pablo Montoya, Dario Franchitti, Ryan Hunter-Reay - lange Zeit schien es Gesetz, dass der IndyCar-Meister aus diesem erlesenen Kreis aus Fahrern mit über zehn Jahren Rennerfahrung kommt. Nun will Newgarden eine neue Generation an die Spitze zu führen. Sehr zur Freude der US-Amerikaner, die erstmals seit Hunter-Reay 2012 wieder einen echten Titelkandidaten haben.

Mit seinem Mid-Ohio-Sieg hat der Penske-Pilot erstmals in seiner Karriere die Tabellenführung in der IndyCar-Serie übernommen. Und hat schon klargemacht, dass er sie nicht wieder abgeben, sondern eher noch ausbauen möchte. Sein Selbstbewusstsein ist nach zwei Siegen in Folge auf einem Hoch. Warum auch nicht, denn je länger die Saison andauert, umso besser scheint er gemeinsam mit seinem Strategen Tim Cindric und dem Rest des Teams zu werden.

Er bereut einige schwache Resultate vom Saisonbeginn: "Wir hatten da einige schwache Rennen, ohne die wir wahrscheinlich deutlich führen würden. Aber die anderen können dasselbe von sich behaupten. Es ist so eine Art Yoyo-Saison für jeden. Jeder hat gute und schlechte Rennen." Newgarden hatte eine Schwächephase zwischen Phoenix und Texas (obschon auch ein vierter und ein zweiter Platz in Detroit in diesen Zeitraum fallen), doch seit Road America läuft es für ihn, sodass er nun als Topfavorit auf den Titel gilt. Doch die "alte Garde" der IndyCar-Szene wehrt sich.

Mit 40 noch nicht beim alten Eisen

Nicht zuletzt beim Indianapolis 500 hat sich gezeigt, dass die Generation 35+ noch lange nicht mit der IndyCar-Serie fertig ist. Takuma Sato holte den Sieg mit 40 Jahren. Für die Meisterschaft ist jedoch ein noch älterer Pilot Mitfavorit: Helio Castroneves ist bereits 42, fährt seines Erachtens aber besser denn je. Mit seinem überzeugenden Überholmanöver in Kurve 1 in Toronto hat er gezeigt, dass er es noch einmal wissen will und dass lang ersehnte erste IndyCar-Titel doch noch kommen möge. Was Roger Penske für 2018 in Schwierigkeiten bringen würde, der Castroneves eigentlich ins Sportwagenprogramm holen wollte...

Ausgerechnet die Jugend war es, die ihm geholfen hat, wieder zu alter Stärke zurückzufinden, erklärt der Brasilianer: "Newgarden macht einen phänomenalen Job. Aber er hilft mir, wieder meine Jugendlichkeit wiederzufinden. Aber wir alten Säcke haben gezeigt, dass wir es packen können. Lasst es uns also angehen!"


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Castroneves spielt es in die Hände, dass noch zwei Ovalstrecken auf dem Programm stehen, wo er traditionell stark ist. Auf dem Gateway-Oval hat er zudem einen Erfahrungsvorsprung, da er den Test für Penske absolviert hat. Andererseits fehlt ihm auf Rundstrecken mit schnellen, flüssigen Kurven das letzte Bisschen gegenüber seinen Teamkollegen Will Power und Josef Newgarden. Und von solchen gibt es in Watkins Glen und Sonoma reichlich. Außerdem müsste er seinen Angstgegner Scott Dixon bezwingen, der ihn schon zahlreiche Meisterschaften gekostet hat.

Castroneves macht auch etwas anders als alle seine Meisterschaftskontrahenten: Er hat - von seinem Texas-Ausfall abgesehen - keine wirklichen Ausreißer nach unten, aber eben auch nur ganz wenige nach oben. In den allermeisten Fällen kommt er irgendwo zwischen Platz vier und acht ins Ziel. Mal durch Pech wie durch die Gelbphase in Toronto, dann aber auch wieder durch Tage wie Mid-Ohio, wo ihm schlicht und einfach der Speed fehlt. Konstanz ist zwar gut für Meisterschaften, aber nur drei Podiumsresultate sind zu wenig.

Einzelkämpfer Scott Dixon: Nach Pocono wird's schwer

Lange führte er die Meisterschaft trotz seines Horrorcrashs beim Indy 500 an, doch Scott Dixon musste zuletzt gleich zweimal Schadensbegrenzung betreiben. In Toronto und Lexington machte er das mit den Positionen zehn und neun zwar vorbildlich, doch momentan scheint der Zauber, den er mit magischen Fahrten wie auf der Road America immer wieder aufblitzen lässt, ein wenig abzuflauen. Selbstkritisch geht er mit sich ins Gericht: "Es ist wie es ist. Man muss während der Saison so viele Punkte wie möglich holen und wir haben diesbezüglich keine gute Arbeit auf vielen Strecken gemacht."

Trotzdem liegt er vier Rennen vor Schluss nur acht Punkte hinter Tabellenführer Newgarden, es ist also noch alles drin. Dafür müsste er allerdings in den letzten Rennen über sich hinauswachsen: Zwar steht mit Pocono noch ein Superspeedway auf dem Programm, wo Honda von der Papierform her einen Vorteil haben sollte, doch danach folgen mit Gateway, Watkins Glen und Sonoma Strecken, auf denen die Aerodynamik zählt. Und in der Disziplin hat Chevrolet auch in der letzten Saison der Hersteller-Aerokits die Nase vorn.

Allerdings hat Scott Dixon schon die unmöglichsten Meisterschaften gewonnen, wie etwa 2015. Und so denkt er gar nicht zu sehr über seine Position im Gesamtklassement nach: "Es bringt nichts, sich jetzt über die Punkte den Kopf zu zerbrechen. Wir sind in einer guten Position. Es zählt nur einmal im Jahr, die Meisterschaft anzuführen - am Ende der Saison. Wir werden sehen, wie wir uns durch die nächsten Rennen wühlen und wie es dann in Sonoma läuft."

Titelkandidaten von 2016 liegen zurück

Und dann wären da noch Simon Pagenaud und Will Power, die vergangenes Jahr den IndyCar-Titel unter sich ausgemacht haben. Pagenaud gibt selbst Experten Rätsel auf: Nachdem er 2016 die Saison dominiert hat, ist die Magie ein Jahr später scheinbar weg - obschon er dasselbe Team, dasselbe Aerokit und dieselben Strecken hinter sich hat wie 2016. Diesmal führt er aber nicht wie 2016 die Meisterschaft an, sondern hat 17 Punkte Rückstand auf Newgarden.

Von der Papierform her ist noch alles drin, doch die Tendenz spricht eher gegen den Franzosen, der Franzose eine Saison abliefert, die der von Helio Castroneves ähnelt: Nur viermal Podium, sonst überwiegend Resultate zwischen Platz drei und sieben, allerdings mit Ausreißern nach unten beim Indy 500 und dem ersten Rennen in Detroit. Ans Aufgeben denkt er aber nicht. "Wir haben uns unser A-Game für die letzten vier Rennen aufgespart", gibt er sich im 'NBCSN'-Interview kämpferisch. "Ich habe letztes gewonnen, warum also nicht wieder? Wir kämpfen bis zum Schluss. Ich habe meinen Rhythmus wiedergefunden, aber die Gegner sind stark."

Will Power legt derweil wieder einmal eine für ihn typische Saison hin: Wochenenden wie beim Indianapolis Grand Prix, wo er einfach unschlagbar ist, wechseln sich mit katastrophalen Resultaten ab, weil er erstens immer wieder unüberlegt wie beim Unfall mit Charlie Kimball in Long Beach agiert und zweitens dieses unglaubliche Talent hat, das Pech auf sich zu ziehen. Sei es beim Reifenschaden im Barber Motorsports Park in Führung liegend, den technischen Problemen in St. Petersburg oder der Anwesenheit zur falschen Zeit am falschen Ort wie beim Indy 500 und Toronto.

Mit 401 Punkten liegt er nun bereits 52 Punkte hinten, seine Hoffnungen ruhen auf den doppelten Punkten beim Saisonfinale in Sonoma. Trotzdem muss er vorher etwas wegfeilen, das weiß er selber: "Man muss beim letzten Rennen auf 20 Punkte rankommen, dann hat man sein Schicksal selbst in der Hand." Davon ist er noch ein Stück entfernt. Auf allen Strecken außer Gateway, wo er noch nie gefahren ist, hat er bereits gewonnen, weiß aber auch, dass es schwer wird, den Pocono-Sieg aus dem Vorjahr gegen die starken Hondas zu wiederholen.

Mit theoretischen Chancen sind auch noch Graham Rahal und Takuma Sato gesegnet, die beide mit Honda-Material unterwegs sind. Für sie gilt dasselbe wie für Dixon: Pocono ist die letzte Chance für dicke Punkte, danach müssen sie gegen den aerodynamischen Nachteil ankämpfen. Gerade Rahal gelingt dies aber immer wieder auf wundersame Weise. Wäre da nur nicht sein grauenhafter Saisonauftakt gewesen, als ein zehnter Platz aus vier rennen das höchste der Gefühle war. Mit 58 Punkten Rückstand sind die Chancen aber nur noch theoretischer Natur, bei Sato mit deren 72 erst recht.

Die IndyCar-Serie 2017 wird mit vier Rennen an fünf Wochenenden entschieden: Nach der dreiwöchigen derzeitigen Unterbrechung geht es am 20. August in Long Pond auf dem Pocono Superspeedway weiter, nur sechs Tage später folgt das IndyCar-Comeback auf dem Gateway-Kurzoval. Wiederum nur eine Woche danach steht Watkins Glen auf dem Programm, bevor das Saisonfinale zwei Wochen später am 17. September in Sonoma steigt. Bei diesen Rennen gibt es doppelte Punkte.